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Der besondere Frauenmantel

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Einst wurde ein kleiner Junge tief drinnen in einem dichten, uralten Wald ausgesetzt. In jenem Wald lebte eine alte Frau, die sich seit jeher ein Kind gewünscht hatte. Wie freute sich diese, als sie den kleinen, verlassenen Jungen fand. Sie nahm ihn mit in ihre Hütte und gab ihm den Namen Konrad.

Der kleine Junge wuchs zu einem kräftigen Jüngling heran, der die Alte wie seine eigene Mutter betrachtete. Nie wagte er es, ihr zu widersprechen und führte stets die Anweisungen nach ihren Wünschen aus. Als die Alte schließlich im Sterben lag, rief sie ihren Jungen zu sich.
Sofort war er zur Stelle: „Du hast mich gerufen, Mütterchen?“
Sie deutete Konrad, sich an ihr Bett zu setzen und brachte nur mühsam Worte hervor: „Bald werde ich sterben! Es ist nicht viel, was ich dir hinterlassen kann. Du hast mir in allem geholfen und warst ein guter Sohn. Als Dank dafür sollst du meinen Mantel erhalten. Er ist sehr wertvoll und schon seit Jahrhunderten im Besitz meiner Familie. Er wurde immer von Mutter zu Tochter weitergegeben. Aber da ich nur einen Sohn habe, soll er an dich weitergehen bis du eine Frau gefunden hast, die deiner würdig ist. So werdet ihr immer euer Auskommen haben. Gib gut auf ihn Acht! Gibst du ihn einer Unwürdigen, wirst du ihn für immer verlieren. Und nun geh! Verlass diesen Wald und suche dir einen Platz, an dem du leben möchtest.“ Mit diesen Worten schloss sie für immer ihre Augen.

Konrad saß noch eine lange Nacht trauernd an ihrem Bett, bis er sich erhob, um seine Mutter im kleinen Garten neben der Hütte zu begraben. Dann erinnerte er sich an den Mantel, den sie ihm hinterlassen hatte. Als er den Kleiderschrank öffnete, war er geblendet ob der Goldtaler, die den samtenen Mantel übersäten. Behutsam nahm er den Mantel vom Haken, faltete ihn zusammen und steckte ihn in einen Sack. Mit dem Sack über der Schulter verließ er die Hütte und den Wald, welche ihm in den letzten Jahren ein schönes Zuhause geworden waren. Dennoch war es an der Zeit, ein neues Leben zu beginnen.

Er wanderte über Wiesen und Felder und an Dörfern vorbei. Hie und da unterhielt er sich mit den Leuten, die ihm begegneten. So kam es auch, dass er mit Bauern Bekanntschaften schloss, die ihre Arbeit nicht mehr alleine bewältigen konnten. Der junge Mann bot sofort gegen täglich Brot und Unterkunft seine Hilfe an. Er blieb so lange bei einem Bauern, bis ihn die Reiselust wieder weiterzog.

Eines schönen Tages kam er zu einem prachtvollen Schloss, an dessen Fenster eine wunderschöne Prinzessin stand. Konrad verliebte sich augenblicklich in sie und winkte ihr zu. Doch fand er keine Beachtung. Die Prinzessin war nämlich hochnäsig und zickig. Sie war im ganzen Land dafür bekannt, dass sie stets alles haben wollte. Kaum besaß sie etwas, landete es im nächsten Eck und blieb unbeachtet, und schon stand ein neuer Wunsch an. Konrad war enttäuscht, dass die Prinzessin ihm keine Beachtung schenkte.

Am nächsten Tag kehrte er zum Schloss zurück und gedachte, die Prinzessin mit seinem Frauenmantel anzulocken. Doch auch dieses Mal hatte er kein Glück. Er rief zur Prinzessin empor: „Guten Tag, schönes Fräulein! Möchtet Ihr vielleicht einen Blick in diesen Sack hier werfen?“
Die Prinzessin rollte ihre Augen und entgegnete genervt: „Was wagst du es, mich zu stören! Du langweilst mich. Verschwinde mit deinem zerlumpten Sack!“
Doch so leicht ließ sich Konrad nicht entmutigen und am nächsten Morgen kam er abermals zum Schloss. „Ich habe hier etwas Wundervolles!“, schrie er zum Turm empor. „So etwas Schönes habt Ihr sicherlich noch nie im Leben gesehen!“
„Was du nicht sagst!“, rief die Prinzessin. „Hab ich dir nicht schon gestern gesagt, dass du verschwinden sollst?“
„Ich gehe nicht eher, als Ihr einen Blick in den Sack geworfen habt! Den Blick auf solch einen traumhaft schönen Frauenmantel mit Gold übersät könnt Ihr Euch doch nicht entgehen lassen!“
So langsam weiteten sich die Augen der Prinzessin, ihre Neugier war geweckt. „Komm du doch näher an den Turm!“, antwortete sie forsch. Also machte er einige Schritte der Schlossmauer zu.
„Jetzt beeil dich doch! Glaubst du, ich hätte den ganzen Tag Zeit für so was Lächerliches?“, empörte sie sich.
Konrad schaute zur Prinzessin empor und schenkte ihr sein süßestes Lächeln, doch diese wurde ganz ungeduldig: „Nun mach schon! Sonst rufe ich meine Wachen und lass dich in den Kerker sperren!“
„Was für eine widerspenstige Prinzessin!“, dachte sich Konrad und öffnete den Sack.
Auch die Prinzessin war geblendet von dem vielen Gold, das wie Sonnenstrahlen glänzte. Und weil sie von oben nicht so gut sehen konnte, eilte sie mit großen Schritten nach unten. Wie war sie doch überrascht, als sie den samtenen, kostbaren Frauenmantel betrachtete.
„Den will ich haben!“, rief sie. „Gib ihn mir! Ich befehle es dir! Ich bin schließlich Prinzessin Mirabella und dulde keinen Widerspruch!“
Da musste Konrad lachen, was bei der Prinzessin noch mehr Wut auslöste: „Was gibt es da zu lachen? Lachst du mich etwa aus?“
„Nein, nein, Prinzessin! Aber ich kann Euch den Mantel nicht schenken. Er ist ein Erbstück meiner Mutter!“, entgegnete er. „Es sei denn, Ihr willigst ein, meine Frau zu werden!“
„Niemals im Leben!“, schrie sie ihn an. Daraufhin verschnürte der junge Mann den Sack, verabschiedete sich und machte sich auf den Weg, um sich für die kommende Nacht eine Unterkunft zu suchen.

Die Prinzessin aber platzte fast vor Zorn. Sie musste unentwegt daran denken, wie wundervoll es wäre, diesen besonderen Frauenmantel zu tragen und setzte alles daran, um in den Besitz desselben zu gelangen. Schnell sandte sie einen Diener aus, der damit beauftragt war, dem jungen Mann zu folgen sowie ihm zu gegebener Stunde den Mantel zu entwenden. Die Prinzessin konnte es kaum erwarten, bis der Diener zum Schloss zurückkehrte. Hocherfreut nahm sie den Frauenmantel entgegen. Doch kaum berührte sie den Stoff, verwandelte sich dieser in kleine Fetzen. Mirabella war zuerst verstört, dann verängstigt und schließlich brach sie in Tränen aus. So einen bösen Zauber wollte sie nie wieder erleben. Fortan hatte die Dienerschaft Ruhe vor Mirabellas Habsucht. Die Fetzen wirbelte ein plötzlich aufkommender Wind zum Fenster hinaus und trug sie zurück zu ihrem Besitzer.

Konrad erwachte am darauffolgenden Morgen in der kleinen, schäbigen Schänke „Zum roten Heller“, in der er übernachtet hatte und um ihn herum lagen lauter Goldtaler, doch sein Mantel war für immer verschwunden. Dennoch hatte er genug Taler, um den Wirt und seiner hübschen Tochter unter die Arme zu greifen, hatten sie ihn doch – ohne dass er einen roten Heller besaß – bewirtet und ein Kämmerchen überlassen.

Schon bald gab es eine Hochzeit und die Schänke erhielt den Namen „Zum goldenen Taler“, in der viele Leute gern einkehrten. Sogar die Prinzessin hatte dort einmal zusammen mit einem vornehmen Herrn gespeist.

Quelle: Carmen Kofler

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