Was tun? Ilse hieß das Mädchen, war elternlos und arm; so mußte sie wohl oder übel auf ihrer Stelle aushalten. – Und das war noch aus einem andern Grunde nicht leicht: – der Sohn des Nachbarwirtes, ein braver, hübscher Bursch, hätte sie gern zum Weibe genommen, wenn die Eltern nicht dagegen gewesen wären.
In ihren Augen schickte es sich nicht, daß der erbe eines Bauernhofes eine arme Magd freite; er dürfte nur eine Wirtstochter heimführen und diese war bereits gefunden. Keine andere als die Tochter der Wirtin sollte es sein. Das war vor drei Tagen alles abgemacht und ins reine gebracht, die Hochzeit aber auf Ostern festgesetzt worden. Ilse liebte den guten Ans von ganzem Herzen, mußte aber ihre Gefühle vor den Augen und Ohren der Welt streng in ihrem Herzen verschließen; Sie war ja nur eine arme, elternlose Magd; wer fragte viel nach ihren Wohl und Wehe! So daß in stummem Brüten am Spinnrad, indes der eisige Nordwind ums Haus herum heulte und brauste und der Schnee in wildem Flockenwirbel draußen auf dem Hof kreiste. Manch bittere Träne fiel auf den Flachs herab, manch schwerer Seufzer stieg zur niedrigen, rauchgeschwärzten Bohlendecke hinauf – bis aus Seufzen und Tränen ein wehmütig klagend
Liedlein wurde:
„Eilig eilte fort die Sonne,
Ließ mich stehn im Schatten tief;
Ach, kein Mütterlein mehr hab ich,
Das mich in die Sonne führt.
Wart’ auf mich, du eil’ge Sonne,
Hör’ was ich dir sagen will -:
Bringe tausend Abendgrüße
Meinem lieben Mütterlein!
Niedrig steht die Sonn’ wie niedrig,
Fern ist Mütterlein, wie fern!
Nie ereile ich die Sonne,
Nie erruf’ ich’s Mütterlein.*
Da grollte im Nebenzimmer die heisere Stimme der Wirtin: „Zum Teufel mit dem Singsang! Dein Gekrähe kann Tote aus dem Grabe scheuchen.“ Die Tochter aber schalt:
„Wenn du plärren willst, so gehe hinauf auf den Hof hinaus und heule mit dem Nordwind
um die Wette!“ Ilse schwieg und versuchte wieder zu spinnen, aber Augen und Hände versagten den Dienst. Müde lehnte sie ihr goldblondes Köpfchen an die harte Wand und schloß die Augen. Draußen aber heulte und brauste der Nordwind. Es mochte gegen sechs Uhr morgens sein, als die Magd durch ein Klopfen am kleinen Fenster aus ihrem wenig erquicklichen Schlummer gescheucht wurde.
Sie ging hinaus und konnte in der Dunkelheit des Wintermorgens niemand gewahren. Eine zitternde Stimme, wie die eines alten Bettlers, schlug an ihr Ohr: „Erbarme dich, liebes Mädchen, eines verirrten und verhungerten, schier erfrorenen Greises!“ Ilse dachte einen Augenblick nach. Sie wußte wohl, daß die Wirtin keinem Bettler etwas verabreichte, sondern jeden mit Schimpf und Spott vom Hofe jagte. Aber sie und ihre Tochter schliefen noch und würden vor sieben Uhr gewiß nicht aufstehen. „Komm mit in den Kuhstall, Greis“, sagte die Mitleidige, „dort magst du dich ein Stündchen erwärmen, ich aber will dir Milch und Brot bringen.“ Sie führte den Erstarrten in den Stall, hieß ihn sich auf einen umgestürzten Kübel setzen, melkte Milch in ein Trinkgefäß und holte aus dem Hause ein Stück Brot, daß sie in ihrer großen Betrübnis am Abend vorher nicht hatte herunterwürgen können. Der Bettler labte und erwärmte sich, so gut es eben gehen wollte, aber nicht mehr mit zitternder, sondern mit voller, wohlklingender Stimme zu Ilse: „Hab Dank für dein Mitleid und deine Wohltat! Ich bin nicht der, für den du mich ansiehst – wer ich aber bin, brauchst du nicht zu wissen. Nur soviel sei gesagt: ich kenne dich und alles, was dein Kopf denkt und dein Herz fühlt – und will, daß du glücklich werdest. Merk also auf meine Worte. Hast du niemals etwas von Lauskis und seinem goldnen Beil gehört?“ Ilse verneinte: „Nun, damit hat’s folgende Bewandtnis: der Lauskis ist ein Geist der Kälte, welcher zur Zeit starken Frostes mit einem goldnen Beil die Erde zu spalten pflegt. Wenn nun ein junges unschuldiges Mädchen um Mitternacht, gerade zwischen dem ersten und zwölften Schlage der Uhr, dreimal ums Haus herumläuft, so geschieht’s wohl, daß der Frostgeist sein Beil verliert. Dieses Beil ist aus schwerem Golde gefertigt, und wer’s findet, kann viele tausend Rubel dafür bekommen. Nur Unschuld, Mut und Behendigkeit gehören dazu!“ So sprach der Greis, Ilse sah ihn verwundert an – aber wo war er denn geblieben? Der Kübel, auf dem er bislang gesessen, war leer – und das trüb hereindämmernde Morgenlicht ließ keine Spur von ihm sehen. Die junge Magd überlief es; sie sprach unwillkürlich ein kurzes Gebet – und ging nachdenklich ins Haus zurück. Da war schon die Wirtin auf den Beinen und das alltägliche Elend fing wieder an. So vergingen Wochen. Dem stürmischen Januar war ein bitterkalter aber klarer Februar gefolgt. Des Nachts fror es oft so stark, daß die Erde krachte und das Eis auf dem Teiche barst.
Eines Tages fuhren die Mutter und die Tochter zur Stadt, um noch einiges für die Aussteuer zu besorgen, und wollten erst am nächsten Nachmittag wieder zurückkehren, Ilse blieb nun allein in dem ganzen Hause. Am Abend beim Spinnen fiel ihr plötzlich die schon halb vergessene Erzählung jenes seltsamen Greises ein, und je länger sie über dessen Worte nachsann, umso unwiderstehlicher fühlte sie in ihrem Herzen erwachen, einen Versuch mit dem Lauskis zu wagen. Die Stunden bis zur Mitternacht vergingen ihr wie im Träume.
Als die alte Wanduhr in der Wirtin Schlafstube, deren Tür jetzt offenstand, zum ersten Schlage ausholte – stürzte das Mädchen zur Tür hinaus und eilte wie der Wind dreimal ums Haus herum. Da geschah ein furchtbarer Krach, daß Haus, Stall und Kammer erbebten und zu schwanken begannen. Ilse selbst hielt sich nur mit Mühe am Türpfosten aufrecht.
Da war aber auch schon alles vorüber. Der Mond schien hell – scharf, wie er’s nur in nordischen Winternächten tut, vom Himmel herab, auf ein prächtiges goldenes Beil, das gerade zu den Füßen des Mädchens lag….
Zu Ostern feierte Nachbars Ans Hochzeit, aber nicht mit der Wirtstochter, sondern mit ihrer so lange verachtenden Magd, dem armen Waisenkinde, nun dem reichsten Mädchen in der Umgegend. – Glücklich und zufrieden gingen den also Vereinten die Jahre hin – und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.