Daumenhoch war der jüngste Sohn des Bücherwurms. Er kannte sich in der Bibliothek seines Vaters sehr genau aus. Eines Tages hatte er all die vielen Bücher gelesen. Die größten Bücher in der Bibliothek seines Vaters waren gerade so groß wie eine Streichholzschachtel.
Sein Vater hatte ihm erzählt, dass es bei den Menschen in der Stadt Universitätsbibliotheken gibt mit großen Büchern. Daumenhoch hatte aufmerksam zugehört und wollte nun unbedingt dorthin, wo es die großen Bücher gibt. Er dachte sich, da steht bestimmt noch viel mehr drin und machte sich auf den Weg in die große Stadt.
Daumenhoch lebte mit seinen Eltern in Kleinlesestadt mit anderen Maßen als die der Menschen.
Vater und Mutter hatten Daumenhoch den Rucksack gepackt und dann ging es los. Aus dem Stadttor von Kleinlesestadt hinaus durch Wiesen, Felder und Wälder bis zu einer riesengroßen Straße. In den Büchern seines Vaters hatte er gelesen, dass die Menschen Autos fahren, große und kleine. Für Daumenhoch waren sie alle riesig.
Plötzlich zerrte etwas an seiner Hose, er war starr vor Schreck, ein riesiger schwarzer Vogel. Daumenhoch stieß einen schrillen Schrei aus, der große Vogel flog weg. Daumenhoch hatte solch einen Vogel schon mal in einem Lexikon gesehen, es war eine Amsel.
Die vielen großen rollenden Klötze, die die Menschen Autos nennen, flößten ihm Furcht ein, er traute sich nicht von der Stelle.
In der Nähe sah er ein riesiges Ding, durch das Wasser floss in einem reißenden Fluss. Am Ufer lagen Holzstämme und Daumenhoch überlegte, wenn ich nun ein Floß baue, dann kann ich hinüberfahren. Gesagt, getan, er fand, was er dazu brauchte und baute ein Floß.
Mit einem Streichholzpaddel auf dem Floß schipperte er nun durch den Kanal. Auf der anderen Seite der Straße angekommen, legte er an und setzte zu Fuß seine Reise in die große Stadt fort.
Die Sonne verdunkelte sich, es fielen große Tropfen wie ein Wasserfall, es regnete. Daumenhoch flüchtete sich unter ein großes grünes Blatt. Das Wasser strömte, er konnte sich kaum halten, seine Hände rutschten vom Blatt, an dem er sich festgehalten hatte. Er schwamm auf einer Welle in ein großes Wasser. Es war ein Forellenteich.
In dem großen Wasser sah er große Ungetüme, die wie Saurier aussahen, und an ihm vorbeizogen. Daumenhoch hatte Glück, zu der Zeit wurden gerade die Forellen gefüttert und sie interessierten sich nicht für den kleinen Daumenhoch.
In panischer Angst zerrte sich Daumenhoch an einem Grashalm ans Ufer. Pudelnass schüttelte er sich. Die triefend nasse Kleidung zog er aus und hängt sie an Grashalmen auf. Der Regen hörte auf und die Sonne kam wieder heraus.
Da tauchte plötzlich eine Kolonne sechsbeiniger Tiere aus dem Gebüsch auf. Es waren Ameisen. Zur Verwunderung von Daumenhoch sprach ihn die Anführerin an. Sie sprach ihn in der Welttiersprache Phantasani an, das ist wie bei den Menschen Englisch. Daumenhoch kannte die Sprache, er hatte sie in Kleinlesestadt in der Schule gelernt.
Die Ameisen berichteten nun Daumenhoch, wie es denn so zugeht in der Welt der Menschen. Anschließend fragte Daumenhoch die Ameisen, ob sie ihn ein Stück auf dem Weg in die große Stadt begleiten könnten. Die Anführerin, sie hieß übrigens Kleopatra, versprach ihm dann eine Abordnung als Begleitung mitzuschicken, da sie doch alle sehr beschäftigt wären, die neue Burg müsste fertig werden.
Nun zog Daumenhoch mit einer Abordnung von 30 Ameisen weiter zur großen Stadt. Die Ameisen tuschelten auf dem langen Weg über die Arbeit und ihre familiären Probleme. Als sie nun so gut zwei Stunden gelaufen waren, hörten sie ein immer lauter werdendes Geräusch, es krachte und knarrte. Sie konnten das Getöse kaum noch aushalten. Sie flüchteten sich in letzter Minute unter einen Felsen.
Es war ein großer Stein. Dann rollte etwas über sie hinweg, der Felsen bewegte sich ein wenig. Es war ein Trecker. Eine Ameise hatte sich den Fuß eingeklemmt. Daumenhoch und die Anderen versuchten sie zu befreien, das gelang auch. Daumenhoch schiente das verletzte Bein mit einem Grashalm und schnitzte ein paar passende Krücken.
Sie beschlossen die verletzte Ameise mit ihrer Freundin nach Hause zu schicken, für sie wäre die weite Reise nun zu lang.
Ein bisschen traurig verabschiedeten sich die beiden und wünschten Daumenhoch noch alles Gute.
Nun hatte Daumenhoch nur noch 28 Begleiterinnen. Als sie nun aus dem Waldgebiet herauskamen, in dem auch die Ameisen ihr Zuhause haben, sahen sie aneinander gereihte große Bretterkästen, wo dicke brummende gelb schwarze Viecher ein- und ausflogen. Es waren Bienen!
Daumenhoch ging näher heran und sprach einfach eine an in der Welttiersprache „Phantasani“. Die Biene antwortete auf Phantasani. Daumenhoch hatte ihr einen guten Tag gewünscht und sie gefragt, wie weit es denn noch zur Stadt ist. Sie hatte ihm geantwortet, es ist noch weit, aber sie kenne einen Vogel, der ihn zur großen Stadt bringen könne. Daumenhoch war erfreut, dass ihn jemand mitnehmen würde und sagte: „Dann frag doch bitte mal deinen Freund, den Vogel.“
Die Biene schwärmte aus und nach einer Zeit kam sie mit dem Vogel wieder. Es war die Amsel, mit der er schon an der großen Straße zu tun gehabt hatte. Daumenhoch war etwas verängstigt, als er die Amsel von der großen Straße sah. Die Amsel bemerkte es und sagte: „Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten, ich bin ein guter Freund von Lieselotte, der Biene. Ich heiße übrigens Florian. Wo möchtest du denn hin?“
Daumenhoch sagte daraufhin: „Zur Universitätsbibliothek in die große Stadt der Menschen.“ Florian: „Ich habe Verwandte in der großen Stadt, die kennen sich dort aus, wir können gleich nonstop hinfliegen.“
Daumenhoch verabschiedete sich noch von den Ameisen und der Biene Lieselotte und dann flogen die beiden ab. In der großen Stadt landete Florian bei seinem Onkel auf dem Kirchturm. Daumenhoch erzählte, wo er herkommt und was er so auf seiner Reise erlebt hatte. Florians Onkel interessierte vor allem, was er denn in der großen Stadt vorhätte. Daumenhoch erzählte, dass er gern wissen möchte, was in den Büchern der Menschen steht.
Der Onkel schlug vor, erst einmal in einen Laden zu gehen, den die Menschen Buchhandlung nennen. Daumenhoch fragte ihn, wo denn so ein Bücherhaus sei. Der Onkel meinte dann zu Florian: „Du kennst doch den Laden an der Ecke, flieg doch mit ihm dort mal hin.“
Dort angekommen staunte Daumenhoch: „Die Bücher sind viel größer als ich selbst. Diese großen Buchstaben und die schweren Seiten, bei dem Gewicht kann ich die Bücher ja niemals lesen.“
Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, die Bücher in ein kleineres Format zu bekommen, er packte schnell seinen Laptop aus seinem Rucksack aus. In der Buchhandlung hatte er einen großen Computer gesehen, er meinte nun, den könne er anzapfen. Leider waren die Anschlüsse viel zu groß. Da hatte Florian die Idee einen Adapter zu bauen. Er könne ihn nicht selbst bauen, aber er kenne einen Mann Namens Computerfloh, der könne das. Florian sagte: „Der wohnt gleich hier um die Ecke.“ Dort angekommen steht ein Mann vor ihnen, etwas größer als Daumenhoch. Daumenhoch hatte schon einmal einen Bericht über einen Mann in der Schülerzeitung seiner Schule in Kleinlesestadt gesehen, dort nannte er sich „Professor Dr. Rostnagel“. Florian fragte ihn, ob er den Adapter herstellen könne, der Mann nickte und sagte: „Bis morgen ist er fertig.“
Daumenhoch und Florian verließen den Computerfloh und sagten nur: „Bis morgen – tschüs.“
Auf der Straße mussten sie sich vor den großen Tretern, den Schuhen, in Acht nehmen. Sie wichen immer wieder Papierfetzen aus, bis es Florian zu bunt wurde und er zu Daumenhoch sagte: Komm, wir fliegen! Es ging wieder hoch und höher hinaus und im Sturzflug hinab. Daumenhoch machte das Fliegen mit Florian Spaß. Sie landeten nach einer Steilkurve auf dem Marktplatz, ein Haufen weiße Masse lag vor ihnen.
Florian sagte: „Das ist Eis, willst du mal lecken?“
Daumenhoch nahm einen Fingerbreit und war entzückt, lecker. Nach einer Weile waren ihre Bäuche rund und sie entschlossen sich weiter zu fliegen.
Um die Lage zu peilen setzte sich Florian auf einem Strommasten. Dann sagte er zu Daumenhoch: „Siehst du dort das hohe Gebäude, dieser große Kasten da mit der Kuppel, das ist die Universität. Morgen fliegen wir dorthin und dann kannst du den großen Universitätscomputer anzapfen.“
Müde vom langen Tag und der Reise flogen sie zum Onkel und übernachteten auf dem Kirchturm.
Am anderen Morgen flogen sie schon früh zum Computerfloh hinüber. Der Computerfloh hatte den Adapter bereits fertig, er war nicht teuer, ein Euro.
Als Daumenhoch erzählte, dass er in die Uni gehen wolle, sagte der Computerfloh, dass er auch schon mal studiert habe.
Daumenhoch fragte, wo er denn studiert habe. Der Computerfloh antwortete ihm: „In Studienburg.“ Daumenhoch: „Mein Vater hat auch in Studienburg studiert.“ Computerfloh: „Wie heißt der denn, vielleicht kenne ich ihn!“ Daumenhoch: „Adam Bücherwurm.“ Computerfloh: „Ach mein alter Freund Bücherwurm, beschäftigt er sich immer noch mit Astronomie?“ Daumenhoch: „Ja, und das sehr intensiv.“ Computerfloh: „Grüß ihn mal herzlich von mir, er kennt mich unter dem Namen Rostnagel.“ Daumenhoch: „Mach ich, danke.“
Anschließend flogen die Beiden zur Uni, dort waren viele Menschen. Florian setzte Daumenhoch vor der großen Tür ab und sagte ihm: „Ich hole dich heute Abend wieder ab.“
Die Tür war offen und Daumenhoch huschte hinein. Er musste aufpassen, auf die vielen Schuhe, die ihn zertreten könnten. Er hörte um sich herum viele Stimmen, die er nicht verstand, es war die Sprache der Menschen.
Am Ende eines Ganges sah er ein großes Schild, das er nicht lesen konnte. Vor ihm kroch ein kleines Tier auf ihn zu. Es war eine Spinne. Sie sprach ihn auf Phantasani an: Wer bist du, was machst du hier? Daumenhoch antwortete: „Ich will hier die Bücher der Menschen lesen.“
Die Spinne schaute etwas verwundert drein. „Die Bücher der Menschen willst du lesen, da gibt es hier viele. Kannst du denn die Sprache der Menschen verstehen?“ Daumenhoch sagte daraufhin: „Nein, aber ich will sie lernen.“ Die Spinne: „Ich kann dir dabei helfen, ich wohne schon lange hier und verstehe die Sprache der Menschen.
Daumenhoch fragte sie dann: „Kannst du dort oben das Schild lesen?“ Die Spinne: „Ja, da steht „Zur Bibliothek“.“
Er lief so schnell, wie er konnte, den Gang entlang, es waren gerade mal keine Menschen zu sehen. Die Spinne lief hinter ihm her und schwang sich dann mit ihrem langen Faden auf einen Computertisch.
Als Daumenhoch in die Bibliothek eintrat, sah er viele Studenten, die sich mit großen Büchern beschäftigten und er sah an jedem Tisch Computer.
An einem freien Tisch klemmte er seinen Laptop mit dem Adapter an, es funktionierte. Nun konnte er alle Bücher der Universitätsbibliothek abrufen, er hatte auch ein Übersetzungsprogramm. Die Spinne staunte nur.
Er suchte sich als Erstes Wissenschaftsbücher aus, zu Themen wie Biologie, Technik und Medizin. Er las stundenlang Seite um Seite und speicherte ab, was zu speichern ging. Mit einem Kopf voll Zahlen und Texten stand ihm der Schweiß auf der Stirn.
Das waren alles weit mehr Informationen, als man in Kleinlesestadt bekommen konnte. Er, Daumenhoch, würde gern Medizin studieren, aber wo?
In der Stadt der Menschen, dachte sich Daumenhoch natürlich. Die Spinne beobachtete ihn bei seinen Studien, von der Decke, mal vom Tisch hängend. Mittags packte Daumenhoch sein Butterbrot aus und die Spinne verspeiste ein paar Brotkrümel. Dann diskutierten sie über Daumenhochs zukünftiges Studium bei den Menschen. Die Spinne bot ihm an, ihm die Sprache der Menschen bei zu bringen. Daumenhoch nahm dankend an.
Daumenhoch meinte, ich komme nächsten Monat wieder in die Universität der Menschen und dann könnten sie damit anfangen.
Er verabschiedete sich noch von der Spinne und ging dann müde vom vielen Lesen abends, ohne viel gegessen zu haben, zum Ausgang, Florian wartet schon. Daumenhoch fragt ihn: „Kannst du mich zu meinen Eltern nach Hause fliegen?“ Florian: „Wie weit ist das denn?“ Daumenhoch: „Vielleicht 20000 Meter Luftlinie.“ Florian: „Das schaffe ich in zwei Stunden.“
Daumenhoch: „Prima, aber erst müssen wir noch bei Deinem Onkel vorbei.“ Der Onkel freute sich, dass Daumenhoch noch einmal vorbei gekommen war, sie verabschiedeten sich und Florian flog mit Daumenhoch fort.
Spät abends kamen Sie bei Daumenhochs Eltern an. Die Eltern begrüßen Sie mit großer Freude.
Daumenhoch: „Florian hat mich her geflogen, er schläft bei uns. Nach einer geruhsamen Nacht machte sich am Morgen Florian auf den Heimweg.
Den Tag über unterbreitet Daumenhoch vorsichtig seinem Vater den Wunsch Medizin bei den Menschen zu studieren. Der Vater sagt: „Das geht nicht, du bist zu klein.“ „Gut“, sagt Daumenhoch, „ich bin nur einen Daumen hoch, aber ich weiß mehr als jeder andere, der Daumenhoch heißt.“
Am Nachmittag ruft Daumenhoch bei Herrn Rostnagel an und fragt ihn um Rat. Herr Rostnagel meint, dass er ein Fernstudium machen könne. Dann fragte Herr Rostnagel ihn noch: „Kannst du denn die Sprache der Menschen?“ Daumenhoch antwortete:“ Nein, aber die Spinne Rosemarie bringt sie mir bei.“
Abends meint Daumenhoch zu seinem Vater beim Abendbrot: „Ich soll dich übrigens von einem Herrn Rostnagel herzlich grüßen!“ Adam Bücherwurm: „Wo hast du den kennen gelernt? „Daumenhoch: „Er war mir behilflich an den Unicomputer zu kommen.“ Adam Bücherwurm: „Das ist ja prima, dass er dir geholfen hat.“ Daumenhoch meint noch: „Ich habe Herrn Rostnagel vorhin angerufen, er sagt, ich sollte ein Fernstudium machen. Adam Bücherwurm sagte nur: „Das kannst du machen.“
Die Tiere, die er auf seiner Reise kennen gelernt hatte, begleiteten ihn noch viele Jahre als enge Freunde. In der Studienzeit feierten sie gemeinsam ihre Geburtstage und machten gemeinsam Urlaub.
Daumenhoch ist heute Professor an der Uniklinik Studienburg.
Quelle: Jens Große-Brauckmann