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Märchenbasar

Bulemanns Haus

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Einige Tage später trat Frau Anken, wie gewöhnlich in die Stube ihres Herrn. Aber sie kniff heute noch mehr als sonst mit den dünnen Lippen, und ihre kleinen Augen leuchteten vor Vergnügen. Denn sie hatte die Worte nicht vergessen, die sie wegen ihrer Nachlässigkeit an jenem Abend hatte hinnehmen müssen, und sie dachte sie ihm jetzt mit Zinsen wieder heimzuzahlen.
„Habt Ihr’s denn auf St. Magdalenen läuten hören?“ fragte sie. „Nein“, erwiderte Herr Bulemann kurz, der über seine Zahlentafeln saß. „Wißt Ihr denn wohl, wofür es geläutet hat?“ fragte die Alte weiter. „Dummes Geschwätz! Ich höre nicht nach dem Gebimmel!“ – „Es war aber doch für Euren Schwestersohn!“ Herr Bulemann legt die Feder hin: „was schwatzest du, Alte?“
„Ich sage“, erwiderte sie, „dass sie soeben den kleinen Christoph begraben haben.“ Herr Bulemann schrieb schon wieder weiter.
„Warum erzählst du mir das? Was geht mich der Junge an?“ – „Nun, ich dachte nur; man erzählt ja wohl, was Neues in der Stadt passiert.“ Als sie gegangen war, legte aber doch Herr Bulemann die Feder wieder fort, und schritt, die Hände auf dem Rücken, eine lange Zeit in seinem Zimmer auf und ab.

Wenn unten auf der Gasse ein Geräusch entstand, trat er hastig ans Fenster, als erwarte den Stadtdiener eintreten zu sehen, der ihn wegen der Misshandlung des Knaben vor den Rat zitieren solle. Der schwarze Graps, der mauzend seinen Anteil an der aufgetragenen Speise verlangte, erhielt einen Fußtritt, dass er schreiend in die Ecke flog. Aber, war es nun der Hunger, oder hatte sich unversehens die sonst so unterwürfige Natur des Tieres verändert, er wandte sich gegen seinen Herrn und fuhr fauchend und prustend auf ihn los, Herr Bulemann gab ihm einen zweiten Fußtritt. „Fresst“, sagte er. „Ihr braucht nicht auf mich zu warten.“ Mit einem Satz waren die beiden Katzen an der vollen Schüssel, die er ihnen auf den Fußboden gesetzt hatte.
Dann aber geschah etwas Seltsames. Als der gelbe Schnores, der zuerst seine Mahlzeit beendet hatte, nun in der Mitte des Zimmers stand, sich reckte und buckelte, blieb Herr Bulemann plötzlich vor ihm stehen; dann ging er um das Tier herum und betrachtete es von allen Seiten. „Schnores, alter Halunke, was ist denn das?“ sagte er, den Kopf des Katers krauend. „Du bist ja noch gewachsen, in deinen alten Tagen!“ – In diesem Augenblicke war auch die andere Katze hinzugesprungen. Sie sträubte ihren glänzenden Pelz und stand dann hoch auf ihren schwarzen Beinen. Herr Bulemann schob die bunte Zipfelmütze aus der Stirn. „Auch der!“ murmelte er. „Seltsam es muss an der Sorte liegen.“ Es war indes dämmrig geworden, und da niemand kam und ihn beunruhigte, so setzte er sich zu den Schüsseln, die auf dem Tische standen. Endlich begann er sogar seine großen Katzen, die neben ihm auf dem Kanapee saßen, mit einem gewissen Behagen zu beschauen. „Ein paar stattliche Burschen seid ihr!“ sagte er, ihnen zu nickend. „Nun soll euch das alte Weib unten auch die Ratten nicht mehr vergiften!“ – Als er aber abends nebenan in seine Schlafkammer ging, ließ er sie nicht, wie sonst, zu sich herein; und als er sie nachts mit den Pfoten gegen die Kammertür fallen und mauzend daran herumrutschen hörte, zog er sich das Deckbett über beide Ohren und dachte: „Mauzt nur zu, ich habe eure Krallen gesehen.“ Dann kam der andere Tag, und als Mittag geworden, geschah dasselbe, was tags zuvor geschehen war. Von der geleerten Schüssel sprangen die Katzen mit einem schweren Satz mitten ins Zimmer hinein, reckten und streckten sich; und als Herr Bulemann, der schon wieder über seine Zahlentafeln saß, einen Blick zu ihnen hinüberwarf, stieß er entsetzt seinen Drehstuhl zurück und blieb mit ausgestrecktem Halse stehen. Dort mit leisem Winseln. als wenn ihnen etwas Widriges angetan würde, standen Graps und Schnores zitternd mit geringelten Schwänzen, das Haar gesträubt; er sah sie deutlich, die dehnten sich, sie wurden groß und größer. Noch einen Augenblick stand er, die Hände an den Tisch geklammert; dann plötzlich schritt er an den Tieren vorbei und riss die Stubentür auf. „Frau Anken, Frau Anken“ rief er, und da sie nicht gleich zu hören schien, tat er einen Pfiff auf seinen Fingern, und bald schlurrte auch die Alte unten aus dem Hinterhause hervor und keuchte eine Treppe nach der andern herauf. „sehen Sie sich einmal die Katzen an!“ rief er, als sie ins Zimmer getreten war. „Die hab ich schon oft gesehen, Herr Bulemann.“ „Sieht Sie daran denn nichts!“
„Dass ich nicht wüsste, Herr Bulemann!“ erwiderte sie, mit ihren blöden Augen um sich blinzelnd. „Was sind denn das für Tiere? Das sind ja gar keine Katzen mehr!“ – Er packte die Alte an den Armen und rannte sie gegen die Wand. „Rotäugige Hexe“, schrie er, „bekenne, was hast du meinen Katzen eingebraut!“ Das Weib klammerte ihre knöchernen Hände ineinander und begann unverständliche Gebete herzuplappern.

Aber die furchtsamen Katzen sprangen von rechts und links auf die Schultern ihres Herrn und leckten ihn mit ihren scharfen Zungen ins Gesicht. Da musste er die Alte loslassenFortwährend plappernd und hüstelnd schlich sie aus dem Zimmer und kroch die Treppen hinab. Sie war wie verwirrt; sie fürchtete sich, ob mehr von ihrem Herrn oder vor den großen Katzen, das wusste sie selber nicht. So kam sie hinten in ihre Kammer. Mit zitternden Händen holte sie einen mit Geld gefüllten wollenen Strumpf aus ihrem Bette hervor; dann nahm sie aus einer Lade eine Anzahl alter Röcke und Lumpen und wickelte sie um ihren Schatz herum, so dass es endlich ein großes Bündel gab. Denn sie wollte fort, um jeden Preis fort, sie dachte an die arme Halbschwester ihres Herrn draußen in der Vorstadt; die war immer freundlich gegen sie gewesen, zu der wollte sie. Freilich, es war ein weiter Weg, durch viele Gassen, über schmale und lange Brücken, welche über dunkele Gräben und Fleten hinwegführten, und draußen dämmerte schon der Winterabend. Es trieb sie dennoch fort. Ohne an ihre Tausende von Weizenbrötchen zu denken, die sie in kindischer Fürsorge in den großen Nussbaumschränken aufgehäuft hatte, trat sie mit ihrem schweren Bündel auf dem Nacken aus dem Hause. Sorgfältig mit dem großen krausen Schlüssel verschloss sie die schwere eichene Tür, steckte ihn ihre Ledertasche und ging dann keuchend in die finstere Stadt hinaus.

Frau Anken ist niemals wiedergekommen, und die Tür von Bulemanns Haus ist niemals wieder aufgeschlossen worden. Noch an demselben Tage aber, da sie fortgegangen, hat ein junger Taugenichts, der den Knecht Ruprecht spielend in den Häusern umherlief, mit Lachen seinem Kameraden erzählt, da er in seinem rauhen Pelze über die Kreszentiusbrücke gegangen sei, habe er ein altes Weib dermaßen erschreckt, dass sie mit ihrem Bündel wie toll in das schwarze Wasser hinabgesprungen sei. – Auch ist in der Frühe des andern Tages in der äußersten Vorstadt die Leiche eines alten Weibes, welche an einem großen Bündel festgebunden war, von den Wächtern aufgefischt und bald darauf, da niemand sie gekannt hat, auf dem Armenviertel des dortigen Kirchhofs in einem platten Sarge eingegraben worden.

Dieser andere Morgen war der Morgen des Weihnachtsabends. Herr Bulemann hatte eine schlechte Nacht gehabt; das Kratzen und Arbeiten der Tiere gegen seine Kammertür hatte ihm diesmal keine Ruhe gelassen; erst gegen Morgendämmerung war er in einen langen bleiernen Schlaf gefallen. Als er endlich seinen Kopf mit der Zipfelmütze in das Wohnzimmer hineinsteckte, sah er die beiden Katzen laut schnurrend mit unruhigen Schritten umeinander hergehen. Es war schon nach Mittag; die Wanduhr zeigte auf eins. „Sie werden Hunger haben, die Bestien“, murmelte er. Dann öffnete er die Tür nach dem Flur und pfiff nach der Alten. Zugleich aber drängten die Katzen sich hinaus und rannten die Treppe hinab, und bald hörte er von unten aus der Küche herauf Springen und Tellergeklapper. Sie mussten auf den Schrank gesprungen sein, auf den Frau Anken die Speisen für den andern Tag zurückzusetzen pflegte. Herr Bulemann stand oben an der Treppe und rief laut und scheltend nach der Alten: aber nur das Schweigen antworte ihm von unten herauf aus den Winkeln des alten Hauses ein schwacher Widerhall. Schon schlug er die Schöße seines geblümten Schlafrock übereinander und wollte selbst hinabsteigen, da polterte es drunten von den Stiegen und die beiden Katzen kamen wieder heraufgerannt. Aber das waren keine Katzen mehr; das waren zwei furchtbare namenlose Raubtiere. Die stellten sich geben ihn, sahen ihn mit ihren glimmenden Augen an und stießen ein heiseres Geheul aus. Er wollte an ihnen vorbei, aber ein Schlag mit der Tatze, der ihm einen Fetzen aus dem Schlafrock riss, trieb ihn zurück. Er lief ins Zimmer; er wollte ein Fenster aufreißen, um die Menschen auf der Gasse anzurufen; aber die Katzen sprangen hintendrein und kamen ihm zuvor. Grimmig schnurrend, mit erhobenem Schweif, wanderten sie vor den Fenstern auf und ab.
Herr Bulemann rannte auf den Flur hinaus und warf die Zimmertür hinter sich zu; aber die Katzen schlugen mit der Tatze auf die Klinke und standen schon vor ihm auf der Treppe. – Wieder floh er ins Zimmer zurück, und wieder waren die Katzen da.

Schon verschwand der Tag, und die Dunkelheit kroch in alle Ecken. Tief unten von der Gasse herauf hörte er Gesang; Knaben und Mädchen zogen von Haus zu Haus und sangen Weihnachtslieder. Sie gingen in alle Türen; er stand und horchte. Kam denn niemand an seine Tür? – – Aber er wusste es ja, er hatte sie selber alle fortgetrieben, es klopfte niemand, es rüttelte niemand an der verschlossenen Haustür. Sie zogen vorüber, und allmählich ward es still, totenstill auf der Gasse.
Und wieder suchte er zu entrinnen; er wollte Gewalt anwenden; er rang mit den Tieren, er ließ sich Gesicht und Hände blutig reißen. Dann wieder wandte er sich zur List; er rief sie mit den alten Schmeichelnamen, er strich ihnen die Funken aus dem Pelz und wagte es sogar, ihren flachen Kopf mit großen weißen Zähnen zu krauen. Sie warfen sich auch vor ihm hin, und wälzten sich schnurrend zu seinen Füßen; aber wenn er den rechten Augenblick gekommen glaubte und aus der Tür schlüpfte, so sprangen sie auf und standen, ihr heiseres Geheul ausstoßend, vor ihm. – So verging die Nacht, kam der Tag und noch immer rannte er zwischen der Treppe und den Fenstern seines Zimmers hin und wider, die Hände ringend, keuchend, das graue Haar zersaust. Und noch zweimal wechselten Tag und Nacht, da endlich warf er sich gänzlich erschöpft, an allen Gliedern zuckend, auf das Kanapee. Die Katzen setzten sich ihm gegenüber und blinzelten ihn schläfrig aus halbgeschlossenen Augen an. Allmählich wurde das Arbeiten seines Leibes und endlich hörte es ganz auf. Eine fahle Blässe überzog unter den Stoppeln des grauen Bartes sein Gesicht; noch einmal aufseufzend streckte er den Arm und spreizte die langen Finger über die Knie; dann regte er sich nicht mehr.

Unten in den öden Räumen war es indessen nicht ruhig gewesen. Draußen an der Tür des Hinterhauses, die auf den engen Hof hinausführt, geschah ein emsiges Nagen und Fressen. Endlich entstand über der Schwelle eine Öffnung, die größer und größer wurde; ein Mauskopf drängte sich hindurch, dann noch einer, und bald huschte eine ganze Schar von Mäusen über den Flur und die Treppe hinauf in den ersten Stock. Hier begann das Arbeiten aufs neue an der Zimmertür, und als diese durchgenagt war, kamen die großen Schränke daran, in denen Frau Anke hinterlassene Schätze aufgespeichert lagen.
Da war ein Leben wie im Schlaraffenland; wer durch wollte, musste sich durchfressen. Und das Geziefer füllte sich den Wanst; und wenn es mit dem Fressen nicht mehr fort wollte, rollte es die Schwänze auf und hielt sein Schläfchen in den hohlgefressenen Weizenbrötchen. Nachts kamen sie hervor, huschten über die Dielen oder saßen, ihre Pfötchen leckend, vor dem Fenster und schauten, mit ihren kleinen blanken Augen die Gasse hinab. Aber diese behagliche Wirtschaft sollte bald ihr Ende erreichen. In der dritten Nacht, als eben droben Herr Bulemann seine Augen zugetan hatte, polterte es draußen auf den Stiegen. Die großen Katzen kamen herabgesprungen, öffneten mit einem Schlag ihrer Tatze die Tür des Zimmers und begannen ihre Jagd. Da hatte alle Herrlichkeit ein Ende. Quieksend und pfeifend rannten die fette Mäuse umher und strebten ratlos an den Wänden hinauf. Es war vergebens; sie verstummte eine nach der andern zwischen den mahlenden Zähnen der beiden Raubtiere.
Dann wurde es still, und bald war in dem ganzen Haus nichts mehr vernehmbar, als das leise Spinnen der großen Katzen, die mit ausgestreckten Tatzen vor dem Zimmer ihres Herrn lagen. Unten in der Haustür verrostete das Schloß, den Messingklopfer überzog Grünspan, und zwischen den Treppensteinen begann das Gras zu wachsen.

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