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Chun Yang Ye, die treue Tänzerin

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(1)
»Wohl bin ich als gee sang geboren,« war ihre Antwort, »aber durch meine Heirat bin ich zur Standesdame erhoben, und habe infolgedessen nicht nötig deinen Befehlen zu gehorchen.«
»Schweig!« fuhr sie der Präfekt an. »Du wirst mit den anderen gee sang hierher zu mir kommen – oder die Folgen zu fürchten haben.«
»Nie und nimmer tanze und singe ich vor dir! lieber tausendmal sterben! Du hast kein Recht mir zu befehlen! Du, als erster Diener des Königs, solltest der erste sein, welcher die Gesetze hält, statt sie zu missachten,« entgegnete ihm kühn Pohs Gattin.
Der Präfekt wurde durch diese Antwort wie von Sinnen; er liess sie in Ketten legen und ins Gefängnis werfen. Alle Anwesenden weinten, doch das machte den ehrlosen Mann nur wilder. Er gab dem Gefängniswärter den Befehl, Chun Yang besonders streng zu halten und ein wachsames Auge auf sie zu haben, damit sie nicht etwa von ihren Bemitleidern befreit würde und ihm entwischen könne.
Der Gefängniswärter versprach den Befehlen nachzukommen; im geheimen aber erwies er der Aermsten alle nur möglichen Wohlthaten. Chun Yangs Mutter besuchte ihr Kind im Gefängnis und beklagte ihre traurige Lage, fügte aber missmutig hinzu, dass sie eine Närrin sei, ihrem seit so langer Zeit abwesenden Gatten treu zu bleiben, der doch nie wiederkehren würde und sie ins Elend gestürzt habe. –
Alle anderen, welche dem Gespräche zuhörten, waren auf Chun Yangs Seite und schalten die Mutter, dass sie so thörichte Reden führte. Man sprach der weinenden Chun Yang Trost zu und suchte ihre Lage nach Möglichkeit zu verbessern.
Die unglückliche Gattin Toh Ryungs verbrachte die Nacht betend, indem sie die Geister der Vorfahren ihres Mannes anflehte, sie zu erlösen, und als ihre Mutter am nächsten Morgen wieder zu ihr ins Gefängnis kam, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, sprach Chun mit so leiser, unverständlicher Stimme, dass jene heftig erschrak, denn sie glaubte, die Tochter wäre erkrankt.
»Noch bin ich am Leben«, hauchte die Gefangene »aber ich fühle, dass ich sterben werde. Niemals werde ich Toh Ryung wiedersehen; wenn ich gestorben sein werde, so nehmt meinen Leichnam mit nach Seoul und begrabt ihn an der Strasse, auf welcher mein Geliebter wandelt, damit ich ihm wenigstens im Tode nahe sein kann, wenn ich es im Leben nicht durfte.«
Nun machte ihr die Mutter von neuem Vorwürfe darüber, dass sie Toh treu bleiben wolle und beschwor sie, von diesem Eigensinn abzugehen und lieber den Statthalter zu heiraten. Aber Chun Yang erwiderte ihrer Mutter, wenn sie nichts anderes wüsste, als mit ihr zu schelten und von dem Präfekten zu reden, sie besser daran thäte, nicht mehr ins Gefängnis zu kommen, um sie zu besuchen. »Ich folge,« fügte sie hinzu »der Stimme meines Herzens und thue was recht ist. Wer kann die Zukunft voraussagen? Weil heute die Sonne scheint, ist noch nicht bewiesen, dass sie auch morgen scheinen werde. Ich bereue nicht, was ich bisher gethan habe und bitte dich, mich mit meinem Kummer allein zu lassen, statt ihn durch deine Vorwürfe und deine Unfreundlichkeit zu vermehren.«
Tage, Wochen und Monate vergingen Chun im Gefängnisse und immer blieb sie ihrem fernen Gatten treu. Sie war sehr krank und wäre gewiss längst ihren Leiden erlegen, wenn der treue und wohlwollende Gefängniswärter nicht für sie gesorgt hätte. Da träumte Chun Yang eines Nachts, dass sie wieder in ihrer Mutter Haus sei und sich ankleide, dabei ihren Kristallspiegel, das Geschenk Toh Ryungs, benützend, als dieser plötzlich in zwei Stücke zerbrach. Sie nahm diesen Traum als eine Vorahnung ihres baldigen Todes, denn was sollte das Zerbrechen des Spiegels in zwei Hälften für eine andere Bedeutung haben, als dass ihr Herz brechen würde? So sehr sie sich auch nach dem Tode sehnte, um endlich wieder frei und aus den Händen des Präfekts erlöst zu sein, so sehr bedauerte sie auch den Umstand, ganz allein und verlassen sterben zu müssen, ohne dass ihr geliebter Mann ihr nach dem Tode die Augen zudrücken könne. Da sie aber gern die genaue Deutung ihres Traumes wissen wollte, so bat sie den gütigen Gefängniswärter ihr einen Blinden zu holen, welcher die Kraft besässe, wie viele unter diesen Leuten, Träume auszulegen. Kaum hatte sie diesen Wunsch geäussert, als sie einen blinden Mann vorbei kommen hörte, denn sie vernahm das eigentümlich tickende Geräusch, welches die Blinden mit ihren Stöcken zu machen pflegen, und ausserdem stiess der Vorübergehende den, den Blinden üblichen Ruf aus. Als der blinde Mann eingetreten war und Platz genommen hatte, entdeckten beide, dass sie gute Bekannte waren. Der Blinde hatte früher, ehe ihn das Unglück betroffen, sein Augenlicht zu verlieren, in guten Verhältnissen gelebt und war ein Freund ihres verstorbenen Vaters gewesen. Sie bat ihn daher, er möchte es mit ihr so gut meinen, wie mit ihrem Vater, als dieser noch lebte und ihr die Wahrheit sagen, wann und wo der Tod sie überraschen würde. Er antwortete ihr: »Wenn die Blüten abfallen, so sterben sie nicht, sondern bringen in ihrem Samen neues Leben hervor. Der Tod würde dich auch nur von deinem jetzigen Leben befreien, um dich dereinst im Jenseits glücklicher und in schönerer Gestalt wieder aufleben zu lassen.«
Sie erzählte ihm nun ihren Traum und bat ihn, ihr denselben zu deuten. Er antwortete ihr nach einigem Zögern, dass es nichts Gutes bedeute, wenn man im Traume einen Spiegel ohne Ursache in zwei Stücke brechen sehe, und bat sie, ihm noch näheres über ihr Traumbild zu berichten. Da sagte sie ihm, dass sie gerade in dem Augenblicke, wo sie den Spiegel in zwei Hälften hätte brechen sehen, im Traume auch einen Vogel erblickt habe, der zum Fenster herein geflogen wäre. »Dies deute ich dir so,« sagte der Blinde: »Der Vogel ist der Bote guter Nachrichten und der Spiegel bedeutet, dass die Nachricht von Toh Ryung kommt. Wir wollen erraten ob es gute oder böse Nachricht ist.« Bei diesen Worten nahm er ein Bündel Stöcke aus den Falten seines Gewandes hervor, schüttelte dasselbe, brummte einen eintönigen Gesang dabei, indem er schliesslich die Stöcke zu Boden warf. Dann raffte er sie wieder auf und sagte: »Die Nachrichten sind gute. Deinem Manne geht es sehr wohl; er hat die öffentlichen Prüfungen vortrefflich bestanden und wird bald bei dir sein.«
Chun Yang war zu glücklich bei diesen Worten, um an ihre Wahrheit glauben zu können, sie nahm vielmehr an, der Blinde hätte ihrem Traume nur diese Deutung gegeben, um sie zu beruhigen, wie wenn ein Vater seinem weinenden Kinde eine Geschichte erzählt, um es den Grund seiner Thränen vergessen zu lassen, um es zu erheitern. Aber die Auslegung des Traumes brachte ihr wieder neue Hoffnung und frischen Lebensmut.
Doch es ist Zeit, uns nach Toh Ryung umzusehen.
Tag und Nacht hatte er sich seinem Studium gewidmet; dafür sollte der Lohn nicht ausbleiben. Der König benützte den günstigen Zeitpunkt allgemeinen Friedens, und den Umstand, dass die Früchte einer sehr guten Ernte eingesammelt waren, um eine Proklamation ausschreiben zu lassen, dass er alle diejenigen, welche sich der öffentlichen Prüfungen unterziehen wollten, nach der Hauptstadt entbot, wo er selbst der guaga beiwohnen wolle. Bald kamen lange Züge von Männern, die alle wünschten eine öffentliche Prüfung zu bestehen, um dadurch ihre Lage zu verbessern, aus den Provinzen zur Hauptstadt. Darunter auch Toh Ryung, dessen Studium zu Ende war.
Der Tag der Prüfung kam und die angesammelte Menge der Prüfungskandidaten lagerte sich dem Pavillon gegenüber, den der König mit seinen Ministern inne hatte.
Toh Ryung erhielt als Thema für seinen Aufsatz eine Erzählung, in welcher man einen, unter einer Tanne spielenden Knaben annahm, dem ein vorübergehender Wanderer allerlei Fragen vorlegte. Nachdem Toh Ryung ein wenig nachgedacht hatte, begann er seinen Aufsatz zu schreiben. Er bewies dabei, dass er nicht nur einer solchen Aufgabe völlig gewachsen war, sondern bediente sich dabei auch so guter Ausdrücke, dass man hätte annehmen können, die Arbeit wäre von einem erfahrenen Gelehrten, statt von einem jungen Studenten gemacht. Besonderen Gefallen fanden der König und die Minister dadurch an seiner Ausarbeitung, dass er dem Alter die höchste Ehrfurcht darin erwies. Toh hatte, als er die Arbeit vollendet, sie ohne Namensunterschrift an den dazu bestimmten Platz gelegt und war der erste, welcher die Aufgabe gelöst hatte, während viele der Prüfungskandidaten noch gar nicht damit begonnen hatten. Der König liess sich Tohs Ausarbeitung vorlesen und war sehr zufrieden mit den gut gewählten Ausdrücken und den musterhaft geschriebenen Schriftzeichen, auch machte es ihm grosse Freude als er erfuhr, dass es der Sohn seines Schatzmeisters war, der diese gute Arbeit geliefert hatte. Er liess den klugen jungen Mann in seinen Pavillon führen, lobte ihn wegen seines Fleisses und beglückwünschte ihn wegen seines guten Erfolges. Dann gab er ihm drei Becher voll Wein zu trinken, das übliche Symbol für eine gut bestandene Prüfung, und der junge Mann leerte dieselben mit grosser Bescheidenheit auf das Wohl des Königs. Dann überreichte er ihm noch einen Strauss Blumen und befahl, dass gleich im voraus Tohs Arbeit als die beste erklärt werde, da sie von keiner anderen übertroffen werden könne. Darauf brachte man Toh den grossen Galahut mit den abstehenden Flügeln, welches bedeuten soll, dass die Befehle des Königs so schnell ausgeführt werden müssten, wie der Vogel fliegt, ferner prachtvoll gearbeitete seidene Brustschilder, wie sie von den Beamten getragen werden, welche der König zur Audienz befiehlt. Dann wurde Toh auf ein Pferd gesetzt und unter Begleitung von Musikanten umhergeführt. Drei Tage lang dauerten diese Umzüge, bei welchen das Volk ihm zujubelte. Nachdem diesen Gebräuchen nachgekommen war, wallfahrtete er zu den Gräbern seiner Vorfahren, die üblichen Opfer darzubringen und beklagte sein Geschick, dass er sich seines Erfolges nicht freuen konnte, denn seine Seele war in tiefer Traurigkeit. Von den Gräbern begab er sich an den Hof zurück, um sich beim Könige für die erwiesene Gnade zu bedanken. Der König sagte dem jungen Manne, er möge nur fleissig weiter studieren und sich seinen Vater als Vorbild nehmen und fragte ihn, welche Stellung er wohl gern einnehmen möchte. Toh Ryung erwiderte, dass er sich in jeder Stellung freuen würde seinem Könige zu dienen, wenn es ihm aber erlaubt wäre darum zu bitten, so bäte er um die Stellung eines »Ussa« (eines Regierungs-Inspektors) denn, meinte er, die Ernten seien so gut ausgefallen, dass er befürchte, schlechte Beamte würden sich das zu nutze machen, um, dem Volke hohen Tribut zu erpressen, welchen sie dann durchbrächten, ohne ihn dem Könige abzuliefern. Toh bat deshalb um eine solche Stellung, weil er dabei Gelegenheit hatte Nachforschungen nach seiner Gemahlin anzustellen, ohne die Pflichten gegen den König zu verletzen, denn er sehnte sich ungemein nach Chun Yang, von der er seit so langer Zeit nichts gehört hatte.
Der König war sehr zufrieden damit, dass sich der junge Beamte gerade um diesen Posten bewarb, denn er suchte schon längst nach einen Ussa, auf welchen er sich verlassen konnte und glaubte einen solchen in Toh Ryung gefunden zu haben. Seine Ernennung ward sogleich unter den Augen des Königs ausgefertigt und das Patent dafür mit dem dazugehörenden Siegel dem neu ernannten Ussa an Ort und Stelle überreicht, während seine Ernennung der Menge gegenüber noch geheim bleiben sollte.
Als Bettler verkleidet, mit Strohsandalen an den Füssen, auf dem Haupte einen zerrissenen Hut, unter welchem das Haar nach allen Seiten hin herunterhing, denn er hatte das Band, mit welchem sonst das Haar zusammengehalten wird, nicht angelegt, begann Toh Ryung seine Inspektionsreise.
An seinem Anzüge war keine saubere Stelle zu sehen, sein Gesicht war beschmutzt, so dass er einem wirklichen Bettler aufs Haar glich.
Ausserhalb des Stadtthores, wo die Stallungen des Königs sind, wurden Pferde und Diener für den Ussa bereitgehalten, die ihm nach Vorweisung seines Amtssiegels überliefert wurden. Das Ziel seiner Reise war Nam Won, die Stadt in der sein Vater früher Präfekt gewesen war. Dort vor dem Stadtthore angelangt, schickte er seine Diener hinein, um die Zustände erforschen zu lassen, schlug aber selbst sein Quartier in einer unansehnlichen Hütte an der Mauer auf.
Es war wieder zur Frühlingszeit. Die Bäume begannen zu knospen, die Landleute pflügten ihre Aecker und sangen Lieder zum Lobe ihres guten und gerechten Königs, vom Frieden des Landes und von ihrem Wohlstande. Der Ussa gesellte sich zu den auf dem Felde arbeitenden Leuten und fing mit ihnen zu scherzen an; aber seine Spässe schienen den Landarbeitern zu missfallen, denn sie gaben ihm grobe Antworten. Da vermahnte einer der älteren Männer einen Jüngling, wahrscheinlich seinen Sohn, vorsichtig mit seinen Reden zu sein, indem er sagte: »Bemerkt ihr denn nicht, dass des Mannes Sprache eine gewählte ist, denn er drückt sich nicht wie unsereins aus; dahinter steckt etwas. Ich glaube er ist ein Edelmann in Verkleidung.« Darauf zog Toh Ryung den Alten in ein besonderes Gespräch und befragte ihn über verschiedene Dinge, endlich auch, was für ein Mann der Präfekt sei. Ob er ein Trunkenbold sei, ob er ein gerechter Richter oder ein Bedrücker seiner Unterthanen wäre, ob er seinen Pflichten als Stadtoberhaupt nachkäme oder seine Zeit mit Schlemmereien verprasste?
»Vom Präfekten wissen wir wenig,« antwortete ihm der alte Mann, »er kümmert sich nicht um uns und die einzige Sorge des Volkes ist es, ihm aus dem Wege zu gehen, denn sein Herz ist hart wie Stein.« Er erpresst Geld und Reis auf die ungerechteste Weise und verprasst beides mit Seinesgleichen. Das schlimmste, was mir von ihm bekannt geworden, ist, dass er die schöne Chun Yang ins Gefängnis geworfen hat, weil sie sich weigerte ihn zu heiraten, da sie ihrem Manne, dem Sohne unseres früheren, guten Präfekten, treu bleiben will, obwohl dieser sie verlassen hat. Ye Toh Ryung war empört, als er von der grausamen Behandlung seiner Gattin hörte und beschloss sobald als möglich dem schlechten Beamten seine gerechte Strafe zukommen zu lassen. Er war so aufgeregt von dem, was er gehört, dass er keine Lust zur Fortsetzung der Unterhaltung verspürte und als er sich entfernte hörte er die Landleute singen: »Warum giebt es einige Leute, die in schönen Palästen wohnen und andere, welche kaum eine Hütte haben, um in der Nacht auszuruhen? Warum werden einige reich geboren und dürfen heiraten und andere sind arm und müssen Hungers sterben?«
Toh Ryung empfand inniges Mitleid mit diesen armen, unterdrückten Menschen und setzte nachdenklich und seufzend seinen Weg fort. So kam er durch ein Thal, welches ein Bach in zwei Hälften teilte; am Ufer des Baches stand eine kleine Hütte und vor der Thür derselben sass ein alter Mann. Toh ging auf ihn zu und begrüsste ihn; der Alte nahm jedoch keine Notiz von ihm. Er wiederholte seinen Gruss, als der Alte ihn vom Kopfe bis zum Fusse betrachtete und sagte: »Alter zählt nicht viel im Staatsdienste, sondern nur Rang und Würde; ein weisshaariger Greis kann gezwungen werden, sich vor einem jungen Fant zu beugen, der sein Vorgesetzter sein kann. Hier gilt dies nicht, hier wird das Alter geehrt und wie kannst du, elender Wicht, es wagen mich anzusprechen?« Der Ussa bat den Greis um Verzeihung und ersuchte ihn um Antwort auf die Frage, ob es wahr sei, dass der Präfekt die Tänzerin Chun Yang Ye zu heiraten beabsichtige.
»Nenne diesen Namen nicht, denn du bist nicht wert, dass er über deine Lippen kommt,« erwiderte ärgerlich der Alte. »Du darfst überhaupt nicht von Chun Yang reden, denn sie liegt sterbenskrank im Gefängnisse zum Lohn für die Treue, welche sie ihrem Gemahl, dem hündischen Schuft, hält, der sie treulos verlassen hat.«
Toh Ryung konnte und wollte nichts mehr hören. Er begab sich eiligst nach seiner Hütte an der Stadtmauer zurück, um den Dienern zu sagen, dass er schleunigst die Stadt betreten wolle, damit der Präfekt nicht von seiner Ankunft erführe und wegen seiner Person Verdacht schöpfe. Er musste sich aber noch gedulden, denn die Diener waren noch nicht zurückgekommen. Bald kehrten sie heim und bestätigten alles was Toh Ryung schon selbst von anderen Leuten über die Schlechtigkeit des Statthalters gehört hatte. Sowie er das Stadtthor durchschritten, ging er sogleich nach dem Hause, in welchem Chun Yang Ye’s Wohnung gewesen war. Man hatte alle Möbel verkauft, um für den Erlös dem armen Wesen einige Erleichterung im Gefängnisse zu verschaffen. Die alte Uhl Mah sah ihn an der Hausthür stehen, erkannte ihn nicht und fuhr ihn kreischend an: »Bist du so fremd, dass du an mein Haus kommst, um zu betteln? Hast du nichts von meinem Unglück gehört? Mein Mann ist schon längst tot, meine Tochter liegt sterbend im Gefängnisse, mein Hab und Gut ist verloren, was willst du von mir? ich kann dir nichts geben.«
»Betrachte mich genau,« sagte der angebliche Bettler, »erkennst du mich nicht? ich bin Toh Ryung, dein Schwiegersohn!«
»Du sollst Ye Toh Ryung sein? Es ist unmöglich, du, ein Bettler? Unsere ganze Hoffnung hatten wir auf dich gesetzt. Ach, ich sehe es jetzt, ich täuschte mich in dir! Oh! mein armes Kind! meine schöne Chun Yang muss nun sterben.«
Toh stellte sich, als wenn er von nichts wüsste und fragte, was denn geschehen sei. Die Frau erzählte nun alle uns bekannten Begebenheiten und schonte ihren Schwiegersohn dabei nicht, dem sie die Schuld an allem gab. Er liess sich von ihr ins Gefängnis führen und Uhl Mah freute sich im stillen doch vielleicht darüber, dass sie recht behalten und der junge Mann das Vertrauen ihrer Tochter missbraucht habe.
Im Gefängnis angelangt unterdrückte sie jedoch ihre Schadenfreude nicht mehr, sondern rief ihrer Tochter zu: »Hier ist dein vornehmer Gatte! Du wolltest ihn ja so gern wiedersehen ehe du stirbst. Hier siehst du ihn – einen Bettler. Für ihn hast du so viel gelitten und auf ihn so lange gewartet. Fluche ihm und dann schicke ihn fort.«
Da rief Toh sie beim Namen und sie erkannte seine Stimme. »Ich träume sicherlich,« sagte sie mit matter Stimme und versuchte es vergebens sich aufzurichten, denn der Eisenring, welcher ihren Hals umschloss, hinderte sie daran, sich zu erheben; mit leiser Wehklage sank sie zurück. Da ihr Gatte kein Wort zu ihr sprach, fühlte sie sich bitter gekränkt und rief ihm mit wehmütigem Tone zu: »Warum kehrtest du nicht früher zu uns zurück? Warst du im öffentlichen Leben so sehr beschäftigt oder waren die Ströme zu tief, so dass du keinen Mut hattest sie zu durchschiffen? Oder bist du so weit fort gewesen, dass du alle Zeit gebrauchtest, um mich wieder zu finden?« Doch, kaum ausgesprochen, thaten ihr diese Worte leid und sie sagte: »Ich weiss nicht, was ich vor Freude thun soll, denn ich glaubte dich erst im Jenseits wiederzusehen und nun habe ich dich noch auf Erden wieder. Lasse die Leute den Ring von meinem Halse und die Ketten von meinen Gliedern abnehmen, dass ich zu dir kommen kann.«
Da erblickte er ein kleines Fensterchen oben am Gemäuer, durch welches den Gefangenen ihre Nahrung gereicht wurde. Durch dieses versuchte er seine Frau zu sehen. Als sie ihn und seine schlechte Kleidung erblickte, brach sie in Thränen aus und rief: »Oh, was haben wir verbrochen, dass wir so schwer heimgesucht werden? Der Himmel hat uns verlassen, du bist jetzt ein Bettler und ich muss sterben, denn du kannst weder dir noch mir helfen.«
»Angenommen ich bin arm, so können wir doch, glücklich zusammen leben,« entgegnete Toh, »ich hielt mein Versprechen, zu dir zurück zu kommen. Gieb die Hoffnung nicht auf, die Zukunft kann uns noch heiter lächeln.«
Sie rief nun nach ihrer Mutter, die sie in höhnischem Tone fragte, was sie ihr thun könne, da ja doch der von ihr so sehnsüchtig herbeigewünschte Gatte da sei? Chun Yang nahm von den grausamen Worten ihrer Mutter keine Notiz, gab ihr aber eine Stelle im Hause an, wohin sie einige ihrer Juwelen gerettet und versteckt habe: »Verkaufe diese« bat sie die Alte mit sanfter Stimme, »und für den Erlös schaffe meinem Manne neue Kleider und Nahrung an. Nimm ihn mit dir; er soll in meinem Zimmer schlafen und du darfst ihm keine Vorwürfe über geschehene Dinge machen, die nicht mehr zu ändern sind.«
Toh Ryung begleitete Uhl Mah zwar bis in ihr Haus, blieb jedoch nicht dort, sondern suchte seine Diener auf, welche ihm mitteilten, dass der Statthalter ein grosses Fest zur Feier seines Geburtstages gäbe, an welchem der Wein wie Wasser fliessen solle. Die gee sang der ganzen Umgegend hätten zu erscheinen, um vor den versammelten Gästen zu tanzen und zu singen; man könne schon von ferne die Uebungen der Musikanten hören. Das Fest würde dem Ussa Gelegenheit geben sich von der zügellosen Ausschweifung und Verschwendung des Präfekten zu überzeugen. Toh Ryung beschloss zu dem Feste zu gehen und dabei seine Pläne, die Bestrafung des ungerechten Beamten betreffend, auszuführen. Am frühen Morgen des nächsten Tages stellte sich Toh schon vor die Thür am Hause des Präfekten. Die Diener wiesen ihn fort, indem sie sagten, es würde dort kein Fest für Bettler gefeiert. Toh ging aber nicht, sondern wartete auf eine passende Gelegenheit, um sich ins Innere des Gebäudes zu schleichen. Diese Gelegenheit fand sich bald und sich wie ein Unsinniger durch das Gewühl der Diener hindurchschlagend, gelangte er in den Festsaal. Der Präfekt, welcher schon betrunken war, wunderte sich nicht wenig den Bettler zu erblicken und befahl, ihn sogleich zu entfernen, den Pförtner aber, der ihn eingelassen, tüchtig durchzuprügeln. Beide Befehle wurden sogleich ausgeführt, doch Toh fand eine offene Stelle in der Mauer, durch welche er wieder seinen Eintritt bewerkstelligte, und stand bald von neuem vor dem Präfekten. Dieser konnte vor Wut nicht sprechen und Toh benutzte seine stumme Verwunderung, indem er sagte: »Ich bin nur ein Bettler, aber ich will auch lustig sein! Gieb mir Trank und Speise.« Die Gäste wollten sich über den Mann totlachen und baten den Präfekten ihm seinen Willen zu thun, denn sie hielten ihn für verrückt. Da willfahrte er den Wünschen seiner Gäste und gab Befehl dem Bettler Trank und Speise zu geben und ihm eine Ecke des Saales einzuräumen, wo er sich niedersetzen konnte. Doch damit war der Bettelmann nicht einverstanden, er wollte wie alle anderen Gäste behandelt werden und auch eine gee sang haben, die ihm Wein kredenze und vor ihm sänge und tanze. Diese Unverfrorenheit amüsierte die Anwesenden ganz ungemein und sie baten den Gastgeber, ihm auch diesen Wunsch zu erfüllen. Die gee sang, welche man ihm überliess, fühlte sich nicht sehr geehrt, vor dem Bettelmann singen zu sollen und sagte zu ihm: »Du siehst mir nicht danach aus, dass dir mein Gesang erst die Kehle zum Trinken öffnen müsse,« aber sie sang ihm ein Lied, in welchem sie ihm baldigen Tod statt langen Lebens wünschte.
Nachdem der Gastgeber und die Gäste eine geraume Zeit lang ihren Mutwillen an dem vermeintlichen Bettler ausgelassen hatten, erhob sich dieser und sagte: »Ich bedanke mich für die freundliche Aufnahme, die ich hier gefunden, ebenso wie für Speise und Trank und will nun aus Erkenntlichkeit dafür einige Verse aufschreiben, über welche ihr euch freuen könnt,« und bei diesen Worten ergriff er einen neben ihm liegenden Bogen Papier und schrieb darauf: »Das Oel, mit welchem der Beamte seine Nahrung würzt, ist nichts anderes als das Lebensblut der armen Unterdrückten, deren Thränen dem betrügerischen Beamten so viel gelten als die fallenden Tropfen einer Kerze.«
Als man diese Worte gelesen hatte, verbreitete sich eine grosse Unruhe in der Versammlung der Gäste. Sie schüttelten die Köpfe, flüsterten miteinander und meinten Unglück für den Präfekten in diesen Versen zu argwöhnen; die meisten von ihnen schützten wichtige Geschäfte vor und verliessen so schnell als möglich das Regierungsgebäude. Der Präfekt lachte sie aus, ward aber im stillen auch ängstlich und befahl seinen Dienern den Fremdling zu peitschen und ins Gefängnis zu werfen. Doch als er ergriffen werden sollte, erschienen auf ein vorher mit ihnen verabredetes Zeichen seine Diener und er wies sein Amtssiegel vor, so dass jene zurückprallten. Als die trunkenen Gäste das Siegel des Königs erblickten, wurden sie vor Schreck totenbleich und der gewissenlose Präfekt versuchte zu fliehen, wurde aber von den Dienern des Ussa gefangen genommen und in Ketten gelegt. Einer der Gäste verfing sich mit dem Haar an einem Nagel und glaubte sich ebenfalls gefangen, so dass er aus Leibeskräften zu schreien begann und um sein Leben bat. Alles lief im Hause zusammen, so dass man glauben, konnte, ein Erdbeben hätte es heimgesucht.
Der Ussa liess sich seine Amtstracht anlegen und gab mit sicherer Stimme und ruhigem Wesen seine Befehle. Den Präfekten schickte er unter guter Bewachung zur Bestrafung nach der Hauptstadt und unterwarf dann alle schwebenden Amtshandlungen und Geschäfte einer genauen Prüfung. Seine Diener schickte er mit einem Tragstuhl zu Chun Yang Ye ins Gefängnis, verbot ihnen aber, etwas von dem Vorgefallenen zu erzählen, sondern sie nur ins Regierungsgebäude überzuführen.
Chun Yang glaubte, dass der betrunkene Präfekt nach ihr geschickt habe, um sie zu töten und bat die Diener, ihr den fremden Bettler zu holen. Diese sagten ihr aber, dass er nicht kommen könne, weil er sich, wahrscheinlich ihretwegen, bereits in den Händen des Präfekten befände. Dann nahmen sie Chun die Ketten ab und brachten sie zu Toh Ryung, der sie mit verstellter Stimme barsch anfuhr und fragte, was sie ihm zu sagen habe. Die Aermste wollte ihn aber nicht anschauen und noch weniger antworten, sondern hielt ihre Augen zu Boden gesenkt und öffnete ihren Mund zu keiner Silbe. Als der Ussa nun einsah er habe seinen Zweck verfehlt, bat er sie mit seiner gewöhnlichen Stimme, indem er sagte: »Du kannst mich getrost ansehen, teure Chun Yang!«
Ueberrascht schlug sie die Augen auf, sank aber ohnmächtig zur Erde, als sie ihren Gatten in voller Schöne und Männlichkeit und in seiner prachtvollen Amtstracht erblickte. Man trug sie in die Frauengemächer, woselbst auch bald ihre Mutter erschien. Die alte Uhl Mah hatte gerade ihrer Tochter etwas Essen ins Gefängnis bringen wollen, als das in Scharen versammelte Volk ihr die grosse Neuigkeit erzählte. Vor Freuden warf sie Essen und Teller hin und rief: »Welche schone Geburtstagsüberraschung für den Präfekten!«
Alle Freunde und Nachbarn freuten sich sehr über den glücklichen Lebenswechsel der treuen Chun Yang, meinten aber zugleich, dass die Mutter solches Glück nicht verdiene. Der neue Ussa ernannte einen anderen Magistrat, damit vor ihm die Vermählungsformalitäten abgemacht würden und dann wurde später die Hochzeit der standhaften Chun Yang öffentlich in der Hauptstadt gefeiert und Ye Toh Ryung erhielt an diesem Tage seine Ernennung zu einem noch höheren Beamten-Posten. Seine Eltern waren stolz auf ihren vortrefflichen Sohn und ihre schöne Schwiegertochter; das ganze Volk liebte Toh Ryung wegen seiner Leutseligkeit und Gerechtigkeit und jedermann lobte seine tugendhafte Gemahlin, die ihn mit vielen blühenden Kindern beschenkte.

[Asien: Korea. Märchen der Welt ]

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