Suche

Märchenbasar

Prinz Bajaja

0
(0)
Es war einmal ein König, dessen Frau ihm Zwillingssöhne gebar. Beide waren gesunde und muntere Burschen. Doch der eine fand sich besser als der andere in der Welt zurecht, und so bleb es auch, als sie heranwuchsen. Der Knabe der um einige Minuten älter war, hielt sich gern in der frischen Luft auf, rannte und sprang umher und ritt auf einem kleinen Pferd, das so alt war wie er. Der zweite Sohn liebte es, auf weichen Teppichen zu spielen. Wo die Mutter war, da war auch er. Er ging mit ihr im Garten spazieren, wagte sich aber niemals allein vor das Tor. Und so kam es mit der Zeit, daß die Mutter ihn seinem Bruder vorzog.
Auch als sie größer wurden, änderte sich nichts daran. Als der ältere Bruder siebzehn wurde, fühlte er sich ein wenig glücklich im Haus. Immer stärker erfüllte ihn der Wunsch, in die Welt zu gehen. Eines Tages vetraute er seinem Pferd an, daß er sein Vaterhaus verlassen wollte.
„Zieh in die Welt, wenn du zu Haus nicht glücklich bist“, sagte das Pferd mit menschlicher Stimme. „Brich allein auf und reite niemals ein anderes Pferd als mich. Das wird dir Glück bringen.“
Der Prinz traute seinen Ohren kaum, als er sein Pferd mit menschlicher Stimme sprechen hörte, und er wollte wissen, wie dies möglich war.
„Du tust besser daran, nicht solche Fragen zu stellen“, sagte das Pferd.
„Doch ich will dich beschützen und dir helfen, wenn du tust, was ich dir sage.“ Der Prinz versprach es und begab sich in das Schloß, um seinen Vater um Erlaubnis zu bitten. Zunächst wollte der Vater nichts davon hören,
doch der junge Mann bestand auf seinem Plan, und schließlich gab der Vater nach. Er bestimmte eein großes Gefolge, das den Prinzen begleiten sollte, gab Befehle, die Pferde zu satteln.
„Ich brauche kein Gefolge“, sagte der Prinz. „Ich will allein iin die Welt ziehen, nur mein gutes Pferd soll mit.“ Dieser Wunsch gefiel dem König ganz und gar nicht, aber schließlich stimmte er zu. Es dauerte nicht lange,
und der Prinz war reisefertig. Das Pferd wartete gesattelt am Tor, während der Prinz von seinen Eltern und dem Bruder Abschied nahm.
Bald danach galoppierte der Prinz über ein weites Feld, weit von der Hauptstadt des Vaters entfernt. Es war kaum zu glauben, daß ein siebzehnjähriges Pferd so schnell laufen konnte. Aber dieses Pferd alterte nicht, denn es war kein gewöhnliches Pferd.
Sie legten Meile um Meile zurück. Der Prinz wußte nicht, wohin das Pferd ihn trug. Plötzlich sah er vor sich die Türme einer schönen Stadt aufragen.
Das Pferd änderte seine Richtung, trabte über ein Feld und hielt vor einem Felsen an, der sich in der Nähe eines schönen Waldes befand. Als sie vor dem Felsen standen, schlug das Pferd mit seinen Hufen daran. Der Felsen öffnete sich, und das Pferd ritt mit dem Prinzen hinein. Es stellte sich heraus, daß der Raum ein bequemer Stall war.
„Ich werde hier bleiben“, sagte das Pferd zu dem Prinzen. „Du mußt aber in die Stadt gehen und dich um einen dienst am Hofe bemühen. Eins vor allem mußt du dabei beachten: Stell dich stumm, und vergiß das nicht.
Wenn du mich brauchst, dann komm zu dem Felsen und klopfe dreimal an, Er wird sich öffnen, und ich werde immer hier sein, um dir zu helfen.“
Der Prinz dachte: Mein Pferd ist klug. Es muß am besten wissen, was zu tun ist. So nahm er seine Kleider und ging hinaus. Bald kam er in die Stadt, ging zum Schloß und richtete es ein, daß ihn der König sah. Als er vor dem König stand, machte er sich durch Zeichen verständlich. Der König glaubte, einen Stummen vor sich zu haben, hatte Mitleid mit ihm und nahm ihn in seinen Dienst. Es dauerte nicht lange, und der König stellte fest, daß der neue Diener sich auf verschiedene Weise nützlich machte. Den ganzen Tag hatte er irgendwo im Schloß zu tun. Jeder liebte ihn. Da „Bajaja“ das einzige Wort zu sein schien, das er auf Antwort auf alle
Fragen sprechen konnte, nannte man ihn“Bajaja“.Nunhatte der König drei anmutige Töchter. Die älteste hieß Zdobena, die zweite Budinka und die jüngste Slavena. Bajaja liebte es, seine Zeit in ihrer Gesellschaft zu verbringen. Der König hatte nichts dagegen. Bajaja war nicht nut taub, er hatte auch ein blasses Gesicht und trug eine Augenklappe. Er sah nicht gerade ansehnlich aus. Der König fürchtete nicht, daß sich eine seiner
Töchter in ihn verlieben könnte. Doch die Prinzessinnen konnten ihn gut leiden, und wohin sie gingen, da ging auch er. Er machte Blumengebinde für sie, zog goldene Fäden in ihre Nadeln, er zeichnete sogar Vögel und
Blumen zum Sticken. Am liebsten weilte er bei Slavena, der jüngsten Prinzessin. Ihre Schwestern bemerkten es, und sie neckten oft ihre Schwester damit. Da sie gutmütig war, nahm sie es ihnen nicht übel.
 
Bajaja war noch nicht lange im Schloß, als er eines Morgens das Frühstückszimmer betrat, wo der König gerade frühstückte. Bajaja bemerkte, daß der König betrübt war. Mit Hilfe von Zeichen erfuhr der
junge Mann auch den Grund. Der König blickte ihn traurig an. „Mein lieber Junge“, sagte er. „Hast du nicht von dem Unglück gehört, was uns bedroht?“
Bajaja schüttelte seinen Kopf.
„Du kannst uns zwar nicht helfen“, fuhr der König fort, „trotzdem will ich dir erzählen.“
„Vor vielen Jahren“, begann der König seine traurige Geschichte, „wurde mein Land von drei furchtbaren Drachen verwüstet: Einer von ihnen hatte neun Köpfe, der zweite achtzehn und der dritte vierundzwanzig. Die Lage in meiner Stadt war hoffnungslos. Die Leute zitterten um ihr Leben. Nicht ein einziger Rinderkopf war weit und breit, denn alles Vieh war bereits den Ungeheuern gegeben worden in der Hoffnung, daß sie die Stadt und ihre Bewohner verschonen würden. Die Drachen kümmerte das wenig, sie töteten und verschlangen viele meiner guten Untertanen.
Als ich die Leute nicht mehr länger leiden sehen konnte, rief ich eine Hexe um Hilfe. Ich fragte sie, was zu tun sei, um die Drachen aus meinem Land zu vertreiben. Sie sagte, daß sie uns helfen könnte, doch ich hätte dafür einen furchtbaren Preis zu zahlen. Ich mußte ihr versprechen, meine drei kleinen Töchter zu opfern, wenn sie junge Mädchen wären. Mit schwerem Herzen stimmte ich zu in der Hoffnung, daß es niemals dazu kommen würde. Die König starb vor Erschütterung, als sie davon hörte, doch meine Töchter wußten noch bis heute nichts davon.
Die Hexe hielt ihr Versprechen. Die Drachen verschwanden, und viele Jahre hörte man nichts von ihnen. Doch gestern brachten mir einige Schäfer eine Nachricht von der Hexe. Die Ungeheuer sind in ihre Höhle zurückgekehrt, wo sie fürchterlich brüllen. Ich unglücklicher Vater muß, um mein Leben zu retten, morgen mein erstgeborenes Kind in den Tod schicken. Ein Drache wird sie verschlingen. Am nächsten Tag wird dann meine zweite Tochter in den Tod gehen, und am dritten Tag wird die Jüngste sterben müssen.“
Dies war die Geschichte, die der alte König Bajaja erzählte, während er sich seine Haare raufte. Betrübt begab sich Bajaja zu den Prinzessinnen.
Sie waren ganz in Schwarz gekleidet, ihre Wangen waren bleich wie weißer Marmor. Unaufhörlich rannen Tränen aus ihren Augen, weil sie so einen grausamen Tod sterben sollten. Bajaja versuchte sie zu trösten. Er versuchte ihnen zu sagen, daß sicherlich ein Retter ihnen zu Hilfe kommen würden. Sie beachteten ihn kaum und weinten nur noch heftiger. Alle Leute in der Stadt waren betrübt, denn sie liebten ihre königliche Familie. Die Häuser und das Schloß waren schwarz behangen.
Heimlich eilte Bajaja über die Felder zu dem Felsen, wo er sein Pferd hatte. Dreimal klopfte er. Der Felsen öffnete sich, und Bajaja trat ein. Er streichelte die Mähne des Pferdes.
„Ich bin gekommen, um dich um Hilfe zu bitten“, sagte er zu dem Pferd. „Wenn du mir jetzt nicht helfen kannst, werde ich immer unglücklich sein.“
Dann erzählte er ihm die ganze traurige Geschichte.
„Ich weiß all das bereits“, sagte das Pferd. „Um in Wahrheit zu sagen, ich habe dich hierhergebracht, damit du den Prinzessinnnen helfen kannst. Geh nun und komm morgen wieder zurück. Dann will ich dir alles sagen, was du wissen mußt.“
Überglücklich lief Bajaja in das Schloß zurück. Leute hätten es ihm übel nehmen können, wenn sie ihn so glücklich gesehen hätten. Doch glücklicherweise bemerkte ihn niemand. Er verbrachte den ganzen Tag mit den Prinzessinnen in ihrem Zimmer und bemühte sich nach Kräften, ihnen Trost zu spenden; doch alles vergeblich.
Am nächsten Morgen war er schon bei Sonnenaufgang am Felsen. Das Pferd begrüßte ihn und sagte: „Heb den Stein unter meiner Krippe auf.
Nimm heraus, was du dort findest.“
Aus der Höhlung unter dem Stein holte Bajaja eine große Nuß hervor. Das Pferd hieß ihn, sie zu öffnen, und Bajaja machte sie auf. In der Nuß fand er drei herrliche Rüstungen, ein Schwert und Zaumzeug. Eine Rüstung war scharlachrot, mit Diamanten und Silber ausgelegt. Sie war aus bestem Stahl gearbeitet. Dazu gehörte ein rotweißer Helmbusch. Die zweite Rüstung war vollkommen weiß und mit Gold geschmückt. Der Helm war golden und der Federbusch weiß.
Die dritte war blau wie der Himmel und reich mit Silber, Diamanten und Perlen verziert. Dazu gehörte ein weißblauer Federbusch. Ein mächtiges,
mit kostbaren Edelsteinen ausgelegtes Schwert mußte getragen werden, egal welche Rüstung angelegt wurde.
„Diese drei Rüstungen sind für dich“, sagte das Pferd. „Am ersten Tag mußt du die scharlachrote Rüstung tragen.“ Bajaja legte die scharlachrote Rüstung an, gürtete sein Schwert und legte seinem Pferd das Zaumzeug an. „Fürchte dich nicht“, sagte das Pferd, als sie aus dem Felsen ritten.
„Was auch immer geschieht, laß dich nicht aus dem Sattel werfen! Verlaß dich auf dein Schwert und schlage drauflos.“ In der Zwischenzeit hatte man sich auf dem Schloß viele Male Lebewohl gesagt.
Viele Leute begleiteten die unglückliche Zdobena aus der Stadt. Als die Prinzessin zu dem schrecklichen Platz kam, wurde ihr klar, daß sie in den Tod ging, sie stürzte ohnmächtig zu Boden. In diesem Augenblick sah man ein kleines Pferd herbeigaloppieren. Darauf saß ein Reiter in einer scharlachroten Rüstung, mit einem rotweißen Helmbusch. Er befahl, die Prinzessin wegzuführen. Auch die Leute sollten sich entfernen, denn er wünschte, dem Drachen allein zu begegnen. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie gern jeder dem Befehl nachkam, außer Prinzessin Zdobena, die sehen wollte, wie die Sache auslief.
Die Leute rannten von dem Platz und stiegen auf einen nahe gelegenen Hügel. Sie hatten kaum den Gipfel erreicht, als sich der Felsen auftat, indem die Drachenhöhle war. Das neunköpfige Ungeheuer stampfte auf den Platz und spähte nach seinem Opfer. Im Nu hatte Bajaja sein Schwert gezogen und schlug mit einem Hieb die Köpfe des Drachens ab. Das Ungeheuer krümmte sich, spie Feuer und warf sich hin und her, so daß sein Gift über den ganzen Platz spritzte. Aber der Prinz achtete nicht darauf. Er schlug weiter zu, bis er die neun Köpfe vom Körper des Ungeheuers abgetrennt hatte. Die Pferdehufe taten ihr übriges dazu.
Als der Drache tot dalag, wendete der Prinz sein Pferd und ritt zurück. Bewundernd blickte Zdobena hinter ihm her, doch dann fiel ihr ein, daß ihr Vater auf sie warten würde. Und so eilte sie zum Schloß.
Die Leute, die den Kampf vom nahen Hügel beobachtet hatte, folgten ihr. Wer beschreibt die Freude ihres Vaters, als er seine Tochter wiedersah, und die Freude ihrer Geschwister, die nun hofften, daß auch sie gerettet werden könnten.
Bajaja gesellte sich wieder zu den Prinzessinnen.
Mittels Zeichen bedeutete er ihnen, daß sie auf Gott vetrauen sollten, der ihnen wieder ein Retter schicken würde. Obwohl sie noch voller Sorge waren, was die nächsten Tage für sie bringen würden, wurden sie ein wenig aufgeheitert.
Am folgenden Morgen wurde Budinka zu dem Felsen gebracht. Alles war so wie am vergangenen Tag. Kaum hatte die Prinzessin, die von einer großen Menschenmenge begleitet wurde, den Felsen erreicht, als wieder der Ritter erschien.
Dieses Mal hatte eine weiße Rüstung gelegt, und trug einen weißen Helmbusch. Im Nu hatte er den achtzehnköpfigen Drachen getötet. Dann ritt er davon wie am ersten Tag. Als Budinka zu dem Schloß zurückkehrte, bedauerte sie, dem Ritter nicht gedankt zu haben.
„Schwestern“, sagte da Slavena, als die drei Prinzessinnen sich unerhielten, „ich weiß, warum der Ritter immer verschwindet. Ihr habt ihn noch niemals gebeten, mit euch nach Haus zu kommen.
Doch ich werde vor ihm niederknien und so lange flehen, mit mir heimzukommen, bis er meinen Wunsch erfüllt.“
„Warum lachst du, Bajaja?“ fragte Zdobena, als sie den stummen Diener lachen sah. Bajaja gab ihr zu verstehen, daß er darauf wartete, dem Ritter zu begegnen. „Du Narr“, schrie Zdobena, „er ist noch nicht gekommen.“ Am dritten Tag wurde Slavena zu dem Felsen geführt, um ihrem Schicksal zu begegnen. Diesmal begleitete der König selber seine Tochter. Ihr Herz schlug schnell bei dem Gedanken, daß sie dem Drachen geopfert werden könnte, wenn kein Retter erschiene. In diesem Augenblick jedoch ertönte ein Freudenschrei. Der Ritter sprengte herbei. Wie an den zwei vergangenen Tagen, tötete Bajaja den Drachen. Danach kam der König und Slavena zu dem Ritter und bedrängten ihn, mit ihnen zum Schloß zurückzukehren. Slavena kniete sogar vor ihm nieder. Des Prinzen Herz schlug schneller, als sie seine Rüstung berührte. Aber das Pferd galoppierte davon, und der Ritter war bald aus ihren Augen veschwunden. Slavena kehrte mit ihrem Vater nach Haus zurück. Sie war von Herzen traurig, weil sie ihrem Retter nicht danken konnte. Jeder im Schloß bedauerte es, den Ritter nicht begrüßen zu können.
Nun, da die Drachen tot waren, war jedermann wieder glücklich. Aber es blieb nicht lange so.
Bald kam ein anderes Unglück über das Land. Eines Tages erfuhr der König, daß ein benachbarer Herrscher ihm den Krieg erklärt hätte. Der König war in großen Sorgen, denn er wußte, daß die feindliche Armee der seinen überlegen war. Deshalb schickte er Sendboten aus, die seine Ritter zu einer Versammlung zusammenrufen sollten.
Der König erkärte ihnen die schwierige Lage, in der er sich befand. Er bat sie um ihre Hilfe und versprach dafür, ihnen seine Töchter zur Ehe. We konnte da zaudern bei solch einer Belohnung? Alle versprachen, dem König zu helfen. Jeder brachte so viele Soldaten mit, wie er konnte, und der König stellte sich an die Spitze seiner Armee. Am Tage vor der Schlacht wurde im Schloß ein Essen gegeben. Alle Edelleute waren versammelt. Danach nahm der König von seinen weinenden Töchtern Abschied und befahl Bajaja, auf sie aufzupassen.

Unter den Kängen von Pfeifen und Trompeten ritt der König auf das Schlachtfeld. Bajaja tat, wie ihn der König geheißen hatte. Er sorgte sich um alles und ließ auch die Prinzessinnen nicht aus seinen Augen. Aber plötzlich teilte er ihnen mit, daß er krank sei. Die Hilfe eines Arztes lehnte er jedoch ab, meinte vielmehr, daß er sich nach einigen Heilkräutern um Wald umsehen würde. Die waren besser als des Arztes Medizin. Die Prinzessinnnen befanden sein Benehmen ziemlich seltsam. Aber Bajaja dachte keineswegs daran, nach Kräutern zu suchen. Stattdessen begab er sch zu seinem Pferd, um es um Hilfe zu bitten, denn er wollte dem König in diesem Krieg Beistand leisten. Das Pferd befahl ihm, die weiße Rüstung anzuziehen und das Schwert zu gürten, damit sie in den Kampf reiten konnten. Der Krieg hatte schon mehrere Tage gedauert, und das Heer des Königs kam ins Wanken, denn es konnte den überlegenen Kräften des Feindes nicht widerstehen.
Am folgenden Tag sollte die entscheidene Schlcht stattfinden. Die ganze Nacht hindurch erteilte der König Befehle, und er sandte auch Boten an seine Töchter, die ihnen Anweisungen für den Fall der Niederlage überbrachten. Am Morgen befahlen die Männer ihre Seelen Gott und reihten sich in die Schlachtordnung ein. Trompeten erklangen, Waffen klirrten, Pfeile flogen. Geschrei und Lärm hallten durch das weite Tal. Plötzlich erschien ein Ritter in weißer Rüstung in den Reihen, der einen Goldhelm mit einem weißen Federbusch trug. Er ritt ein kleines Pferd und hielt ein mächtiges Schwert in der Hand, mit dem er eine kleine Gasse in die Reihen des Feindes schlug, so daß diese dachten, der Teufel sei in ihrer Mitte erschienen. Als die Soldaten des Königs ihn erblickten, sammelten sie sich um ihn herum und fochten Seite an Seite mit dem tapfern Ritter. Es dauerte nicht lange, da sschlugen sie die feindlichen Soldaten in die Flucht. Nachdem der weiße Ritter ihren Anführer getötet hatte, zerstreuten sich die Feinde wie eine Herde ohne Hirten. Aber der Reiter in der weißen Rüstung wurde leicht an seinem Fuß verwundet, so daß sein Blut zu Boden tropfte, Sobald der könig es bemerkte, sprng er vom Pferd und riß ein Stück von seinem Kleid ab, um die blutende Wunde mit eigener Hand zu verbinden. Er bat den Ritter, ihm in sein Zelt zu folgen. Doch der Ritter wandte sein Pferd und war blitzschnell verschwunden.
Der König war sehr bekümmert, weil der Ritter, dem er soviel schuldig war, das vierte Mal davongeritten war.

Der siegreiche König kehrte mit reicher Beute heim. In seiner Hauptstadt wurde er mit großem Jubel empfangen. Vielerlei Feierlichkeiten fanden statt.
„Haushofmeister“, wandte sich der König an Bajaja,
„hast du dich während meiner Abwesenheit um meine Angelegenheiten gekümmert?“ Bajaja nickte, um zu sagen, daß er dem Befehl entsprochen habe, aber die Prinzessinnen begannen laut zu lachen.
„Ich muß mich über deinen Haushofmeister beklagen, mein Vater“, sagte Slavena. „Er wurde krank, und der Arzt wollte ihm eine Arznei verordnen, doch er ging aus dem Haus und sah sich nach irgendwelchen Kräutern um. Und als er nach zwei Tagen zurückkam, humpelte er und sah sehr erschöpft aus.“ Der König wandte sich an Bajaja, der lächelte und sich auf seine Hacken drehte, als ob er sagen wollte, daß die Sache nicht so schlimm sei. Die Prinzessinnen erfuhren dann, daß ihr Retter ihrem Vater geholfen hatte, die Schlacht zu gewinnen. Sie wollten deshalb auch nicht einen Ritter ihres Vaters zum Mann nehmen, da es möglich war, daß der Unbekannte erscheine und eine von ihnen auswählen könnte. Natürlich wußten sie nicht, ob er häßlich oder schön war, denn sein Gesicht war immer behelmt. Doch sie stellten sich vor, daß er schmuck sei.
Der König wußte nicht, wem er die Belohnung geben sollte, die er seinen Edlleuten versprochen hatte. Sie hatten ihm alle nach besten Kräften geholfen. Alle hatten tapfer gekämpft, Welchen sollte er nun seine Töchter geben. Da kam ihm ein Gedanke, und wandte sich an seine Riiter:
„Freunde“, sagte er zu ihnen, „ich habe versprochen, meine Töchter denen zu geben, die am tapfersten kämpften. Nun ist es schwer zu entscheiden, wer diese Belohnung verdient. Ich will deshalb sagen, wie ich in dieser Angelegenheit verfahren will. Stellt Euch in einer Reihe auf dem Schloßhof vor dem Balkon auf, hinter dem sich die Räume meiner Töchter befinden. Jede wird einen goldenen Apfel vom Balkon werfen. Jede wird den Mann heiraten, vor dessen Füße der Apfel rollt.
Seid Ihr einverstanden mit dieser Lösung?“
Alle stimmten zu. Der König unterrichtete die Prinzesinnen über seine Entscheidung. Sie fügten sich, denn es fiel ihnen nichts ein, wie sie ihren Vaterveranlassen könnten, sein Wort zurückzunehmen. Sie kleideten sich in ihre schönsten Gewänder, nahmen die goldenen Äpfel und begaben sich auf den Balkon, unter dem die Bewerber warteten. Unter den Zuschauern und Begleitern stand auch Bajaja in seinen abgetragenen alten Kleidern, und mit der Klappe über dem Auge. Als erste war Zdobena an der Reihe. Der Apfel rollte bis dicht vor die Füße Bajaja, doch er stieß ihn an, so daß der Apfel weiterkullerte und vor den Füßen eines schmucken Ritters liegenblieb.

 
Dann warf Budinka ihren Apfel, der erneut bei Bajaja zu Boden fiel. Doch wieder brachte er den Apfel, geschickt in Bewegung, er rollte und hielt bei einem Edelmann. Der hob ihn auf und sah mit einem Lächeln seine hübsche Braut an.
Dann war Slavena an der Reihe, den Apfel zu werfen. Dieses Mal aber stieß Bajaja den Apfel nicht an. Im Gegenteil! Er hob ihn auf, lief zu dem Balkon hinauf, kniete vor der Prinzessin nieder, und küßte ihre Hand. Doch sie floh in ihr Zimmer und weinte bitterlich, denn sie wollte den stummen Jüngling nicht zum Gemahl. Der König war ärgerlich, und die Ritter lachten, doch was geschehen war, war nun mal geschehen. Ein Festessen wurde veranstaltet, und als es vorbei war, sollte ein Turnier stattfinden. Eine von den Prinzessinnnen würde die Preise überreichen.
Während des Essens sprach Slavena kaum ein Wort. Ihr Bräutigam Bajaja war verschwunden, und der König nahm an, er wäre fortgelaufen, weil er gekränkt worden war. Jeder fühlte mit dem unglücklichen Mädchen; um sie zu trösten, bat man sie, die Preise zu überreichen.
Slavena war danach nicht zumute, doch am Ende willigte sie ein. Das Turnier hatte bereits begonnen, als bekannt wurde, daß der Ritter auf dem kleinen Pferd am Schloßtor wartete und um Teilnahm an dem Turnier bat. Der König gab seine Zustimmung.
Der Ritter sprengte auf seinem kleinen Pferd auf den Kampfplatz. Er trug seine blaue, mit Silber verzierte Rüstung mit dem weißblauen Federbusch auf dem silbernen Helm. Die Prinzessinnen erkannten sogleich den Ritter wieder, der sie von den Drachen befreit hatte.
Er focht mit den Rittern, die sich auf der Kampfbahn befanden, und einen nach dem anderen fegte er in den Sand, so daß er zum Sieger erklärt wurde. Slavena schritt ihm entgegen und überreichte ihm eine goldene Schärpe, die sie selbst gestickt hatte.
Der Ritter beugte seine Knie vor ihr, so daß sie ihm die Schärpe um den Nacken legen konnte. Ihre Hände zitterten dabei, und ihre Wangen glühten.
Sie schlug ihre Augen nieder, als sie die süßen Worte hörte: „Meine liebe Braut, noch heute komme ich zu dir.“ Der König und seine zwei anderen Töchter kamen herbei, um ebenfalls dem Ritter zu danken, aber er war bereits aufgessen und davongeritten. Slavena kehrte in ihr Zimmer zurück, um über die Worte nachzudenken, die der Ritter ihr ins Ohr geflüstert hatte.
Als der Mond am Himmel stand, trug ihn das Pferd zu dem Schloß. Bajaja sprang ab und küßte Nacken und Zaum des Pferdes, und dann war es verschwunden. Der Prinz war traurig, sich von seinem Pferd zu trennen, doch andere, wunderbare Dinge warteten auf ihn.
Tief in Gedanken versunken, saß Slavena in ihrem Zimmer und fragte sich, ob der Ritter zurückkehren würde, wie er es versprochen hatte. Bald klopfte es an der Tür. Es war das Mädchen, das kam, um ihr zu sagen, daß Bajaja die Prinzessin zu sehen wünschte. Slavena barg das Gesicht in ihren Händen. Doch als sie ihren Kopf hob, sah sie den stattlichen Ritter, ihren Retter.
„Ärgert Ihr Euch über Euren Bräutigam?“ fragte Bajaja zärtlich. „Warum fragt Ihr mich das?“ flüsterte sie. „Ihr seid nicht mein Bräutigam.“
„Doch, das bin ich“, erwiderte Bajaja. „Ich bin der stumme Bajaja, der Blumen für Euch band. Ich war es, der Euch vor dem Drachen rettete und Eurem Vater in der Schlacht half. Ich bin es, der Euer Bräutigam ist.“
Ihr könnt euch selber vorstellen, wie Slavena zumute war. Nach einer Weile kehrte sie in den Festsaal zurück, wo die Gäste zusammensaßen und zechten. Sie war in Begleitung des Ritters, der eine weiße Rüstung und den goldenen Helmbusch trug. Sie stellte ihrem Vater und allen Gästen ihren Bräutigam vor – Bajaja. Der Vater war überglücklich, die Gäste staunten, und die Festlichkeiten begannen noch einmal.
Bald heirateten Slavena und Bajaja. Nach ihrer Hochzeit reiste das Paar in Bajajas Heimatland. Seine Eltern freuten sich, ihn wiederzusehen, und auch seine junge Frau herzlich willkommen. Nach seines Vaters Tod wurde Bajaja König. Er lebte glücklich mit seiner Frau, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch.

Quelle: Bozena Nemcova
Tscheslowakei

Wie hat dir das Märchen gefallen?

Zeige anderen dieses Märchen.

Gefällt dir das Projekt Märchenbasar?

Dann hinterlasse doch bitte einen Eintrag in meinem Gästebuch.
Du kannst das Projekt auch mit einer kleinen Spende unterstützen.

Vielen Dank und weiterhin viel Spaß

Skip to content