Es war einmal ein kleiner, armer Junge, dem waren Vater und Mutter gestorben. So musste er sein tägliches Brot selber verdienen. Bei einem reichen Bauern fand er Arbeit. Der unglückliche Knabe hütete dessen Schafe und Ziegen.
Jeden Morgen in der Frühe, wenn die Sonne gerade am Horizont erschien und noch frischer Tau auf den Gräsern lag, machte er sich auf und führte die Herde hinaus auf die grüne Wiese. Zufrieden blökten die Schafe und machten sich über die saftigen Leckereien her. Glücklich und zufrieden kraulte das Büblein die kleinen Lämmer und Ziegen, die dann vor Freude Bocksprünge machten. Ging es seinen Tieren gut, so ging es auch dem Hirten gut.
Der Bauer war ein geiziger und böser Mensch. Als der Hirtenjunge ihn eines Tages nach seinem Lohn für das Hüten der Schafe fragte, antwortete der Habgierige: „Eigentlich bekomme ich von dir noch die Unterkunft bezahlt. Auch habe ich dir Essen gegeben. Denkst du, das bekommst du für umsonst? Für jeden Tag, an dem du meine Schafsherde gehütet und im Stall übernachtet hast, bezahlst du mir einen Pfennig.“
Da ward der arme, kleine Hirte traurig und ging in den Schafstall. Er legte sich auf ein Strohbündel und schlief ein. Am frühen Morgen weckten ihn die Schafe und Ziegen. Unglücklich trieb er die Herde auf die Weide und setzte sich auf einen großen Stein und überlegte, wo er die Pfennige für den Bauern hernehmen sollte.
Als die Sonne auf ihren Weg am Horizont die höchste Stelle erreicht hatte, kam ein greises Mütterchen ihrem Weg. Auf ihrem Buckel trug sie ein Bündel Holz.
Als der Hirtenjunge die Alte sah, lief er zu ihr und fragte, ob er helfen könne. Sie legte die Knüppel ab und streckte ihren Rücken.
„Das ist aber schön, dass du mir helfen willst! Siehst du da hinten auf dem Berg das halbverfallende Haus, da muss ich das Holz hinbringen.“
Der Knabe fragte die Alte, ob sie eine Weile auf seine Herde aufpassen würde. Diese nickte und der Hirte nahm das Holz auf und brachte es zu dem Heim der Greisin.
Als er zur Herde zurückkam, melkte er eine Ziege und gab dem Mütterchen die frische Milch zum Trinken. Dann brach er von seinem trockenen Brot einen Kanten ab und gab ihn ihr. Während sie aßen, erzählte das Hirtenbüblein der Alten von seinem habgierigen Bauern, der trotz der vielen Arbeit, die der Junge für ihn erledigte, das Essen und sein schlichtes Strohlager im Stall bezahlt haben wollte.
Die gute Frau hörte sich alles ganz genau an und sprach: „Ich werde dir helfen. Du bist ein guter Junge, hast mir geholfen und bist auch lieb zu den Tieren.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich die Alte und ging ihres Weges.
Am nächsten Tag kam der Bauer in den Stall und sagte zu dem Knaben: „Du musst ab heute Tag und Nacht für mich arbeiten, um deine Schulden bei mir zu bezahlen. Am Tage wirst du die Schafe hüten, nachts die Ställe ausmisten und das Bauernhaus aufräumen.“
Wie befohlen, verrichtete der arme Junge die Arbeit und ging am nächsten Morgen müde und schlapp mit der Herde auf die Weide. Dort traf er das alte Mütterchen wieder. Sie hatte erneut ein Bündel Holz auf dem Kreuz. Als der Junge dies sah, lief er sofort zu ihr, nahm die Last auf seine Schultern und brachte das Holz zu der verfallenden Hütte auf den Berg.
Als er zurückkam, hatte die gute greise Frau ein Lämmchen auf dem Arm und kraulte es. Der Hirtenjunge gab ihr wieder Ziegenmilch und teilte mit ihr sein Brot.
Nach dem Essen sagte die Alte: „Pass gut auf das Lamm auf, es wird dir helfen und dich wieder zu einem glücklichen Menschen machen.“ Danach erhob sich die Greisin und ging von dannen.
Der Hirte nahm das kleine Tier auf den Arm, setzte sich auf den großen Stein und kraulte es. Plötzlich fiel ihm etwas in den Schoß. Der Junge traute seinen Augen nicht. Auf seiner zerlumpten Hose lagen zehn bohnengroße Goldstücke. Genug, um seine Schulden bei dem Bauern zu bezahlen und die gesamte Herde dem habgierigen Mann abzukaufen.
Als der Bauer die Goldstücke sah, wollte er genau wissen, wie der Junge zu dem Reichtum gekommen war. Der Hirte berichtete ihm von der Greisin, nahm anschließend die Tiere und zog mit ihnen in die Welt hinaus.
Der habgierige Bauer aber lief geschwind zu der Weide, wo ihn die Alte bereits erwartete. Wie Tags zuvor lag ein Bündel Brennholz vor ihr auf dem Boden. Ohne weiter darauf zu achten, befahl ihr der Bauer: „Gib auch mir zehn Goldstücke. Es können auch mehr sein!“ Ein breites Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.
„Trag das Holzbündel in meine Hütte dort oben auf den Berg!“
„Mach es selbst“, knurrte der Habgierige, hob einen Knüppel auf und drohte der Alten. „Rück endlich das Gold heraus!“
Ohne jegliche Angst, griff die alte Frau in ihre Schürzentasche und gab dem Bauern zehn Goldstücke.
Dieser griff eilig zu und lief damit zurück zu seinem Hof. Auf dem Weg überlegte er schon, wie er seinen Reichtum ausgeben könnte.
Doch bei seiner Rückkehr fand er statt seines großen Bauernhauses nur eine verfallene Hütte vor und aus den Goldstücken in seiner Jackentasche waren kleine, schwarze weiche Bohnen geworden und dieser Ziegenkot roch fürchterlich.
So hatte der habgierige Bauer seine gerechte Strafe erhalten. Der Hirtenjunge aber war glücklich mit seinen Tieren. Seine Schafe gaben ihm stets schöne, weiche Wolle, die sich auf den Märkten ganz prächtig verkaufen ließ.
Die Alte jedoch wurde niemals wieder gesehen.
Quelle: Friedrich Buchmann