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Das Rosmarinsträuchlein

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Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten kein Kind, wünschten sich aber eins. Wie nun die Königin eines Tages im Garten lustwandelte, sah sie einen Rosmarinstrauch, der viele kleine Schößlinge hatte. Da seufzte sie und sprach: »Ach, der Rosmarinstrauch hat seine Sprossen, und ich, die Königin, habe kein Kind.« Von der Zeit an ward sie guter Hoffnung, und wie ihre Zeit kam, gebar sie ein Rosmarinsträuchlein. Dieses pflanzte sie in ein Töpflein, begoß es mit Milch und ließ es nimmer aus den Augen.
Einst besuchte sie ihr Neffe, das war der Sohn des Königs von Spanien; wie der das Sträuchlein sieht, fragt er: »Frau Königin, was ist es doch mit diesem Rosmarinsträuchlein?« Sie erzählt ihm ihre Geschichte, wie sie das Pflänzlein geboren und es einmal des Tages mit Milch begieße. Da denkt der Jüngling bei sich: »Das Pflänzlein mußt du haben.« Er kauft also eine schöne Vase auf sein Schiff, schafft auch eine Ziege der Milch wegen herbei, und wie alles bereitet ist, entwendet er das Sträuchlein aus dem Zimmer der Königin und führt es mit sich fort. Zu Hause angekommen, stellt er die Pflanze in sein Gewächshaus.
Nun hatte der König eine Flöte und auf dieser blies er in den frohen Stunden des Tages. Als er eines Tages so blies, that sich die Thür auf und ein schönes Fräulein stand auf der Schwelle. Er fragt sie: »Wer bist du und woher kommst du?« Sie antwortete: »Ich bin die Rosamarina.« Wie freute sich der König! Als sie fort war und er kaum eine freie Stunde hatte, ging er in sein Treibhaus, blies auf der Flöte, und da war auch schon das Fräulein wieder, und es war seine Freude, mit ihr zu sprechen und sie zu hören.
Als er so recht im Glücke war, mußte er in den Krieg, und beim Scheiden sagte er seiner Rosamarina: »Höre, meine geliebte Rosamarina, wenn ich aus dem Kriege zurückgekehrt bin, werde ich dreimal auf der Flöte blasen, und das sei dir ein Zeichen, daß du wieder herauskommen darfst.« Und dem Gärtner befahl er, das Rosmarinsträuchlein viermal des Tages mit Milch zu begießen, denn würde er es bei der Rückkehr verwelkt finden, so solle ihm der Kopf abgehauen werden. Er legte die Flöte in sein Zimmer und zog davon.
Der König hatte drei Schwestern, die waren neugierig und sagten: »Was macht doch wol unser Bruder mit der Flöte?« Die Aelteste nimmt sie und bläst darauf, dann nimmt sie die Mittlere und ebenso die Jüngste. Beim dritten Blasen erscheint das Fräulein. Da rufen sie: »Also deshalb war unser Bruder Stunden und Stunden lang in dem Treibhause und wollte nichts mehr von uns wissen?« Sie nahmen das arme Fräulein und schlugen es so jämmerlich, daß es mehr todt als lebendig sich zum Rosmarinsträuchlein zurückschleppte und darinnen verschwand. Der Gärtner kommt und findet den Rosmarin des Königs verwelkt. Da jammert er: »Wehe mir, wenn jetzt der König zurückkommt, wie wird es mir ergehen!« Er ruft seine Frau, befiehlt ihr, das Sträuchlein viermal täglich mit Milch zu begießen, und macht sich auf und davon.
Ohne zu wissen, wohin, schweift er durch das weite Land, und wie es Abend wird, findet er sich in einem Walde. Er sieht einen hohen Baum, und aus Furcht vor wilden Thieren ersteigt er diesen, die Nacht darauf zu verbringen. Um Mitternacht kommen ein Hexenmeister und eine Hexe, legen sich unter dem Baume nieder und fangen an zu schnaufen, daß es dem Gärtner ganz bange wurde. Dann fingen sie ein Gespräch an, und die Hexe fragt: »Was gibt es Neues?« – »Was es Neues gibt? Das Neueste ist, daß des Königs Gärtner in Lebensgefahr schwebt.« – »Und wie das?« fragte die Hexe weiter. »Das ist eine lange Geschichte. Du mußt wissen, daß der König seiner Tante das Rosmarinsträuchlein entführte, in welchem ein verzaubertes Fräulein wohnt. Der König stellte die Pflanze in sein Treibhaus und begoß sie viermal des Tages mit frischer Milch; wenn er dann auf der Flöte blies, so kam das Fräulein heraus und sie redeten miteinander. Jetzt ist er in den Krieg, hatte aber die Flöte zurückgelassen, seine Schwestern bliesen darauf, und als das Fräulein erschien, haben sie es so zerschlagen, daß der Rosmarin, in den es zurückgekehrt, verwelken mußte. Der Gärtner aber, dem der König die Pflanze aufs Herz gebunden hatte, ist aus Furcht vor der Strafe geflohen.« – »Gibt es denn«, fragte die Hexe aufs neue, »gar kein Mittel, die Pflanze zu retten?« – »Es gäbe schon eins«, antwortete der Hexenmeister, »aber ich kann es dir nicht sagen, denn der Rasen hat Augen und die Bäume haben Ohren.« – »Ach was«, sagte die Hexe, »hier ist niemand, der uns hört.« – »Nun, so wisse denn, wenn jemand das Blut meiner Adern und das Fett deines Hinterkopfes in einem Topfe zusammen sieden und die Rosmarinpflanze damit bestreichen würde, so käme das Fräulein gesund und munter aus der Pflanze heraus.«
Der Gärtner auf dem Baume hatte alles mit angehört und dachte bei sich: »Jetzt, Glück, steh‘ mir bei!« Wie die beiden eingeschlafen waren, stieg er leise vom Baume herunter, nahm einen Knüppel und schlug sie todt. Dann nimmt er Blut und Fett, läuft nach Hause, siedet es, bestreicht die Pflanze, und wie er fertig, kommt das Fräulein heraus und das Rosmarinsträuchlein verdorrt. Der Gärtner nimmt die Schöne auf seine Arme wie ein Kind und trägt sie in seine Wohnung, gibt ihr kräftige Brühen und heilkräftige Kräuter und stellt sie alsbald wieder her.
Der König kommt aus dem Kriege zurück, und sein erster Gang ist ins Treibhaus. Er bläst dreimal auf der Flöte, aber da kommt kein Fräulein. Er geht zum Rosmarinsträuchlein und findet es verdorrt. Er ruft den Gärtner, und im hellen Zorne spricht er: »Jetzt sagst du mir, wo meine Rosmarina ist, oder ich schlage dir auf der Stelle den Kopf ab.« Er bittet den König, zuvor in sein Haus zu kommen, allwo er ihm etwas Schönes zeigen wolle. Der König ging mit ihm und findet Rosmarina, die schönen Augen voll Thränen, auf dem Lager liegend. Er fragt sie: »Rosmarina, was ist dir geschehen?« Sie antwortet: »Deine Schwestern haben mir es angethan, ich wäre ihren Mishandlungen erlegen, wenn mich dein Gärtner nicht durch eine Salbe errettet hätte, ihm verdank‘ ich mein Leben.«
Da warf er einen Haß auf die bösen Schwestern, dem Gärtner aber wendete er alle Gnade zu. Als Rosmarina völlig genesen war, bat sie der König, seine Gemahlin zu werden. Darauf schrieb er seinem Onkel einen Brief, worin geschrieben stand, daß jenes Rosmarinsträuchlein ein Jungfräulein geworden, welches gar lieblich anzuschauen und aller Liebe werth wäre. »Wollet Ihr«, so schloß er, »mit der Königin zur Hochzeit kommen, so seid Ihr uns lieb, wir werden demnächst die Ringe wechseln.« Der Herold reiste ab und brachte dem Könige die Kunde; wie freute der sich, wie freute sich auch die Gemahlin, endlich eine Tochter gefunden zu haben. Ganz glücklich traten sie die Reise an, und als sie an Ort und Stelle waren, da schoß man mit den Kanonen. Wer das hörte, fragte: »Wer kommt da?« Und da hieß es überall: »Der König und die Königin!« Sie fanden die Tochter im Glücke, und sie, die ihren Vater und ihre Mutter zum ersten mal sah, erfreute sich ihrer Küsse und Umarmungen. Die Hochzeit wurde gehalten und das gab denn durch ganz Spanien ein großes Fest.

[Italien: Waldemar Kaden: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen]

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