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Märchenbasar

Das Mädchen, das ein Junge wurde

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Es war einmal ein Mann, der hatte drei Töchter. Als der König zum Kriegsdienst aufrief, konnte dieser Mann niemand schicken, denn er hatte keine Söhne. So saß er und dachte nach, da fragte die älteste Tochter. „Was bist du so nachdenklich, Vater?“ Er antwortete: „Laß mich, Tochter. Der König ruft zum Krieg, aber ich habe keinen Sohn, ich habe nur euch, die ich nicht schicken kann.“ Da sagte sie: „Verheirate mich!“ Genau dasselbe antwortete auch die zweite Tochter. Aber die Jüngste sprach: „Vater, hab keine Angst, ich werde in den Krieg ziehen. Laß für mich entsprechende Kleider machen, schneide mir die Haare ab, damit niemand erkennt, daß ich ein Mädchen bin. Dann gib mir ein Pferd und Waffen.“ Ihr Vater tat das, und sie brach zusammen mit den anderen Burschen des Dorfes auf. Alle, die den Jungen sahen, waren erstaunt. So kamen sie zum König.
Der König hatte an diesem Tag seinen Sohn aus der Stadt führen lassen, der Kulschedra zum Fraß. Denn Jahr für Jahr kam die Kulschedra und fraß viele Menschen. Eines Tages sagte die Kulschedra: „Wenn ihr wollt, daß ich nie mehr hierherkomme, dann bringt mir den Sohn des Königs.“ Also brachten sie den Königssohn. Als die Burschen aus jenem Dorf ankamen, sahen sie, wie die Kulschedra sich anschickte, den Königssohn zu fressen, aber alle fürchteten sich vor ihr, keiner ging hin, den Jungen zu retten. Da lief das verkleidete Mädchen hinzu, zog das Schwert, tötete die Kulschedra und rettete den Königssohn. Die Nachricht, daß die Kulschedra getötet worden war, gelangte sofort zum König, und er freute sich so sehr, daß er ein Festmahl richten und Kanonen abschießen ließ. Als der Junge mit dem Königssohn in den Palast ging, verriet dieser ihm: „Mein Vater wird dir ein Königreich anbieten, aber du verlange nichts anderes als sein Pferd, denn das kann denken und sprechen wie wir.“
Als sie zum König kamen, fragte dieser: „Welches Königreich willst du als Belohnung?“ Der Junge antwortete: „Ich will nichts, ich möchte nur nicht in den Krieg ziehen.“ – „Gut, du bist vom Kriegsdienst befreit“, sagte der König, „aber welches Königreich soll ich dir geben?“ „Wenn du mir unbedingt etwas schenken willst, so gib mir das Pferd, auf dem du sitzt.“ Als aber der König das hörte, willigte er nicht ein, und der Junge ging davon. Der Sohn des Königs ging ihm hinterher, und als man ihn fragte, wohin er denn wolle, sagte er: „Ich gehe mit meinem Vater; der mir das Leben gerettet hat, den erkenne ich als Vater an. Denn wenn mein Vater sein Pferd mehr liebt als mich, den Sohn, ist es besser wegzugehen.“
Als der König das hörte, änderte er seine Meinung. Man brachte das Pferd, legte einen goldenen Sattel auf und gab es dem Jüngling. Der Junge, der ein Mädchen war, stieg auf und ritt in ein anderes Königreich. Als sie dort ankamen, trafen sie auf eine große Menschenmenge. Es sollte ein Graben übersprungen werden, aber keiner konnte das. Das Pferd des Jünglings sah das schon von weitem und fragte seinen Herrn: „Herr, siehst du, was sie dort machen?“- „Ich sehe es, aber ich kann es nicht verstehen.“ Da sagte das Pferd: „Diesen Graben hat der König ausheben lassen, denn er will seine Tochter verheiraten. Derjenige, der mit dem Pferd den Graben überspringt und dabei einen Apfel auffängt, bekommt die Königstochter zur Frau. Aber wie es scheint,` hat es bisher keiner geschafft. Ich werde hinüberspringen, du mußt dich nur gut festhalten. Hab keine Angst, achte nur auf den Apfel. Beim Sprung werde ich auf dem Rand des Grabens stolpern, pack meine Mähne und halte dich gut daran fest.“ Indem das Pferd sich so mit seinem Herrn unterhielt, kamen sie an den Graben heran. Das Pferd nahm Anlauf und sprang, als es auf dem Grabenrand aufkam, stolperte es mit dem einen Bein, der Jüngling packte die Mähne, dann sprang das Pferd weiter, und der Junge fing mit den Händen den Apfel auf.
Alle wunderten sich sehr, denn viele waren schon gesprungen, aber keiner hatte den Apfel auffangen können. Der König ließ sogleich die Hochzeit ausrichten und verheiratete seine Tochter. Als die Hochzeitsfeier zu Ende war, gingen Braut und Bräutigam schlafen, aber beide waren Mädchen. Am nächsten Morgen fragte man die junge Frau, so wie es Brauch war, wie sie die Nacht verbracht habe. Und sie antwortete: „Nichts geschah.“ Auch die zweite und die dritte Nacht vergingen wie die erste. Da sagte man bei Hofe, daß man ihn töten müsse, aber er tat ihnen leid. „Gut, schicken wir ihn in den Wald“, sagte einer, „den Holzfällern das Essen zu bringen. Dort wird die Kulschedra kommen und ihn fressen.“ Der Bräutigam stand hinter der Tür und hörte alles mit an. Er ging zu seinem Pferd und saß ganz traurig da. Das Pferd fragte ihn: „Herr, warum bist du so nachdenklich?“ Er antwortete: „Wie sollte ich nicht nachdenklich sein? Der König will mich in den Wald schicken, damit die Kulschedra mich frißt.“ – „Hab keine Angst“, sagte da das Pferd, „verlange von ihm einen Wagen mit einem Ochsengespann für das Essen, dann werde ich dir erklären, was wir dort machen werden.“ Nach einer Weile ließ ihn der Schwiegervater holen und sagte zu ihm: „Du gehst in den Wald und bringst den Holzfällern das Essen.“ – „Ich gehe“, erwiderte der Jüngling, „aber ich brauche einen Wagen, um die Speisen aufzuladen.“ Sie gaben ihm, was er verlangte, und er brach mit allem auf.
Unterwegs erklärte ihm das Pferd: „Wenn wir mitten im Wald sind, läßt du einen Ochsen frei und rufst laut die Holzfäller. Die Kulschedra wird dich hören und herbeikommen, um dich zu fressen. Aber hab keine Angst, pack sie am Ohr und spann sie ins Joch.“ Kaum hatte es zu Ende gesprochen, kamen sie im Wald an, der Junge ließ einen Ochsen frei und rief die Holzfäller. Die Kulschedra hörte ihn und kam herbei. Der Jüngling packte sie sogleich am Ohr und spannte sie an Stelle des Ochsen ins Joch. Darauf kehrten sie schnell zum König zurück. Wie die Leute in der Stadt die Kulschedra im Joch sahen, fürchteten sich alle und schlossen sich in ihren Häusern ein. Da sagte das Pferd, der Jüngling solle die Kulschedra wieder freilassen, und er ließ sie frei.
Braut und Bräutigam schliefen wieder zusammen, aber die junge Frau verbrachte auch diese Nacht wie die anderen vorher. Da sagten die Höflinge: ,Jetzt schicken wir ihn, der wilden Stute Wasser geben, sie frißt alles Lebendige, da wird sie auch ihn fressen.“ Der Junge hörte wieder alles heimlich mit an und ging betrübt zu seinem Pferd, das ihn fragte, warum er traurig sei. Da erzählte ihm der Jüngling: „Der Kulschedra bin ich zwar entkommen, aber jetzt soll ich zu der Stute gehen, die alles Lebendige frißt.“ – „Hab keine Angst, das ist meine Mutter“, beruhigte ihn das Pferd. „Verlange zwei Fässer voll Honig vom König.“ Nach einem
Weilchen rief ihn der König und sagte ihm, daß er die Stute tränken solle. Darauf verlangte der Jüngling zwei Fässer voll Honig, er bekam sie und brach mit seinem Pferd auf.
Unterwegs sprach das Pferd zu ihm: „Wenn wir zum Brunnen kommen, ziehst du den Wassereimer heraus, schüttest die zwei Fäßchen Honig hinein und vermischst alles. Dann hängst du deinen Sattel gegenüber auf, damit die Stute ihn sieht, und steigst auf einen hohen Baum.“ Der Jüngling machte alles so, wie ihm das Pferd geraten hatte. Die Stute kam, trank Wasser, sah den Sattel und sagte: „Ach, bei diesem süßen Wasser, bei diesem goldenen Sattel brauchte ich einen Menschen, der aufsitzt und mit mir spielt!“ Der Junge antwortete: „Ich bin hier, aber ich habe Angst, daß du mich frißt.“ – „Ich fresse dich nicht.“ – „Schwöre es beim Kopf des Pferdes Demircil.“ Sie schwor, er stieg vom Baum herab, saß auf und sprang mit der Stute umher. Plötzlich sagte sie: „Wenn ich meinen Demircil hier hätte, würde ich mich noch mehr freuen.“ – „Ich habe auch deinen Sohn hier“, sagte der Junge, rief das Pferd, und sie freuten sich alle miteinander. Als der Jüngling und das Pferd in die Stadt zurückkehrten, kam die Stute mit ihnen. Als man in der Stadt die wilde Stute sah, schrien alle Leute, sie solle umkehren. Die Stute aber wollte nicht. Schließlich mußte ihr Sohn sie bitten und versprechen wiederzukommen, um mit ihr zu spielen, da kehrte sie um.
Der Bräutigam kam zum König, schlief wieder bei der Braut, aber auch in dieser Nacht geschah nichts. Da entschied der König, daß man den Jüngling in jene Kirche voller Schlangen schicke, damit er die Steuern hole, die die Schlangen seit vielen Jahren nicht bezahlt hatten. Der Junge hörte alles hinter der Tür und ging traurig zu seinem Pferd. Das Pferd fragte: „Warum bist du so nachdenklich, Herr?“ – „Jetzt“, antwortete er, „werde ich umkommen, denn der König wird mich in jene Kirche voller Schlangen schicken.“ – „Hab keine Angst“, erwiderte das Pferd, „verlange einen Wagen voller Klingeln und Glocken und einige Esel, die das Geld transportieren.“ Der Junge verlangte das alles, als der Schwiegervater ihm sagte, er solle zu jener Kirche gehen. Als sie aufbrachen, nahmen sie auch die wilde Stute mit, und Pferd und Stute erklärten dem Jüngling, was zu tun sei. „Ich und die Mutter“, sagte der Hengst, „werden die Türen besetzen und laut wiehern. Du steigst in ein Fenster, nimmst alle Klingeln und Glocken und läutest sie. Dann werden die Schlangen schreien und schließlich fragen, ob wir Götter sind, die sie so quälen. Du verlangst die Steuern für den König und sagst, wenn sie nicht zahlen, wird Gott sie vernichten.“
Als sie bei der Kirche angekommen waren, machten sie alles so, wie unterwegs besprochen. Die Schlangen, die vor dem Lärm der Pferde und Glocken große Angst hatten, brachten viel Geld. Als die drei schon ein Stück weg waren, kamen die Schlangen angestürzt und warfen sich auf den Jungen, aber sie konnten ihm nicht schaden. Da verfluchten ihn die Schlangen: „Du, der du unser Geld weggenommen hast, sollst ein Mädchen werden, wenn du ein Junge bist, und du sollst ein Junge werden, wenn du ein Mädchen bist!“ Da begriff das Mädchen, daß es ein Junge geworden war. Sie kamen zurück zum König, und als Braut und Bräutigam am nächsten Morgen aufgestanden waren, sagte die junge Frau, als man sie wieder fragte, wie sie die Nacht verbracht hatte: „Ihr braucht mich nicht mehr zu fragen, ich habe die Nacht gut verbracht.“
Das Märchen ist aus und wünscht euch Gesundheit ins Haus.

Quelle:
(Die Schöne der Erde – Albanische Märchen und Sagen)

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