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Märchenbasar

Der Bettler Safudu

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Im südlichsten Gebiet Afrikas, das man auch den „schwarzen“ Erdteil nennt, leben der farbigen Stämme und Negergruppen gar viele. So bunt wie das Völker – und Sprachgewirr, so seltsam ist auch das Leben und Treiben der Eingeborenen. Die einen glauben an Allah, den Allmächtigen; die schon ihre Vorfahren geschaffen hatten. Doch der Glaube an das Geheimnisvolles und Übernatürliches erfüllt die Herzen aller, die da unter der brennenden Sonne die Dörfer und Städte bewohnen. In diesem dunklen Erdteil lebte einmal ein junger Neger namens Safudu. Schwer hatte ihn das Unglück verfolgt. Ein fremder Stamm hart sein Volk besiegt. In diesem Kampfe war sein Vater, der Häuptling des Krals, von einem vergifteten Pfeil getroffen worden. Mutter und Brüder gerieten in schmachvolle Gefangenschaft. Nur ihm war es gelungen, in eine benachbarte Stadt zu fliehen. Safudu war jedoch keineswegs mittellos. Eine ganze Hand voll Goldkörnchen, die er ehemals herausgewaschen hatte, vermochte er zu retten. Nun hätte er in der neuen Umgebung wohl das Leben fristen können, doch um alle Trauer zu vergessen, gab er große Zechgelage und verpraßte mit falschen Freunden sein letztes Körnchen Gold. Nun mußte Safudu mit dem Bettelstab in der Hand von Tür zu Tür gehen, um da ein Schälchen Milch, dort ein Tröpfchen Grütze zu erbitten. Die menschliche Barmherzigkeit hat aber auch ihre Grenzen. Eines Tages war alle Welt des jungen Nichtstuers überdrüssig, und er wurde davongejagt, wo auch immer er sich blicken ließ. Bekümmert suchte er sich einen Unterschlupf in einer von den Menschen verlassenen, völlig zerfallenen Hütte. Diese lag dicht neben einer übelriechenden Abfallgrube, und dort nährte er sich von den schäbigen Resten, die andere weggeworfen hatten. Das was er fand, war zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Eines Tages aber war ihm das Glück hold. Er fand zwischen dem Unrat eine Silbermünze, und frohlockend rief er aus: „Heißt es nicht: Selbst dem Blinden werden die Augen geöffnet werden, wenn der Goldregen der Götter über die dürre Steppe fällt…Zwar ist dies hier kein Gold, aber auch ein Silberling hat seinen Wert.“ Er machte es sich in seinem nicht gerade lieblich duftenden Reich bequem, träumte vor sich hin, was er sich für seinen armseligen Silberling alles leisten wollte, und geriet beim Pläneschmieden richtig ins Bauen von Luftschlössern. In seinen schönen Gedanken wurde er durch die Rufe eines Händlers gestört. Laut schallte es über den Marktplatz: „Junge Gazellen zu verkaufen! Junge Gazellen! Wer kauft?!“ „Heda“, rief Safudu wie im Traum dem Ausrufer zu, der auf seinem Karren einen aus Zweigen geflochtenen Käfig hatte. „Laß mich sehen, ob mir eins deiner Tierchen zusagt.“ „Er hält dich zum Narren!“ mahnten einige Schaulustige den Händler. „Woher soll jener Bettler Geld haben?“ „Vielleicht besitzt er doch etwas“, widersprach der Mann mit dem Käfigkarren. „Man hat schon Wunderdinge bei Bettlern erlebt. Auch sind sie oftmals großzügiger als die Reichen. Letztere klimpern zwar laut mit ihren Goldstücken in der Tasche herum, doch wenn’s ans Bezahlen geht, feilschen sie, als ob’s um ihr Leben ginge.“ Und unter dem Gelächter der Menge schob der Händler sein Wägelchen in die Grube und fragte Safudu: „Wie ist es nun, willst du wirklich ein Gazellchen kaufen oder nur deinen Spott mit mir trieben?“ „Wenn du mir eines deiner Tiere für einen Silberling geben willst“, entgegnete Safudu gemächlich, „soll der Handel geschlossen sein.“ „Einen Silberling!“ rief der Händler entsetzt und schlug die Hände unwillig zusammen. „Wenn ich eines dieser Tiere unter zwei Silberstücke abgebe, soll der Himmel über mir zusammenstürzen“ Gib wenigstens einen Silberling und fünf Kupfer.“ „Einen Silbernen und nichts mehr!“ brummte der Bettler und kratzte sich gleichmütig den Rücken. „Was feilschst du mit diesem Stinktier von einem Bettler!“ höhnten die herumstehenden Müßiggänger. „Siehst du denn nicht, daß er nicht einmal eine einzige Kupfermünze besitzt!“ Sei es nun daß die Gazelle nicht mehr wert war; vielleicht hatte es auch das Schicksal so bestimmt, kurz, die beiden wurden sich einig. Und während der Händler eine zarte braunseidene Gazelle mit tiefblauen Augen aus dem Käfig herausholte, zog Safudu den Silberling unter seinem bunten Käppchen hervor. Mit der Geste eines stolzen Negerhäuptling reichte er dem Verkäufer die Münze und führte das Steppentier in seine armselige Behausung. Dort blickte Safudu die Gazelle an, und die Gazelle sah ihren neuen Herrn an. Nach einer Weile meinte Safudu ärgerlich: „Mein ganzes Hab und Gut habe ich für dich ausgegeben, Gazelle! Nun muß ich auch noch mein bißchen zusammengekratzte Nahrung mit dir teilen. Doch was gibt’s da zu reden, die Suppe hab‘ ich mir selber eingebrockt.“ Er teilte mit dem Gazellchen redlich das Wenige, was er in der Abfallgrube zusammengescharrt hatte. Nach dem dürftigen Mahle verbrachten die beiden die Zeit bis zum Sonnenuntergang in bravem Fasten und ernster Beschaulichkeit. Schließlich breitete der Bettler eine schäbige Schlafmatte auf dem Fußboden aus und legte sich mit der Gazelle auf das harte Lager. In der Nacht erwachte der Bettler. Das Steppentier hatte ihn etwas unsanft in die Seite geknufft. „Du“, rief er die Gazelle an, wenn ich schon durch dich auf eine halbe Ration gesetzt bin, so gönnen mir wenigstens meine Nachtruhe.“ Da hörte Safudu gar seltsame Worte an seinem Ohr. „Mein lieber Herr! Wie es ist, ist es nicht gut! Und da es nicht gut ist, kann es auch nicht so bleiben.“ „Bei den Göttern meines Stammes!“ schrie der Bettler auf. „Wer redet hier? Warst du es etwa, Gazelle!“ Er zitterte vor Angst und murmelte mit klappernden Zähnen vor sich hin: „Vor nichts fürchte ich mich mehr als vor argen Unwesen der Geister.“ „Ich bin weder Spuk noch Geist!“ wehrte sich die Gazelle. „Ein Geschöpf des Gottes der zahmen Tiere und der duftenden Blumen bin ich. Drum wirst du es auch nicht bereuen, mir Gutes getan zu haben.“ Das Tier rieb zutraulich sein schwarzes Näschen an Safudus Schulter und fuhr fort: „Wie gesagt, so kann es nicht weiter gehen; am Tage fasten und des Nachts mit knurrendem Magen schlecht träumen. Das halte ich auf die Dauer nicht aus.“ „Was beliebt mein Häuptling also vorgesetzt zu bekommen?“ fragte der Neger spöttisch. „Ich habe nichts zu fordern“, erwiderte das Tier artig, als habe es nicht den beißenden Hohn bemerkt. Es bat: „Gestatte mir nur, daß ich mir tagsüber ein gutes Stück Weideland suche.“ „Du bist mir wie ein Töchterchen ans Herz gewachsen und solches Herumtreiben sehe ich nicht gern“, antwortete Safudu. Im stillen aber dachte er: „sie will sich sicher aus dem Staube machen.“ „Vielleicht finde ich unterwegs etwas, was auch dir als Nahrung bekömmlich ist“, bettelte das Tierchen. Da der Morgen graute, kratzte er sich ein wenig das Fell und sprach dann weiter: „So leb wohl, mein Herrchen! Gegen Abend sehen wir uns wieder.“ Damit sprang das Tier ins Freie hinaus. Safudu, dem bereits wieder Bedenken aufgestiegen waren, lief hinterher und schrie mit schallender Stimme: „Nachbarn, liebe Nachbarn! Helft einem armen Manne! Meine Gazelle ist mir davongelaufen!“ Die Leute spotteten seiner und riefen: „Recht geschieht dir!…So ein Hungerleider hat nicht das Recht, ein anderes Lebewesen an sich zu ketten!…Das arme Tier wollte eben nicht im Elend umkommen!“ Und alle waren sich einig, daß die Gazelle wohlgetan hatte, das Weite zu suchen.

Da wandte sich Safudu traurig seiner Behausung zu. Bis in die späte Nacht hinein harrte er in Ungeduld und vergeblich seiner Gazelle, die in der Sprache der Menschen zu reden wußte. Schließlich legte er sich, alle Hoffnung aufgebend, auf sein Lager und war bereit, sich mit dem Verlust abzufinden. Das Gazellchen aber hatte einen gar fetten Weideplatz gefunden und sich satt und rund gefuttert. Danach war es, um sich vor der prallen Sonne zu schützen, in ein Wäldchen getrabt und hatte unter einem Kautschukbaum ein Mittagsschläfchen gehalten. Als es aufwachte und auf seine Füße sprang, stieß es auf etwas Hartes. Die Gazelle scharrte und scharrte und legte schließlich einen großen, prächtig glitzernden Diamanten frei. „Das blitzt und funkelt wie zehntausend Tautröpfchen im Sonnenglanz!“ freute sich das vom Leuchten geblendete Tier. „Der Stein ist hoher und höchster Stammesfürsten und Negerhäuptlinge würdig.“ Doch die Freude ging in tiefe Nachdenklichkeit über, denn die Gazelle fragte sich: „Was fange ich mit dieser Kostbarkeit an? Bringe ich sie meinem armen Herrn, bricht ein Aufruhr im Orte aus. Die Menschen werden niemals glauben, daß ich, ein Steppentier, einen Diamantklumpen gefunden habe. Sie werden Safudu des Diebstahls oder der Hexerei beschuldigen. Man wird ihn ins Gefängnis werfen und zum schlechten Ende an einem Baum aufknüpfen.“ Und nach erneuten Überlegungen entschloß sie sich, das Glück für ihren Herrn in der Fremde zu suchen. Kurz entschlossen nahm die Gazelle den Diamantenklumpen zwischen ihrer Hörner. Und nun trabte sie ohne Unterlaß über ebene Steppen, durch Buschdickicht und Urwald, über Bäche und Flüßchen, bis sie eines Tages vor den hohen Mauern einer kleinen Stadt ankam. „Halt!“ riefen die schwarzen Torwächter und erhoben ihre Schilde und Spieße. „Erst mußt du uns sagen, wo du hinwillst!“ Die kleine Gazelle aber hörte gar nicht auf die stürmischen Rufe. Mit einigen lustigen Sprüngen war sie an der Weide vorbei, lief über den großen Marktplatz und hielt nicht ehe an, als bis sie vor dem Palast des Oberhäuptlings stand. Um sie hatten sich viele Eingeborenen gesammelt und riefen: „Was ist denn das?…Eine Gazelle, die eine diamantene Krone trägt!…Sicher ist sie die Gesandte eines der Götter aus der Wildnis!“ Das Gazellechen würdigte die Neugierigen keines Blickes. Noch ganz außer Atem von ihren dreisten Sprüngen klopfte sie an die Pforte des Palastes und bat: „Werte Leibgarde! Melde deinem Häuptling, daß ich gute Nachrichten bringe. Will er mich nicht empfangen, wird es sein eigener Schaden sein.“ Der Häuptling war durch den Lärm, den die kleine Gazelle veranstaltet hatte, bereits auf den Vorhof des Palastes gelockt worden. Da er neugierig war, führte er in eigener Person das Steppentier in den Versammlungssaal, indem er stets die großen Beratungen mit seinen Häuptlingen führte. Gravitätisch setzte er sich auf seinen niedrigen Elfenbeinsessel und brummte neidig: „Krach genug hast du vor meiner Tür geschlagen. Doch wisse, wenn der Diamant nicht für mich bestimmt ist, nehme ich ihn dir mit Gewalt weg.“ „Wie es dem Oberhäuptling gefällt“, sagte die Gazelle artig. „Bedenke jedoch, daß ich der Gesandte eines großen Negerfürsten bin, und was du mir antust, tust du auch meinem Herrn. Der ist aber so mächtig, daß er, um meinen Tod zu rächen, den Krieg in dein Land hineintragen würde. Drum wäre es besser, wir würden uns vertragen.“ „Ich sehe“, gab der Häuptling nach, „du gehörst zu jenen, mit denen man sich gut stellen muß.“ Er ließ eine hübsche bunte Strohmatte bringen und lud die Gazelle ein, es sich bequem zu machen. Wieder blickte er voll Neid auf den Diamanten und beschwichtigte: „Mußt schon verzeihen, wenn ich ein wenig grob war. Ich habe viel Ärger mit meinem Töchterchen Janganani. Schön ist sie in ihrer köstlichen Bräune, und kein Mischlingsfleck verunstaltet ihre glänzende Haut. Auch heiratsfähig ist sie. Doch da ich nicht reich bin, und es um ihr Ehegeschenk schlecht bestellt ist, will sie keiner meiner habgierigen Häuptlinge haben.“ „Deine Sorgen sind meinem Herrn, dem Negerfürsten Safudu, wohl bekannt“, schwindelte das Gazellchen wacker drauflos. „Und da er gerne dein Töchterchen – die Göttin der Anmut möge sie beschützen – heiraten möchte, sandte er mich als Brautwerber zu dir. Dieses bescheidene Steinchen aber soll ihn dir gewogen machen.“ Warum hast du das nicht gleich gesagt!“ rief freudig der Häuptling, und alle Kummerfalten in seinem Gesicht waren im Nu verschwunden. „Im übrigen wundere ich mich“, heuchelte er, „daß meine Sklaven das Gesetz der Gastfreundschaft mißachtet haben.“ Er klatschte in die Hände und rief: „He! Ihr Faulpelze da draußen! Warum habt ihr nicht längst dem vornehmen Gazellchen ein brokatenes Kissen gebracht! Und du Mundschenk, habe ich nicht schon dreimal ein Schälchen süßer Kokosmilch für unseren liebenswürdigen Gast verlangt! Hat der Koch immer noch nicht eine Platte mit saftigen Gräsern und Wurzeln zusammengestellt?“ „Mach nicht soviel Umstände meinetwegen“, bat das höfliche Gazellchen. „Mein gnädiger Herr ist zwar außerordentlich begütert, doch wer bin ich schon, ich armes Steppentier.“ „Du sollst nicht den Eindruck gewinnen, daß ich zu arm wäre, um dich fürstlich zu bewirten“, entgegnete der Häuptling prahlerisch. Doch dann fiel ihm die Geschichte mit seinem Töchterchen wider ein, und er murmelte verlegen: „Möcht‘ nur wissen, warum ich mich bisher nicht um das Ehegeschenk für Janganani gekümmert habe…“ Er herrschte den herbeieilenden Schatzmeister an: „Solltest du dich nicht schon längst um die Aussteuer meiner Tochter bemühen?“ _“Es war doch kein, kein…stotterte der Arme und hatte die Ausrede auf der Zunge, „Kleingeld in der Schatzkammer.“ „So geht es mir!“ jammerte der Häuptling. „Gold und Diamanten sind genug da, aber meine Sklaven sind zu faul, sie in Münzen umzutauschen. Das wird sich von Stund‘ an ändern! Sage das nur deinem hohen Herrn, und als Schwiegersohn soll es mir genehm sein.“ „Schon recht“, meinte das brave Steppentier. „Gespeist habe ich dank deiner Gastfreundschaft. Den Diamanten bringe getrost in deine Schatzkammer und bereite eine schöne Hochzeit vor. Ehe sich der Mond erneuert, werde ich mit meinem Gebieter und seinen Würdenträgern erscheinen.“ Der Bettler gedachte schon längst nicht mehr der sprechenden Gazelle, da trat eines Nachts das Steppentier an sein Lager heran und weckte ihn. „Der Geist des Gazellchens!“ schrie der Neger erschrocken und verbarg sein Gesicht. „Ich habe keinen Grund, dir als Geist zu erscheinen, nachdem mich der Gott des Todes noch nicht von dieser Erde genommen hat“, beruhigte ihn das gute Tier. „Du redest, wie du es verstehst“, log der Bettler. „Ich habe Tag und Nacht um dich geweint, so bist du mir ans Herz gewachsen, Töchterchen.“ Er dachte aber nur an seinen Silberling. „Deine Treue soll belohnt werden“, flüsterte die kleine Gazelle und rieb sich verstohlen eine Träne mit dem rechten Vorderfuß aus den Augen. „Tue darum, was ich dich heiße, und du wirst deinen Weg ins Glück antreten.“ „Wenn du nicht ein gar seltsames Tier wärst, würde ich deinen geheimnisvollen Reden kaum Glauben schenken“, sagte Safudu. Trotz seiner vertrauensseligen Worte machte er sich voller Argwohn mit der Gazelle auf den Weg.

Sie wanderten viele Tage durch die weiten Steppen, und es war der gleiche Weg, den das Gazellchen schon zweimal zurückgelegt hatte. Als sie nun von weitem die Mauern der Stadt, in denen die schöne Janganani lebte, erblickten, sprach die Gazelle zu dem Bettler: „Setze dich hier nieder, und was jetzt auch geschehen mag, trage es mit Geduld, denn dies ist der Weg, der dich zum Ziele führen wird.“ Safudu blickte das Tier aus nicht verstehenden Augen an, da ging die Gazelle gar arg auf ihn los. Sie stieß ihn mit den Hinterläufen in den Rücken, wälzte ihn durch einen schmutzigen Tümpel und zerfetzte ihm mit den Hörnern sein armseliges Bettlergewand noch mehr, als es schon zerrissen war. Da jammerte der fassungslose Safudu zum Steinerweichen und war fest davon überzeugt, daß in die kleine Gazelle ein böser Geist gefahren sei. Das brave Tier aber sprach ihm schon wieder Trost zu: „Trage deinem Sklaven die Schändlichkeit nicht nach. Es ist alles zu deinem Besten. Gedulde dich nur ein kleines Weilchen, bis ich wieder zurück bin.“ Und ohne weiter auf Klagen des Negers zu hören, eilte die Gazelle von dannen und machte nicht eher halt, als bis sie vor dem Palast des Oberhäuptlings angelangt war. Diesmal beeilte sich die Torwache, das Steppentier einzulassen. Ein besonders emsiger Hüter lief, so schnelle ihn seine Füße tragen konnten, zu seinem Gebieter und rief: „O Herr! Fürst Safudu naht. Sein Sendbote, die sprechende Gazelle, ist bereits eingetroffen!“ Freudig ging der Häuptling der Gazelle entgegen. Diese fiel vor ihm auf die Knie und jammerte: „Ach Häuptling! Schreckliches ist meinem armen Herrn zugestoßen. Unsere Safari, bestehend aus zahlreichen Trägern und Lasttieren, ist kurz vor deiner Stadt von einer Räuberbande überfallen worden. Wegelagerer verschleppten unsere Sklaven, Maulesel und Kamele, raubten die kostbaren Geschenke. Meinem Herrn wurden die Kleider vom Leib gerissen, und nur sein heldenhafter Kampf bewahrte ihn vor dem Los der bitteren Gefangenschaft!“ Die Gazelle schluchzte und klagte herzzerreißender, als es vorher ihr geprügelter Herr getan hatte. Der Oberhäuptling überlegte nun: „Der Diamantenklumpen war die Gabe eines Fürsten, und mag jener auch noch so viel verloren haben, die Besitztümer in seiner Heimat werden bestimmt unermeßlich sein.“ Er ließ nach einigen Überlegungen sein bestes Pferd satteln und gab den Befehl, aus seiner Kleidertruhe ein Prachtgewand zu holen. Er selbst aber suchte in der Waffenkammer ein herrliches verziertes Krummschwert für seinen beraubten Besucher aus. Dann wandte er sich an die Gazelle und sprach: „ Mögen meine Gaben deinem Herrn einen ehrenvollen Einzug in diese Stadt gewähren. Die aber gebe ich als Träger einen kräftigen Sklaven mit.“ „Das ist nicht notwendig“, widersprach das Steppentier. „Es könnte sogar dem Fürsten Safudu unangenehm sein, wenn ihn deine Sklaven in seiner Armseligkeit sehen würden.“ „Ich verstehe“, pflichtete der Häuptling bei. „Wer sollte ihm aber die Kleider bringen?“ „Lasse alles auf das Roß binden und lege mir die Zügel des Pferdes um den Hals“, entgegnete die Gazelle. „Das weitere soll meine Aufgabe sein.“ Gesagt, getan! Schon galoppierte Pferd und Steppentier zum Tor hinaus. Die Leute auf den Gassen staunten über das ungewöhnliche Bild und raunten sich zu: „Dieser Negerfürst muß noch viel vornehmer sein als unser Herr. Das beweist schon die edle Gazelle. Erkennt man nicht am Diener den Herrn?“ Als der Bettler die beiden herantraben sah, schüttelte er ärgerlich den Kopf und rief: „Mit dir Töchterchen, hat man nichts als Ärger! Erst verbeulst du mich nach allen Regen der Kunst. Dann überläßt du mich meinem Schicksal, und jetzt bringst du noch so einen aufgeblasenen Hungerleider mit. Wie soll ich Armer euch ernähren?“ „Kränke dich nicht“, besänftigte die Gazelle. „Das Pferd wird dich keinen Hafer kosten. Es hat dir nur dein Staatsgewand gebracht, damit du dich im Palast des Oberhäuptlings sehen lassen kannst. In deinem Bettlerrock konntest du schließlich nicht um die Hand der Tochter jenes Großen bitten.“ „Ich …und die Tochter eines Oberfürsten freien!“ rief Safudu erschrocken. „Dazu gehört ein so kostbares Hochzeitsgeschenk, wie es hundert Bettler nicht in hundert Jahren aufzubringen vermögen.“ „Es ist bereits alles in kostbaren Diamanten bezahlt“, begann die Gazelle zu erklären und weihte ihren Herrn in die seltsamen Geschehnisse ein. Safudu kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ungestüm stürzte er sich auf das schöne Gewand, hieb kühn mit dem Krummschwert in der Luft herum und klopfte dem geduldig wartenden Roß den Hals. Dann aber rannte er hüpfend und jubelnd zum sanft dahin fließenden Bächlein, nahm ein ordentliches Bad und zog das langwallende blütenweiße Kittelgewand an. „Tja!“ rief er, sich im Wasser des Baches spiegelnd. „Nun wären wir wieder so vornehm, wie es sich für unsereins gebührt.“ „Schmuck schaust du aus“, gab das Gazellchen zu. „Nicht wahr“, bestätigte Safudu geschmeichelt. „Doch laß nur, Töchterchen, wenn ich erst wie jener Oberhäuptling auf einem elfenbeinernen Thron sitze, sollst du es bei mir gut haben. Du wirst die saftigsten Gräser zu futtern bekommen. Täglich sollst du gebürstet werden, daß dein Fellchen wie Seide glänzt. Auf einem handgewebten Teppich mit vielen Brokatkissen wirst du deine Ruhestätte haben. Doch eins, Töchterchen, du darfst niemals darüber schwatzen, daß es mir einmal nicht besonders gut ging.“ Als die Gazelle nicht gleich antwortete, hob er den Zeigefinger seiner Rechten und mahnte mit strenger Miene: „Vergiß nicht, daß du mir zu Dank verpflichtet bist! Hätte ich dich nicht dem Bauern abgekauft, du lebtest heute noch im bittersten Elend.“ „Ich bin dein Sklave“, entgegnete das Tier unterwürfig, drückte sich schmeichelnd an Safudu, und der Neger streichelte ihm das Fell. Da meinte das Gazellchen: „Da ich gerade deine Hände fühle, noch einen guten Rat. Willst du dir nicht ein wenig die Fingernägel reinigen? Die Menschen könnten sonst merken, obwohl Kleider Leute machen, daß due bisher in einer Abfallgrube…“ „Hab ich dir nicht verboten, an der Vergangenheit zu rühren!“ schimpfte der Bettler drauf los. Er tat nach dem Rat der Gazelle, nörgelte aber dabei: „Im übrigen haben wir jetzt keine Zeit zu langem Gerede. Mein vornehmer Schwiegervater wird mich bereits sehnsüchtig erwarten.“ In der Tat, der Oberhäuptling hatte bereits seine Krieger am Stadttor Aufstellung nehmen lassen, um den vermeintlichen Fürsten würdig und mit allen Ehrenbezeugungen zu empfangen. Der heranreitende Bettler war von all der Pracht so verwirrt, daß er beinahe das Krummschwert hätte fallen lassen. Da redete die Gazelle auf ihn ein: „Nimm Haltung an, Herr! Dort drüben wartet bereits der Oberhäuptling mit all seinen Großen auf dich. Auch geziemt es sich, daß du vom Pferde steigst und den Würdenträgern huldvoll entgegen gehst.“ Safudu tat, wie ihm das Steppentier riet, und nun begann ein Begrüßen und Umarmen, als ob sie alle einander schon seit hundert Jahren kennen würden. Schließlich aber marschierten sie unter lustigen Baumtrommelwirbel und jubilierenden Pfeifenklang zum Versammlungshaus. Dort duftete es gar lieblich nach gerösteten Hammeln und Mohrengrütze. Als man endlich beim Nachtisch war und sich Bananen und Kakteenfrüchte wohl bekommen ließ, meinte die Gazelle: „Wohl hat es meinem Herrn, dem Fürsten Safudu, bei dir, Oberhäuptling, gar wohl gemundet. Er verzehrt sich aber beinahe in Ungeduld, die schöne Janganani sehen zu dürfen.“ Gut gesprochen!“ erwiderte der Häuptling. Im stillen dachte er: „Es wird auch Zeit, sonst wird hier länger schnabuliert, als es in meinen Vorratskammern zuträglich ist.“ Er klopfte dreimal in die Hände, und schon wurde die Braut von ihren Sklavinnen in den Saal geleitet. „Ei!“ raunte da Safudu der Gazelle zu. „Sie ist wahrscheinlich nicht übel. Nicht zu dick und nicht zu dünn. Nicht zu alt und nicht zu jung. Nicht zu alt und nicht zu jung. Ihr Gesicht ist wie der silberne Mond, und ihre Augen leuchten wie der schwarze Mohn. Sie ist ganz so, wie es sich für einen Mann meines hohen Standes geziemt.“ Der Sitte gemäß war die Begrüßung der Brautleute recht kurz, desto länger aber waren die Reden des Medizinmannes. Der mußte nicht nur die Hände der beiden ineinanderlegen, sondern auch noch den Heiratsvertrag aufsetzen, und die Krieger des Stammes begannen einen so wilden Tanz, daß der Erdboden unter ihren stampfenden Füßen weithin dröhnte. Als es nun am lustigsten zuging, erhob sich die Gazelle, machte artige Verbeugungen nach rechts und links und sprach: „Oberhäuptling, des Landes! Mein hoher Gebieter, Prinz Safudu, meint, daß es an der Zeit sei, mich in unser Land zu entsenden, damit ich das Schloß für das jungen Paar herrichten lasse. Doch ehe der Honigmond der jungen Brautleute verstrichen ist, will ich wieder hier sein, um sie heimzuführen.“ Da klatschten alle Gäste in die Hände und der Häuptling lobte den Eifer der Gazelle. Safudu aber raunte dem Steppentier ängstlich zu: „Wie kannst du mich jetzt, wo ich dich am nötigsten brauche, einfach im Stich lassen! Ist das der Dank, den du mir schuldest?“ „Scht!“ wisperte die Gazelle. „Nicht so laut.“ „Du hast gut reden“, wimmerte der Neger. „Dein Fell bringst du in Sicherheit, aber mich wird man, wenn man hinter unsere Lügen kommt, in eine Löwenfanggrube werfen und bei lebendigem Leibe verhungern lassen.“ „Habe ich dich jemals im Stich gelassen?“ verteidigte sich die Gazelle. Sie schubste Safudu in einen Winkel des Saales und redete auf ihn ein: „Erinnerst du dich jener menschenleeren Stadt, die wir auf unserm Wege durchwanderten? Gedenkst du noch des herrlichen Palastes, den wir dort gesehen haben? Darum wisse, so uns die Götter gewogen sind, wird dir statt der totbringenden Löwengrube jener Palast beschieden sein.“ Die ängstlichen Zweifel ihres Herrn nicht weiter beachtend, machte sich die mutige Gazelle auf den Weg ins unbekannte Abenteuer. Sie quälte sich durch glühenden Wüstensand, überwand felsige Gebirgszüge, fand da und dort ein bescheidenes Weideplätzchen und Oasen mit frischem klaren Wasser. Schließlich kam sie vor die gesuchte Stadt. Immer noch waren Tore und Mauern nicht bewacht, und durch welche Gasse sie auch lief, nirgends vermochte sie eine lebende Seele zu entdecken. „Die Häuser, Hütten und Basare sind schön, dennoch ist kein Mensch zu sehen. Irgendein böser Zauber muß über allem liegen. Wenn ich hier weitertrabe, könnte es mein Tod sein“, dachte das Gazellchen und sein Herzchen schlug in tausend Ängsten. Da sah sie einen Palmenhain, in dem die großen buntfarbigen Statuen der Götter des Landes aufgestellt waren. „Ich sollte mir durch ein kurzes Gebet Kraft holen“, überlegte die Gazelle und stand schon vor der hölzernen Bildsäule des Gottes der Tiere und Blumen. Ergeben ließ sie sich auf ihren Vorderfüßen nieder, und in Gedanken stellte sie sich die bange Frage, was mit den Menschen jener Stadt geschehen sein möge. Da aber sprach die der in der Statue lebende Gott zu ihr: „Es ist nicht gut, Gazelle, daß du deinen Weg in diese Stadt genommen hast. Die Menschen hier waren so schlecht zu allen Tieren, so daß ich meine schützende Hand über alles, was dem Menschen angetan ist, ausstrecken mußte.“ „Was geschah mit den Bewohnern der Stadt?“ fragte neugierig die Gazelle.
Der Gott der Tiere und Bäume antwortete: „Eines Tages hielten die Tiere großen Rat ab. Und sie beschlossen, jene Stadtmenschen, deren Seele schwärzer als ihr Antlitz war, zu bestrafen. Die Königin Tsetse, Herrscherin jener Stechfliegen, die den ewigen Schlaf über die Lebewesen zu verbreiten wissen, handelte, wie auf der großen Tierversammlung beschlossen wurde.“ „Darum sehe ich keinen Menschen in den Gassen“, meinte das Gazellchen. Schon fragte es weiter: „Könntest du der Königin Tsetse nicht befehlen, die Strafe wieder aufzuheben?“ „Deine Bitte erstaunt mich“, antwortete der Gott. „Gehörst du nicht auch du zu den Lebewesen, die unter der Hartherzigkeit der Menschen zu leiden haben!“ Er brummte und knurrte in seiner Statue, als ob der Gott der Blumen und Pflanzen voller Unzufriedenheit wäre. Doch dann setzte er, wenn auch widerwillig hinzu: „Der Rat endete mit dem Übereinkommen: So es ein Tier gäbe, das nur Gutes über seinen Herrn und Gebieter zu vermelden hätte, dürfte die Strafe aufgehoben werden und…“ „Ich vermag es!“ jubelte das Gazellchen. „Schau der Bettler Safudu hat mich für das einzige Silberstück, mit dem er seinen Hunger hätte stillen können, erstanden. Seine kümmerliche Lagerstätte hat er mit mir geteilt, und nur Gutes steht mir an seiner Seite bevor.“ „Wenn es so ist“, murmelte der Gott in der Statue, „soll um dieses einzigen Gerechten willen die Strafe des Schlafes von der Stadt genommen werden. Dein Herr Safudu aber möge als Häuptling in diese Stadt einziehen und zum guten Vorbild seiner Mitmenschen werden.“ Das Steppentier nickte dreimal dankend mit seinem Köpfchen und wollte schon davon eilen. Der Gott aber rief: „Warte, Gazelle, noch weißt du nicht alles. Die Tiere beschlossen auf dem großen Palaver: So eins unsere Gattung sich für einen Menschen verbürgt, jener aber die Güte der Tiere mißbraucht, also Gutes mit Schlechtem vergilt-also du Gazelle-dafür bitter büßen.“ „Mit einem Herrn wie dem meinen brauche ich nichts zu befürchten“, entgegnete die Gazelle aus tiefster Überzeugung. Wieder machte sie sich auf den Weg. „Lange genug bist du fortgeblieben!“ fuhr Safudu unfreundlich das Steppentier an. „Du glaubst ja kaum,was für einen Ärger ich mit diesem geizigen Oberhäuptling hier hatte. Jeden Bissen hielt er mir vor. Jeden Tag fragte er, wann ich endlich mit meinem Weibe aufbrechen würde.“ „Ich verstehe deine Schwierigkeiten“, tröstete ihn die Gazelle. Doch wisse, es ist alles so eingerichtet daß du zufrieden sein wirst. Erlaube mir also, dem Häuptling zu melden, daß du mit deiner Frau und Sklavinnen in dein Schloß abzureisen gedenkst.“ „Mögen die Götter wissen, ob man dir trauen kann“, murmelte Safudu Kwaku. Nur die Eile der Gazelle verhinderte jeden weiteren Wortwechsel. Am Stadttor seiner neuen Residenz, der bisher schlafenden Stadt, wurde Safudu von einer verwegenen Kamelreiterei empfangen. Durch die Gassen des Städtchens erschollen sogleich brausende Rufe: „Es lebe unser Oberhäuptling Safudu! Es lebe unser Erwecker aus dem Todesschlaf!“ „Nun“, wandte sich Safudu stolz an seine Gemahlin, „wie gefällt es die, wie alle Welt mich in meinem Reich feiert?“ „Du solltest über deine Freude die brave Gazelle nicht vergessen“, entgegnete Janganani. „Ich fühle es, daß jene viel zu deinem Erfolg beigetragen hat. Sie wäre würdig, dein beratender Unterhäuptling zu sein.“ „Haha!“ lachte Safudu. „Welch närrischer Gedanke! Ein Vierfüßler als Berater eines großen Unterhäuptlings“ Während sie so so sprachen,waren sie vor dem Palast angelangt. An der Pforte empfing sie ein altes Weiblein mit den Worten: „Schön ist es, Safudu daß du den Palast des unlängst verstorbenen Oberhäuptling beziehen willst. Doch sage, wo ist deine dienende Gazelle?“ „Du hättest dich zuerst nach meinem Wohlbefinden erkundigen sollen, denn ich bin es, der von Stunde an das Land regieren wird“, belehrte Safudu. „Schon gut, schon gut!“ erwiderte unwillig die Alte. „Für dich und deine schöne Gemahlin sind die Kammern wohl hergerichtet. Ich wollte nur noch fragen, wo ich das Kämmerlein für dein Gazellchen richten soll?“ „Für ein Steppentier ein Kämmerlein!“ rief Safudu ärgerlich aus. „Vielleicht noch mit einem Diwan und Brokatkissen.“ Als in die Alte mit einem begütigenden: „Nun, nun!“ zu besänftigen versuchte, räumte Safudu versöhnlich ein: „So gib der Gazelle ein Eckchen in einem der vielen Ziegenställe.“

Tsetse, die Königin der Stechfliegen, hatte bereits dem Gazellchen bittere Vorwürfe gemacht: „Da sieh nur“, hatte sie dem Steppentier surrend zugeraunt, „wie häßlich den undankbarer Herr über dich spricht. Weder als Berater will er dich, noch gönnt er dir ein weiches Lager.“ „Er wird es nicht so arg gemeint haben“, sagte das Steppentier. „Die Zukunft wird lehren, ob du recht hast“, meinte die Königin zweifelnd. „Doch so leid es mir tut, Steppentier, ich muß jetzt an dir so handeln, wie es die Tiere auf dem großen Rat beschlossen haben. Und so wird erst eines deiner Beinchen vor Müdigkeit lahmen, dann das zweite…“ Doch tröstend fuhr sie fort: „Dies braucht keineswegs das Ende zu sein, armes Gazellchen. Sollte dein Herr sich doch noch in Güte zu dir bekennen, wird dir Gesundung werden, und du wirst nicht dem ewigen Schlaf anheimfallen.“ Da schlich die kleine Gazelle traurig zu ihrem Herrn hin, schob sich ganz dicht an ihn heran und bat: „Teurer Gebieter, gestatte deinem Sklaven, daß er sich einige Stunden ausruht, meine Hinterläufe sind so müde, daß ich mich kaum noch aufrecht zu halten vermag.“ „Gerade jetzt, wo du mir über mein Hab und Gut Rechenschaft ablegen sollst!“ murmelte Safudu arg verstimmt. Getreu raffte sich das Gazellchen zusammen und humpelte zu der Schatzkammer des früheren Häuptlings hin. Als das geplagte Tier dem neuen Herrscher die Berge von Diamanten und Goldklumpen zeigte, rief Safudu stolz: „Wer kommt mir gleich! Die Götter weußten, daß ich, nur ich, eines solches Reichtums würdig sei!“ Und gierig wühlte er mit seinen Händen in den Schätzen. „Die arme Gazelle vermag sich kaum noch zu schleppen“, wandte die herankommende Janganani ein. „Und du Safudu, denkst nur an deine Reichtümer!“ „Das Vieh soll sich irgendwo aufs Stroh legen, damit ich endlich in Ruhe meine Schätze betrachten kann!“ schimpfte der Neger und zornig wies er die Gazelle zur Tür hinaus. Stirnrunzelnd begleitete Janganani das todwunde Tier. Schon nach kurzer Zeit kehrte die junge Frau wieder zurück. Nach Art der Trauernden hatte sie ihr Gesicht tief in den Kopfschleier verhüllt und rief unter Tränen: „Ach Safudu, die arme Gazelle ist soeben gestorben!“ „Na und?“ gab Safudu, immer noch im Golde wühlend zurück. „Ist das nicht das Los aller Lebewesen auf Erden?“ „Sicher“, gab Janganani mit traurigem Blick zu. „Wir aber sollten die Gazelle würdig zu Grabe tragen, den sie war dir immer ein treuer Diener.“ „Albernes Weibergewäsch!“ herrschte Safudu seine Gemahlin an. „Ich habe das Tier auf dem Markt für eine Stange Gold gekauft. Das Gold ist hin, soll ich es jetzt noch weiter draufzahlen! Laß den Kadaver verscharren, damit er uns nicht noch die Luft verpestet. Schluß mit dem Gejammer!“

„Wo bich ich? Was ist mir geschehen!“ fragte sich ängstlich Safudu, als er aus seinem seltsamen Traum in der Abfallgrube erwachte. Stechfliegen bedrängten ihn hart, und neben ihm kratzte eine Gazelle in irgendwelchen schäbigen Resten herum. Und plötzlich blökte sie den Bettler, der sie erstaunt anstarrte, mitten ins Gesicht. Bang riß der Neger sein buntes Käppchen vom Kopfe, als er jedoch den gefundenen Silberling in den Händen fühlte, atmete er erleichtert auf und murmelte: „So war wenigstens die Geschichte mit dem Silberling kein Traum! Jener Häuptling meines Namens muß ein sehr böser Mensch gewesen sein.“ Da ihm die Gazelle erneut ins Gesicht blökte, als wolle auch sie sagen: „Wirklich ein böser Mann!“ zog er sie liebevoll an sich heran und meinte mit sanfter Stimme: „Der Gott der Tiere und Blumen hat dich bestimmt zu mir gesandt, damit ich durch dich meine Seele läutere. Da du, Gazellchen, bestimmt weder Herrn noch Stall hast, bleibe bei mir, damit ich an dir gut zu machen vermag, was ich im Traume Arges getan habe!“ Da freute sich der Gott der Tiere und Blumen. In seiner Gnade half er dem Bettler Safudu, sodaß er eines Tages sogar zum Häuptling derStadt gewählt wurde, in deren Mauern er Schutz und Zuflucht gefunden hatte. Der neue Oberhäuptling aber erhob er zum Stammeszeichen das Bild der Gazelle, des edelsten Steppentiers der Steppentiere.

Ein sudanesiches Märchen

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