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Das Fräulein von St. Gilles

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Es war einmal ein Graf in Piktenland und der hatte von seiner trefflichen, adeligen Gemahlin, die schon verstorben war, einen Sohn und eine Tochter. Als er nun einmal die Schönheit seiner Tochter betrachtete, stiegen böse Wünsche in ihm auf, und er setzte ihr hart zu mit Liebkosungen und Drohungen; sie aber, gefestigt in Keuschheit und Reinheit, widerstand, gleich wie ein Mann, seiner Bosheit und schrie, da er auf seinem frevelhaften Vorsatz, weidlich. Ihr Bruder weilte in Bologna, wohin er gezogen war, um der Wissenschaft obzuliegen, und so rief sie, da sie sonst niemand hatte, dem sie hätte völlig vertrauen können, ihre Amme, und tat ihr das traurige Geheimnis kund. Ebenso betroffen über die Bosheit des Vaters wie über die Standhaftigkeit des Mägdleins, riet ihr die Amme, dieser Gelegenheit der Sünde zu entfliehen, und so gingen sie Nachts, nicht ohne Kleinode und Geld mitgenommen zu haben, auf und davon. Sie gelangten schließlich nach St. Gilles, und da ihnen das Geld schon zu mangeln begann, so gingen sie zu der Gräfin von St.Gilles und baten sie um des Lebens Notdurft. Ob der Schönheit und Unschuld, die aus dem Antlitz des Fräuleins strahlte, nahm sie sich ihrer, gleich einer Tochter an, und die Amme behielt sie ihr zur Gesellschaft; und das Fräulein ließ nicht ab, Gott und die heilige Jungfrau um Bewahrung ihrer Keuschheit zu bitten.

Nun wurde bei dem Grafen von St. Gilles der Königssohn Arelat von Burgund erzogen, und als der ihre adelige Ehrbarkeit sah, verliebte er sich von Herzen an sie. Ihm aber wollte seine Mutter, die Königin von Arelat, die auf einem Schloss in der Nähe wohnte, die Tochter des Königs von Frankreich vermählen; da beschied er sie, nie werde er eine andere zur Gattin nehmen als Margarete, das Fräulein von St.Gilles. Es versammelte sich die gesamte Blutsfreundschaft, aber all ihren Bitten gelang es nicht, seinen Sinn zu brechen, und so wurde schließlich das Fräulein entboten und mit ihm vermählt, und das war der Beginn einer tödlichen Feindschaft der Königin von Arelat und ihrer Schwiegertochter. Der Königssohn ging ein zu ihr, und sie empfing, und als der Tag ihrer Entbindung nahe war, mußte er als neuer König von Arelat in einen Kampf ziehen, und das war ihm gar zu hart. In dem vollen Vertrauen, das er in die Gräfin von St.Gilles setzte, die ihn erzogen hatte, befahl er ihr seine schwangere Gattin innig und bat sie, ihm sofort nach der Geburt Nachricht zu geben und ihm alles, was sich dabei verlaufen werde, anzuzeigen. Er schied, und seine Gattin genas eines wunderschönen Knäblein; sofort fertigte der Graf von St.Gilles einen Eilboten ab, um dem König das freudige Ereignis zu künden.

Der Bote aber, der sich auf seinem Ritte, eines Lohnes begierig, bei der Königin verweilte, wurde von ihr grausam getäuscht; denn in einem falschem Briefe sie, als wäre sie der Graf von St.Gilles, die Gattin des Königs habe einen Knaben mit einem Hundkopf geboren. Wie betrüblich auch diese Botschaft war, daß er schriftlich befahl, Mutter und Kind trefflich zu nähren und zu hüten. Auf dem Heimweg besuchte der Bote wieder die Königin; wieder machte sie ihn trunken, entwendete ihm das Schreiben und steckte an seiner Statt ein anderes dieses Inhalts in die Hülse: Der König grüßt den Grafen. Da wir sichere Kenntnisnahme haben von der Niedrigkeit und Schlechtigkeit unserer Gattin, befehlen wir dir bei der Strafe des Verlustes unserer Liebe, Mutter und Kind zu töten, auf daß ich nach meiner Rückkehr ein edles, schönes Fräulein in Ehren heimführen kann. Als der Graf den Brief las, kamen ihm, dem harten Ritter, die Tränen; trotzdem aber eröffnete er der noch im Wochenbette liegenden Herrin den enthaltenen Auftrag und hieß sie, aufzustehen und sich in die Hände der Mörder zu begeben.

Sie erhob sich, fiel auf die Knie und rief Gott an: „Herr, der du Keuschheit und Wahrheit liebst, bewahre mich vor jeglicher Sünde und vor diesem Leid!“ Und in der Nacht führte sie die Henker samt ihres Söhnleins hinaus in den Wald, um sie zu töten. Als sie aber den Knaben genommen und die Schwerter gezogen hatten und ihn töten (stand abschlachten) wollten, begann er zu lächeln. Darob überkam sie Mitleid, und sie sagten untereinander: „Bringen wir nur die Mutter um und schonen wir den Sohn, so wird er durch Hunger zugrunde gehen.“ Beide aber zu töten, trugen sie Scheu, und so sagten sie zu der Mutter: „Wolltest du fliehen und in ferne Lande ziehen, wo man dich nicht kennt, so würden wir dir um des Knaben willen das Leben schenken.“ Sie dankte ihnen und segnete sie und ging mit dem Knaben.

Und sie bettelte sich durch die Fremde, bis sie endlich nach Bologna gelangte, wo einst ihr Bruder um der Wissenschaft willen gereist war, nun war er dort zum Bischof ernannt worden, und sie empfing von ihm, der tagtäglich für die Pilger sorgte, Almosen. Einem Geistlichen in seinem Gefolge fielen ihre Schönheit und des Knabens Lieblichkeit auf, und so bat er den Bischof das junge Weib in dem Hause einer vornehmen Frau unterzubringen, damit sie nicht, in der Welt umherstreifend, andern zum Ärgernis werde. Dieser Bitte schenkte der Bischof Gehör und wies ihr reichlichen Unterhalt zu.

Unterdessen war der König aus dem Felde heimgekehrt und forderte von dem Grafen von St.Gilles Gattin und Sohn. Verwundert wies dieser den Brief vor, der den Tod beider befahl. Der Bote wurde gerufen und über seine Reise befragt; da wurde denn befunden, daß die Mutter des Königs den Befehl gefälscht hatte. Die Henker wurden gerufen, und alles weinte bitterlich, und der König fragte sie um die Begräbnisstätte der Gattin und des Sohnes, von denen er sich nimmer trennen wollte. Die Henker führten ihn in den Wald; weil sie aber nun die Wahrheit nicht mehr verhehlen konnten, gestanden sie, wie sie den Knaben aus Mitleid geschont hätten und die Mutter mit ihm. Da zog Freude ein in das Herz des Königs und er schwor sein Reich nicht wieder zu betreten, bevor er sichere Nachrichten von ihnen in Erfahrung gebracht haben werde; und nachdem er die königlichen Gewänder an die Armen verteilt und niedrige Kleidung angelegt hatte, machte er sich auf den Weg.

Almosen heischend, forschte er allenthalben nach seinen Lieben, indem er die Gattin nach deutlichen Zeichen beschrieb. Von andern Bettlern gewann er Kenntnis welchen Weg sie genommen hatten, und so folgte er ihren Spuren, die ihn nach Bologna führten. Eines Tages empfing auch er das Almosen des Bischofs; weil er aber an ihm weder Siechtum noch sonst ein Zwang wahrzunehmen war, sondern nur die Demut, womit er dieses Almosen empfing, rief ihn der Bischof in sein Gemach und befragte ihn nach der Ursache seines Wanderns. Da er nun der Reihe nach alles, was sich zugetragen hatte, erzählte, erriet der Bischof, daß die Frau, für die er mildtätig sorgte, seine Gattin war. Dem König sagte er nichts davon, aber die junge Frau beschied er samt der Herrin, bei der sie weilte, zu sich und befragte sie um ihre Abkunft und ihre Verhältnisse; so fand er, daß sie seine Schwester war und die Gattin des Königs von Burgung. Und ihn und sie lud er für den nächsten Tag zu einem Mahle; bevor man aber zu Tische ging, ließ er Mutter und Sohn in königlichen Gewändern kleiden, und als alle versammelt war, führte er sie samt ihrem Knaben dem Gemahle zu. Jubelnd fiel ihr der um den Hals, um sie zu küssen, und war nicht zu lösen aus der Umarmung der Gattin.
Da rief der Bischof weinend: „Liebster, laß sie mir auch ein wenig; ich bin doch ihr leiblicher Bruder, der Grafensohn von Piktenland!“
Und er gab seiner Schwester die Grafschaft Piktenland, in der er seinem Vater gefolgt war, und entließ sie alle drei in Freuden mit großem Geleite in ihr Reich.

 
Märchen aus Schottland

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