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Märchenbasar

Das verwunschene Mädchen

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Ein Vater hatte einen Sohn; der hatte seine Schlafstätte in der Riege. In der Nacht kam zu ihm ein Mädchen, das brachte selbst alles mit: Bett, Kissen, Decke. Dieses Mädchen war verwunschen und lebte beim Bösen. Das Mädchen schlief beim Jungen bis zum Hahnenschrei. Dann verschwand es samt dem Bett.
Am zweiten Abend kam das Mädchen wieder zurück; schön war sie, ihr Gesicht wie Milch und Blut, sie selbst weich wie frisches Weißbrot. Sie schlief beim Jungen bis zum Hahnenschrei, dann war sie in die Erde verschwunden.
Es kam der dritte Abend. Das Mädchen kommt, wie gewöhnlich, und bringt alles mit sich: Kissen, Decken. Sie legt sich neben den Jungen und schläft. Als der Hahn krähte, war alles verschwunden – der Junge liegt wieder auf der Diele der Riege, wie am Abend.
Was war da zu tun? Der Junge begibt sich zum Weisen und fragt ihn um Rat. „Es ist jetzt schon die dritte Nacht, dass ein Mädchen zu mir kommt, jung und schön, aber wenn der Hahn kräht, ist sie spurlos verschwunden.“ Der Alte lehrte: „Kauf einen Rosenkranz, kauf ein Skapulier. Wenn sie wieder bei dir schläft, so leg ihr diese um.“
Der Junge kauft einen Rosenkranz, er kauft ein Skapulier. Als es Abend wurde, ging er in Riege zu Schlafen. Es kommt die Jungfrau, ihr Bett hat sie unter dem Arm, und legt sich hin. Der Junge wartet, bis das Mädchen eingeschlafen ist, dann nimmt er den Rosenkranz, nimmt den Skapulier, hängt sie dem Mädchen um, lässt sie aber nicht aus der Hand. Der Hahn kräht – das Mädchen zerrt und zerrt. Der Hahn kräht zum zweiten Mal – das Mädchen zerrt mit noch größerer Kraft. Der Hahn kräht schon zum dritten Mal – das Mädchen kann sich nicht loszerren, es bleibt und schläft, bis zum Tagesanbruch.
Die Eltern warten und denken: >Es ist schon ganz hell, und der Junge liegt immer noch.< Sie gingen zur Riege, um nach ihm zu sehen. Was erblicken sie! Neben dem Jungen liegt ein Mädchen, so schön, so lieblich, dass man nicht das Auge von ihr wenden möchte.
Sie erhoben sich, das Mädchen wurde beim Priester getauft, es wurde dem Jungen angetraut. So lebten sie, so gut es sich leben ließ: Sie waren arme Leute, ihr Stüblein schmutzig und dunkel.
Eines Tages schnitt die Frau Korn auf dem Feld, da flog ein Rabe vorbei: „Kraa, kraa, kraa!“ – „Hilf Gott!“ ruft die Frau dem Raben zu. „Väterchen“, sagte sie, „mein Bruder feiert Hochzeit, man ladet mich auch ein.“
Sie kam nach Hause, kämmte sich das Haar, wusch sich das Gesicht. Darauf lehrte sie den Mann: „Du, komm mit mir zur Hochzeit, doch merk dir: Mein Vater hat viele Kohlen. Bitte ihn um Kohlen – sie werden zu Geld. Doch gibt er Geld – daraus werden Kohlen. Mein Vater hat viel Stroh, alles in Bündel gebunden, in Haufen gelegt. Erfrag dir etwa zehn Bündel und sage: >Vater, ich muss mein Haus bedecken, sei so gut und gib mir Stroh; bekomme ich selbst welches, sollst du dein Stroh zurück haben!< Versprichst du ihm als Bezahlung dein eigenes Stroh, so wird er dir nichts geben.“
Die Frau und der Mann gingen hinter die Riege. Dort drehten sie sich auf der linken Hacke dreimal und waren sofort beim Bösen. Da gab es große Festlichkeiten, viele Tage hindurch.
Als die Festlichkeiten vorbei waren, trat der Mann zum Bösen: „Du hast viele Kohlen, sei doch so freundlich und gib mir welche. Ich muss zum Schmied, muss meinen Wagen beschlagen lassen.“ Er bat auch um Stroh: „Ich muss zu Hause die Dächer ausbessern, das Haus decken, vielleicht gibst du mir einige Bündelchen. Bekomme ich Stroh, will ich das deinige zurückbringen.“ – „Bringst du es mir zurück, sollst du es haben.“
Sie traten auf die Schwelle. Die Frau sagt zum Mann: „Dreh dich dreimal auf der linken Hacke um.“ Wie er sich umgedreht, waren sie wieder hinter der Riege. Sie brachten die Kohlen ins Zimmer: Die Kohlen wurden zu Geld. „Doch das Stroh, wo sollen wir das hintun?“ – „Das Stroh“, lehrte die Frau, „müssen wir zusammenbinden: je drei Hähmlein zusammen, je drei zusammen!“ Sie banden je drei Hähmlein zusammen. Die Frau Pflanzte sie ein um den Garten, ums Haus, überallhin, wo sich Platz fand. Aus dem Stroh wuchsen Apfelbäume, aus jedem Bündelchen einer, ein Apfelbaum golden, der andere Silbern; es blitzte und glitzerte, Gold- und Silberäpfel hingen an den Zweigen. Alle kamen und bewunderten diese Schönheit, diesen Reichtum. Doch die Frau lehrt den Mann: „Von den Äpfeln nimm du nicht einen; du wirst sehen, was aus ihnen wird!“
Es kam zu ihnen ein alter Mann, das war der Herrgott; er bat, ob er nicht ein Äpfelchen vom Baum nehmen dürfe. Die Frau führte ihn in den Garten: „Du darfst nehmen, dir ist´s erlaubt!“ Als der Alte den Apfel genommen, wurde aus allen Äpfeln Engelein, reine weiße Kindelein.
Der Altvater ging voran in den Himmel, die Kinder ihm nach. Auch der Mann und die Frau wurden abberufen.

Quelle: Estnische Märchen

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