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Märchenbasar

Bestrafter Stolz

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Es war einmal ein König, der hieß Miroslaw und wollte gern heiraten. Unter den vielen Bildern, die er von Prinzessinnen und Fürstinnen erhalten hatte,
befand sich eines von solcher Schönheit, daß er auf den ersten Blick für diese Prinzessin in Liebe entbrannte und keine andere zur Königin haben wollte. Deshalb ließ er alle Maler seines Reiches in sein Schloß rufen, denn er wollte ihr sein Bild senden und sie zugleich um ihre Hand bitten.
Eifrig machten sich die Künstler an die Arbeit. Bald waren mehrere Bilder des Königs in einem schönen Saal aufgestellt, und Miroslaw ging mit seinen Ratgebern dorthin, um festzustellen, welches wohl am besten zur Absendung geeignet wäre.
„Ich glaube, gnädigster König“, sagte einer der Höflinge, „keines dieser Bilder kann einem Vergleich mit dem Gesicht Eurer Majestät standhalten.“ – „Ich glaube, die Prinzessin, ist nicht böse, wenn ich in Wirklichkeit ein wenig hübscher bin als mein Bild.“
Der König wählte nun jenes Bild aus, das ihm am wenigsten gefiel, ließ es in einen goldenen Rahmen setzen, der mit kostbaren Steinen verziert war, und schickte die angesehensten Edelleute mit großer Gefolgschaft und wertvollen Geschenken zum Vater der schönen Prinzessin, um deren Hand zu erbitten. Voll Sehnsucht erwartete er ihre Rückkehr. Doch als die Abgesandten nach einer Woche wieder eintrafen, waren sie traurig und verdrossen.
„O Herr und König“, sagten sie, als sie vor Miroslav traten, – „unerhört ist die Beleidigung die uns widerfahren ist, und wir scheuen uns, Eurer Majestät alles aufzudecken.“
„Sprecht frei und ohne Furcht!“ gebot Miroslav.
„Von dem König wurden wir gastlich aufgenommen. Der ganze Hof war erfreut, daß Eure königliche Majestät Prinzessin Krasomila zur Frau begehrt.
Am nächsten Tag wurden wir zur Prinzessin geführt, um ihr unsere Reverenz zu erweisen.
Niemand ist es gestattet, ihre Hand zu berühren, und deshalb durften auch wir nur den Saum ihres Kleides küssen. Auf das Bild Eurer Majestät warf sie nur einen verächtlichen Blick und sagte:
„Der hier aufgestellte König ist nicht würdig, mir die Schuhriemen zu binden.“ Unser Blut wallte vor Zorn und Scham, aber der alte König bat uns, die wahre Ursache zu verschweigen, und gestand, daß auch er selbst von seiner Tochter viel zu erdulden habe;
trotzdem könnte vielleicht noch alles gut werden, und die Prinzessin müßte doch ihre Zustimmung geben. Aber eine solche Königin schien uns nicht die richtige Mutter unserer Landeskinder zu sein, und deshalb verließen wir lieber das Schloß.“
„Daß war das Klügste, was ihr tun konntet, und ich bin mit euerer Handlungsweise sehr zufrieden. Um das übrige will ich mich selbst kümmern“, erwiderte der König; doch seine Wangen brannten vor Zorn über die stolze Prinzessin. Schließlich fand sein scharfer Verstand einen Weg, den zu beschreiten ihm am besten schien. Er rief seinen alten Ratgeber und Verwalter und vetraute ihm allein seine Pläne an.
Am nächsten Tag herrschte im Schloß lebhaftes Treiben, denn der König rüstete zur Reise. Er übergab die Regierung des Landes seinem Ratgeber und die Burg dem alten Verwalter. Am dritten Tag machte er sich auf den Weg. An der Grenze eines Königreiches schickte er sein Gefolge zurück, behielt nur etwas Kleidung und ein wenig Geld bei sich und schritt allein weiter.
Es war ein schöner Frühlingstag, und Prinzessin Krasomila ging im Park des väterlichen Schlosses spazieren. Sie war schön wie eine Göttin, aber ihr Gesicht glich einer Rose ohne Duft, einem Garten, der nicht von den strahlen der Sonne erwärmt wird. Und doch lebte in ihrer Seele ein zartes Gefühl, denn oftmals weinte sie über das Unglück eines Armen und gab reichlich Almosen. In ihre Nähe aber durfte kein Bettler treten, damit er sie nicht mit seiner schmutzigen Hand berühre. Viele Herrscher hatten bereits um die Hand der Prinzessin angehalten, doch sie hatte jeden zurückgewiesen. Ihre Gedanken hatten Adlerschwingen und hätten sich gern bis zur Sonne erhoben. Der alte König machte ihr oft Vorwürfe und drohte ihr, zu großem Stolz folge die Strafe auf dem Fuße. Sie aber erwiderte ihm: „Mein Bräutigam muß sich durch Schönheit, Erhabenheit, Kunstsinn und Edelmut vor allen anderen Männern auszeichnen, sonst wird er nie mein Gatte.“
Als sie nun so im Garten spazierenging, trat ihr Vater zu ihr und sagte: „Meine Tochter, ich habe einen jungen Mann in meinen Diensten aufgenommen und ihn zum Obergärtner gemacht. Aber er erscheint mir für dieses Amt fast zu schade, denn er kennt sich in der Gärtnerei so gut aus wie in der Literatur und in dieser wieder so in der Musik, so daß ich erstaunte und ihn voller Freude an meinen Hof gezogen habe. Einen so gelehrten Mann hatten wir bei uns bisher nicht. Was meinst du dazu?“ – „Ich kann nichts dazu sagen, weil ich ihn nicht gesehen habe. Aber ich glaube, du hast gut daran getan, denn ein solcher Mann ist bei Hofe wie ein Kleinod. Ist er in der Musik wirklich so erfahren, wie du sagst, und sonst ein Mensch von edlen Sitten, so könnte er mir Unterricht auf der Harfe erteilen. Nur ungern vermisse ich meinen verstorbenen Lehrer. Schick mir den Fremden her!“ Der König war damit einverstanden, und die Prinzessin ging in den Sommersaal, in den kurz darauf Miroslav trat.
„Meine tiefste Verehrung lege ich zu Euren Füßen, und erwarte Eure Befehle“, sagte Miroslav, neigte sein Haupt zu ihren Füßen und küsste den Saum ihres kostbaren Gewandes, wobei er die Prinzessin mit einem Blick bedachte, wie sie ihn bisher nicht gekannt hatte. Das stolze Fräulein errötete und heftete ihren Blick auf eine Rose, die sie kurz zuvor im Garten gepflückt hatte. Sie ahnte nicht, welches Mißgeschick ihr aus der eben entfalteten Blüte erwachsen würde.
In diesem süßen Kelch saß wie auf rosafarbenen Kissen ein kleiner Gott mit gespanntem Bogen, auf dem ein in Gift getauchter Pfeil lag, und wie Prinzessin Krasomila auf die schicksalshafte Rose blickte, ließ der Gott, den Pfeil schnellen und sie fühlte einen Schmerz im Herzen, gegen den kein Kraut gewachsen war.
„Wie ist Euer Name?“, fragte sie den Fremden mit freundlicher Stimme. „Miroslav“, erwiderte er.
„Mein Vater hat mir gesagt, daß Ihr Euch in der Musik auskennt, und ich habe schon seit langem einen Lehrer gewünscht, der mich weiter im Harfenspiel unterrichtet. Ich ware Euch sehr dankbar, wenn Ihr die Stelle meines verstorbenen Lehrers einnehmen wolltet.“
„Falls meine bescheidene Kunst imstande ist, diesen Dienst zu verrichten, werde ich mich glücklich schätzen. „Daß überige wird Euch der König sagen“, schloß die Prinzessin das Gespräch und gab ihm mit der Hand ein Zeichen, daß er entlassen sei.
Lange stand sie regungslos da und wußte nicht, was mit ihr geschehen war. In ihrem Kopf flüsterte und summte es wie lockende Stimmen, wie süßes Spiel der Musik, im Herzen aber brannte es, und ihr war zumute wie einem Gefangenen, dem nach langer dunkler Nacht der erste Sonnenstrahl lacht und die Tore seines Herzens weit öffnet, damit sich jeder winkel mit Licht fülle. Da ertönten Schritte, und die Prinzessin erwachte aus ihren Träumereien. Es war der König. „Nun“, fragte er „hast du Miroslav als Lehrer angenommen?“ – „Ja, aber ich denke noch darüber nach, wann ich anfangen soll?“
„Tu nur, was du willst! Ich muß freilich bei seinem Namen immer an König Miroslav denken. Ich fürchte, daß er den Schimpf nicht erträgt und mir den Krieg erklärt. Tochter, Tochter, damals hast du einen großen Fehler gemacht!“
Quäle mich nicht Vater! Ich wäre unglücklich gewesen, wenn ich diesen König hätte nehmen müssen. Deshalb bleibe ich bei meiner Meinung.“
Der König verfiel wieder ins Sinnen und ging verdrossen fort. Am nächsten Tag aber schien alles vergessen, und der Unterricht begann. Miroslav war ein eifriger Lehrer und Prinzessin Krasomila eine aufmerksame Schülerin. Die Eiskruste, mit der der Stolz ihr Herz umgeben hatte, schmolz von Tag zu Tag mehr. Oft flüsterten ihre Gespielinnen einander zu: „Was mag nur mit unserer Prinzessin geschehen sein? Niemals durfte jemand es wagen, ihre Hand zu berühren, und jetzt macht sie sich nichts daraus, wenn ihr Miroslav beim Abschied die Hand küßt.“
Die Liebe hatte das stolze Mädchen überwunden.
Schon war Miroslav geraume Zeit am Hofe. Alle hatten ihn gern, vor allem aber Prinzessin Krasomila, obwohl sie es sich nicht eingestehen wollte. Kam sie in den Park, so bedachte sie den Oberaufseher der Gärten nur mit einem stolzen Blick, ließ sich dann aber nirgendwo anders nieder als auf der Bank oder in der duftenden Laube, die Miroslav ihr zuliebe über Nacht hat aufstellen lassen. Sie konnte auch nicht so unliebenswürdig sein und nicht mit einem freundlichen Wort für diesen Beweis seiner Verehrung danken. Aus den wenigen Worten entspann sich ein Gespräch, weil die Prinzessin viel zu fragen und zu befehlen hatte. Mit dem Unterricht war es ebenso. Wenn sie schlechte Laune hatte, mußte der Kammerdiener dem Lehrer sagen, die Prinzessin habe heute keine Lust zum Lernen. Bald aber besann sie sich eines anderen, und der Kammerdiener mußte sich nochmals bequemen und den Lehrer holen. Um sein düsteres Gesicht aufzuhellen, reichte sie ihm oft selbst die Hand zum Kuß, eine Ehre, die selbst den höchsten Edelleuten nicht zuteil wurde.
Eines abends saß die Prinzessin am offenen Fenster, spielte auf der Harfe und sang dazu. Neben ihr stand Miroslav und wandte kein Auge von ihrem Antlitz, das vom goldenen Schein der untergehenden Sonne bestrahlt war. Plötzlich hielt sie inne und reichte die Harfe ihrem Lehrer.
„Wenn Eure Hoheit gestatten, singe ich jetzt ein eigenes Lied“, sagte Miroslav und die Prinzessin Krasomila nickte. – Es begann – aber was war das für ein Gesang! Bald schien es Krasomila, als höre sie den Klang silberner Glocken, die sie in das Haus der Herrn zu frommem Gebet riefen. Bald kam es ihr so vor, als locke die Stimme einer Nachtigall in eine schattige Laube und in die Arme des Geliebten. Die Sonne versank hinter den hohen Bergen. Ihr letzter Schein brachte die Eiskruste, die das Herz der stolzen Prinzessin noch hauchdünn umgab, völlig zum Schmelzen. Sie neigte ihr Haupt Miroslav zu, und eine Träne fiel auf seine Hand.
Dieser aber sagte, als hätte er nichts bemerkt: „Das war das Abschiedslied, gnädigste Herrin. Morgen muß ich fort von hier.“
„Was sagst du da, Miroslav? Du darfst nicht fort, nein, so nicht!“ rief Krasomila mit zitternder Stimme und ergriff Miroslavs Hand. Da öffnete sich die Tür, und Krasomilas Vater trat über die Schwelle. „Das also ist der Mann, den du liebst?“ fragte er kalt die erschrockene Tochter. „Ja Vater, ich liebe ihn!“ erwiderte Krasomila und richtete sich stolz auf. „Und weißt du auch, daß ihm eine jener Tugenden fehlt, die du von deinem zukünftigen Gatten verlangt hast?“
„Ich weiß, daß Miroslav nicht aus edlem Geschlecht ist, aber ich liebe ihn trotzdem, und ich würde ihn lieben, wäre er auch von noch niedrigerem Stande.“
„So soll er noch in dieser Stunde dein Mann sein. Aber länger bleibst du nicht in meinem Schloß, damit du nicht noch größeren Schaden auf mein Haupt lädst.“ – „O gnädigster König!“ rief Miroslav und beugte seine Knie. „Ich kann nicht zulassen, daß die Prinzessin durch mich unglücklich wird, ich verlasse das Schloß!“
Der König achtete nicht auf diese Worte. Er ließ den Beichtvater rufen, und bald darauf war Krasomila, die stolze Prinzessin, die Frau des armen Miroslav und stand in ihrem einfachsten Kleid vor der Burg.
Schweren Herzens nahm sie im Geiste Abschied von ihrem Vater, der sie so unfreundlich behandelt und sie wie eine arme Magd aus dem Hause gejagt hatte. Dann aber faßte sie guten Mut, reichte ihrem Manne die Hand und sprang mit ihm in die Kutsche, die sie aus dem Reich ihres Vaters bringen sollte.
 
Als sie an die Grenze jenes Landes kamen, wo Krasomila einstmals Herrscherin werden sollte, verließen sie den Wagen und gingen zu Fuß weiter.
„Liebe Frau“, sagte Miroslav zu Krasomila, „Was sollen wir jetzt beginnen? Ich habe zwar in der Hauptstadt einen Bruder, der bei Hofe ist und mir zu einem Dienst verhelfen kann, aber bis dahin werden wir wohl Not leiden.“ – „Etwas Geld haben wir ja noch! Inzwischen will ich für die Leute arbeiten und mich bemühen, deine Sorgen zu erleichtern.“, tröstete Krasomila ihren betrübten Mann, obwohl ihr selbst nicht leicht ums Herz war.
Als sie in die Hauptstadt des Königreiches kamen, mietete Miroslav eine kleine Stube. Sie vereinbarten alle kostbaren Kleider zu verkaufen. Ja, Krasomila opferte selbst, den Ring, den sie am Finger trug, damit sie etwas Geld hatten. „Ich gehe jetzt“, sagte Miroslav am nächsten Tage, „um für dich Arbeit und für mich einen Dienst zu beschaffen, zu dem mir mein Bruder verhelfen wird.“ Zu Mittag kehrte er mit einem kleinen Bündel zurück. Er schnürte es auf und nahm weiche Leinwand und etwas Obst heraus. „Schau her, meine Liebe, hier bringe ich dir Arbeit, die, wenn du sie gut machst, auch gut bezahlt wird. Das Obst habe ich von meinem Bruder erhalten. Ach, meine liebe Frau, wie konnte ich nur dich, eine Königstochter, in ein solches Leben hineinziehen? Du, die du an jeden Luxus gewöhnt wars, sollst nun für fremde Leute arbeiten und mußt Not ertragen. Oh, ich Unglücklicher!“
So klagte Miroslav und küßte die Hände seiner Frau, der er erst nach der Hochzeit gesagt hatte, wie sehr er sie liebte.
„Was jammerst du“, antwortete sie und lachte ihren Mann an, „Ich habe es ja so gewollt. Deine Liebe entschädigt mich für alles.“ Voll Freude nahm sie die feine Leinwand und machte sich an die Arbeit. Sie nähte fleißig und gönnte sich selbst in der Nacht keine Ruhe. Eigentlich legte sie die Arbeit nur weg, um ihrem Mann das Essen zu richten. Als sie fertig war, setzte sie eine einfache weiße Haube auf und ging, die Arbeit abzuliefern. Es war ein schönes Haus, in das sie Miroslav gehen ließ, und der Diener führte sie durch prächtige Zimmer zur Kammerzofe. Ihr war doch ängstlich zumute, als die Kammerzofe, die Arbeit genau betrachtete, einiges aussetzte und dafür den Lohn schmälern wollte. Das Blut schoß ihr in die Wangen, und Tränen stiegen ihr in die Augen.
Da öffnete sich die Tür, und eine ernste Dame trat ein. sie fragte die Kammerzofe, worum es gehe, und als sie die Arbeit betrachtet hatte, befahl sie, der Schneiderin den vollen Lohn zu zahlen. Krasomila verneigte sich zum Dank und verließ eilends das Haus. Miroslav aber sagte sie nichts von dem, was ihr widerfahren war. Immer mußte sie daran denken, daß wohl auch ihre eigenen Kammerzofen mit den armen Schneiderinnen und anderen Handwerkern auf gleiche Weise verfahren waren. Nach zwei Tagen kam Miroslav wieder und bot ihr einen Dienst bei einer vornehmen Dame an, wo sie es sehr gut haben sollte. Krasomila war zufrieden, verhüllte ihr Gesicht und trat bei jener Dame den Dienst an. Diese musterte sie erst von Kopf bis Fuß, fragte, was sie alles könne, und sagte dann, Krasomila solle zwei Tage probeweise dableiben.
Das waren zwei bittere Tage! Nun sah sie, was so ein Dienstmädchen unter den Launen der vornehmen Dame zu leiden hat, wie verächtlich man es behandelt. War das ein Putzen, Laufen, Tragen, Schreien und Schelten, wenn eine Locke nicht ganz so ausfiel wie die andere, oder wenn sich das Leibchen nicht genug wölbte. Und doch ist ein solches Geschöpf nicht schlechter als ein anderes. Das konnte Krasomila nicht ertragen, und nach zwei Tagen verließ sie den Dienst.

„Weißt du schon das Neueste, liebe Frau?“
sagte Miroslav wenige Tage danach, als er mit heiterem Gesicht ins Zimmer trat.
„Unser König hat eine Braut heimgeführt,und morgen findet im Schloß ein großes Festmahl statt, bei dem er sie seinen Edelleuten vorstellen will. Wie ich höre, sucht man viele Köche und Küchenhilfen. Und jeder bekommt für diesen Tag mehrere Dukaten. Du kannst doch kochen, und zuviel zu tun wirst du wohl auch nicht haben. Willst du nicht ins Schloß gehen und in der Küche helfen?“ – „Warum nicht, ich gehe gern. Soviel Geld verdient man nicht leicht an einem Tag“, erwiderte Krasomila. Frühmorgens machte sie sich zurecht, band ein Kopftuch auf ländliche Art und ging mit ihrem Mann ins Königsschloß.
„Ich werde mir auch einen Verdienst suchen, und am abend hole ich dich ab“, sagte Miroslav, als er die Küche verließ, in der er seine Frau geführt hatte. Krasomila machte sich hurtig an die Arbeit, die ihr der Oberkoch für den ganzen Tag anwies, und hatte infolge ihrer Niedergeschlagenheit kein Auge für das, was im Schloß vorfiel. Alles ging gut, schon kamen die Gäste angefahren, und die Wagenreihe nahm kein Ende. Als Krasomila einmal über den Gang lief, vertrat ihr ein Herr den Weg, mit eitel Gold und Silber geschmückt, so daß er vor lauter Glanz nicht zu erkennen war.
„Bitte“, sagt er mit tiefer Stimme zu Krasomila, „ruft doch jemanden, der mir den Schuhriemen bindet!“ Krasomila blickte scheu zu ihm hinauf, und als sie an der Kleidung sah, daß es der König war, bückte sie sich und band ihm selbst den Schuhriemen. Der König dankte ihr und ging weiter.
Kurz darauf kam der Kammerdiener und fragte, wo das Küchenmädchen sei, das dem König den Schuhriemen gebunden habe; es solle in die oberen Gemächer zu der Kammerzofe kommen. Krasomila tat, wie ihr geheißen war. Als sie zur Kammerzofe kam, verneigte sich diese und bat sie weiterzugehen. Verwundert blickte sich Krasomila in den kostbaren Gemächern um, wo sie alles an ihr väterliches Schloß erinnerte. Es waren die Zimmer der Schloßherrin, und Krasomila dachte, sie werde endlich die junge Königin zu Gesicht bekommmen. Was sie selbst hier zu tun hätte, wußte sie nicht. So gelangte sie den Ankleideraum, wo mehrere Tische voll kostbarer Kleider und andere voll Schmuck lagen. „Hier sollt Ihr Euch ein Kleid und passenden Schmuck auswählen, ich werde Euch beim Ankleiden helfen. Unser König will Euch für den erwiesenen Dienst einmal zum Tanze holen.“

„Um Gottes willen“, rief die erschrockene Krasomila, „was würde mein Mann dazu sagen? Ich soll mit dem König tanzen und diese Kleider anziehen? Nein, das tue ich nicht!“ – „Auch nicht, wenn ich dich darum bitte?“ vernahm sie eine wohlbekannte Stimme hinter sich, und sie sah den König dastehen und sie erkannte in ihm ihren Miroslav. Krasomila erschrak und fragte mit schmerzlicher Stimme: „Warum hast du das getan und mich so behandelt?“
„Du erinnerst dich vielleicht, mit welch stolzer Antwort du meine Edelleute abgefertigst hast, die dir mein Bild überbrachten? Damals habe ich geschworen, deinen Stolz zu brechen. Dein Vater hat mich in diesem Vorhaben bestärkt, und deine Liebe war mir dabei eine große Hilfe. Aber ich hätte dich nicht solange geprüft, wenn es dein Vater nicht befohlen hätte. Ich habe mit dir gelitten.“
Da öffnete sich die Tür und der alte König trat ein. Alle drei umarmten einander herzlich.
„Meine Tochter, die Prüfung war zwar hart, aber glaube mir, sie wird sich für dich und deine Kinder wohltuend auswirken“, sagte der Vater. Da kamen die Gäste, und als sie die junge Königin in ihrem kostbaren, goldgewirkten Gewande und mit dem königlichen Diadem erblickten, waren sie alle von ihrer Schönheit bezaubert, denn bei aller Lieblichkeit vertraten jetzt die Stelle von Stolz und Hochmut, Freundlichkeit und Güte.
Hocherhobenen Hauptes führte Miroslav seine geliebte Frau in den Saal, wo die Hofgesellschaft bereits versammelt war und die junge Königin jauchzend begrüßte.

Quelle: Bozena Nemcova
Tschechisches Märchen

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