Im Märchenwald dort wo die große, bunte Blumenwiese liegt, lebt in einer Hütte der Zwerg Vierblatt. Er ist Hüter eines kleinen Glückskleefeldes auf diesem herrlichen Fleckchen und pflegt und hegt diese Stelle, denn hier wachsen vier-, fünf- und sechsblättrige Kleeblätter. Sogar ein siebenblättriges hat man schon gefunden.
Die Zwerge, die unweit der Blumenwiese leben, kommen fast täglich vorbei, um nach den begehrten Blättlein zu suchen. Findet jemand ein vierblättriges Kleeblatt, so hat er an diesem Tag noch Glück. Ein fünfblättriges erfüllt einen Wunsch. Je mehr Blätter der Klee hat, desto wertvoller ist er in den Augen des Suchenden.
Der kleine Mann legt sich an diesem Abend sehr früh schlafen, denn er will am nächsten Tag den Boden des Kleefeldes auflockern. Dazu möchte er ausgeruht sein. Kurz lauscht er noch, da er durchs offene Fenster glaubt, merkwürdiges Gebrabbel und kleine, flinke Füße zu hören. Doch schon bald ist es wieder ruhig, nur die Äste in den Bäumen rauschen und begleiten ihn in einen tiefen und festen Schlaf.
Um Mitternacht kommen einige Rehe und fressen den gesamten Glücksklee vom Feld. Nicht ein Hälmchen ist mehr übrig.
Als Vierblatt die Bescherung am nächsten Morgen erblickt und die Hufspuren der Rehe erkennt, ist er außer sich. Er schimpft lauthals: „Ihr Nichtsnutze! Ihr habt nicht nur alles aufgefressen. Nein! In eurer Dreistigkeit habt ihr auch noch alles zertrampelt!“
Vierblatt setzt sich verzweifelt auf die kleine Bank vor seinem Häuschen, verschränkt die Arme vor der Brust und grummelt vor sich hin: „Wie kann es nur möglich sein, dass die Rehe plötzlich so bösartig sind? Schließlich nützt der Klee ihnen doch eigentlich nichts. Außer, dass sie einen vollen Bauch haben, passiert da überhaupt gar nichts! Oder vielleicht doch?“ Es bleibt ihm nur übrig, die Rehe zu suchen, dann wird er schon weitersehen. Nach gar nicht langer Zeit findet er sie in eigenartiger und höchst unbequemer Stellung hockend unter der großen Linde.
„Was ist denn das nun wieder?“, staunt Vierblatt und stupst einige von ihnen an. Doch sie starrten unverwandt durch ihn hindurch, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Das reizt den Zwerg noch mehr und er schreit: „Warum habt ihr mein Kleefeld auf der großen Blumenwiese abgefressen? Jetzt dauert es bis zum nächsten Jahr, ehe dort wieder Glücksklee wächst. Ein Jahr lang wird es keine Wünsche geben und Glück schon dreimal nicht. Das ist ganz allein eure Schuld!“
Doch die Rehe reagieren nicht, als wären sie taub und blind.
Vierblatt ist verwirrt und kommt zu dem Schluss: „Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu. Irgendjemand hat die Rehe vergiftet oder verhext. Aber wer? Wer kann ein Interesse daran haben, dass mein Glücksklee futsch ist? … Natürlich! Wieso bin ich nicht gleich darauf gekommen? Das kann nur das Werk des Zauberers Dreikater sein. Das kriegt er zurück, das schwör ich ihm!“, schnaubt Vierblatt und macht sich auf den Weg zu seinem Freund, der immer einen guten Rat weiß.
Der Zauberer Dreikater ist ein ganz gemeiner Schuft. Er hat auf der anderen Seite des Märchenwaldes auch ein Kleefeld, lässt aber keinen Menschen, auch keinen Zwerg, darauf nach Glück suchen. Die Kleeblätter, die er züchtet, verkauft er auf dem Bauernmarkt und lässt sie sich überteuert bezahlen. Dass die Kleeblätter kein Glück bringen, wenn man sie kauft – wer weiß das schon!
Bei seinem Freund Doktor Pille angekommen, erzählt er bei einer Tasse Brombeertee von dem Vorfall. Beide überlegen angestrengt. Vierblatt denkt laut vor sich hin: „Zuerst einmal müssen wir die armen Rehe wieder zum Leben erwecken. Aber wie?“
„Wir müssen vom Kleefeld des bösen Zauberers reine Blätter holen und diese den Rehen zu fressen geben. Dazu brauchen wir nur ein paar, damit sie aus der Starre erwachen. Dann werden wir sie zum Feld von Dreikater führen und alles ratzekahl abfressen lassen. So werden sie wieder gesund. Zur Sicherheit werde ich aber noch mit meinem eigenen Mittelchen nachhelfen“, spricht der Doktor grinsend, schließlich will er seine kleinen Geheimnisse niemandem preisgeben, auch nicht seinem besten Freund.
„Aber wie stellen wir das an?“, fragt Vierblatt. „Das Feld wird von einem wilden und bösartigen Bär bewacht, der durch einen Zauber dem bösen Dreikater hörig ist wie ein Hündchen.“
„Ich weiß! Doch dazu habe ich auch schon eine Idee“, antwortet Doktor Pille. „Pass auf! Honig fressen alle Bären gern. In der alten, knorrigen Eiche neben deinem Häuschen wohnt doch seit einigen Jahren ein Bienenvolk, das von deinem Feld den Blütenstaub sammelt. Wenn Dreikater dein Feld verhext hat, geben uns die Bienen den Honig gern, da sie ihn im Winter nicht fressen können. Sie würden sich ja selbst vernichten. Den Honig aber geben wir dem Bären. Dann verfällt er in die gleiche Starre wie die Rehe und wir haben freie Hand.“
Gesagt, getan! Die Bienen geben den beiden Zwergen die für sie wertlos gewordenen Honigwaben. Damit machen sich die beiden kleinen Männer auf den Weg zum Kleefeld von Dreikater. Vorsichtig hängen sie die Waben in einen Baum am Rande des Feldes und verstecken sich. Der Bär hat bald den Honig erschnüffelt und kommt dem Baum mit den Waben in seinen Asten immer näher. Vor lauter Fresslust und Gier tropft ihm Speichel aus dem Maul und schon schmatzt er los. Für Honig würde er sterben! Welch köstlicher Schmaus! Es dauert nicht lange und der Zauber wirkt. Der Bär erstarrt und schaut genauso blicklos drein wie die Rehe unter der Linde.
Flink suchen Vierblatt und sein Freund nach den begehrten Pflänzchen und als der mitgebrachte kleine Sack gefüllt ist, machen sie sich auf den Rückweg.
Doktor Pille zerreibt die Blätter, rührt sein Pülverchen darunter, hält jedem Reh den Brei zum Schnuppern unter die Nase und der eingeatmete Duft lässt die Starre von ihnen weichen. Endlich stehen alle wieder auf ihren Beinen, ohne Schaden genommen zu haben. Doch sie sind noch benommen, willenlos und hörig. Doktor Pille gibt den Rehen ein Zeichen, dass sie ihm folgen sollen. So führt er die Tiere wie eine Schafherde zum Kleefeld von Dreikater. Wiederum setzt er sein gelbes Mittelchen ein, indem er es über das gesamte Feld pustet. Nun befiehlt Pille den Rehen, das gesamte Grün abzugrasen, was recht schnell vonstatten geht.
Das bleibt dem Zauberer nicht verborgen. Mit vor Wut hochrotem Kopf stapft er aus seiner Höhle heraus und kreischt nach dem Bären. Doch dieser kann seinen Herrn nicht hören.
Die Rehe und die beiden Freunde hasten in alle Richtungen davon. Dreikater stapft zurück in die Höhle und schlägt sein dickes Zauberbuch auf. Schnell findet er den gewünschten Gegenzauber und der Bär kann sich wieder bewegen. Sogleich steigt ihm der wunderbare Duft des Honigs erneut in die Nase. Schon patscht er nach einer Wabe, stopft sie in sich hinein und wie beim ersten Mal verfällt er dem gleichen Zauber.
„Der Kerl ist doch aber auch zu nichts zu gebrauchen!“, schimpft Dreikater und entdeckt die Honigwaben im Baum. Er sammelt sie ein und riecht an einer. „Doch nicht so dumm wie ich dachte“, murrt er vor sich hin. „Hat Vierblatt doch rausbekommen, dass ich seinen Klee mit Zauberpulver verhext habe. Aber dass mein Klee gesund macht, habe ich noch nicht gewusst.“ Dabei dachte er an die davonstiebenden Rehe. „Schön und gut! Trotzdem muss auch er bis zum nächsten Jahr warten.“
Mürrisch schaut er auf sein eigenes abgegrastes Glückskleefeld. Nun murmelt er ein paar Worte und tippt mit dem Zeigefinger dreimal auf die Stirn des Bären. Völlig verwirrt hebt das Tier die Pranke, versetzt Dreikater einen tödlichen Schlag und frisst wiederum an den herumliegenden Waben. Dreikater kann nun niemandem mehr schaden oder jemanden übers Ohr hauen. Doktor Pille wird dem Bären jedoch erst im nächsten Jahr helfen können und sicher aus ihm ein friedliches Tier machen.
Im kommenden Jahr kann jeder, ob Mensch oder Zwerg, sogar auf beiden Feldern Kleeblätter suchen und Glück erhaschen. Und der Doktor hat bei all dem ein ganz neues und sehr besonderes Heilmittel erfunden.
Quelle: Friedrich Buchmann