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Märchenbasar

Der dankbare Königssohn

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Einmal hatte sich ein König des Goldlandes im Walde verirrt und konnte, trotz alles Suchens und hin und her Streifens, den Ausweg nicht finden. Da trat ein fremder Mann zu ihm und fragte: »Was suchst du, Brüderchen, hier im dunklen Walde, wo nur wilde Thiere hausen?« Der König erwiederte: »Ich habe mich verirrt und suche den Weg nach Hause.« »Versprecht mir zum Eigenthum, was euch zuerst auf eurem Hofe entgegenkommen wird, so will ich euch den rechten Weg zeigen,« sagte der Fremde.
Der König sann eine Weile nach und erwiederte dann: »Warum soll ich wohl meinen guten Jagdhund einbüßen? Ich finde mich wohl auch noch selbst nach Hause.« Da ging der fremde Mann fort, der König aber irrte noch drei Tage im Walde umher, bis sein Speisevorrath zu Ende ging; dem rechten Wege konnte er nicht auf die Spur kommen. Da kam der Fremde zum zweiten Mal zu ihm und sagte: »Versprecht ihr mir zum Eigenthum, was euch auf eurem Hofe zuerst entgegenkommt?« Da der König aber sehr halsstarrig war, wollte er auch dies Mal noch nichts versprechen. Unmuthig durchstreifte er wieder den Wald in die Kreuz und die Quer, bis er zuletzt erschöpft unter einem Baume niedersank und seine Todesstunde gekommen glaubte. Da erschien der Fremde – es war kein anderer als der »alte Bursche« selber – zum dritten Male vor dem Könige und sagte: »Seid doch nur kein Thor! Was kann euch an einem Hunde so viel gelegen sein, daß ihr ihn nicht hingeben mögt, um euer Leben zu retten? Versprecht mir den geforderten Führerlohn, und ihr sollt eurer Noth ledig werden und am Leben bleiben.« »Mein Leben ist mehr werth, als tausend Hunde!« entgegnete der König. »Es hängt daran ein ganzes Reich mit Land und Leuten. Sei es denn, ich will dein Verlangen erfüllen, führe mich nach Hause!« Kaum hatte er das Versprechen über die Zunge gebracht, so befand er sich auch schon am Saum des Waldes und konnte in der Ferne sein Schloß sehen. Er eilte hin und das Erste, was ihm an der Pforte entgegen kam, war die Amme mit dem königlichen Säugling, der dem Vater die Arme entgegenstreckte. Der König erschrack, schalt die Amme und befahl, das Kind eiligst hinweg zu bringen. Darauf kam sein treuer Hund wedelnd angelaufen, wurde aber zum Lohn für seine Anhänglichkeit mit dem Fuße fortgestoßen. So müssen schuldlose Untergebene gar oft ausbaden, was die Oberen in tollem Wahne Verkehrtes gethan haben.
Als des Königs Zorn etwas verraucht war, ließ er sein Kind, einen schmucken Knaben, gegen die Tochter eines armen Bauern vertauschen, und so wuchs der Königssohn am Herde armer Leute auf, während des Bauern Tochter in der königlichen Wiege in seidenen Kleidern schlief. Nach Jahresfrist kam der alte Bursche, um seine Forderung einzuziehen und nahm das kleine Mädchen mit sich, welches er für das echte Kind des Königs hielt, weil er von der betrügerischen Vertauschung der Kinder nichts erfahren hatte. Der König aber freute sich seiner gelungenen List, ließ ein großes Freudenmahl anrichten, und den Eltern des geraubten Kindes ansehnliche Geschenke zukommen, damit es seinem Sohne in der Hütte an Nichts fehlen möge. Den Sohn wieder zu sich zu nehmen, getraute er sich nicht, weil er fürchtete, der Betrug könnte dann heraus kommen. Die Bauernfamilie war mit dem Tausche sehr zufrieden; sie hatten einen Esser weniger am Tische und Brot und Geld im Ueberfluß.
Inzwischen war der Königssohn zum Jüngling herangewachsen, und führte im Hause seiner Pflege-Eltern ein herrliches Leben. Aber er konnte dessen doch nicht recht froh werden. Denn als er vernommen hatte, wie es gelungen war, ihn zu befreien, war er sehr unwillig darüber, daß ein armes unschuldiges Mädchen statt seiner büßen mußte, was seines Vaters Leichtsinn verschuldet hatte. Er nahm sich daher fest vor, entweder, wenn irgend möglich, das arme Mädchen frei zu machen, oder mit demselben umzukommen. Auf Kosten einer Jungfrau König zu werden, war ihm zu drückend. Eines Tages legte er heimlich die Tracht eines Bauernknechtes an, lud einen Sack Erbsen auf die Schulter und ging in jenen Wald, wo sein Vater sich vor achtzehn Jahren verirrt hatte.
Im Walde fing er laut an zu jammern: »O ich Armer, wie bin ich irre gegangen! Wer wird mir den Weg aus diesem Walde zeigen? Hier ist ja weit und breit keine Menschenseele zu treffen!« Bald darauf kam ein fremder Mann mit langem grauen Barte und einem Lederbeutel am Gürtel, wie ein Tatar, grüßte freundlich und sagte: »Mir ist die Gegend hier bekannt, und ich kann euch dahin führen, wohin euch verlangt, wenn ihr mir eine gute Belohnung versprecht.« »Was kann ich armer Schlucker euch wohl versprechen,« erwiederte der schlaue Königssohn, »ich habe nichts weiter als mein junges Leben, sogar der Rock auf meinem Leibe gehört meinem Brotherrn, dem ich für Nahrung und Kleidung dienen muß.« Der Fremde bemerkte den Erbsensack auf der Schulter des Andern und sagte: »Ohne alle Habe müßt ihr doch nicht sein, ihr tragt ja da einen Sack, der recht schwer zu sein scheint.« »In dem Sacke sind Erbsen,« war die Antwort. »Meine alte Tante ist vergangene Nacht gestorben und hat nicht so viel hinterlassen, daß man den Todtenwächtern nach Landesbrauch gequollene Erbsen vorsetzen kann. Ich habe mir die Erbsen von meinem Wirthe um Gottes Lohn ausgebeten, und wollte sie eben hinbringen; um den Weg abzukürzen, schlug ich einen Waldpfad ein, der mich nun, wie ihr seht, irre geführt hat.« »Also bist du, aus deinen Reden zu schließen, eine Waise,« sagte der Fremde grinsend. »Möchtest du nicht in meinen Dienst treten, ich suche gerade einen flinken Knecht für mein kleines Hauswesen, und du gefällst mir.« »Warum nicht, wenn wir Handels einig werden, antwortete der Königssohn. Zum Knecht bin ich geboren, fremdes Brot schmeckt überall bitter, da ist es mir denn ziemlich einerlei, welchem Wirth ich gehorchen muß. Welchen Jahreslohn versprecht ihr mir?« »Nun,« sagte der Fremde, »alle Tage frisches Essen, zwei Mal wöchentlich Fleisch, wenn außer Hause gearbeitet wird, Butter oder Strömlinge als Zukost, vollständige Sommer- und Winterkleidung, und außerdem noch zwei Külimit-Theil Land zu eigener Nutznießung.« »Damit bin ich zufrieden,« sagte der schlaue Königssohn. »Die Tante können auch Andere in die Erde bringen, ich gehe mit euch.«
Der alte Bursche schien mit diesem vortheilhaften Handel sehr zufrieden zu sein, er drehte sich wie ein Kreisel auf einem Fuße herum, und trällerte so laut, daß der Wald davon wiederhallte. Alsdann machte er sich mit seinem neuen Knechte auf den Weg, wobei er bemüht war, die Zeit durch angenehme Plaudereien zu verkürzen, ohne zu bemerken, daß sein Gefährte, je nach zehn und fünfzehn Schritten immer eine Erbse aus dem Sack fallen ließ. Ihr Nachtlager hielten die Wanderer im Walde unter einer breiten Fichte, und setzten am andern Morgen ihre Reise fort. Als die Sonne schon hoch stand, gelangten sie an einen großen Stein. Hier machte der Alte Halt, spähte überall scharf umher, pfiff in den Wald hinein und stampfte dann mit dem Hacken des linken Fußes dreimal gegen den Boden. Plötzlich that sich unter dem Stein eine geheime Pforte auf, und es wurde ein Eingang sichtbar, welcher der Mündung einer Höhle glich. Jetzt faßte der alte Bursche den Königssohn beim Arm und befahl in strengem Tone: »Folge mir!«
Dicke Finsterniß umgab sie hier, doch kam es dem Königssohne vor, als ob ihr Weg immer weiter in die Tiefe führe. Nach einer guten Weile zeigte sich wieder ein Schimmer, aber das Licht war weder dem der Sonne, noch dem des Mondes zu vergleichen. Scheu erhob der Königssohn den Blick, aber er sah weder einen Himmel noch eine Sonne; nur eine leuchtende Nebelwolke schwebte über ihnen und schien diese neue Welt zu bedecken, in der Alles ein fremdartiges Gepräge trug. Erde und Wasser, Bäume und Kräuter, Thiere und Vögel, Alles erschien anders, als er es früher gesehen hatte. Was ihn aber am meisten befremdete, war die wunderbare Stille ringsum; nirgends war eine Stimme oder ein Geräusch zu vernehmen. Alles war still wie im Grabe; nicht einmal seine eigenen Schritte verursachten ein Geräusch. Man sah wohl hie und da einen Vogel auf dem Aste sitzen mit lang gerecktem Halse und aufgeblähter Kehle, als ob ein Laut heraus komme, aber das Ohr vernahm ihn nicht. Die Hunde sperrten die Mäuler auf, wie zum Bellen, die Ochsen hoben, wie sie pflegen, den Kopf in die Höhe, als ob sie brüllten, aber weder Gebell noch Gebrüll wurde hörbar. Das Wasser floß ohne zu rauschen über die Kiesel des flachen Grundes, der Wind bog die Wipfel des Waldes, ohne daß man ein Säuseln hörte, Fliege und Käfer flogen ohne zu summen. Der alte Bursche sprach kein Wort, und wenn sein Gefährte zuweilen zu sprechen versuchte, so fühlte er gleich, daß ihm die Stimme im Munde erstarb.
So waren sie, wer weiß wie lange, in dieser unheimlichen stillen Welt dahin gezogen, die Angst schnürte dem Königssohne das Herz zu und sträubte sein Haar wie Borsten empor, Schauerfrost schüttelte seine Glieder – als endlich, o Wonne! das erste Geräusch sein lauschendes Ohr traf, und dieses Schattenleben zu einem wirklichen zu machen schien. Es kam ihm vor, als ob eine große – Roßherde sich durch Moorgrund durcharbeitete. Nun that auch der alte Bursche seinen Mund auf und sagte, indem er sich die Lippen leckte: »Der Breikessel siedet, man erwartet uns zu Hause!« Wieder waren sie eine Weile weiter gegangen, als der Königssohn das Dröhnen einer Sägemühle zu hören glaubte, in der mindestens ein Paar Dutzend Sägen zu arbeiten schienen, der Wirth aber sagte: »Die alte Großmutter schläft schon, sie schnarcht.«
Sie erreichten dann den Gipfel eines Hügels, und der Königssohn entdeckte in einiger Entfernung den Hof seines Wirthes; der Gebäude waren so viele, daß man das Ganze eher für ein Dorf oder eine kleine Vorstadt hätte halten können, als für die Wohnung eines Besitzers. Endlich kamen sie an, und fanden an der Pforte ein leeres Hundehäuschen. »Krieche hinein,« herrschte der Wirth, »und verhalte dich ruhig, bis ich mit der Großmutter deinetwegen gesprochen habe. Sie ist, wie die alten Leute fast alle, sehr eigensinnig, und duldet keinen Fremden im Hause.« Der Königssohn kroch zitternd in’s Hundehäuschen und begann schon seine Ueberkühnheit, die ihn in diese Klemme gebracht hatte, zu bereuen.
Erst nach einer Weile kam der Wirth wieder, rief ihn aus seinem Schlupfwinkel heraus und sagte mit verdrießlichem Gesicht: »Merke dir jetzt genau unsere Hausordnung und hüte dich, dagegen zu verstoßen, sonst könnte es dir hier recht schlecht gehen:

Augen, Ohren halte offen,
Mundes Pforte stets verriegelt!
Ohne Weigerung gehorche,
Hege, wie du willst, Gedanken,
Rede nimmer, wenn gefragt nicht.«

Als der Königssohn über die Schwelle trat, erblickte er ein junges Mädchen von großer Schönheit, mit braunen Augen und lockigem Haar. Er dachte in seinem Sinne: »Wenn der Alte solcher Töchter viele hätte, so möchte ich gern sein Eidam werden! Das Mädchen ist ganz nach meinem Geschmack.« Die schöne Maid ordnete nun, ohne ein Wort zu sprechen, den Tisch, trug die Speisen auf und nahm dann bescheiden ihren Sitz am Herde ein, als ob sie den fremden Mann gar nicht bemerkt hätte. Sie nahm Garn und Nadeln und fing an, ihren Strumpf zu stricken. Der Wirth setzte sich allein zu Tisch, und lud weder Knecht noch Magd dazu, auch die alte Großmutter war nirgends zu sehen. Des alten Burschen Appetit war grenzenlos; binnen Kurzem machte er reine Bahn mit Allem, was er auf dem Tische fand, und davon hätten doch wenigstens ein Dutzend Menschen satt werden können. Nachdem er endlich seinen Kinnladen Ruhe gegönnt hatte, sagte er zur Jungfrau: »Kehre jetzt aus, was auf dem Boden der Kessel und Grapen ist, und sättiget euch mit den Resten, die Knochen aber werfet dem Hunde vor.«
Der Königssohn verzog wohl den Mund über das angekündigte Kesselbodenkehrichtsmahl, welches er mit dem hübschen Mädchen und dem Hunde zusammen verzehren sollte. Aber bald erheiterte sich sein Gesicht wieder, als er fand, daß die Reste ein ganz leckeres Mahl auf den Tisch lieferten. Während des Essens sah er unverwandt das Mädchen verstohlener Weise an, und hätte wer weiß wie viel darum gegeben, wenn er einige Worte mit ihr hätte sprechen dürfen. Aber sobald er nur den Mund zum Sprechen öffnen wollte, begegnete ihm der flehende Blick des Mädchens, der zu sagen schien: »Schweige!« So ließ denn der Jüngling seine Augen reden, und gab dieser stummen Sprache durch seinen guten Appetit Nachdruck, denn die Jungfrau hatte ja doch die Speisen bereitet, und es mußte ihr angenehm sein, wenn der Gast brav zulangte und ihre Küche nicht verschmähte. Der Alte hatte sich auf der Ofenbank ausgestreckt und machte seinem vollen Magen dermaßen Luft, daß die Wände davon dröhnten.
Nach der Abend-Mahlzeit sagte der Alte zum Königssohn: »Zwei Tage kannst du von der langen Reise ausruhen, und dich im Hause umsehen. Uebermorgen Abend aber mußt du zu mir kommen, damit ich dir die Arbeit für den folgenden Tag anweisen kann; denn mein Gesinde muß immer früher bei der Arbeit sein, als ich selber aufstehe. Das Mädchen wird dir deine Schlafstätte zeigen.« Der Königssohn nahm einen Ansatz zum Sprechen, aber o weh! der alte Bursche fuhr wie ein Donnerwetter auf ihn los und schrie: »Du Hund von einem Knecht! Wenn du die Hausordnung übertrittst, so kannst du ohne Weiteres um einen Kopf kürzer gemacht werden. Halt das Maul und jetzt scher‘ dich zur Ruhe!«
Das Mädchen winkte ihm, mitzukommen, schloß dann eine Thür auf und bedeutete ihn, hineinzutreten. Der Königssohn glaubte eine Thräne in dem Auge des Mädchens quillen zu sehen und wäre gar zu gern noch auf der Schwelle stehen geblieben, aber er fürchtete den Alten und wagte nicht länger zu zögern. »Das schöne Mädchen kann doch unmöglich seine Tochter sein,« dachte der Königssohn, »denn sie hat ein gutes Herz. Sie ist am Ende gar dasselbe arme Mädchen, welches statt meiner hierhergethan wurde, und um dessen willen ich das tolle Wagstück unternahm.« Es dauerte lange, ehe er den Schlaf auf seinem Lager fand, und dann ließen ihm bange Träume keine Ruhe; er träumte von allerlei Gefahr, die ihn umstrickte, und überall war es die Gestalt der schönen Jungfrau, die ihm zu Hülfe eilte.
Als er am andern Morgen erwachte, war sein erster Gedanke, daß er Alles thun wolle, was er der Schönen an den Augen absehen könnte. Er fand das fleißige Mädchen schon bei der Arbeit, half ihr Wasser aus dem Brunnen heraufwinden und in’s Haus tragen, Holz spalten, das Feuer unter den Grapen schüren, und ging ihr bei allen andern Arbeiten zur Hand. Nachmittags trat er hinaus, um seine neue Wohnstätte näher in Augenschein zu nehmen, und wunderte sich sehr, daß er die alte Großmutter nirgends zu Gesicht bekam. Im Stalle fand er ein weißes Pferd, im Pfahlland eine schwarze Kuh mit einem weißköpfigen Kalbe, in andern verschlossenen Ställen glaubte er Gänse, Enten, Hühner und anderes Fasel zu hören. Frühstück und Mittagsessen waren eben so schmackhaft gewesen, als Abends zuvor, und er hätte mit seiner Lage ganz zufrieden sein können, wenn es ihm nicht so sehr schwer geworden wäre, dem Mädchen gegenüber seine Zunge im Zaume zu halten. Am Abend des zweiten Tages ging er zum Wirth, um die Arbeit für den kommenden Tag zu erfahren.
Der Alte sagte: »Für morgen will ich dir eine leichte Arbeit geben. Nimm die Sense zur Hand, mähe so viel Gras, als das weiße Pferd zu seinem Tagesfutter braucht, und miste den Stall aus. Wenn ich hin käme und die Krippe leer oder auf der Diele Mist fände, so könnte es dir bitterbös bekommen. Hüte dich davor!«
Der Königssohn war ganz vergnügt, denn er dachte in seinem Sinn: »Mit dem Bischen Arbeit komme ich schon zu Gange; wenn ich auch bis jetzt weder Pflug noch Sense geführt habe, so sah ich doch oft, wie leicht die Landleute mit diesen Werkzeugen umgehen, und Kraft genug habe ich.« Als er sich eben auf’s Lager hinstrecken wollte, kam das Mädchen leise hereingeschlichen, und fragte ihn mit gedämpfter Stimme: »Was für eine Arbeit hast du bekommen?« »Morgen« – erwiederte der Königssohn – »habe ich eine leichte Arbeit; ich soll für das weiße Pferd Futtergras mähen und den Stall säubern, das ist Alles.« »Ach du unglückseliges Geschöpf!« seufzte das Mädchen: »wie könntest du die Arbeit vollbringen? Das weiße Pferd, des Wirthes Großmutter, ist ein unersättliches Geschöpf, welchem zwanzig Mäher kaum das tägliche Futter liefern könnten, und andere zwanzig hätten vom Morgen bis Abend zu thun, den Mist aus dem Stalle zu führen. Wie würdest du denn allein mit Beidem zu Stande kommen? Merke auf meinen Rath und befolge ihn genau. Wenn du dem Pferde einige Schooß voll Gras in die Krippe geschüttet hast, so mußt du aus Weidenreisern einen starken Reif flechten, und aus festem Holze einen Keil schnitzen, und zwar so, daß das Pferd sieht, was du thust. Es wird dich sogleich fragen, wozu die Dinge dienen sollen, und dann mußt du ihm also antworten: Mit diesem Reifen binde ich dir das Maul fest, wenn du mehr fressen wolltest, als ich dir hinschütte, und mit diesem Pflock werde ich dir den After verkeilen, wenn du mehr solltest fallen lassen, als ich Lust hätte fortzuschaffen.« Nachdem das Mädchen dies gesprochen, schlich es auf den Zehen eben so leise wieder hinaus, wie es gekommen war, ohne dem Jüngling Zeit zum Dank zu lassen. Er prägte sich des Mädchens Worte ein, wiederholte sich Alles noch einmal, um nichts zu vergessen, und legte sich dann schlafen.
Früh am andern Morgen machte er sich an die Arbeit. Er ließ die Sense wacker im Grase tanzen und hatte zu seiner Freude nach kurzer Zeit so viel gemäht, daß er einige Schooß voll zusammenharken konnte. Als er dem Pferde den ersten Schooß voll hingeworfen hatte, und gleich darauf mit dem zweiten Schooß voll in den Stall trat, fand er zu seinem Schrecken die Krippe schon leer, und über ein halbes Fuder Mist auf der Diele. Jetzt sah er ein, daß er ohne des Mädchens klugen Rath verloren gewesen wäre, und beschloß, denselben sogleich zu benutzen. Er begann den Reifen zu flechten: das Pferd wandte den Kopf nach ihm hin und fragte verwundert: »Söhnchen, was willst du mit diesem Reifen machen?« »Gar nichts,« entgegnete der Königssohn, »ich flechte ihn nur, um dir die Kinnladen damit fest zu klemmen, falls es dir in den Sinn käme, mehr zu fressen, als ich Lust habe dir aufzuschütten.« Das weiße Pferd seufzte tief auf und hielt augenblicklich mit Kauen inne.
Der Jüngling reinigte jetzt den Stall, und dann machte er sich daran, den Keil zu schnitzen. »Was willst du mit diesem Keil machen?« fragte das Pferd wieder. »Gar nichts,« war die Antwort. »Ich mache ihn nur fertig, um ihn im Nothfalle als Spunt für die Ausleerungspforte zu gebrauchen, damit dir das Futter nicht zu rasch durch die Knochen schießt.« Das Pferd sah ihn wieder seufzend an, und hatte ihn sicher verstanden, denn als Mittag längst vorüber war, hatte das weiße Pferd noch Futter in der Krippe, und die Diele war rein geblieben. Da kam der Wirth, um nachzusehen, und als er Alles in bester Ordnung fand, fragte er etwas erstaunt: »Bist du selber so klug, oder hast du kluge Rathgeber?« Der schlaue Königssohn erwiederte schnell: »Ich habe Niemand, als meinen schwachen Kopf und einen mächtigen Gott im Himmel.« Der Alte warf unwillig die Lippen auf und verließ brummend den Stall; der Königssohn aber freute sich, daß Alles gelungen war.
Am Abend sagte der Wirth: »Morgen hast du keine eigentliche Arbeit, da aber die Magd manches Andere im Hause zu besorgen hat, so mußt du unsere schwarze Kuh melken. Hüte dich aber, daß keine Milch im Euter zurückbleibt. Fände ich das, so könnte es dir das Leben kosten.« Der Königssohn dachte, als er hinausging: »wenn dahinter nicht etwa wieder eine Tücke steckt, so kann mir die Arbeit nicht schwer werden; ich habe, Gottlob, starke Finger, und will die Zitzen schon so pressen, daß kein Tropfen Milch darin bleiben soll.« Als er sich eben zur Ruhe legen wollte, kam das Mädchen wieder zu ihm und fragte: »Was für eine Arbeit hast du morgen?« »Morgen habe ich Gesellentag« – antwortete der Königssohn. »Ich bin morgen den ganzen Tag frei, und habe nichts weiter zu thun, als die schwarze Kuh zu melken, so daß kein Tropfen Milch im Euter zurückbleibt.« »O du unglückseliges Geschöpf! wie wolltest du das zu Stande bringen,« sagte das Mädchen seufzend. »Du mußt wissen, lieber unbekannter Jüngling, daß, wenn du auch vom Morgen bis zum Abend ununterbrochen melken würdest, du doch nimmer das Euter der schwarzen Kuh leeren könntest; die Milch strömt gleich einer Wasserader ununterbrochen. Ich sehe wohl, daß der Alte dich verderben will. Aber sei unbesorgt, so lange ich am Leben bin, soll dir kein Haar gekrümmt werden. Achte auf meinen Rath und befolge ihn pünktlich, so wirst du der Gefahr entgehen. Wenn du zum Melken gehst, so nimm einen Topf voll glühender Kohlen und eine Schmiedezange mit. Im Stalle lege die Zange in die Kohlen und blase diese zu heller Flamme an. Wenn die schwarze Kuh dich dann fragt, weßhalb du das thust, so antworte ich, was ich dir jetzt in’s Ohr sagen werde.« Das Mädchen flüsterte ihm einige Worte in’s Ohr, und schlich dann auf den Zehen, wie sie gekommen war, aus dem Zimmer. Der Königssohn legte sich schlafen.
Kaum strahlte die Morgenröthe am Himmel, als er sich schon von seinem Lager erhob, den Melkkübel in die eine und den Kohlentopf in die andere Hand nahm und in den Stall ging. Er machte Alles so, wie das Mädchen am Abend zuvor angegeben hatte. Befremdet sah die schwarze Kuh, seinem Treiben eine Weile zu, dann fragte sie: »Was machst du da, Söhnchen?« »Gar nichts,« war die Antwort. »Ich will die Zange nur rothglühend machen, weil manche Kuh die niederträchtige Gewohnheit hat, nach dem Melken noch Milch im Euter zu behalten, und da ist kein besserer Rath, als ihr die Zitzen mit einer glühenden Zange zusammenzukneifen, damit sich die Milch nicht unnütz in’s Euter ergieße.« Die schwarze Kuh seufzte tief auf und sah den Melkenden scheu an. Der Königssohn nahm den Kübel, melkte das Euter aus, und als er es nach einer Weile wieder anzog, fand er nicht einen Tropfen Milch. Später kam der Wirth in den Stall, zog und drückte wiederholt an den Zitzen, fand aber keine Milch, und fragte mit böser Miene: »Bist du selbst so klug, oder hast du kluge Rathgeber?« Der Königssohn antwortete: »Ich habe Niemand, als meinen schwachen Kopf und einen mächtigen Gott im Himmel.« Der Alte ging aufgebracht fort.
Als der Königssohn sich am Abend beim Wirth nach seiner Arbeit erkundigte, sagte dieser: »Ich habe noch ein Schoberchen Heu auf der Wiese stehen, das ich bei trockener Witterung unter Dach bringen möchte. Führe mir morgen das Heu ein, aber hüte dich, daß nicht das Mindeste zurückbleibt, sonst könntest du dein Leben einbüßen.« Der Königssohn verließ vergnügt das Zimmer und dachte: »Heu führen ist keine große Arbeit, ich habe weiter keine Mühe, als aufzuladen, das Pferd muß ziehen. Ich werde die Großmutter dieses Wirths nicht schonen.« Abends kam das Mädchen wieder zu ihm geschlichen, und fragte ihn nach seiner Arbeit für morgen. Der Königssohn sagte lachend: »Hier lerne ich alle Arten von Bauernarbeit, morgen soll ich ein Schoberchen Heu einführen, und nur darauf achten, daß nicht das Mindeste zurückbleibt; das ist mein ganzes Tagewerk.« »Ach du unglückseliges Geschöpf,« seufzte das Mädchen: »wie könntest du das vollbringen? Wolltest du auch mit allen Leuten eines noch so großen Gebiets eine ganze Woche lang Heu führen, so würdest du doch dieses Schoberchen nicht fortschaffen. Was von oben her weggenommen wird, das wächst vom Grunde auf wieder nach. Merke wohl, was ich dir sage: du mußt morgen vor Tagesanbruch aufstehen, das weiße Pferd aus dem Stalle ziehen, und einige starke Stricke mitnehmen. Dann geh an den Heuschober, lege die Stricke herum, und schirre das Pferd an die Stricke. Wenn du damit fertig bist, so klettere auf den Schober hinauf, und fang‘ an zu zählen: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs und so weiter. Das Pferd wird dich sogleich fragen, was du da zählst, dann mußt du antworten, was ich dir in’s Ohr sage.« Das Mädchen flüsterte ihm das Geheimniß zu, und verließ das Zimmer; der Königssohn wußte nichts Besseres zu thun, als zu Bette zu gehen.
Als er den andern Morgen erwachte, fiel ihm sogleich des Mädchens guter Rath von gestern ein; er nahm starke Stricke, eilte in den Stall, führte das weiße Pferd heraus, schwang sich darauf und ritt zum Heuschober, der aber mindestens an funfzig Fuder hielt, also kein »Schoberchen« zu nennen war. Der Königssohn that Alles, was ihm das Mädchen geheißen hatte, und als er endlich, oben auf dem Heuschober sitzend, bis zwanzig gezählt hatte, fragte das weiße Pferd verwundert: »Was zählst du da, Söhnchen?« »Gar nichts,« war die Antwort. »Ich machte mir nur den Spaß, die Wolfsherde dort am Walde zu zählen, aber es sind ihrer so viel, daß ich nicht damit fertig werde.« Kaum hatte er das Wort »Wolfsherde« heraus, als auch das weiße Pferd wie der Wind davon schoß, so daß es in einigen Augenblicken mit dem Schober zu Hause war. Des Wirths Erstaunen war nicht gering, als er nach dem Frühstück hinauskam, und das Tagewerk des Knechts schon gethan fand. »Bist du selber so klug, oder hast du kluge Rathgeber?« fragte der Alte, worauf der Königssohn erwiederte: »Ich habe Niemand, als meinen schwachen Kopf und einen mächtigen Gott im Himmel.« Der Alte ging kopfschüttelnd und fluchend von dannen.

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