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Das Feuer

1.5
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Die Sonnenstrahlen tanzten über das ganze Indianerland. Nur bis in das Tiefe Tal vermochten sie nicht zu dringen. Dort herrschte noch immer Kälte, streng und unerbittlich wie ehedem, und jegliches Getier, bis auf den Bären, der einen dicken, warmen Pelz hatte, war ihr auf Gnade und Ungnade ausgeliefert.
Einmal brach ein fürchterliches Unwetter los. Es peitschte und entwurzelte die Bäume, zertrümmerte die Felsen und vernichtete auch sonst alles, was ihm in den Weg kam. Auf einer kleinen Insel inmitten des Großen Wassers stand eine Sykomore. Sie allein ließ sich durch das Toben ringsum nicht stören. Sie sang ein Lied von der Schönheit des Sommers und trotzte lachend den entfesslten Elementen. Aber dadurch wurde die Wut des
Unwetters nur noch größer.
„Ich töte dich!“ brüllte der Donner und traf den tapferen Baum mitten ins Herz. Aber was war denn das? Das Lied ging weiter! Das zündende Feuer im Herzen der Sykomore hatte die Wellen auf dem See zum Klingen gebracht, sie trugen den Gesang ans Ufer, und von dort trat er seinen Flug über das ganze Land an. Das Unwetter war müde geworden. Der Tag brach an, und da wendete es sch langsam, eine unvorstellbare Verwüstung zurücklassend, in der Richtung gegen Mitternacht. Der Donner trampelte neben ihm her und warf grollende Blicke nach der Sykomore zurück. Aber der Baum hatte schon aufgehört zu singen, den das Feuer hatte Stamm und Äste verzehrt, und zu dem himmlischen Wigwam stiegen blaue Rauchsäulen empor. Auch im Tiefen Tal hatte man den Rauch bemerkt. Der Falke hob sich in die Lüfte und beschattete seine Augen.
„Feuer!“ rief er hinunter. „Auf der Insel brennt es!“
„Feuer? Wie sieht denn das Feuer aus?“ fragten die Tiere. „Es ist rot gelb und hat eine singende Stimme, aber was es ist, das weiß ich auch nicht“, entgegnete der Falke und zuckte unsicher die Flügel.
„Das Feuer ist unser Freund“, sagte die Spinne. „Wenn wir es in unser kaltes Tal holen, wird es uns seine Wärme schenken. Wenn ihr wollt, bringe ich es euch…..“
„Du? höhnte die Eule. „Haha, du mit deinen krummen Beinen, das würde ja noch länger dauern als ein Bärenschlaf, ehe du wiederkämst. Ich hole es!“ Sie schwang sich von ihrem Ast in die Luft und flog den Inseln zu. Aber ihr Vorhaben war schwieriger, als sie es sich vorgestellt hatte. Nachdem sie endlich ein Stückchen Glut gefunden und es sich auf den Rücken geladen hatte, stieß sie einen Schmerzensschrei aus und schüttelte so schnell wie sie konnte wieder ab. Ihr Gefieder war arg versengt, und sie mußte froh sein, überhaupt wieder die Heimat zu erreichen.
Beschämt ließ sie sich auf einen Ast nieder und sagte: „Das Feuer will nichts mit uns zu schaffen haben. Es hat kein einziges Wort mit mir gesprochen und hätte mich fast ums Leben gebracht!“
„Ach was, ich habe eine dicke Haut“, rühmte sich die Klapperschlange, „das wäre doch gelacht, wenn ich mit so etwas nicht fertig würde!“ Aber auch sie wurde von dem brennenden Schmerz, den ihr die Berührung mit dem Feuer bereitet hatte, wieder heimgetrieben. „Das Feuer hat eine überaus große Kraft“, erklärte sie den Tieren, nachdem sie verrichteter Dinge zurückgekommen war.
„Es hat mich am ganzen Leibe verbrannt!“
Seht nur, wie rot meine Haut ist! Keinem einzigen von uns wird es gelingen, es von seiner Insel wegzulocken.“
„Vergeßt nicht, daß ich auch noch da bin! Warum sollte ich nicht imstande sein, das Feuer herbeizuschaffen? Ich verstehe damit umzugehen“, sagte die Spinne.
Obzwar ihr die wenigsten Glauben schenkten, wagte es nun niemand mehr, sie zu verhöhnen. Nur waren alle neugierig, ob sie ihr Wort halten würde. Die Spinne ließ sich Zeit. Sie schleppte einen großen Sack herbei, band ihn sorgsam zu und warf ihn sich über den Rücken. Dann ging sie los.
Der Weg wollte kein Ende nehmen. Ihre gekrümmten Beinchen überwanden nur mit großer Mühe die Hindernisse, und als sie durch das Wasser mußte, wurde sie von den Wellen hin – und hergeworfen. Auch der Sack machte ihr viel zu schaffen, denn er schien sie ständig in die Tiefe ziehen zu wollen. Was Wunder, daß sie überglücklich war, als sie endlich den Boden der Insel unter den Füßen fühlte! Kaum hatte sie sich ein wenig ausgeruht, machte sie sich an die Arbeit. Sie zog einen endlos langen Faden aus dem Sack und umwickelte damit das röteste Glutstück, bis nichts mehr davon zu sehen war.
Während dieser Arbeit tanzte sie den Beschwörungstanz der Spinnen, damit das Feuer dem Faden nichts anhaben konnte.
Als sie fertig war, schob sie die kostbare Beute in den Sack und machte sich auf den Rückweg. Voller Ungeduld umringten die Tiere den heimgekehrten Wanderer. Die Spinne schüttete das Feuer auf die Erde und sprach:
„Die standhafte Sykomore schickt uns einen Freund, der uns auch bei härtestem Frost Wärme spenden wird. Aber wenn er nicht auskühlen soll, braucht er Nahrung.“
Hoffentlich frißt er uns nicht die Vorräte weg!“ sagte der Hamster besorgt.
„Das Feuer nährt sich nur vom trockenem Holz“, beschwichtigte ihn die Spinne, „du kannst unbesorgt sein.“
„Aber das Holz ist doch jetzt nach dem Gewitter ganz naß!“ – „Ich will dem Feuer meine Rinde geben, die wird auch brennen, wenn sie naß ist!“ rief die Birke hilfsbereit und ließ auch schon ein großes weißes Rindenstück fallen. Das Eichhörnchen riß einen Streifen davon ab und legte ihn auf die Glut. Da züngelt ein goldrotes Flämmchen heraus, das wuchs und wuchs und vertrieb die Kälte. Sie ließen das Feuer nie wieder verlöchen. Das Eichhörnchen hütete es während des ganzen Tages, und am Abend setzten sich dann alle Tiere rings im Kreis herum und sangen ein Lied.

Quelle: Sage der Cherokee Nordamerika

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