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Märchenbasar

Beppo Pipetta

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Beppo Pipetta, Soldat des Königs von Schottland, war auf Urlaub im väterlichen Hause, das auf einem hohen Berge lag, an dessen Fusse sich ein sehr übelberufenes Wirthshaus befand. Einst machte der König ganz allein eine Fussreise und bestieg auch der schönen Aussicht halber diesen Berg, auf dem er Peppo begegnete. Obwohl der König ganz wie ein gewöhnlicher Fussreisender gekleidet war, so erkannte Beppo doch gleich auf den ersten Blick, dass es ein Mann von Stande sein müsse, und fragte ihn daher theilnehmend, wie er sich in so verrufener Gegend allein zu wandeln getraue. »Je nun, wenn dem so ist«, meinte der König, »so geht mit mir, ihr habt Gewehr und Degen bei euch und könnt mir nützlich sein.« Beppo nahm die Einladung an und so gingen sie unter allerhand Gesprächen, bis es spät und finster geworden war und sie bei dem Wirthshause anlangten, wo sie einsprachen.
Als sie zwei Betten verlangten, so that dem Wirthe leid um die zwei Reisenden, und er sagte ihnen, dass er zwar Betten habe, dass aber später auch Räuber bei ihm einkehren würden. »Gut«, antworteten diese, »so gebt uns einstweilen etwas zu essen.« »Meine Herrn«, entgegnete der Wirth, »ich habe nichts als Brod.« »Und was sind denn die Hühner da am Bratspiess?« fragte Beppo. »Die sind für die Räuber.« »Ach was, die Räuber!« rief Beppo, »gebt uns nur eins davon und lasst mich für das Weitere sorgen.«
Als die Reisenden gegessen hatten, verlangten sie ihre Betten und man führte sie in den oberen Stock. Während nun der König sich zur Ruhe begab, legte sich Beppo auf die Spähe, und da vernahm er denn bald, dass die Räuber angekommen waren. Als sie nach dem fehlenden Huhne fragten und hörten, zwei Fremde hätten es verzehrt, so riefen sie: »Wohlan, haben die unser Huhn vom Spiesse genommen, so wollen wir ihnen dafür das Herz aus dem Leibe reissen.«
Als die Räuber den ersten Hunger und Durst gestillt hatten, so schickten sie einen von ihnen hinauf auf Kundschaft. Beppo aber, der im Hinterhalte stand, stiess ihm den Degen dergestalt in die Brust, dass er lautlos zu Boden stürzte, worauf er den Todten in ein Nebenzimmer warf. Da sagte nach einer Weile ein Räuber: »Mir däucht, unser Kamerad hat mit den Zweien da oben Brüderschaft getrunken, ich muss doch ein wenig nachsehen.« Hierauf erhob er sich und ging die Treppe hinauf, aber Beppo behandelte ihn gerade wie den ersten. Wieder nach einiger Zeit sagte ein Räuber: »Unsere Kameraden kommen gar nicht mehr herab, die müssen sich gut unterhalten, ich will doch auch von der Partie sein, wenn sie lustig ist.« – Dies gesagt, ging auch er hinauf, aber auch ihn traf Beppo’s sichere Hand.
Nun dachte dieser, drei von den sieben Räubern haben wir vom Halse, mit den andern vieren werden wir zwei schon fertig werden. Aber es sollte noch leichter werden, als er gedacht, denn die Räuber schickten noch einen hinauf mit dem Auftrage, die andern drei herabzubringen oder aber selbst gleich zurückzukommen. Beides wurde ihm unmöglich, denn Beppo verfuhr mit ihm gerade wie mit seinen Vorgängern. Da ergrimmten die Uebriggebliebenen und gingen alle drei zugleich hinauf, aber Beppo erschoss den vordersten und stach die andern zwei mit dem Degen nieder.
»Herr Wirth!« rief Beppo hierauf die Stiege hinab, »he! sind noch Brathühner übrig geblieben und Wein, so bringt sie herauf!« Da dieses der Fall war, so machte er es sich erst recht bequem und that sich gütlich.
Als der Tag angebrochen war, zahlte der König die Zeche für beide, belohnte den Wirth, und als sie an den Scheideweg gekommen waren, fragte er noch Beppo, ob er auch seinem König wohlwolle. »Ja«, antwortete dieser, »denn er ist ein sehr guter Herr, den Alle gerne haben, und überdies bezahlt er mich gut und pünktlich.« Hierauf trennten sie sich freundschaftlichst und jeder ging seinen Weg, der König in seine Residenz und Beppo nach Hause und bald darauf in seine Garnison.
Kaum war Beppo bei seiner Compagnie angelangt, wurde er zum Könige gerufen, und als er im Schlosshofe auf die Stunde der Audienz wartete, siehe da erblickt er auf einmal den Herrn, der mit ihm im Wirthshause das Abenteuer mit den Räubern bestanden.
»Was macht ihr hier?« sprach ihn der Herr an.
»Ich bin zum Könige gerufen worden.«
»Ich auch, wisst ihr warum?«
»Nein, aber ich werde es euch erzählen, wenn wir von der Audienz gehen.«
Da grüsste der Herr und ging fort. Beppo aber wurde bald darauf zum Könige in den Audienzsaal geführt, der mit Krone und Mantel auf dem Throne sass, so dass er ihn gar nicht erkannte.
»Pipetta!« rief ihm der König mit etwas veränderter Stimme zu, »von euch habe ich schöne Dinge gehört, ihr habt sieben Personen ermordet.«
»Ja, mein Herr!« antwortete dieser, »es waren Räuber, die mich und noch einen Reisenden ermorden wollten.«
»Davon steht hier nichts in der Anzeige. Habt ihr Zeugen?«
»Ja, einen Herrn, der dabei war, der steht unten im Hofe.«
»Das ist nicht wahr«, rief der König, »denn er steht hier im Saale und zwar vor euch.«
Da ging unserm Beppo ein Licht auf und er erkannte in dem Könige den Reisenden. Der König aber fuhr fort: »Ihr sollt nicht mehr Soldat sein, sondern bei mir bleiben oder wo es euch sonst gefällt, und es gut haben. Was ihr braucht, zahle ich alles für euch, denn ihr habt mir damals das Leben gerettet.«
Als die erste Freude über dieses Glück vorüber war, beschloss Beppo die Seinen zu besuchen. Da traf er auf der Strasse einen Mann, der sich mit ihm in ein Gespräch einliess, und so plauderten sie lange fort, bis sie endlich in ein Wirthshaus gingen, sich mit Speise und Trank zu erquicken. »Wie kommt es«, fragte da sein neuer Freund, der sich an Beppo’s Schnacken weidlich ergötzte, »dass ihr als Soldat keinen Schnappsack mit euch führt?« »Hm«, meinte Beppo, »ich belaste mich nicht gerne auf dem Marsche mit unnöthigen Dingen. Effekten habe ich keine und brauche ich etwas, so bekomme ich es überall, denn ich habe einen guten Herrn, der alles für mich bezahlt.«
»Nun«, sagte der Fremde, »so will ich euch einen Schnappsack schenken und zwar einen sehr kostbaren, denn wenn ihr zu jemand sagt: Spring hinab, so springt er in den Sack.« Darauf empfahl sich der Fremde und ging.
Warte, dachte Beppo, das will ich gleich probiren. Und wirklich bot sich dazu eine günstige Gelegenheit dar, denn so eben erschien der Wirth, um die Zeche zu begehren. »Was wollt ihr?« fragte Beppo.
»Die Zeche, das könnt ihr euch selbst denken.«
»Lasst mich ungeschoren, ich habe jetzt kein Geld.«
»Was? ihr lumpiger Soldat …«
»Spring hinein!« sagte Beppo, und der Wirth stak bis über die Ohren im Sacke. Nur nach langem Bitten und gegen Verzichtleistung auf die Zeche liess er den Wirth wieder heraus. »Warte Kerl! ich werde dir über Soldaten schimpfen lehren«, sprach er zum Wirth und ging fort.
Nach langem Wege ermüdet und hungrig kehrte Beppo wieder in einem Wirthshause ein. Da sieht er einen Menschen, der fortwährend einen Geldbeutel ausleert, aber nie fertig wird, denn er füllte sich immer wieder von neuem. Schnell reisst er ihm den Beutel aus der Hand und läuft zum Wirthshaus hinaus, aber nicht minder flink der Eigenthümer ihm nach, und da er keinen so weiten Weg gemacht hatte, wie Beppo, der den ganzen Tag gewandert war, so war er ihm bald auf der Ferse. Da schrie dieser: »Spring hinein!« und der Eigenthümer war im Sacke. »Höre«, sagte Beppo, nachdem er etwas zu Athem gekommen war, »höre und sei vernünftig. Du hast den Beutel lange genug gehabt, überlasse ihn jetzt mir, sonst bleibst du ewig im Sacke.«
Was konnte da der Eigenthümer thun? Gerne oder ungerne musste er den Beutel abtreten, um aus dem verfluchten Sacke zu kommen.
Zwei Jahre hatte Beppo zu Hause mit dem Beutel viel Gutes und mit dem Sacke viele Schelmereien gethan, da sehnte er sich wieder nach der Residenz und reiste zurück; aber wie erstaunte er nicht, als er sie ganz schwarz behangen und Jedermann in Trauer sah. »Wisst ihr nicht von dem traurigen Falle«, antwortete man ihm auf seine Fragen um die Ursache dieser Trauer, »wisst ihr nicht, dass morgen der Teufel des Königs Tochter holen wird wegen eines leichtsinnigen Schwures, den ihr Vater gethan?« Da lief er spornstreichs zum Könige, ihn zu trösten, aber der glaubte ihm nicht. »Herr!« sagte er, »Sie wissen noch nicht, was Beppo Pipetta im Stande ist. Lassen Sie nur mich machen.« Da bereitete er in einem Zimmer der Burg einen grossen Tisch mit Papier, Feder und Tinte, während die Prinzessin im Nebenzimmer betend ihr trauriges Geschick erwartete. Da hörte man um Mitternacht ein fürchterliches Brausen wie Sturmwind, und mit dem letzten Glockenschlage fuhr der Teufel beim Fenster herein – in Beppo’s Sack, der ihn schon offen hielt und schnell »Spring hinein!« gerufen hatte.
»Was machst denn du hier?« fragte Beppo den tobenden Teufel.
»Was gehts dich an? Ich habe meine Gründe«, erwiederte dieser keck.
»Warte ein wenig, Hallunke!« rief Beppo, »ich werde dir Manier lernen«, und ergriff hierauf einen Stock und prügelte so lange auf den Sack los, bis der Teufel darin vor Schmerz alle Heiligen anrief.
»Willst du die Prinzessin noch holen?«
»Nein, nein, lass mich nur aus dem infamen Sack.«
»Versprichst du sie nimmer zu belästigen?«
»Ich verspreche es, aber lass mich heraus.«
»Nein«, sagte Beppo, »was du versprochen, musst du vor Zeugen wiederholen und auch schriftlich von dir geben.« Da rief er einige Herrn vom Hofe ins Zimmer, liess sich das Versprechen wiederholen, erlaubte dem Teufel eine Hand aus dem Sacke zu strecken und folgendes zu schreiben: Ich Endesgefertigter Teufel verspreche hiermit, dass ich J.k. Hoheit die Prinzessin weder holen, noch je in Zukunft belästigen werde. Satanas, Höllengeist.
»Gut«, sagte Beppo, »das Geschäft mit der Prinzessin wäre jetzt abgethan; jetzt aber erlaube, dass ich dir wegen deiner früheren Grobheit noch einige Hiebe als Angedenken an mich mit auf die Reise gebe.« Als dieses geschehen, öffnete er den Sack und der Teufel fuhr den Weg, den er gekommen, beim Fenster hinaus.
Da gab der König eine grosse Tafel, bei der Beppo zwischen ihm und der Prinzessin sass, und grosse Freude verbreitete sich darüber im ganzen Königreiche.
Nach einiger Zeit machte Beppo eine Vergnügungsreise und kam an einen Ort, wo es ihm so gefiel, dass er dort zu bleiben beschloss, aber die Polizei machte ihm Umstände und wollte wissen, wer er sei, woher er sei und eine Menge anderer Dinge. Da antwortete er: »Ich bin Ich, das sei euch genug. Wollt ihr aber mehr wissen, so schreibt an den König.« Wirklich wurde an den König geschrieben, der aber den Befehl ertheilte, ihn zu respektiren und ungeschoren zu lassen.
Schon hatte er viele Jahre in diesem Orte gelebt und war alt geworden, da kam der Tod und klopfte bei ihm an. Beppo öffnete und fragte: »Wer seid ihr?« »Ich bin der Tod«, war die Antwort. »Spring hinein!« schrie Beppo eiligst, und siehe, der Tod war im Sacke. »Was?« rief dieser, »ich, der so viel zu thun hat, soll hier meine Zeit versäumen?« »Bleib du nur darin, alter Spitzbube«, antwortete Beppo und liess ihn anderthalb Jahr nicht heraus. Da war allgemeine Zufriedenheit auf der Welt, besonders jubelten die Aerzte, denn keinem starb mehr ein Kranker. Da bat der Tod so demüthig und stellte ihm die Folgen dieser Unordnung so vernünftig vor, dass Beppo ihn unter der Bedingung ausliess, ja nicht ohne seinen Willen zu kommen. Der Tod aber entfernte sich und suchte durch ein paar Kriege und Pesten das Versäumte nachzuholen.
Endlich wurde Beppo so alt, dass ihm schon selbst das Leben zuwider wurde. Da schickte er um den Tod, der aber kam nicht, denn er befürchtete, die Botschaft könnte Beppo wieder reuen. Da entschloss er sich, selbst zum Tode zu gehen. Der Tod war nicht zu Hause, hatte aber in Erinnerung an seine Vakanzen im Sacke vorsorglich den Auftrag hinterlassen, falls ein gewisser Beppo Pipetta komme, ihm ja den Rücken ordentlich durchzubläuen; was pünktlich ausgerichtet wurde. Beim Tode geprügelt und hinausgeworfen, ging er ganz traurig zur Hölle, aber auch hier existirte beim Pförtner schon ein Befehl des Teufels, ihm gleiche Ehre wie beim Tode zu erweisen, und der auch gewissenhaft in Vollzug gesetzt wurde.
Voll Schmerzen über die erhaltenen Prügel und ärgerlich darüber, dass ihn der Tod nicht wolle, ja nicht einmal der Teufel, geht er zum Paradiese. Hier meldete er sich beim heil. Petrus, aber dieser meinte, er müsse erst darüber bei unserm Herrgott anfragen.
Da wirft Beppo unterdessen seine Kappe über die Mauer ins Paradies. Nach einigem Warten erscheint St.-Peter und sagt: »Mir ist recht leid, aber unser Herrgott mag euch nicht hier.« »Nun«, sagt Beppo, »so lasst mir wenigstens meine Kappe wieder holen«, wischte schnell zur Thüre hinein und setzte sich auf die Kappe. Als ihm hierauf St.-Peter aufzustehen und sich weiter zu trollen befahl, erwiederte er gelassen: »Nur gemach, mein Herr! jetzt sitze ich auf meinem Eigenthum und da lasse ich mir von niemand befehlen«, und somit blieb er im Paradiese.

[Italien: Georg Widter/Adam Wolf: Volksmärchen aus Venetien]

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