»Fort, du Lump!« schrie jener, »der ist nicht für dich gebacken!« und gab ihm nichts. Er gelangte nicht lange darnach in den Wald und stellte sein Netz auf und stieg auf einen Baum. Da kam die wilde Kräm und rannte es durch, als wäre es ein Spinngewebe, und als er sah, daß alles umsonst war, stieg er vom Baum, ging nach Hause und erzählte, wie es ihm gegangen sei. Nun ließ der Mittlere sich einen Mehlkuchen backen und zog aus, und als er gegen Mittag von seinem Kuchen aß, kam wieder der alte Bettler zu ihm und bat um ein Stückchen Kuchen. »Der ist nicht für dich!« sagte der Junge ganz vornehm, »packe dich!« Darauf kam er auch in den Wald, stellte da sein Netz auf und stieg selbst auf einen hohen Baum, um außer Gefahr zu sein. Die Kräm kam und rannte durch das Netz, als wenn gar nichts da wäre. Als er sah, daß er sie nicht fangen könne, stieg er vom Baum, ging nach Hause und erzählte, wie es ihm gegangen. Nun sprach der Jüngste: »Lasset mich gehen,
ich bringe sie!« Da höhnten ihn die ältern Brüder und sprachen: »Du elender Kerl, du kannst nicht eine Katze erfahen und willst die wilde Kräm einfangen!« Als er aber darauf bestand, ließen sie ihm einen Aschkuchen backen und ihn damit ziehen. Wie er nun gegen Mittag von dem Kuchen aß, siehe, da kam der alte Bettler wieder und bat um ein Stückchen. »Nimm«, sprach der Junge gleich und reichte ihm ein gutes Stück dar, »es ist freilich nur Aschkuchen!« Der Alte ließ sich’s aber wohl schmecken, und als der Junge weitergehen wollte, sprach er zu ihm: »Deine Brüder haben mich hungern lassen, und dafür haben sie die wilde Kräm nicht fangen können. Weil du aber mich gesättigt hast, will ich dir helfen. Nimm hier diesen Seidenfaden, und wenn du im Wald bist, so rufe nur einmal: Tschigo, tschigo, so wird die Kräm sogleich kommen und die zwölf Ferkel hinter ihr; binde ihr dann den Faden um den Hals, und sie wird dir folgen, wohin du gehst!«.
So tat nun der Junge, und es geschah alles, wie der alte Mann gesagt hatte.
Er führte die Kräm, da es schon Abend war, mit den zwölf Ferkeln zuerst nach Hause, nahm den Seidenfaden ab und sperrte sie in den Stall ein. Seine Brüder aber erfaßte der Neid, und sie gönnten ihm die Königstochter nicht. Als der Jüngste am anderen Morgen zum König ging, um ihm die frohe Botschaft zu bringen, lauerten ihm seine Brüder im Felde auf, überfielen ihn, schlugen ihn tot, machten schnell eine Grube und scharrten ihn ein. Dann gingen sie nach Hause und wollten die Kräm mit den Ferkeln vor den König führen. Als aber die Kräm den Seidenfaden nicht mehr fühlte, bekam sie auf einmal ihre ganze Wildheit wieder; sie durchbrach den Stall und rannte zurück in den Wald und die Ferkel ihr nach. Jetzt sahen die Brüder ein, daß sie die Königstochter nicht erhalten könnten, schwiegen still und hielten ihre
böse Tat verborgen. Aus dem Grabe des Ermordeten war aber ein Rohrstengel emporgewachsen. Diesen schnitt ein Schäfer aber und machte sich daraus eine Flöte, und wie er zum ersten Male darauf blies, hörte er den wundersamen Gesang:
»O Schäfer fein, o Schäfer fein,
Du bläst auf meinem Beinelein,
Der eine Bruder schlug mich tot,
Es floß mein Blut, so rot, so rot.
Der andre Bruder grub mich ein,
Was mochte des wohl Ursach sein?
’s war um das Wild, ’s war um das Schwein,
’s war um des Königs Töchterlein!«
Da erstaunte der Schäfer und lief mit seiner Flöte zum König, wie dieser darauf blies, so hörte er:
»O König fein, o König fein,
Du bläst auf meinem Beinelein«,
und so fort, was der Schäfer gehört hatte. Da befahl der König, daß alle Leute in seinem Reich einmal blasen sollten, und so taten sie es auch der Reihe nach; zuerst rief die Flöte jeden beim Namen an, wie den Schäfer und den König. Dann aber sang sie immer das nämliche. Endlich kam es auch an die Brüder. Als der eine blies, klang es:
»O Bruder mein, o Bruder mein,
Du bläst auf meinem Beinelein,
Du arger Bruder schlugst mich tot,
Es floß mein Blut, so rot, so rot.
Der andre Bruder grub mich ein,
Was mochte des wohl Ursach sein?
’s war um das Wild, ’s war um das Schwein,
’s war um des Königs Töchterlein«
Da mußte der andere die Flöte nehmen und blasen, und es klang wieder:
»O Bruder mein, o Bruder mein,
Du bläst auf meinem Beinelein,
Der andre Bruder schlug mich tot,
Es floß mein Blut, so rot, so rot.
Du arger Bruder grubst mich ein,
Was mochte des wohl Ursach sein?
’s war um das Wild, ’s war um das Schwein,
’s war um des Königs Töchterlein!«
Der König ließ sogleich beide ergreifen und vor Gericht führen, und da sie ihre böse Tat eingestanden, wurden sie alsbald gehenkt. Es fand sich aber niemand mehr, der die wilde Kräm fangen wollte, und der stolze König mußte zusehen, wie die Schönheit seiner Tochter nutzlos verwelkte und verging.
[Josef Haltrich: Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen]