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Märchenbasar

Alboflede

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Mehr als hundert Jahre vor dem Einfall der Franken in Gallien lebte in einer einsamen kleinen Insel, welche die Seine eine Meile oberhalb der Stadt Troyes macht, eine außerordentliche Frau namens Alboflede. Das, was dem ersten Anblick am meisten auffiel, war ihr Alter und ihre Häßlichkeit. Beides übertraf alles, was man sich davon einbilden kann; die eisgrauen Parzen hätten jung und die häßlichste der Gorgonen reizend neben ihr geschienen; das mag genug davon sein, denn ich male nicht gerne, was niemand ansehen mag. Man erzählte Wunderdinge von ihrer Macht und von dem Umfang ihrer geheimen Wissenschaften; das Volk hielt sie für eine gewaltige Hexe; wäre sie so schön gewesen, als sie abscheulich war, so würde man sie für eine Fee gehalten haben. Indessen stand sie doch im ganzen Lande in Ansehen; die gemeinen Leute fürchteten sie; die vornehmen hingegen bewarben sich um ihre Gunst, in Hoffnung, von ihren Zauberkünsten und von ihrer Gabe, das Künftige vorherzusehen, bei Gelegenheit guten Gebrauch zu machen. Sie wohnte am Ufer des Flusses in einem kleinen Palaste, der auf einer Galerie von marmornen Pfeilern ziemlich weit über das Wasser hinragte; und die dazugehörigen Gärten nahmen den ganzen Rest der kleinen Insel ein. Sie waren mit den seltensten Pflanzen und Gewächsen des ganzen Erdbodens angefüllt und immer in dem schönsten Stande unterhalten, ungeachtet man keine Hände sah, die ihrer warteten. Wer Albofleden besuchen wollte, fand am jenseitigen Ufer eine vergoldete Gondel, die von selbst ging und diejenigen, deren Besuch ihr angenehm war, in wenig Augenblicken hinüberbrachte: jedem andern wäre es unmöglich gewesen, sie von der Stelle zu bewegen. Wer den Zutritt erhielt, wurde sehr wohl aufgenommen; man konnte nicht herrlicher bewirtet werden, wiewohl im ganzen Hause weder männliche noch weibliche Bediente zum Vorschein kamen.

Es begab sich eines Tages, daß die Gondel ein Paar junge Liebende hinüberführte, die von einer heftigen Begierde geplagt wurden, das Schicksal ihrer wechselseitigen Leidenschaft zu erfahren. Alboflede nahm sie gütig auf, und nachdem sie ihnen einige Erfrischungen vorgesetzt (denn sie schienen von den Beschwerden eines langen Weges erschöpft zu sein), erkundigte sie sich nach dem Bewegungsgrunde ihres Besuches.

«Wir kommen», antwortete der Jüngling, «dich, der nichts Zukünftiges verborgen ist, um das Glück unsrer Liebe zu befragen. Ich liebe die schöne Selma, seitdem ich sie kenne; und daß sie sich erbitten ließ, mich hieher zu begleiten, verrät dir schon genug von dem Geheimnis unsrer Herzen, um sie eines förmlichem Geständnisses zu überheben. Aber mächtige Hindernisse stehen unserm Glück entgegen. Wir fürchten, durch die Hartherzigkeit der Unsrigen auf ewig getrennt zu werden. Rate uns, weise Frau, was wir tun sollen!»

«Wieder nach Hause gehen und ruhig erwarten, was das Schicksal und die Liebe über euch beschlossen haben», antwortete Alboflede.

Das Mädchen seufzte. «Das ist unmöglich», rief der Jüngling; «habe Mitleiden mit uns, gütige Fee! Schlage das Blatt im Buche der Schicksale auf, worauf das unsrige geschrieben ist, und entdeck uns, wie wir dem Elend entgehen können, zu einer hoffnunglosen Liebe verdammt zu sein, wie wir die Hindernisse überwinden können, die uns mit ewiger Trennung bedrohen!»

«Laßt euch Besseres raten», sagte Alboflede, «und unterdrückt einen Vorwitz, dessen Befriedigung euer Schicksal nicht ändern, aber wohl verschlimmern könnte. Eine wohltätige Hand hat den dichten Vorhang gewebt, der die Zukunft vor den Augen der Sterblichen verbirgt; aber unerbittlich bestraft sie diejenigen, die ihn aufzuheben und mit unbescheidenem Blick in das Verbotene einzudringen wagen. Ich selbst, meine Kinder, bin ohne mein Verschulden ein unglückliches Beispiel dieser Wahrheit; und damit fremde Erfahrung euch die Qualen einer zu späten Reue erspare, will ich euch, wenn ihr Lust zu hören habt, meine Geschichte erzählen.»

Die jungen Leute dankten ihr für die Gefälligkeit, so sie ihnen dadurch erweisen wollte. Sie folgten ihr in den Garten; und indem sie durch ein mit Blumen besetztes Parterre hingingen, pflanzte sich auf einmal der schönste Blumenstrauß vor den Busen der jungen Selma, ohne daß man sah, wie es damit zuging. Alboflede lächelte über das angenehme Erschrecken des Mädchens, tat aber nicht, als ob sie es bemerkt hätte. Bald darauf ließ sie ihre beiden Gäste unter einem hoch aufgeschossenen, voll blühenden Rosengebüsche Platz nehmen und begann ihre Erzählung folgendermaßen:

«Mein Vater, ein Druide dieses Landes, dem ich in seinem Alter geboren wurde, war der Astrologie mit solcher Leidenschaft ergeben, daß er über der Betrachtung des Himmels und der Sterne sich unvermerkt angewöhnte, alles Irdische, als seiner Aufmerksamkeit unwürdig, mit Geringschätzung anzusehen. Er bekümmerte sich wenig um meine Erziehung; aber da er in dem Augenblick meiner Geburt mein Horoskop gestellt und gefunden hatte, daß ich alle Weiber meiner Zeit an Schönheit und Leichtigkeit übertreffen würde, so stiegen ihm über die Verbindung zweier so gefährlicher Eigenschaften von Zeit zu Zeit Gedanken in den Kopf, die ihn, nach dem Maße, daß ich heranwuchs, beunruhigten. Der erste Teil meines Horoskops – wie unglaublich es euch, meine Kinder, in diesem Augenblick auch immer vorkommen mag – war auf eine so vollkommne Art in Erfüllung gegangen, daß mein Vater um so weniger zweifelte, auch den andern Teil, mehr als ihm lieb war, realisiert zu sehen. Zu meinem Unglück hatte er die Leichtigkeit des Körpers, die mir die Sterne weissagten, für Leichtigkeit des Sinnes genommen; und diese Vorstellung setzte sich so fest in seinem Kopfe, daß er mich, von meiner frühen Jugend an, als ein Mädchen ansahe, das die größte Gefahr liefe, ein Schandfleck seines Namens und ihres Geschlechtes zu werden. Indessen schien meine Schönheit mit jedem Tage neuen Zuwachs zu erhalten; wer mich sah, wurde in meine Figur vernarrt; aber niemand war es mehr als ich selbst. Mein Vater betrachtete dies als die erste Würkung meiner unglücklichen Anlage zur Koketterie, die er in den Sternen entdeckt hatte; und in der guten Absicht, aus dieser meiner Schwachheit selbst ein Mittel zur Erhaltung meiner Ehre zu ziehen, nahm er mich einsmals auf die Seite und entdeckte mir mit großem Ernst als ein Geheimnis von der äußersten Wichtigkeit für das Glück meines Lebens: Die Reizungen, auf die ich einen so großen Wert legte, hingen lediglich von meiner Unerbittlichkeit ab, und der erste Sieg, den eine Mannsperson über mich erhielte, würde mich zur häßlichsten Person auf dem ganzen Erdboden machen. ‹Ich beklage dich, meine Tochter›, setzte er hinzu; ‹aber es steht nicht in meiner Macht, was in den Sternen von dir geschrieben ist, auszulöschen. Alles, was ich tun kann, ist, daß ich dich von deinem Schicksale benachrichtige und dir rate, wenn dir anders daran gelegen ist, so zu bleiben, wie du bist, den Mannspersonen aus dem Wege zu gehen. Sie so nahe kommen zu lassen, daß sie dich anreden könnten, oder gar stehenzubleiben und sie anzuhören, würde schon zu gefährlich sein; das Sicherste ist, davonzulaufen, eh‘ es soweit kommt; ein Mädchen, das die Unvorsichtigkeit hat, auf die Stimme dieser Lockvögel zu horchen, ist immer in Gefahr, auf der Leimstange hängenzubleiben; und ich habe dir gesagt, was bei dir die Folge davon sein würde.›

Mein guter Vater hätte die Hälfte seiner Warnungen ersparen können, wenn er einen Begriff davon gehabt hätte, in welchem Grad ich in mich selbst oder, was mir damals gleich viel galt, in meine Figur verliebt war. Indessen, da ich in die Wahrheit seiner Worte nicht den geringsten Zweifel setzte und alles im buchstäblichen Sinne nahm, konnte doch alle Gleichgültigkeit, womit ich meine bisherigen Liebhaber anzusehen gewohnt war, mich nicht verhindern, von der fürchterlichen Gefahr, womit mich mein Vater bedrohet hatte, von Zeit zu Zeit in große Beängstigung gesetzt zu werden. Natürlicherweise mußten es meine armen Anbeter entgelten, deren Anzahl mit jedem Tage zunahm, und dies um so mehr, da keiner unter ihnen sich des kleinsten Vorzugs bei mir rühmen konnte. Vergebens trugen sie mir in der einzigen Sprache, die ihnen erlaubt war, in Blicken und Seufzern, ihr Anliegen vor; vergebens ermüdeten sie die arme Echo Tag und Nacht mit Wiederholung meines Namens; umsonst kratzten sie ihn in alle Bäume der Gegend: der bloße Gedanke, diese schönen Augen, deren mörderischen Glanz die Herren in tausend Oden und Elegien verwünschten, einem von ihnen zu gefallen, verlöschen zu sehen, machte, daß ich sie lieber alle mit einem Blick hätte versteinern mögen. Dieses Betragen entfernte nach und nach alle ehrerbietigen Liebhaber von mir; aber es fanden sich mitunter auch Verwegene, die sich nicht abweisen lassen wollten und die mir so viele Gelegenheit gaben, meine Schnellfüßigkeit zu zeigen, daß ich es in diesem Stücke gar bald mit allen Atalanten und Camillen der Dichter hätte aufnehmen können. Diese Gelegenheiten kamen endlich gar zu oft; ich wurde es überdrüssig, immer zu laufen, ohne Lust dazu zu haben, und mich von den verhaßten Nebenbuhlern meiner eignen Schönheit in der süßen Beschäftigung stören zu lassen, in irgendeinem kristallnen Bache mich an meinem eigenen Anschauen zu ergötzen. Ich zog mich, um dieses reinen Vergnügens desto ruhiger zu genießen, in eine Einöde zurück; aber gerade in dieser Einöde war es, wo der erzürnte Liebesgott das Mittel fand, eine grausame Rache an seiner unbesonnenen Verächterin auszuüben.

Von allen den Reizungen, womit die Natur mich zu meinem Unglück so verschwenderisch beschenkt hatte, waren meine Haare vielleicht die geringste; indessen hatten sie die schönste Farbe von der Welt und waren so lang und dicht, daß ich sie nur aufzulösen brauchte, um bis auf die Füße über und über von ihnen bedeckt zu werden. Eines Tages, da ich an dem Rande eines Flusses, worin ich mich gebadet hatte, im Begriff war, meine Haare auszukämmen, und ganz allein zu sein glaubte, kam auf einmal ein schneeweißer, von Jägern verfolgter Hirsch angesprengt, stürzte sich ins Wasser, schwamm an das diesseitige Ufer herüber und legte sich, äußerst abgemattet und mit Blicken, die um meinen Schutz zu bitten schienen, zu meinen Füßen nieder, während daß seine Verfolger am gegenseitigen Ufer in lärmender Verwirrung eine Stelle suchten, wo sie ohne Gefahr über den Fluß setzen könnten. Niemals in meinem Leben hatte ich für irgendeine Kreatur soviel Anmutung gefühlt als für dieses schöne Tier, das auf eine so rührende Art mein Mitleiden zu erregen wußte. Ich legte meine Hand auf seinen Rücken und fing an, es sanft zu streicheln und zu liebkosen; aber kaum hatte ich es berührt, als es sich in einen wunderschönen jungen Menschen verwandelte, der sich berechtigt hielt, diese Liebkosungen zu erwidern und seine Liebeserklärung damit anzufangen, womit man sie gewöhnlich zu endigen pflegt. Ich gestehe, daß mein Schrecken über ein so unvermutetes Wunder im ersten Anblick mit ich weiß nicht was für einem Gefühl, das mehr Angenehmes als Widriges hatte, vermischt war; aber mein zur andern Natur gewordener Abscheu vor allem, was einem Manne gleichsah, bekam sogleich wieder die Oberhand. Zudem hatte mich der wundervolle Unbekannte in einem Zustande überfallen, der von dem gewöhnlichen Negligé der Grazien wenig verschieden war. Ich machte mich also eilends auf die Füße, und da die Scham meiner natürlichen Leichtigkeit einen neuen Grad von Geschwindigkeit gab, so schien ich mehr zu fliegen als zu laufen. Aber mein neuer Liebhaber, den das, was mich beschämte, desto verwegner machte, schien nicht nur seine vorige Hirschnatur behalten, sondern noch zum Überfluß die Flügel der Liebe an seine Fersen bekommen zu haben; denn ein Vorsprung von fünf bis sechs Schritten war alles, was ich mit der höchsten Anstrengung meiner Kräfte über ihn gewinnen konnte. In währendem Lauf wehte der Wind die langen dichten Haare, die mir sonst eine zulängliche Bedeckung gegeben hätten, dergestalt auseinander, daß sie zu Verrätern an mir wurden und den Augen meines Verfolgers einen Vorteil über mich gaben, gegen welchen alle meine Geschwindigkeit zu kurz kommen mußte. Dieser Umstand brachte meine Vernunft in eine solche Unordnung, daß ich mich unbesonnenerweise in das erste beste Gebüsche warf, aber eben dadurch den Unfall, dem ich entfliehen wollte, beschleunigte. Um es kurz zu machen, Kinder – ich verfing mich mit meinen langen Haaren in einem Busche; der schöne Unbekannte holte mich ein, und wiewohl ich einen Teil meiner verhaßten Locken aufopferte, mich von ihm loszureißen, so blieb es mir unmöglich, meinem Schicksal zu entrinnen.

Ich gestehe, daß der Übermut, womit der Unbekannte sich seines Vorteils über mich bediente, nicht vermögend war, das sympathetische Gefühl gänzlich auszulöschen, das mich beim ersten Anblick für ihn eingenommen hatte; und mein Unglück würde mir vielleicht weniger unerträglich, als es an sich selbst war, vorgekommen sein, wenn der Gedanke, daß es mich meine ganze Schönheit koste, es nicht zum Grausamsten, was mir begegnen konnte, gemacht hätte. Die Flucht meines Liebhabers, den vielleicht nur mein entsetzliches Geschrei und die Furcht, entdeckt zu werden, vertrieben hatte, schien mir die erste Bekräftigung zu sein, daß die Vorhersagung meines Vaters in Erfüllung an mir gegangen sei. Mein Schmerz, meine Verzweiflung war unaussprechlich. Ich hatte das Herz nicht, mich selbst anzusehen. Das Tageslicht wurde mir verhaßt; ich floh in die ödesten Wildnisse, verbarg mich in die dunkelsten Felsenklüfte und hörte nicht auf, ein Unglück zu beweinen, das gleichwohl bloß in meiner Einbildung bestand. Ein einziger Blick in einen der Bäche oder Brunnen, worin ich mich sonst mit so innigem Wohlgefallen zu spiegeln pflegte, würde mir meinen fatalen Irrtum benommen haben; aber ein Spiegel war jetzt in meiner Einbildung das schrecklichste aller schrecklichen Dinge, und die Furcht vor meinem eignen Anblick machte, daß ich einem Bach auf tausend Schritte auswich. Zu meinem Unglück mischten sich endlich, aus Bosheit oder Mitleiden, auch die Feen in meine Angelegenheiten. In einer unseligen Stunde, da meine Verzweiflung eben aufs höchste gestiegen war, kam mir eine derselben in den Weg und versprach mir, in der guten Meinung, mich zu trösten, mir jede Gabe zu bewilligen, um die ich sie bitten würde. ‹Oh›, rief ich, ohne mich einen Augenblick zu besinnen, ‹wenn du das willst, mitleidige Fee, so verwandle meine Gestalt augenblicklich in das Gegenteil dessen, was sie jetzt ist; mache mich mir selbst so unähnlich als möglich, dies ist die höchste Wohltat, die du mir erweisen kannst.› Die Fee betrachtete mich einige Augenblicke mit Erstaunen; aber sie hatte nun einmal ihr Wort gegeben, und ein Feenwort ist, wie ihr wißt, unwiderruflich. Meine Bitte wurde mir gewährt; was zuvor nur eine Einbildung gewesen war, die mir ein wohlgemeinter Betrug meines Vaters in den Kopf gesetzt hatte, wurde nun Würklichkeit; und aus dem schönsten Mädchen in der Welt ward ich auf der Stelle in ein so abscheuliches Geschöpf verwandelt, daß die Fee selbst meinen Anblick nicht aushalten konnte und sich eilends davonmachte. Allein, vor Freude über die vermeinte Wiederherstellung meiner Schönheit wurde ich den Ausdruck des Abscheues in ihrem Gesichte nicht gewahr und bildete mir ein, daß sie bloß nach Feenart wieder verschwunden sei, um mir den Dank für die unschätzbare Gabe, so ich von ihr empfangen zu haben glaubte, zu ersparen. Bald darauf begegnete mir eine andere Fee, da ich eben im Begriff war, einen Bach zu suchen, worin ich mich beschauen könnte. Auch sie bot mir eine Gabe an, und ich besann mich noch weniger als das erste Mal. ‹Gib mir›, rief ich in der Freude meines Herzens, ‹gib mir die Gabe, mit allen den Reizungen, die ich jetzt besitze, soviel Jahre zu leben, als ich Haare auf meinem Kopfe habe!› Die kleine Fee sahe mich mit dem Erstaunen an, womit man eine Person, die man für klug hielt, Wahnsinn sprechen hört; sie zuckte die Achseln und schien einen Augenblick unschlüssig, ob sie mir ein so unbegreifliches Begehren bewilligen sollte: allein, da sie ihr Wort gegeben hatte, so konnte sie sich, ebensowenig als die erste, nicht entbrechen, es zu halten. Die Fee verschwand, und ich Unglückliche glaubte mich kaum im Besitz einer Schönheit, deren Dauer ich, nach der ungeheuren Menge von Haaren, die ich wiederbekommen zu haben vermeinte, für unermeßlich hielt, als ich einem Brunnen zulief, um mich, nach einer so langen Trennung von mir selbst, wieder mit vollen Zügen an meinem Anschauen zu erlaben. Aber stellt euch die ganze Unaussprechlichkeit meines Entsetzens vor, da ich nichts als das Ideal der Häßlichkeit, eine Karikatur von allem, was Alter und Ungestaltheit Widerliches und Grausenhaftes hat, kurz, eben die Figur darin erblickte, die ihr vor euch seht! Unmöglich konnt‘ ich glauben, daß ich dieses Scheusal sei; ich sah mich überall nach dem Gegenstande des verhaßten Bildes um, das mir das meinige verdecke; aber da ich es alle die Bewegungen machen sah, die ich selbst machte, fand ich mich endlich gezwungen, der abscheulichen Wahrheit Platz zu geben, und erkannte nun zu spät, in welchem Grade ich ein Spiel mißgünstiger Sterne und ein Opfer des frommen Betruges meines Vaters und meiner eigenen Leichtgläubigkeit, Eigenliebe und raschen Übereilungen gewesen war. Es würde Unbarmherzigkeit sein, meine Kinder, wenn ich euch mit einer Beschreibung des Zustandes, in den mich diese Entdeckung stürzte, quälen wollte. Tausendmal trieb mich die Verzweiflung, meinem Leben ein Ende zu machen; aber immer hielt mich ein unsichtbarer Arm mit stärkerer Gewalt zurück. Die Zeit, deren abstumpfende Würkung auf unsre Sinnen uns zuletzt das Angenehmste gleichgültig und das Widrigste erträglich macht, vermochte endlich soviel, daß ich mich meinem Schicksal mit einiger Gelassenheit unterwarf; aber was am meisten dazu beitrug, war die Gewißheit, daß mein Elend nicht länger als drei Jahre dauern würde, welches gerade soviel Jahre waren, als mir die Feen Haare auf meinem kahlen Kopfe gelassen hatten. Meine angenehmste Beschäftigung war jetzt, die Stunden und Augenblicke zu überrechnen, die mich dem letzten Ziele meiner Wünsche näher brachten; und indem ich auf diese Art mein verhaßtes Dasein in den dunkelsten Wäldern und einsamsten Wildnissen hinschleppte, hatte ich den zwölften Monat meines letzten Jahres erreicht, als ich in einer finstern Nacht, worin ich lange zwischen Felsen und Abgründen herumgeirret war, bei eben dieser Insel anlangte, wo ich seitdem meine Wohnung aufgeschlagen habe. Ich glaubte daselbst, durch die Gebüsche, die ihre Ufer bekränzten, ein Feuer zu erblicken, das über alle umliegende Gegenstände eine so große Klarheit verbreitete, als ob es heller Tag wäre. Ungeachtet mir nach meiner eigenen Figur nichts verhaßter war als das Licht, so bemächtigte sich doch meiner in diesem Augenblick eine Neubegierde, der ich nicht widerstehen konnte.

Ich watete durch eine seichte Stelle des Flusses, die ich bei diesem Lichtglanze gewahr wurde, und erstaunte nicht wenig, als ich in dem Gebüsche, wo mir das schöne Feuer zu brennen geschienen, einen kleinen Neger schlafend fand und entdeckte, daß ein Halsband von Karfunkeln, das er um seinen schwarzen Hals hatte, die einzige Ursache des hellen und beinahe blendenden Glanzes war, der einen Teil der Insel so herrlich erleuchtete. Ich konnte eine gute Weile nicht Herz genug fassen, mich ihm zu nähern, denn er kam mir noch häßlicher und abscheulicher vor als ich selbst. Aber plötzlich wandelte mich eine so heftige Begierde an, die Besitzerin dieses wundervollen Schmuckes zu sein, daß ich mich stark genug fühlte, es dem dreiköpfigen Cerberus selbst aus dem Rachen zu reißen. Diese Begierde war desto unsinniger, da ich nur noch wenige Tage zu leben hatte und das Halsband, wie unschätzbar es auch an sich selbst sein mochte, mir zu nichts helfen konnte, als meine Häßlichkeit in ein auffallenderes Licht zu setzen: aber sie war stärker als meine Vernunft und meine Eigenliebe zusammengenommen; und so kam ich, mit furchtsamen Schritten, dem kleinen Ungeheuer, vor dessen Anblick ich alle Augenblicke hätte ohnmächtig werden mögen, endlich nahe genug, um zu bemerken, daß das Halsband nur mit einem schwachen seidenen Faden umgebunden war. Ich bemächtigte mich desselben ohne Mühe und war im Begriff, mich mit meiner kostbaren Beute davonzumachen, als der Neger erwachte und mich bei einem Zipfel meines Rocks zurückhielt. ‹Wohin so eilig, schöne Alboflede›, rief er mir zu, indem er einen Rüssel aussperrte, vor dessen Anblick ich hätte umsinken mögen. Ihm entfliehen zu wollen war keine Möglichkeit, da ich mit meiner Gestalt auch die Geschwindigkeit, die mich retten konnte, verloren hatte. Meine Verlegenheit und Verwirrung schien den Unhold in gute Laune zu setzen. ‹Wenn du erst den ganzen Wert des Kleinodes kenntest, das du mir entwenden wolltest›, sprach er lachend und unbekümmert, daß ihn das Lachen noch zehnmal häßlicher machte, als wenn er sauer sah; ‹aber sei gutes Mutes, schöne Alboflede! Ich bin darum nicht böse auf dich, und wenn du dich nur zu einer kleinen Gefälligkeit bequemen kannst, so soll es mir auf das Halsband nicht ankommen, da es mir ohnehin zu nichts nütze ist, als die Lichter des Nachts dabei zu ersparen.› – ‹Und worin soll die kleine Gefälligkeit bestehen?› fragte ich ihn mit weggewandtem Gesicht, indem ich ein paar Schritte zurücktrat, um von seinem Atem nicht erreicht zu werden. ‹In weiter nichts›, erwiderte er mit einem abscheulich freundlichen Zähnefletschen, ‹als mich zu lieben und die Meinige zu werden.› Alle Knochen an meinem ganzen Leibe klapperten zusammen bei diesem Antrag und bei der Vorstellung, die meine Einbildungskraft damit verband, indem sie mich wider Willen an den schneeweißen Hirsch erinnerte. ‹Nicht um die ganze Welt, und wenn sie aus lauter Karfunkeln zusammengesetzt wäre›, schrie ich, indem ich ihm sein Halsband mit Abscheu vor die Füße warf. ‹Ich lasse mir Gerechtigkeit widerfahren›, versetzte der grinsende Wechselbalg, indem er das Halsband mit großer Gelassenheit von der Erde aufhob; ‹ich bin freilich nicht der Liebenswürdigste, und ich kann es einer jungen Dame von so außerordentlicher Schönheit, wie du bist, nicht verargen, wenn sie bei einem Antrage wie der meinige ein wenig zusammenfährt.› – ‹Dieser unmenschliche Spott›, rief ich, vor Zorn außer mir, ‹beweiset mir, daß deine Seele noch abscheulicher ist als deine Außenseite.› – ‹Er beweist nichts, schöne Alboflede›, sagte der Neger, indem er mir, meines Sträubens ungeachtet, das funkelnde Kleinod um den dürren schwarzgelben Hals herumschlang; ‹ich sage nichts, als was dir dieser Spiegel auch sagen wird!› Mit diesen Worten hielt er mir einen großen Spiegel vors Gesicht, und – wie soll ich euch mein Erstaunen, meine Bestürzung und mein Entzücken ausdrücken? – ich erblickte mich wieder in meiner ehmaligen Gestalt, im vollen Glanze der Schönheit und Jugend, kurz, so vollkommen alles, was ich gewesen war, daß ich weder dem Spiegel noch meinen Augen zu glauben mir getraute. ‹Ist’s möglich?› rief ich in stammelnder Wonnetrunkenheit, indem ich, aus Furcht, der Spiegel könnte bezaubert sein, wie eine Närrin mitten in den Fluß hineinlief, um mich in seiner unverdächtigen Flut zu bespiegeln. Der Neger, der sich einbilden mochte, daß ich ihm entlaufen wolle, rannte mir so eilig nach, daß er mich auf einen Sprung einholte; aber wie er mich so ruhig und über eine dunkle Stelle des Wassers hingebückt in meinem eignen Anschauen vergeistert stehen sah, begnügte er sich, mir ganz sachte von hintenzu das Halsband wieder abzulösen und dadurch meiner ganzen Wonne auf einmal ein Ende zu machen. Denn in dem Augenblicke, da das Halsband wieder in seinen Händen war, stand ich wieder so alt und häßlich, wie ihr mich sehet, da und suchte mit meinen zusammengerunzelten und ausgelöschten kleinen Schweinsaugen vergebens, wo mein so inniggeliebtes Ich auf einmal hingekommen wäre. Man müßte selbst in einer solchen Lage gewesen sein, um sich eine wahre Vorstellung davon zu machen. Der verwünschte Neger ging mit seinem Halsband in den Klauen ganz kaltblütig wieder zurück, und ich, als ob ich ihm meine geraubte Schönheit wieder abjagen wollte, lief ihm nach und würde ihm, solange er sie in seinen Händen hatte, trotz meinem Abscheu vor seinem widerlichen Mohrengesichte bis ans Ende der Welt nachgelaufen sein. Er schien Mitleiden mit meiner gewaltsamen Lage zu tragen, und sein Ton wurde immer höflicher und zärtlicher, ohne daß ich seine Figur darum erträglicher fand. Er führte mich in seinen kleinen Palast, zeigte mir alle seine Seltenheiten und Schätze und entdeckte mir im Vertrauen, daß er der Sohn einer Fee und, vermöge der Kenntnisse, womit er von seiner Mutter begabt worden, sehr außerordentliche Dinge zu tun imstande sei. Aber mit allem dem stehe es nicht in seiner Macht, mir das Halsband anders als auf die gemeldete Bedingung wiederzugeben. ‹Verlangen, daß du mich so, wie ich bin, würklich lieben solltest›, setzte er hinzu, ‹hieße vielleicht etwas Unmögliches von dir fordern; aber so unbillig bin ich nicht; ich will zufrieden sein, wenn du, sobald du mit dem Halsbande deine Schönheit wieder von mir erhalten, dich nur ebenso gegen mich beträgst, als ob du mich liebtest; und damit dir deine Gefälligkeit weniger koste, so wisse, daß sie das einzige Mittel ist, den schneeweißen Hirsch, der dir vielleicht nicht gleichgültig ist, wiederzusehen.› Ich würde bei diesen Worten rot geworden sein, wenn eine so pergamentartige Haut wie die meinige hätte erröten können; es war mir unbegreiflich, woher der kleine Neger soviel von meiner Geschichte wissen könne, und meine Verlegenheit nahm mit der Begierde nach dem Halsbande sichtbarlich zu. Was soll ich euch sagen? Im Grunde konnte kein Preis für das Gut, dessen Erwerbung in meine Willkür gestellt war, zu groß sein. Wenigstens dachte ich damals so, und jede andre würde vielleicht an meinem Platze ebenso gedacht haben. Genug, ich erhielt das Halsband mit aller meiner Schönheit wieder, und der abscheuliche kleine Mohr verwandelte sich, sobald ich ihm meine Dankbarkeit zu beweisen anfing, zu meinem großen Erstaunen in den wunderschönen Jüngling, der in Gestalt eines schneeweißen Hirsches mein Herz gewonnen hatte und dessen Ungezogenheit die Quelle aller meiner Abenteuer gewesen war. Ich erfuhr nun von ihm selbst, daß eine Intrige mit einer ebenso mächtigen als eifersüchtigen Fee an seiner Verwandlung Ursache gewesen. Er konnte seine eigentümliche Gestalt unter keiner andern Bedingung wiedererhalten, als wenn er in seiner häßlichen Negermaske die schönste Person in der Welt dahin bringen könnte, die Seinige zu werden; und von wem konnte er dies jemals zu erhalten hoffen als von einer Person, über die er sich den Vorteil zu verschaffen gewußt hatte, daß es von ihm abhing, ob sie die schönste oder die häßlichste ihres Geschlechtes sein sollte?

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