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Es war einmal eine arme Frau, die hatte im Kirchspiel gebettelt. Sie führte einen kleinen Knaben mit sich. Als sie ihren Bettelsack voll hatte, ging sie nordwärts über das Gebirge und wollte wieder heim in ihr Dorf. Als sie ein Stück weit den Berg hinaufgekommen waren, fanden sie ein kleines blaues Strumpfband auf der Landstraße liegen. Der Bursche bat, er wolle es aufheben.
»Nein«, sagte die Mutter, »da könnte Zauberei im Spiel sein«, und sie zwang den Kleinen, ihr zu folgen. Als sie noch ein Stück höher gestiegen waren, sagte der Bursche, er müsse ein wenig vom Wege abseits gehen.
Unterdessen setzte die Frau sich auf einen gefällten Baum. Aber der Kleine blieb lange aus, denn als er so weit in den Wald gekommen war, daß ihn die Mutter nicht mehr sehen konnte, lief er hinunter, wo das Strumpfband lag, hob es auf und band es sich um den Leib. Da wurde er so stark, daß er meinte, den ganzen Berg in die Luft heben zu können.
Als er wiederkam, war die Frau böse und fragte, was er so lange getrieben habe. »Du machst dir keine Gedanken wegen der Zeit«, sagte sie, »es geht doch gegen Abend. Du weißt, daß wir über dem Berg sein müssen, ehe es dunkel wird.«
Nun gingen sie wieder eine Weile, aber als sie in halber Höhe des Berges waren, wurde die Frau müde und wollte sich unter einen Busch legen.
»Mütterchen«, sagte der Bursche, »darf ich nicht auf diesen hohen Berg hinaufgehen, während du ausruhst, und sehen, ob ich irgendwo Leute finde?«
Die Frau erlaubte es, und als er auf die Berghöhe kam, sah er gleich im Norden ein Licht. Er rannte wieder hinunter und sagte es der Frau. »Wir müssen gehen, Mutter, es ist nicht weit, bis wir zu Leuten kommen; ich sehe gleich im Norden ein schönes Licht.« Sie stand auf und nahm den Bettelsack und wollte es auch sehen; aber sie waren nicht lange gegangen, da hatten sie wieder einen Berg gerade vor der Nase.
»Das hätte ich mir denken können«, sagte die Frau, »nun kommen wir nicht weiter; das ist doch schlimm, hier liegenzubleiben.« Der Kleine nahm den Bettelsack unter einen Arm und die Frau unter den andern und rannte mit der Last in fliegender Eile den Berg hinauf.
»Nun siehst du, daß es nicht weit ist zu den Leuten«, sagte er, »siehst du, wie schön es leuchtet!« Aber die Frau meinte, das seien keine Leute, das müsse der Bergtroll sein, denn sie kannte sich im ganzen Bärenwalde aus und wußte, daß es nirgends Leute gab, nur auf der anderen Seite am Nordfuß des Berges. Als sie eine Weile gegangen waren, kamen sie an ein großes rot angemaltes Haus.
»Ach, wir gehen doch hinein; wir sehen ja das Licht; da müssen doch Leute sein«, sagte der Bursche und ging voraus und die Frau hinterdrein. Aber in dem Augenblick, als er die Tür aufmachte, fiel sie in Ohnmacht, denn sie sah, daß ein großer schwerer Mann auf der Bank saß.
»Guten Abend, Vater«, sagte der Bursche.
»Nun sitze ich hier schon dreihundert Jahre, und noch niemand hat mich Vater genannt«, sagte der Mann, der auf der Bank saß. Der Bursche setzte sich neben ihn und fing mit ihm ein Gespräch an, als ob sie alte Bekannte wären.
»Aber wie geht es deiner Mutter«, sagte der Mann, als sie eine Weile geplaudert hatten, »ich glaube, sie ist in Ohnmacht gefallen, du mußt nach ihr sehen.« Der Bursche ging hinaus, nahm die Frau und trug sie ins Haus hinein, da kam sie wieder zu sich und schlich sich davon und setzte sich in den Holzwinkel, aber sie hatte solche Angst, daß sie sich kaum hervorzuschauen traute. Nach einer Weile fragte der Bursche, ob sie über Nacht hierbleiben könnten. Ja, freilich, entgegnete ihm der Mann.
Nun plauderten sie wieder eine Weile, aber auf einmal bekam der Bursche Hunger und fragte, ob sie etwas zum Abendessen haben könnten. Das ließe sich schon machen, meinte der Mann. Nach einer Weile stand er auf und legte sechs Fuder dürres Fichtenholz aufs Feuer. Da bekam die Frau noch mehr Angst. »Nun will er uns auch noch verbrennen«, sagte sie in ihrem Winkel. Als das Holz zu Kohlen verbrannt war, stand der Mann auf und ging hinaus.
»Gott helf uns mit deiner Unverfrorenheit! Siehst du denn nicht, daß du bei Trollen bist?«
»Ach was, das ist nicht so gefährlich«, sagte der Bursche.
Nach einer Weile kam der Mann wieder mit einem Ochsen, so groß und dick, wie der Bursche noch nie einen gesehen hatte, und der Mann hieb ihm mit der geballten Faust ans Ohr, daß er tot niederfiel. Als er das getan hatte, nahm er ihn an allen vier Beinen, legte ihn auf die glühende Asche und drehte und wendete ihn, bis er außen ganz braun war. Dann ging er an einen Schrank, holte eine Silberschüssel hervor und legte den Ochsen darauf, und die Schüssel war so groß, daß der Ochse nirgends über den Rand hinausreichte. Das stellte er nun auf den Tisch und ging dann in den Keller und holte ein Weinfaß herauf, schlug den einen Boden aus, stellte das Faß auf den Tisch und legte zwei Messer dazu, die waren drei Ellen lang. Als er das getan hatte, hieß er seine Gäste sich zu Tisch setzen und essen. Der Bursche ging voraus und hieß die Frau auch niedersitzen; sie fing an, vor sich hinzujammern, und wunderte sich, wie man wohl mit diesen Messern hantieren könne. Aber der Bursche packte das eine und schnitt Stücke aus dem Schenkel des Ochsen heraus und legte seiner Mutter vor. Als sie eine Weile gegessen hatten, nahm er das Weinfaß zwischen die Hände und stellte es auf den Fußboden. Dann sagte er zu seiner Mutter, sie solle kommen, er wolle ihr zu trinken geben. Das Faß war so hoch, daß sie nicht hinaufreichen konnte. Aber der Bursche hob sie in die Höhe bis an den Rand und hielt sie, und er selber kletterte hinauf und hing sich über den Rand wie eine Katze, während er trank.
Als er seinen Durst gestillt hatte, nahm er das Faß und stellte es wieder auf den Tisch, dankte für das Essen und hieß seine Mutter auch herzutreten und sich bedanken, und so sehr sie auch Angst hatte, so wagte sie doch nichts anderes zu tun, als dem Mann für das Essen zu danken. Der Bursche setzte sich neben den Mann auf die Bank, und sie fingen wieder zu reden an. Als sie eine Weile gesessen waren, sagte der Mann: »Ich gehe und esse ein wenig Abendbrot.« Und damit ging er an den Tisch und aß den ganzen Ochsen mit Hörnern und Knochen, nahm das Weinfaß und trank daraus und setzte sich dann wieder auf die Bank. »Ich weiß nicht, wie das mit den Betten wird«, sagte er, »ich habe nur eine Wiege hier; da könntest du dich wohl hineinlegen, und deine Mutter könnte im Bett schlafen.«
»Ja, danke, das geht ganz schön«, sagte der Bursche, zog sich aus und schlüpfte in die Wiege – sie war genauso groß wie ein großes Bett -, und die Frau mußte dem Mann folgen und sich ins Bett legen, so sehr sie auch Angst hatte.
‚Hier ist nicht gut, sich schlafen zu legen, ich will doch wach bleiben und hören, wie es diese Nacht weitergeht‘, dachte sich der Bursche.
Nach einer Weile fing der Mann mit der Frau zu sprechen an. »Hier könnten wir so schön und vergnüglich leben, wenn wir nur deinen Sohn los wären«, sagte der Mann.
»Weißt du denn keinen Ausweg, was meinst du?« fragte die Frau. Er wolle es einmal versuchen, sagte der Mann. Er wolle so tun, als ob er die Frau für ein paar Tage behalten wolle, daß sie ihm die Hausarbeit tue, dann wolle er den Burschen mit ins Gebirge nehmen und Steine brechen und dabei einen Berg auf ihn wälzen. Das hörte der Bursche, wie er so lag.
Am nächsten Tage fragte der Troll – denn ein Troll war es, das war leicht zu merken -, ob er die Frau für ein paar Tage zur Hausarbeit haben könne, und im Laufe des Tages nahm er die große Eisenbrechstange und fragte den Burschen, ob er mit ihm auf den Berg gehen und Steine brechen wolle. »Gern«, sagte der Bursche und ging mit. Als sie einige Steine gebrochen hatten, wollte ihn der Troll den Berg hinunterschicken, um nach den versprengten Stücken zu sehen. Während der Bursche das tat, stemmte und brach der Troll mit der Brechstange, bis er einen ganzen Berg ins Rollen brachte; der kam über den Burschen hinuntergerollt. Der Bursche stemmte sich aber dagegen, bis er darunter hervorkam, und ließ dann den Berg weiterrollen.
»Nun sehe ich, wie du es mit mir meinst«, sagte der Bursche. »Du willst mich umbringen, aber jetzt geh nur du hinunter und schau nach den Stücken, jetzt will ich oben bleiben.« Der Troll wagte nichts anderes zu tun, als was der Bursche verlangte, und der Bursche warf einen ganz gewaltigen Berg hinunter, der auf den Troll fiel und ihm das eine Schenkelbein brach.
»Ach, du bist aber schwach«, sagte der Bursche, stieg hinunter, hob den Berg in die Höhe und zog den Troll darunter hervor. Und dann mußte er ihn auf den Rücken nehmen und heimtragen. Er rannte davon mit ihm wie ein Pferd und schüttelte ihn, daß er schrie, als ob er am Spieße steckte.
In der Nacht fing der Troll wieder an, mit der Frau zu reden und zu überlegen, wie man den Burschen loswerden könne. »Wenn du keinen Weg weißt, um ihn loszuwerden – ich weiß keinen«, sagte die Frau.
Er habe zwölf Löwen in einem Garten, sagte der Troll. Wenn man nur den Burschen dorthin bringen könnte, so würden sie ihn schon in Stücke reißen. Da meinte die Frau, damit habe es keine Not, sie wolle sich krank stellen und sagen, sie sei so elend und könne nicht wieder gesund werden, wenn sie nicht Löwenmilch bekomme. Der Bursche war wach und hörte alles. Als er am Morgen aufgestanden war, sagte die Frau, sie sei viel elender, als man sich denken könne, und wenn sie keine Löwenmilch bekomme, so werde sie gewiß nicht mehr gesund.
»Da wirst du schon lange krank bleiben müssen, Mutter«, sagte der Bursche, »denn ich weiß nicht, wo Löwenmilch zu bekommen ist.«
Ja, meinte der Troll, Löwenmilch sei schon zu haben, wenn nur einer sie holen wollte. Seine Brüder hätten einen Garten, darin seien zwölf Löwen, und den Schlüssel könne er bekommen, sagte der Troll zum Burschen, wenn er Lust habe, die Löwen zu melken. Der Bursche nahm einen Schlüssel und einen Melkeimer und ging. Als er den Garten aufschloß und eintrat, stellten alle Löwen sich auf die Hinterfüße und wollten auf ihn losgehen. Der Bursche suchte sich den größten heraus, packte ihn an den Vorderbeinen und schlug ihn gegen Stock und Stein, bis nichts mehr von ihm übrig war als die Pfoten. Als das die anderen sahen, bekamen sie große Angst und krochen herbei und legten sich zu seinen Füßen wie beschämte Hunde. Von da an folgten sie ihm auf Schritt und Tritt, und als er heimkam, legten sie sich vor die Tür, mit den Vorderpfoten auf die Türschwelle.
»Nun sollst du wieder gesund werden von der Löwenmilch, Mütterchen«, sagte der Bursche, als er heimkam; er hatte ein gehörig Teil in den Eimer gemolken. Aber der Troll lag auf dem Bett und schwor, das sei nicht wahr. Dazu gehöre ein anderer Kerl, um die Löwen zu melken. Als der Bursche das hörte, jagte er den Troll vom Bette und riß die Tür auf. Die Löwen stiegen an dem Troll in die Höhe und packten ihn, und der Bursche mußte sich ins Zeug legen und ihn aus ihren Klauen befreien.
In der Nacht verhandelte der Troll wieder mit der Frau. »Ich weiß nicht, wie wir diesen Burschen umbringen können«, sagte der Troll, »er ist viel zu stark. Weißt du kein Mittel?« sagte er zur Frau. »Nein, wenn du keinen Ausweg weißt – ich weiß keinen«, gab die Frau zurück.
»Ja, ich habe zwei Brüder auf einem Schloß«, sagte wieder der Troll, »die sind zwölfmal stärker als ich, und deshalb verstießen sie mich und gaben mir nur den Hof. Aber sie wohnen im Schloß, und da ist ein Obstgarten dabei, darin wachsen Äpfel, und wer davon ißt, der schläft drei geschlagene Tage lang. Wenn wir den Burschen dorthin schicken und Äpfel holen lassen könnten! Wir sagen ihm, er dürfe ruhig auch davon versuchen, und wenn er nur erst schläft, so reißen ihn meine Brüder in Stücke.« Die Frau sagte, sie wolle sich krank stellen und sagen, sie könne nicht wieder gesund werden, wenn sie nicht von den Äpfeln bekäme; dann werde er schon gehen. Der Bursche lag wach und hörte alles. Am Morgen war die Frau krank und elend und schrie Ach und Weh, und sie könne nicht wieder gesund werden, wenn sie nicht von den Äpfeln bekäme aus dem Garten, der den Brüdern des Trolls gehörte, aber sie habe ja niemand dorthin zu schicken.
Der Bursche war sogleich bereit hinzugehen. Jedoch die elf Löwen gingen auch mit. Als er in den Garten kam, kletterte er an dem Apfelbaum hinauf und aß so viele Äpfel, wie er konnte, und kaum war er wieder unten, so schlief er ein, aber die Löwen legten sich im Kreise um ihn her. Am dritten Tage kamen die Brüder des Trolls, aber nicht in Menschengestalt; brüllend kamen sie angerannt wie tolle Stiere und wollten wissen, was das für einer sei, der sich hierhergelegt hatte. Sie sagten, sie wollten ihn zu Staub und Asche zermalmen, daß nicht ein Fetzchen von ihm übrigbleiben solle. Aber die Löwen fuhren auf und rissen die Trolle in kleine Stücke, daß es aussah, als ob man eine Kehrichttonne umgeworfen hätte, und als sie damit fertig waren, legten sie sich wieder um den Burschen her. Der Bursche erwachte erst spät am Nachmittag, und als er sich aufrichtete und sich den Schlaf aus den Augen rieb, wunderte er sich, was da wohl los gewesen sein könnte, als er die Fußstapfen ringsumher sah. Aber als der Bursche ins Schloß eintrat, fand er da eine schöne Jungfrau, die alles gesehen hatte. Die sagte: »Du kannst Gott danken, daß du bei dem Kampf nicht dabei warst, sonst hätte es dein Leben gekostet.«
»Was, mein Leben gekostet?« sagte der Bursche. Das sei doch nicht in Gefahr, meinte er. Da bat sie ihn, hereinzukommen, damit sie miteinander sprechen könnten, sie habe keinen Christenmenschen gesehen, seit sie hier sei. Als er die Tür aufmachte, wollten die Löwen auch mit hinein, aber das Mädchen hatte solche Angst vor ihnen, daß sie aufschrie, und da hieß der Bursche die Löwen draußen liegen bleiben. Nun redeten sie über viel und vielerlei, und der Bursche fragte sie, warum sie, die doch so schön sei, bei den häßlichen Trollen sein wolle. Sie habe nie etwas von den Trollen wissen wollen, sagte sie, und sie sei nicht aus freiem Willen hier, die Trolle hätten sie geraubt, sie sei die Tochter des Königs von Arabien. Wie sie weiterredeten, fragte die Königstochter, was denn der Bursche lieber wolle, ob sie heimreisen solle oder ob er sie heiraten wolle. »Ja, freilich wolle er sie heiraten, und sie solle nicht heimreisen.« Dann gingen sie durchs Schloß und schauten sich um, und schließlich kamen sie in einen großen Saal, da hingen hoch oben an der Wand zwei gewaltige Schwerter, die den Trollen gehört hatten. »Wenn du so stark wärest, daß du eins von diesen Schwertern brauchen könntest!« sagte die Prinzessin.
»Wer, ich?« fragte der Bursche. »Ich soll eins von diesen Schwertern brauchen können? Das ist doch gar nicht schwer!« Und er stellte zwei, drei Stühle aufeinander, kletterte hinauf und packte das größte Schwert beim Griff, warf es in die Luft und fing es im Fluge wieder auf und stieß es auf den Fußboden, daß der ganze Saal wackelte. Als er wieder heruntergestiegen war, nahm er es unter den Arm und trug es mit sich. Nachdem sie eine Weile in dem Schloß zusammengewesen waren, meinte die Prinzessin, sie wolle zu ihren Eltern reisen und ihnen erzählen, wie es ihr ergangen sei. Sie beluden ein Schiff, und sie reiste davon.
Als sie fort und der Bursche noch eine Weile in dem Schloß herumgestreift war, fiel ihm ein, daß er ja einen Auftrag hatte und daß er eine heilsame Frucht für seine Mutter holen sollte. Aber er dachte, die Frau war nicht so krank, daß sie nicht jetzt wieder heil und gesund sein sollte; trotzdem aber wollte er sehen, wie es ihnen ginge. Dem Mann ging es gut, und die Frau war auch schon längst wieder gesund.
»Ihr seid ja jämmerlich daran hier in der armseligen Hütte, kommt mit mir auf mein Schloß, da werdet ihr sehen, daß ich ein anderer Kerl bin«, sagte der Bursche. Der Mann und die Frau gingen mit ihm, und unterwegs plauderten sie freundlich mit ihm und fragten ihn, wie er denn so stark geworden sei.
Ja, das komme von dem blauen Band, das er damals auf dem Berg gefunden habe, als sie vom Betteln heimwanderten, sagte der Bursche.
»Hast du es noch?« fragte die Frau. Ja, er habe es unter seinem Hosenbund, sagte der Bursche. Die Frau wollte es sehen. Da knöpfte er die Jacke auf und den Brustlatz und wollte es ihr zeigen. Aber die Frau griff mit beiden Händen zu, riß es ihm weg und wickelte es um ihre Hand. »Was soll ich mit dir machen, elender Lump, der du bist!«schrie sie. »Schlagen sollte man dich, daß das Hirn herausspritzt.« – »Das wäre ein zu leichter Tod für einen solchen Taugenichts!« sagte der Troll. »Wir sollten ihm die Augen ausbrennen und ihn in einem kleinen Boot aufs Meer aussetzen.«
Das taten sie auch, sosehr der Bursche bettelte und jammerte, aber als das Boot wegschwamm, schwammen die Löwen hinterdrein, und schließlich packten sie das Boot und zogen es zu einer Insel und setzten den Burschen unter eine Föhre. Sie fingen Wild für ihn und rupften die Vögel und brachten ihm ein ganzes Daunenbett zusammen. Aber er mußte alles roh essen, und blind war er auch. Eines Tages jagte der größte Löwe einen Hasen, und der war blind, denn er lief über Stock und Stein, und schließlich rannte er an einen Föhrenbusch und fiel so Hals über Kopf hinunter in einen Teich. Aber als der Hase wieder aus dein Wasser heraus war, fand er den Weg so gut, daß er dem Löwen entkam. ‚Na, na‘, dachte der Löwe, zog den Burschen zum Teich und tauchte ihn hinein. Als der Bursche nun wieder sehen konnte, ging er hinunter ans Meer, bedeutete seinen Löwen, sie sollten sich dicht nebeneinanderlegen wie ein Floß, und stellte sich auf ihre Rücken, und so schwammen sie mit ihm ans Land. Als sie gelandet waren, ging er auf einen Birkenhügel, und die Löwen hieß er sich legen. Dann schlich er zum Schlosse hin wie ein Dieb, um zu sehen, ob er nicht wieder zu seinem Bande kommen könnte, und als er zur Tür kam, schaute er durchs Schlüsselloch hinein und sah, daß das Band über einer Tür in der Küche hing. Nun stahl er sich durch den Hausgang hinein, denn es war niemand da. Als er aber das Band an sich genommen hatte, fing er an, mit den Füßen zu stampfen und zu trampeln wie verrückt. Da kam die Frau herausgefaucht.
»Liebster, bester Kleiner, gib mir das Band wieder!« sagte sie. »Nein, danke, nun sollst du das gleiche Schicksal haben, das du mir gewünscht hast«, sagte der Bursche, und er tat ihr das gleiche an. Als der Troll das hörte, kam er herein und bat de- und wehmütig, man möge ihn doch nicht erschlagen. »Ja, du sollst am Leben bleiben, aber du bekommst die gleiche Strafe, die du mir angetan hast«, sagte der Bursche und brannte ihm die Augen aus und setzte ihn in einem Boot aufs Meer, aber er hatte keine Löwen, die ihm folgten.
Nun war der Bursche allein, und da bekam er Sehnsucht nach der Prinzessin. Schließlich konnte er es nicht mehr länger aushalten, er hatte solches Heimweh nach ihr, daß er zu ihr reisen mußte. Da lud er vier Schiffe und wollte zu ihr nach Arabien segeln. Eine Zeitlang hatte er schönes ruhiges Wetter, aber auf einmal blieben sie ohne Wind bei einer Berginsel liegen. Da gingen die Schiffsleute an Land und tummelten sich zum Zeitvertreib herum. Dort fanden sie ein gewaltiges Ei, fast so groß wie ein kleines Haus. Sie fingen an, mit großen Steinen darauf einzuschlagen und zu hauen, aber sie waren nicht imstande, die Schale zu zerbrechen. Der Bursche kam nach mit seinem Schwert und wollte sehen, was da für ein Lärm war. Als er das Ei erblickte, meinte er, das sei doch leicht, das Ei zu zerbrechen, hieb mit seinem Schwert zu, daß die Schale sprang, und es kam ein Vogel heraus so groß wie ein Elefant.
»Nun haben wir etwas Dummes gemacht«, sagte der Bursche, »das kann uns das Leben kosten.« Und er fragte die Schiffsleute, ob sie nach Arabien bei gutem Wind in vierundzwanzig Stunden segeln könnten. Ja, das könnten sie schon, meinten die Leute. Sie hatten guten Wind, segelten fort und gingen in Arabien nach dreiundzwanzig Stunden an Land. Gleich befahl der Bursche den Leuten, sich in einen Sandhügel einzugraben, daß sie kaum mehr die Schiffe im Auge behalten konnten. Der Bursche und der Steuermann gingen auf einen hohen Berg und setzten sich unter eine Fichte. Nach einer Weile kam der Vogel mit der Insel in den Klauen und ließ sie auf die Schiffe fallen, daß sie sanken. Als er das getan hatte, ging er auf den Sandhügel und schlug mit den Flügeln, daß es den Leuten fast die Köpfe abgerissen hätte, und dann fuhr er hinauf unter die Fichte, so gewaltig, daß es den Burschen um und um drehte. Aber der Bursche hatte sein Schwert bereit und führte einen Schlag auf den Vogel, daß er tot zu Boden fiel. Dann ging er in die Stadt, und da herrschte große Freude, weil der König seine Tochter wiederbekommen hatte. Aber jetzt hatte er sie selbst versteckt und bekanntmachen lassen, daß sie derjenige, der sie finde, zur Frau haben solle, obgleich sie schon versprochen sei.
In der Stadt traf der Bursche einen, der weiße Bärenfelle verkaufte; er kaufte ein Fell und zog es an. Der eine Schiffer mußte eine eiserne Kette kaufen und ihn daran führen, und so zogen sie in der Stadt herum und zeigten ihre Künste. Schließlich hörte der König, man habe noch nie so etwas Lustiges gesehen: ein weißer Bär tanze auf alle Arten, ganz nach Kommando. Also wurden sie zum König gerufen und sollten da ihre Künste zum besten geben, der König wollte es auch sehen. Als sie kamen, hatten alle Leute Angst, denn es hatte noch niemand ein solches Tier gesehen. Aber der Schiffer sagte, es sei gar keine Gefahr dabei, nur lachen dürfe man nicht; wenn sie lachten, würde der Bär sie umbringen. Als der König das hörte, ermahnte er seine Leute, daß sie ja nicht lachten. Aber mitten unter der Vorstellung kam des Königs Magd herein und fing an, sich auszuschütten vor Lachen; da fuhr der Bär auf sie los und riß sie in Fetzen. Die Leute vom Hof begannen zu jammern und der Schiffer am allermeisten. »Ach was«, sagte der König, »es ist ja nur eine Magd, und das ist meine Sache und nicht eure.«
Als die Vorstellung fertig war, war es spät am Abend. »Es ist nicht der Mühe wert, daß du dich mit dem Bären heute noch auf den Weg machst«, sagte der König, »der kann über Nacht hierbleiben.« – »Soll er sich hinter den Ofen legen?« fragte der Schiffer. »Nein, er soll auf Daunen und Kissen liegen«, sagte der König und brachte einen ganzen Haufen herbei. Der Schiffer sollte in der Kammer nebenan schlafen. Um Mitternacht kam der König mit Licht und einem großen Schlüsselbund und nahm den weißen Bären mit. Er ging durch einen Gang nach dem anderen, durch Türen und Gemächer, treppauf und treppab. Schließlich kamen sie hinaus zu einer Brücke, die ins Meer führte. Da fing der König an, an Schrauben und Pflöcken zu drehen und zu rütteln und zog die einen auf und die andern hinunter, bis ein Häuschen aus dem Meer heraufgeschwommen kam. Darin hatte er seine Tochter. Denn er hatte sie so gern, daß er sie versteckt hielt, damit sie keiner finde. Er ließ den weißen Bären außen vor der Tür sitzen, während er hineinging und von ihm und seinem Tanz und seiner Schauspielerei erzählte. Seine Tochter sagte, sie habe Angst und wage nicht zuzusehen. Aber der König redete ihr zu und meinte, es sei gar keine Gefahr dabei, wenn sie nur nicht lache. Also ließ er den Bären herein, und der tanzte und machte Kunststücke, aber auf einmal fing die Magd der Prinzessin an zu lachen. Da fuhr der Bursche auf sie los und riß sie in Stücke. Die Prinzessin jammerte und klagte sehr.
»Ach was«, sagte der König, »es ist ja nur eine Magd, und so eine will ich dir schon wieder verschaffen. Aber nun wird es am besten sein, wenn der Bär hierbleibt«, sagte er, »denn ich habe keine Lust, bei nachtschlafender Zeit mit ihm durch alle Hausgänge zu rennen.« – Da wolle sie aber nicht dabeibleiben, meinte die Prinzessin. Doch der Bär rollte sich zusammen und legte sich hinter den Ofen, und schließlich legte sich auch die Prinzessin und ließ ihr Licht brennen.
Als der König fort war und alles still wurde, kam der weiße Bär und bat die Prinzessin, sie möge ihm das Halsband abnehmen. Die Prinzessin erschrak so, daß sie bald in Ohnmacht gefallen wäre, aber sie suchte, bis sie das Schloß fand, und kaum hatte sie das Halsband gelöst, so riß der Bär sich den Kopf ab. Da erkannte sie ihn und freute sich über alle Maßen und wollte gleich bekanntgegeben, daß er es sei, der sie befreit habe. Aber er wollte das nicht haben, er wollte sie sich noch einmal verdienen. Als sie am Morgen den König an den Pflöcken hantieren hörten, zog der Bursche die Bärenhaut wieder über und legte sich hinter den Ofen. »Nun, war er brav?« fragte der König.
»O freilich«, sagte die Prinzessin, »er hat sich nicht einmal gerührt.« Auf dem Schloß nahm der Schiffer seinen Bären wieder in Empfang. Aber da ging der Bursche zu einem Schneidermeister und bestellte Prinzenkleider, und als sie fertig waren, ging er zum König hinauf und sagte, er wolle die Prinzessin finden. »Das haben schon viele gewollt«, sagte der König, »aber es hat ihnen das Leben gekostet, denn wer sie nicht in vierundzwanzig Stunden findet, hat sein Leben verwirkt.« Damit habe es keine Gefahr, meinte der Bursche, er wolle sie suchen, und wenn er sie nicht finde, so sei das seine Sache.
Aber auf dem Schloß war ein Spielmann, der spielte zum Tanz auf, und Mädchen waren da, und der Bursche tanzte. Nach zwölf Stunden kam der König und sagte: »Es ist doch schade um dich; du suchst so ungeschickt, daß es dein Leben kosten wird.« – »Ach was, es hat keine Gefahr mit dem Leichnam, solange er noch schnauft, wir haben ja Zeit vor uns«, sagte der Bursche und tanzte, bis nur noch eine Stunde übrig war, dann wollte er zu suchen anfangen. »Ach, das nützt nichts«, meinte der König, »jetzt ist die Zeit abgelaufen.«
»Zünd das Licht an und komm mit deinem großen Schlüsselbund«, befahl der Bursche, »und geh mit mir, wohin ich gehe. Wir haben noch eine ganze Stunde.« Der Bursche ging den gleichen Weg, den der König in der vorigen Nacht gegangen war, und hieß den König alle Türen vor ihm aufschließen, bis sie an die Brücke kamen, die ins Meer hinausführte.
»Nun nützt es nichts mehr, die Zeit ist um, und du läufst gerade ins Meer hinaus«, sagte der König.
»Es sind noch fünf Minuten«, sagte der Bursche und riß und zerrte an den Pflöcken und Schrauben, daß das Haus heraufgeschwommen kam.
»Nun ist die Zeit um«, schrie der König, »komm nun, mein Henker, und schneid ihm den Kopf ab!«
»Nein, wart ein wenig«, sagte der Bursche, »es sind noch drei Minuten! Komm mit dem Schlüssel, daß ich hineinkann!«
Der König stand da und suchte nach dem Schlüssel und sagte, er könne ihn nicht finden, um die Zeit verstreichen zu lassen. »Hast du ihn nicht, so habe ich selber einen«, sagte der Bursche und stemmte sich gegen die Tür, daß sie in Stücken auf dem Boden lag. Die Prinzessin kam ihm an der Tür entgegen und sagte, er sei ihr Befreier und sie wolle ihn heiraten. Sie bekam ihn, und der Bursche hielt Hochzeit mit der Königstochter von Arabien.
»Nein«, sagte die Mutter, »da könnte Zauberei im Spiel sein«, und sie zwang den Kleinen, ihr zu folgen. Als sie noch ein Stück höher gestiegen waren, sagte der Bursche, er müsse ein wenig vom Wege abseits gehen.
Unterdessen setzte die Frau sich auf einen gefällten Baum. Aber der Kleine blieb lange aus, denn als er so weit in den Wald gekommen war, daß ihn die Mutter nicht mehr sehen konnte, lief er hinunter, wo das Strumpfband lag, hob es auf und band es sich um den Leib. Da wurde er so stark, daß er meinte, den ganzen Berg in die Luft heben zu können.
Als er wiederkam, war die Frau böse und fragte, was er so lange getrieben habe. »Du machst dir keine Gedanken wegen der Zeit«, sagte sie, »es geht doch gegen Abend. Du weißt, daß wir über dem Berg sein müssen, ehe es dunkel wird.«
Nun gingen sie wieder eine Weile, aber als sie in halber Höhe des Berges waren, wurde die Frau müde und wollte sich unter einen Busch legen.
»Mütterchen«, sagte der Bursche, »darf ich nicht auf diesen hohen Berg hinaufgehen, während du ausruhst, und sehen, ob ich irgendwo Leute finde?«
Die Frau erlaubte es, und als er auf die Berghöhe kam, sah er gleich im Norden ein Licht. Er rannte wieder hinunter und sagte es der Frau. »Wir müssen gehen, Mutter, es ist nicht weit, bis wir zu Leuten kommen; ich sehe gleich im Norden ein schönes Licht.« Sie stand auf und nahm den Bettelsack und wollte es auch sehen; aber sie waren nicht lange gegangen, da hatten sie wieder einen Berg gerade vor der Nase.
»Das hätte ich mir denken können«, sagte die Frau, »nun kommen wir nicht weiter; das ist doch schlimm, hier liegenzubleiben.« Der Kleine nahm den Bettelsack unter einen Arm und die Frau unter den andern und rannte mit der Last in fliegender Eile den Berg hinauf.
»Nun siehst du, daß es nicht weit ist zu den Leuten«, sagte er, »siehst du, wie schön es leuchtet!« Aber die Frau meinte, das seien keine Leute, das müsse der Bergtroll sein, denn sie kannte sich im ganzen Bärenwalde aus und wußte, daß es nirgends Leute gab, nur auf der anderen Seite am Nordfuß des Berges. Als sie eine Weile gegangen waren, kamen sie an ein großes rot angemaltes Haus.
»Ach, wir gehen doch hinein; wir sehen ja das Licht; da müssen doch Leute sein«, sagte der Bursche und ging voraus und die Frau hinterdrein. Aber in dem Augenblick, als er die Tür aufmachte, fiel sie in Ohnmacht, denn sie sah, daß ein großer schwerer Mann auf der Bank saß.
»Guten Abend, Vater«, sagte der Bursche.
»Nun sitze ich hier schon dreihundert Jahre, und noch niemand hat mich Vater genannt«, sagte der Mann, der auf der Bank saß. Der Bursche setzte sich neben ihn und fing mit ihm ein Gespräch an, als ob sie alte Bekannte wären.
»Aber wie geht es deiner Mutter«, sagte der Mann, als sie eine Weile geplaudert hatten, »ich glaube, sie ist in Ohnmacht gefallen, du mußt nach ihr sehen.« Der Bursche ging hinaus, nahm die Frau und trug sie ins Haus hinein, da kam sie wieder zu sich und schlich sich davon und setzte sich in den Holzwinkel, aber sie hatte solche Angst, daß sie sich kaum hervorzuschauen traute. Nach einer Weile fragte der Bursche, ob sie über Nacht hierbleiben könnten. Ja, freilich, entgegnete ihm der Mann.
Nun plauderten sie wieder eine Weile, aber auf einmal bekam der Bursche Hunger und fragte, ob sie etwas zum Abendessen haben könnten. Das ließe sich schon machen, meinte der Mann. Nach einer Weile stand er auf und legte sechs Fuder dürres Fichtenholz aufs Feuer. Da bekam die Frau noch mehr Angst. »Nun will er uns auch noch verbrennen«, sagte sie in ihrem Winkel. Als das Holz zu Kohlen verbrannt war, stand der Mann auf und ging hinaus.
»Gott helf uns mit deiner Unverfrorenheit! Siehst du denn nicht, daß du bei Trollen bist?«
»Ach was, das ist nicht so gefährlich«, sagte der Bursche.
Nach einer Weile kam der Mann wieder mit einem Ochsen, so groß und dick, wie der Bursche noch nie einen gesehen hatte, und der Mann hieb ihm mit der geballten Faust ans Ohr, daß er tot niederfiel. Als er das getan hatte, nahm er ihn an allen vier Beinen, legte ihn auf die glühende Asche und drehte und wendete ihn, bis er außen ganz braun war. Dann ging er an einen Schrank, holte eine Silberschüssel hervor und legte den Ochsen darauf, und die Schüssel war so groß, daß der Ochse nirgends über den Rand hinausreichte. Das stellte er nun auf den Tisch und ging dann in den Keller und holte ein Weinfaß herauf, schlug den einen Boden aus, stellte das Faß auf den Tisch und legte zwei Messer dazu, die waren drei Ellen lang. Als er das getan hatte, hieß er seine Gäste sich zu Tisch setzen und essen. Der Bursche ging voraus und hieß die Frau auch niedersitzen; sie fing an, vor sich hinzujammern, und wunderte sich, wie man wohl mit diesen Messern hantieren könne. Aber der Bursche packte das eine und schnitt Stücke aus dem Schenkel des Ochsen heraus und legte seiner Mutter vor. Als sie eine Weile gegessen hatten, nahm er das Weinfaß zwischen die Hände und stellte es auf den Fußboden. Dann sagte er zu seiner Mutter, sie solle kommen, er wolle ihr zu trinken geben. Das Faß war so hoch, daß sie nicht hinaufreichen konnte. Aber der Bursche hob sie in die Höhe bis an den Rand und hielt sie, und er selber kletterte hinauf und hing sich über den Rand wie eine Katze, während er trank.
Als er seinen Durst gestillt hatte, nahm er das Faß und stellte es wieder auf den Tisch, dankte für das Essen und hieß seine Mutter auch herzutreten und sich bedanken, und so sehr sie auch Angst hatte, so wagte sie doch nichts anderes zu tun, als dem Mann für das Essen zu danken. Der Bursche setzte sich neben den Mann auf die Bank, und sie fingen wieder zu reden an. Als sie eine Weile gesessen waren, sagte der Mann: »Ich gehe und esse ein wenig Abendbrot.« Und damit ging er an den Tisch und aß den ganzen Ochsen mit Hörnern und Knochen, nahm das Weinfaß und trank daraus und setzte sich dann wieder auf die Bank. »Ich weiß nicht, wie das mit den Betten wird«, sagte er, »ich habe nur eine Wiege hier; da könntest du dich wohl hineinlegen, und deine Mutter könnte im Bett schlafen.«
»Ja, danke, das geht ganz schön«, sagte der Bursche, zog sich aus und schlüpfte in die Wiege – sie war genauso groß wie ein großes Bett -, und die Frau mußte dem Mann folgen und sich ins Bett legen, so sehr sie auch Angst hatte.
‚Hier ist nicht gut, sich schlafen zu legen, ich will doch wach bleiben und hören, wie es diese Nacht weitergeht‘, dachte sich der Bursche.
Nach einer Weile fing der Mann mit der Frau zu sprechen an. »Hier könnten wir so schön und vergnüglich leben, wenn wir nur deinen Sohn los wären«, sagte der Mann.
»Weißt du denn keinen Ausweg, was meinst du?« fragte die Frau. Er wolle es einmal versuchen, sagte der Mann. Er wolle so tun, als ob er die Frau für ein paar Tage behalten wolle, daß sie ihm die Hausarbeit tue, dann wolle er den Burschen mit ins Gebirge nehmen und Steine brechen und dabei einen Berg auf ihn wälzen. Das hörte der Bursche, wie er so lag.
Am nächsten Tage fragte der Troll – denn ein Troll war es, das war leicht zu merken -, ob er die Frau für ein paar Tage zur Hausarbeit haben könne, und im Laufe des Tages nahm er die große Eisenbrechstange und fragte den Burschen, ob er mit ihm auf den Berg gehen und Steine brechen wolle. »Gern«, sagte der Bursche und ging mit. Als sie einige Steine gebrochen hatten, wollte ihn der Troll den Berg hinunterschicken, um nach den versprengten Stücken zu sehen. Während der Bursche das tat, stemmte und brach der Troll mit der Brechstange, bis er einen ganzen Berg ins Rollen brachte; der kam über den Burschen hinuntergerollt. Der Bursche stemmte sich aber dagegen, bis er darunter hervorkam, und ließ dann den Berg weiterrollen.
»Nun sehe ich, wie du es mit mir meinst«, sagte der Bursche. »Du willst mich umbringen, aber jetzt geh nur du hinunter und schau nach den Stücken, jetzt will ich oben bleiben.« Der Troll wagte nichts anderes zu tun, als was der Bursche verlangte, und der Bursche warf einen ganz gewaltigen Berg hinunter, der auf den Troll fiel und ihm das eine Schenkelbein brach.
»Ach, du bist aber schwach«, sagte der Bursche, stieg hinunter, hob den Berg in die Höhe und zog den Troll darunter hervor. Und dann mußte er ihn auf den Rücken nehmen und heimtragen. Er rannte davon mit ihm wie ein Pferd und schüttelte ihn, daß er schrie, als ob er am Spieße steckte.
In der Nacht fing der Troll wieder an, mit der Frau zu reden und zu überlegen, wie man den Burschen loswerden könne. »Wenn du keinen Weg weißt, um ihn loszuwerden – ich weiß keinen«, sagte die Frau.
Er habe zwölf Löwen in einem Garten, sagte der Troll. Wenn man nur den Burschen dorthin bringen könnte, so würden sie ihn schon in Stücke reißen. Da meinte die Frau, damit habe es keine Not, sie wolle sich krank stellen und sagen, sie sei so elend und könne nicht wieder gesund werden, wenn sie nicht Löwenmilch bekomme. Der Bursche war wach und hörte alles. Als er am Morgen aufgestanden war, sagte die Frau, sie sei viel elender, als man sich denken könne, und wenn sie keine Löwenmilch bekomme, so werde sie gewiß nicht mehr gesund.
»Da wirst du schon lange krank bleiben müssen, Mutter«, sagte der Bursche, »denn ich weiß nicht, wo Löwenmilch zu bekommen ist.«
Ja, meinte der Troll, Löwenmilch sei schon zu haben, wenn nur einer sie holen wollte. Seine Brüder hätten einen Garten, darin seien zwölf Löwen, und den Schlüssel könne er bekommen, sagte der Troll zum Burschen, wenn er Lust habe, die Löwen zu melken. Der Bursche nahm einen Schlüssel und einen Melkeimer und ging. Als er den Garten aufschloß und eintrat, stellten alle Löwen sich auf die Hinterfüße und wollten auf ihn losgehen. Der Bursche suchte sich den größten heraus, packte ihn an den Vorderbeinen und schlug ihn gegen Stock und Stein, bis nichts mehr von ihm übrig war als die Pfoten. Als das die anderen sahen, bekamen sie große Angst und krochen herbei und legten sich zu seinen Füßen wie beschämte Hunde. Von da an folgten sie ihm auf Schritt und Tritt, und als er heimkam, legten sie sich vor die Tür, mit den Vorderpfoten auf die Türschwelle.
»Nun sollst du wieder gesund werden von der Löwenmilch, Mütterchen«, sagte der Bursche, als er heimkam; er hatte ein gehörig Teil in den Eimer gemolken. Aber der Troll lag auf dem Bett und schwor, das sei nicht wahr. Dazu gehöre ein anderer Kerl, um die Löwen zu melken. Als der Bursche das hörte, jagte er den Troll vom Bette und riß die Tür auf. Die Löwen stiegen an dem Troll in die Höhe und packten ihn, und der Bursche mußte sich ins Zeug legen und ihn aus ihren Klauen befreien.
In der Nacht verhandelte der Troll wieder mit der Frau. »Ich weiß nicht, wie wir diesen Burschen umbringen können«, sagte der Troll, »er ist viel zu stark. Weißt du kein Mittel?« sagte er zur Frau. »Nein, wenn du keinen Ausweg weißt – ich weiß keinen«, gab die Frau zurück.
»Ja, ich habe zwei Brüder auf einem Schloß«, sagte wieder der Troll, »die sind zwölfmal stärker als ich, und deshalb verstießen sie mich und gaben mir nur den Hof. Aber sie wohnen im Schloß, und da ist ein Obstgarten dabei, darin wachsen Äpfel, und wer davon ißt, der schläft drei geschlagene Tage lang. Wenn wir den Burschen dorthin schicken und Äpfel holen lassen könnten! Wir sagen ihm, er dürfe ruhig auch davon versuchen, und wenn er nur erst schläft, so reißen ihn meine Brüder in Stücke.« Die Frau sagte, sie wolle sich krank stellen und sagen, sie könne nicht wieder gesund werden, wenn sie nicht von den Äpfeln bekäme; dann werde er schon gehen. Der Bursche lag wach und hörte alles. Am Morgen war die Frau krank und elend und schrie Ach und Weh, und sie könne nicht wieder gesund werden, wenn sie nicht von den Äpfeln bekäme aus dem Garten, der den Brüdern des Trolls gehörte, aber sie habe ja niemand dorthin zu schicken.
Der Bursche war sogleich bereit hinzugehen. Jedoch die elf Löwen gingen auch mit. Als er in den Garten kam, kletterte er an dem Apfelbaum hinauf und aß so viele Äpfel, wie er konnte, und kaum war er wieder unten, so schlief er ein, aber die Löwen legten sich im Kreise um ihn her. Am dritten Tage kamen die Brüder des Trolls, aber nicht in Menschengestalt; brüllend kamen sie angerannt wie tolle Stiere und wollten wissen, was das für einer sei, der sich hierhergelegt hatte. Sie sagten, sie wollten ihn zu Staub und Asche zermalmen, daß nicht ein Fetzchen von ihm übrigbleiben solle. Aber die Löwen fuhren auf und rissen die Trolle in kleine Stücke, daß es aussah, als ob man eine Kehrichttonne umgeworfen hätte, und als sie damit fertig waren, legten sie sich wieder um den Burschen her. Der Bursche erwachte erst spät am Nachmittag, und als er sich aufrichtete und sich den Schlaf aus den Augen rieb, wunderte er sich, was da wohl los gewesen sein könnte, als er die Fußstapfen ringsumher sah. Aber als der Bursche ins Schloß eintrat, fand er da eine schöne Jungfrau, die alles gesehen hatte. Die sagte: »Du kannst Gott danken, daß du bei dem Kampf nicht dabei warst, sonst hätte es dein Leben gekostet.«
»Was, mein Leben gekostet?« sagte der Bursche. Das sei doch nicht in Gefahr, meinte er. Da bat sie ihn, hereinzukommen, damit sie miteinander sprechen könnten, sie habe keinen Christenmenschen gesehen, seit sie hier sei. Als er die Tür aufmachte, wollten die Löwen auch mit hinein, aber das Mädchen hatte solche Angst vor ihnen, daß sie aufschrie, und da hieß der Bursche die Löwen draußen liegen bleiben. Nun redeten sie über viel und vielerlei, und der Bursche fragte sie, warum sie, die doch so schön sei, bei den häßlichen Trollen sein wolle. Sie habe nie etwas von den Trollen wissen wollen, sagte sie, und sie sei nicht aus freiem Willen hier, die Trolle hätten sie geraubt, sie sei die Tochter des Königs von Arabien. Wie sie weiterredeten, fragte die Königstochter, was denn der Bursche lieber wolle, ob sie heimreisen solle oder ob er sie heiraten wolle. »Ja, freilich wolle er sie heiraten, und sie solle nicht heimreisen.« Dann gingen sie durchs Schloß und schauten sich um, und schließlich kamen sie in einen großen Saal, da hingen hoch oben an der Wand zwei gewaltige Schwerter, die den Trollen gehört hatten. »Wenn du so stark wärest, daß du eins von diesen Schwertern brauchen könntest!« sagte die Prinzessin.
»Wer, ich?« fragte der Bursche. »Ich soll eins von diesen Schwertern brauchen können? Das ist doch gar nicht schwer!« Und er stellte zwei, drei Stühle aufeinander, kletterte hinauf und packte das größte Schwert beim Griff, warf es in die Luft und fing es im Fluge wieder auf und stieß es auf den Fußboden, daß der ganze Saal wackelte. Als er wieder heruntergestiegen war, nahm er es unter den Arm und trug es mit sich. Nachdem sie eine Weile in dem Schloß zusammengewesen waren, meinte die Prinzessin, sie wolle zu ihren Eltern reisen und ihnen erzählen, wie es ihr ergangen sei. Sie beluden ein Schiff, und sie reiste davon.
Als sie fort und der Bursche noch eine Weile in dem Schloß herumgestreift war, fiel ihm ein, daß er ja einen Auftrag hatte und daß er eine heilsame Frucht für seine Mutter holen sollte. Aber er dachte, die Frau war nicht so krank, daß sie nicht jetzt wieder heil und gesund sein sollte; trotzdem aber wollte er sehen, wie es ihnen ginge. Dem Mann ging es gut, und die Frau war auch schon längst wieder gesund.
»Ihr seid ja jämmerlich daran hier in der armseligen Hütte, kommt mit mir auf mein Schloß, da werdet ihr sehen, daß ich ein anderer Kerl bin«, sagte der Bursche. Der Mann und die Frau gingen mit ihm, und unterwegs plauderten sie freundlich mit ihm und fragten ihn, wie er denn so stark geworden sei.
Ja, das komme von dem blauen Band, das er damals auf dem Berg gefunden habe, als sie vom Betteln heimwanderten, sagte der Bursche.
»Hast du es noch?« fragte die Frau. Ja, er habe es unter seinem Hosenbund, sagte der Bursche. Die Frau wollte es sehen. Da knöpfte er die Jacke auf und den Brustlatz und wollte es ihr zeigen. Aber die Frau griff mit beiden Händen zu, riß es ihm weg und wickelte es um ihre Hand. »Was soll ich mit dir machen, elender Lump, der du bist!«schrie sie. »Schlagen sollte man dich, daß das Hirn herausspritzt.« – »Das wäre ein zu leichter Tod für einen solchen Taugenichts!« sagte der Troll. »Wir sollten ihm die Augen ausbrennen und ihn in einem kleinen Boot aufs Meer aussetzen.«
Das taten sie auch, sosehr der Bursche bettelte und jammerte, aber als das Boot wegschwamm, schwammen die Löwen hinterdrein, und schließlich packten sie das Boot und zogen es zu einer Insel und setzten den Burschen unter eine Föhre. Sie fingen Wild für ihn und rupften die Vögel und brachten ihm ein ganzes Daunenbett zusammen. Aber er mußte alles roh essen, und blind war er auch. Eines Tages jagte der größte Löwe einen Hasen, und der war blind, denn er lief über Stock und Stein, und schließlich rannte er an einen Föhrenbusch und fiel so Hals über Kopf hinunter in einen Teich. Aber als der Hase wieder aus dein Wasser heraus war, fand er den Weg so gut, daß er dem Löwen entkam. ‚Na, na‘, dachte der Löwe, zog den Burschen zum Teich und tauchte ihn hinein. Als der Bursche nun wieder sehen konnte, ging er hinunter ans Meer, bedeutete seinen Löwen, sie sollten sich dicht nebeneinanderlegen wie ein Floß, und stellte sich auf ihre Rücken, und so schwammen sie mit ihm ans Land. Als sie gelandet waren, ging er auf einen Birkenhügel, und die Löwen hieß er sich legen. Dann schlich er zum Schlosse hin wie ein Dieb, um zu sehen, ob er nicht wieder zu seinem Bande kommen könnte, und als er zur Tür kam, schaute er durchs Schlüsselloch hinein und sah, daß das Band über einer Tür in der Küche hing. Nun stahl er sich durch den Hausgang hinein, denn es war niemand da. Als er aber das Band an sich genommen hatte, fing er an, mit den Füßen zu stampfen und zu trampeln wie verrückt. Da kam die Frau herausgefaucht.
»Liebster, bester Kleiner, gib mir das Band wieder!« sagte sie. »Nein, danke, nun sollst du das gleiche Schicksal haben, das du mir gewünscht hast«, sagte der Bursche, und er tat ihr das gleiche an. Als der Troll das hörte, kam er herein und bat de- und wehmütig, man möge ihn doch nicht erschlagen. »Ja, du sollst am Leben bleiben, aber du bekommst die gleiche Strafe, die du mir angetan hast«, sagte der Bursche und brannte ihm die Augen aus und setzte ihn in einem Boot aufs Meer, aber er hatte keine Löwen, die ihm folgten.
Nun war der Bursche allein, und da bekam er Sehnsucht nach der Prinzessin. Schließlich konnte er es nicht mehr länger aushalten, er hatte solches Heimweh nach ihr, daß er zu ihr reisen mußte. Da lud er vier Schiffe und wollte zu ihr nach Arabien segeln. Eine Zeitlang hatte er schönes ruhiges Wetter, aber auf einmal blieben sie ohne Wind bei einer Berginsel liegen. Da gingen die Schiffsleute an Land und tummelten sich zum Zeitvertreib herum. Dort fanden sie ein gewaltiges Ei, fast so groß wie ein kleines Haus. Sie fingen an, mit großen Steinen darauf einzuschlagen und zu hauen, aber sie waren nicht imstande, die Schale zu zerbrechen. Der Bursche kam nach mit seinem Schwert und wollte sehen, was da für ein Lärm war. Als er das Ei erblickte, meinte er, das sei doch leicht, das Ei zu zerbrechen, hieb mit seinem Schwert zu, daß die Schale sprang, und es kam ein Vogel heraus so groß wie ein Elefant.
»Nun haben wir etwas Dummes gemacht«, sagte der Bursche, »das kann uns das Leben kosten.« Und er fragte die Schiffsleute, ob sie nach Arabien bei gutem Wind in vierundzwanzig Stunden segeln könnten. Ja, das könnten sie schon, meinten die Leute. Sie hatten guten Wind, segelten fort und gingen in Arabien nach dreiundzwanzig Stunden an Land. Gleich befahl der Bursche den Leuten, sich in einen Sandhügel einzugraben, daß sie kaum mehr die Schiffe im Auge behalten konnten. Der Bursche und der Steuermann gingen auf einen hohen Berg und setzten sich unter eine Fichte. Nach einer Weile kam der Vogel mit der Insel in den Klauen und ließ sie auf die Schiffe fallen, daß sie sanken. Als er das getan hatte, ging er auf den Sandhügel und schlug mit den Flügeln, daß es den Leuten fast die Köpfe abgerissen hätte, und dann fuhr er hinauf unter die Fichte, so gewaltig, daß es den Burschen um und um drehte. Aber der Bursche hatte sein Schwert bereit und führte einen Schlag auf den Vogel, daß er tot zu Boden fiel. Dann ging er in die Stadt, und da herrschte große Freude, weil der König seine Tochter wiederbekommen hatte. Aber jetzt hatte er sie selbst versteckt und bekanntmachen lassen, daß sie derjenige, der sie finde, zur Frau haben solle, obgleich sie schon versprochen sei.
In der Stadt traf der Bursche einen, der weiße Bärenfelle verkaufte; er kaufte ein Fell und zog es an. Der eine Schiffer mußte eine eiserne Kette kaufen und ihn daran führen, und so zogen sie in der Stadt herum und zeigten ihre Künste. Schließlich hörte der König, man habe noch nie so etwas Lustiges gesehen: ein weißer Bär tanze auf alle Arten, ganz nach Kommando. Also wurden sie zum König gerufen und sollten da ihre Künste zum besten geben, der König wollte es auch sehen. Als sie kamen, hatten alle Leute Angst, denn es hatte noch niemand ein solches Tier gesehen. Aber der Schiffer sagte, es sei gar keine Gefahr dabei, nur lachen dürfe man nicht; wenn sie lachten, würde der Bär sie umbringen. Als der König das hörte, ermahnte er seine Leute, daß sie ja nicht lachten. Aber mitten unter der Vorstellung kam des Königs Magd herein und fing an, sich auszuschütten vor Lachen; da fuhr der Bär auf sie los und riß sie in Fetzen. Die Leute vom Hof begannen zu jammern und der Schiffer am allermeisten. »Ach was«, sagte der König, »es ist ja nur eine Magd, und das ist meine Sache und nicht eure.«
Als die Vorstellung fertig war, war es spät am Abend. »Es ist nicht der Mühe wert, daß du dich mit dem Bären heute noch auf den Weg machst«, sagte der König, »der kann über Nacht hierbleiben.« – »Soll er sich hinter den Ofen legen?« fragte der Schiffer. »Nein, er soll auf Daunen und Kissen liegen«, sagte der König und brachte einen ganzen Haufen herbei. Der Schiffer sollte in der Kammer nebenan schlafen. Um Mitternacht kam der König mit Licht und einem großen Schlüsselbund und nahm den weißen Bären mit. Er ging durch einen Gang nach dem anderen, durch Türen und Gemächer, treppauf und treppab. Schließlich kamen sie hinaus zu einer Brücke, die ins Meer führte. Da fing der König an, an Schrauben und Pflöcken zu drehen und zu rütteln und zog die einen auf und die andern hinunter, bis ein Häuschen aus dem Meer heraufgeschwommen kam. Darin hatte er seine Tochter. Denn er hatte sie so gern, daß er sie versteckt hielt, damit sie keiner finde. Er ließ den weißen Bären außen vor der Tür sitzen, während er hineinging und von ihm und seinem Tanz und seiner Schauspielerei erzählte. Seine Tochter sagte, sie habe Angst und wage nicht zuzusehen. Aber der König redete ihr zu und meinte, es sei gar keine Gefahr dabei, wenn sie nur nicht lache. Also ließ er den Bären herein, und der tanzte und machte Kunststücke, aber auf einmal fing die Magd der Prinzessin an zu lachen. Da fuhr der Bursche auf sie los und riß sie in Stücke. Die Prinzessin jammerte und klagte sehr.
»Ach was«, sagte der König, »es ist ja nur eine Magd, und so eine will ich dir schon wieder verschaffen. Aber nun wird es am besten sein, wenn der Bär hierbleibt«, sagte er, »denn ich habe keine Lust, bei nachtschlafender Zeit mit ihm durch alle Hausgänge zu rennen.« – Da wolle sie aber nicht dabeibleiben, meinte die Prinzessin. Doch der Bär rollte sich zusammen und legte sich hinter den Ofen, und schließlich legte sich auch die Prinzessin und ließ ihr Licht brennen.
Als der König fort war und alles still wurde, kam der weiße Bär und bat die Prinzessin, sie möge ihm das Halsband abnehmen. Die Prinzessin erschrak so, daß sie bald in Ohnmacht gefallen wäre, aber sie suchte, bis sie das Schloß fand, und kaum hatte sie das Halsband gelöst, so riß der Bär sich den Kopf ab. Da erkannte sie ihn und freute sich über alle Maßen und wollte gleich bekanntgegeben, daß er es sei, der sie befreit habe. Aber er wollte das nicht haben, er wollte sie sich noch einmal verdienen. Als sie am Morgen den König an den Pflöcken hantieren hörten, zog der Bursche die Bärenhaut wieder über und legte sich hinter den Ofen. »Nun, war er brav?« fragte der König.
»O freilich«, sagte die Prinzessin, »er hat sich nicht einmal gerührt.« Auf dem Schloß nahm der Schiffer seinen Bären wieder in Empfang. Aber da ging der Bursche zu einem Schneidermeister und bestellte Prinzenkleider, und als sie fertig waren, ging er zum König hinauf und sagte, er wolle die Prinzessin finden. »Das haben schon viele gewollt«, sagte der König, »aber es hat ihnen das Leben gekostet, denn wer sie nicht in vierundzwanzig Stunden findet, hat sein Leben verwirkt.« Damit habe es keine Gefahr, meinte der Bursche, er wolle sie suchen, und wenn er sie nicht finde, so sei das seine Sache.
Aber auf dem Schloß war ein Spielmann, der spielte zum Tanz auf, und Mädchen waren da, und der Bursche tanzte. Nach zwölf Stunden kam der König und sagte: »Es ist doch schade um dich; du suchst so ungeschickt, daß es dein Leben kosten wird.« – »Ach was, es hat keine Gefahr mit dem Leichnam, solange er noch schnauft, wir haben ja Zeit vor uns«, sagte der Bursche und tanzte, bis nur noch eine Stunde übrig war, dann wollte er zu suchen anfangen. »Ach, das nützt nichts«, meinte der König, »jetzt ist die Zeit abgelaufen.«
»Zünd das Licht an und komm mit deinem großen Schlüsselbund«, befahl der Bursche, »und geh mit mir, wohin ich gehe. Wir haben noch eine ganze Stunde.« Der Bursche ging den gleichen Weg, den der König in der vorigen Nacht gegangen war, und hieß den König alle Türen vor ihm aufschließen, bis sie an die Brücke kamen, die ins Meer hinausführte.
»Nun nützt es nichts mehr, die Zeit ist um, und du läufst gerade ins Meer hinaus«, sagte der König.
»Es sind noch fünf Minuten«, sagte der Bursche und riß und zerrte an den Pflöcken und Schrauben, daß das Haus heraufgeschwommen kam.
»Nun ist die Zeit um«, schrie der König, »komm nun, mein Henker, und schneid ihm den Kopf ab!«
»Nein, wart ein wenig«, sagte der Bursche, »es sind noch drei Minuten! Komm mit dem Schlüssel, daß ich hineinkann!«
Der König stand da und suchte nach dem Schlüssel und sagte, er könne ihn nicht finden, um die Zeit verstreichen zu lassen. »Hast du ihn nicht, so habe ich selber einen«, sagte der Bursche und stemmte sich gegen die Tür, daß sie in Stücken auf dem Boden lag. Die Prinzessin kam ihm an der Tür entgegen und sagte, er sei ihr Befreier und sie wolle ihn heiraten. Sie bekam ihn, und der Bursche hielt Hochzeit mit der Königstochter von Arabien.
[Norwegen: Klara Stroebe: Nordische Volksmärchen]