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Der dumme Wirrschopf

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Ein Bauer hatte drei Söhne und eine Wiese. Von den Söhnen waren zwei klug und der dritte ein Dummling, und auf der Wiese wurde alljährlich das Heu gestohlen, wenn es gehauen und in Schober zusammengestellt war. Als nun die Schober auch wieder einmal aufgerichtet waren, sprach der Bauer zu den Söhnen »Wer mir das Heu bewacht, daß es nicht gestohlen wird, dem schenk ich einen Leinwandrock und ein Paar hölzerne Schuhe.« Sprach der älteste »Die will ich wohl verdienen« und ging am Abend auf die Wiese. Er wachte auch bis gegen Mitternacht; doch dann fielen ihm die Augen zu, und als er sie wieder aufmachte, war von den drei Schobern, die auf der Wiese gestanden hatten, einer weg. Da kam er traurig nach Hause, und am nächsten Abend wanderte der zweite Bruder auf die Wiese; aber es erging ihm nicht besser als dem ersten, und es wurde auch der zweite Heuschober gestohlen. Da sprach der Dummling »Es ist doch hübsch von meinen Brüdern daß sie mir auch einmal Etwas übrig lassen«, nahm eine Hechel und eine Leine und ging auf die Wiese. Und die Brüder lachten ihm nach und sprachen »Der dumme Wirrschopf will das thun, was wir nicht einmal gekonnt haben!« Der Wirrschopf aber hieß er, weil er sehr lange, verworrene Haare hatte, die wie eine goldne Mähne um seinen Kopf flogen. Er schlang auf der Wiese die Leine um den noch übrigen Heuschober, band das Ende derselben an die Hechel und legte die Hechel, indem er sich auf den Boden streckte, dicht hinter seinen Kopf. Nun schlief er getrost ein; doch es währte nicht lange, so kratzte ihn die Hechel, daß er aufwachte, und er sah ein graues Männchen, welches das Heu zusammen band und auf ein braunes Pferd lud. Da sprang er auf; doch ehe man drei zählen konnte, saß das Männchen schon auf dem Pferde und flog wie ein Pfeil über das Feld: er aber lief ihm nach und kam zu einem prächtigen Schloß im Walde, vor dem das graue Männchen grade vom Pferde stieg. Da faßte es der dumme Wirrschopf; doch das Männchen fiel auf die Knie und bat um Gnade und sprach »Wenn du mir das Leben läßt, schenk ich dir das schöne, braune Roß, auf dem ich geritten bin.« Das ließ sich der Bursch gefallen und sagte »Morgen früh will ich mirs abholen: jetzt muß ich wieder auf die Wiese, daß uns Niemand das Heu stiehlt.« Und als er zu dem Schober kam, brachte er die Leine und Hechel wieder in Ordnung und schlief ein. Doch die Hechel kratzte ihn bald wieder munter, und als er aufsah, war es dasselbe graue Männchen, welches das Heu zusammen raffte und auf ein weißes Pferd band. Da sprang er denn wieder auf und lief dem Männchen nach, traf es wieder bei dem Schloß im Walde, und es schenkte ihm auch noch das weiße Pferd und versprach nicht wieder zu kommen. Kaum aber war er zum dritten Mal auf der Wiese eingeschlafen, so fing die Hechel von Neuem zu kratzen an, und mit einem Satz sprang er auf das graue Männchen zu, packte es und drohte es auf der Stelle zu ermorden. Da war das arme graue Männchen denn in großer Angst, und es schenkte ihm nicht bloß das schwarze Pferd, auf dem es diesmal das Heu hatte wegführen wollen, sondern bot ihm noch dazu das ganze Schloß an mit allen Herrlichkeiten, die darin waren; und alles Heu, das es in den vielen Jahren gestohlen hatte, gelobte es wieder zu bringen. Der dumme Wirrschopf sagte, er wolle das Schloß erst ansehen, und das graue Männchen führte ihn hinein, zeigte ihm alle die prachtvollen Säle und Gewölbe; und weil sie dem Wirrschopf gefielen und er dem Männchen Gnade verhieß, gab es ihm die Schlüssel des Schlosses und sprach »Wenn du jetzt auf deine Wiese kommst, wirst du alles Heu, das ich deinem Vater genommen habe, wieder finden. Ich aber will dein Kämmerer sein und dein Schloß getreu bewachen; und wenn du Etwas willst, so komm und fordre es nur.« Da nahm der dumme Wirrschopf die Schlüssel und band sie über dem Nacken in seinen langen, goldgelben Haaren fest, so daß sie Niemand sehen konnte; denn er dachte »Wenn ich meinem Vater und meinen Brüdern sage daß ich ein herrliches Schloß besitze, ziehen sie hinein, und mich sperren sie in den Taubenschlag, wo ich schon oft habe sitzen müssen.« Auf der Wiese fand er über hundert Heuschober und ging nun fröhlich nach Haus. Als seine Brüder ihn kommen sahen, lachten sie und sprachen »Da kommt der dumme Wirrschopf: seht wie er verschlafen aussieht; hat die ganze Nacht geschlafen und noch nicht genug. Da haben sich die Diebe Zeit nehmen können,« und was dergleichen mehr war. Darüber wurde er nicht böse, sondern sagte freundlich zum Vater »Kommt mit hinaus; ich habe das Heu wieder gewonnen, das man euch in den vielen Jahren gestohlen hat.« Und nun war der Vater mit den Brüdern nicht wenig erstaunt, als sie auf die Wiese kamen und so viel Heu fanden, daß das ganze Dorf auf viele Jahre genug hatte.

Nun geschah es zu einer Zeit daß der König des Landes überall ausrufen ließ, seine Tochter sei auf den Glasberg verwünscht, und wer den Berg hinauf reite und sie erlöse, der solle ihr Gemahl werden und das ganze Königreich bekommen. Es waren aber drei Tage in verschiedenen Monaten, an denen sie befreit werden konnte. Da sprach der Bauer zu den beiden klugen Söhnen »Es wär doch schön, wenn Einer von euch König würde und ich ein Königsvater. Wir wollen unsere Pferde nehmen und uns aufmachen: ihr seid so klug, vielleicht erlöst ihr die Prinzessin. Der dumme Wirrschopf mag indeß den Misthaufen aus dem Hofe aufs Feld schaffen.« Sie thaten ihre Sonntagskleider an und zogen zum Glasberge. Der dumme Wirrschopf aber ging zu seinem Schlosse, nahm die Schlüssel aus den Haaren und schloß auf; und das graue Männchen sprang ihm freudig entgegen und rief »Es ist gut daß du kommst: du sollst die verwünschte Prinzessin erlösen. Hier nimm dein braunes Roß, thu diese königlichen Gewänder an und reit auf den Glasberg.« Und es gab ihm prachtvolle Kleider, die von Gold und Silber stralten. Die legte der Bursch an und sagte »Du mußt aber unterdeß den Mist in meines Vaters Hofe aufs Feld bringen.« Das versprach das graue Männchen zu thun, und er ritt davon. Als er zum Glasberge kam, sah er den König und die Königin und viele hundert stattliche Ritter, die alle gar herrlich gekleidet waren; doch so schön wie er war Keiner: und sie hielten ihn für einen vornehmen Prinzen und fragten viel wer er wohl sein möchte; doch kannte ihn Niemand. Dicht am Berge traf er auch seine Brüder: die hatten Stufen in das Glas gehauen und wollten grade hinauf reiten; doch ihre Pferde überschlugen sich und warfen die Reiter ab. Und als diese wieder aufstanden, jammerten sie daß sie ihre schönen Sonntagskleider so beschmutzt hatten, und der König und die Ritter lachten sie aus. Der dumme Wirrschopf aber sprengte auf seinem braunen Rosse ohne abzusetzen gleich bis zur Mitte des Berges hinan, und Alle jubelten hinter ihm her; denn so hoch war noch Keiner gekommen: doch da glitt auch sein Roß ab, und wie ein Vogel flog es mit ihm über die Heide zu dem Schloß im Walde zurück.

Als er nach Hause kam, fand er den Mist schön gespreitet auf dem Acker, und er dachte »Vielleicht geht es das nächste Mal besser,« setzte sich in seinen alten, schlechten Kleidern auf die Ofenbank und pfiff sich Eins. Da kehrten auch seine Brüder und sein Vater heim, und sie sprachen viel von dem fremden Prinzen; und der Vater sagte »Aber ihr wart doch die klügsten von Allen: als ihr die Stufen ins Glas hiebet, dachte der König gewiß ›Wenn die meine Tochter nicht erlösen, muß sie immer verwünscht bleiben‹; doch das nächste Mal erlöst ihr sie bestimmt, und dann theilen wir das Königreich unter einander.« »Hütet euch nur« sprach der Wirrschopf dazwischen, »daß ihr die schönen Sonntagskleider nicht wieder beschmutzt und euch der König und die Ritter nicht auslachen.« Da wunderten sie sich woher er wisse daß sie der König ausgelacht hatte; doch er pfiff weiter in seinem Liede und dachte »Wundert euch nur! Was ich weiß wißt ihr doch nicht.«

Der zweite Tag kam heran, und der Vater ritt mit den beiden klugen Söhnen wieder zum Glasberge. Der dumme Wirrschopf aber sollte unterdeß den Taubenschlag rein machen. Doch kaum waren sie aus dem Hofe, so lief er in sein Schloß; und das graue Männchen brachte ihm noch schönere Kleider als das erste Mal: er schwang sich auf sein weißes Roß und sprengte durch den Wald. Und am Fuße des Berges traf er wieder viele hundert Ritter; die setzten immer an, doch die Pferde glitten aus. Er aber sauste wie ein Wind durch sie hindurch, und sein Roß trug ihn bis dicht unter den Gipfel des Berges: da glitt es auch ab, und wie das erste Mal jagte er ohne ein Wort zu sprechen in den Wald zurück, und seine eignen Brüder erkannten ihn nicht. Daheim aber fand er den Taubenschlag so rein, wie er noch nie gewesen war. – Am dritten Tage gab das graue Männchen dem Burschen die schönsten Kleider, die man je in dem Lande gesehen hatte. Es zäumte ihm sein schwarzes Roß, und als er auf dem über die Heide zum Glasberge geritten kam, staunten der König und alle Ritter; denn das Roß berührte den Boden kaum, und mit wenigen Sprüngen war es oben auf der Spitze des Berges. Da jauchzte das ganze Volk rings um den Berg, und sie riefen ihn zum Könige aus, und die Prinzessin umarmte ihn und sprach »Nun bist du mein Bräutigam!« Doch er küßte sie nur einmal und ritt dann schnell wieder den Berg hinab. Die Ritter des Königs sperrten ihm den Weg, weil der König erfahren wollte wer der fremde Prinz sei, der seine Tochter erlöst hatte; doch gab er seinem Rosse die Sporen, und mit einem Satze flog es über die Ritter hinweg und verschwand im Walde. Auf dem Hofe seines Vaters aber hatte das graue Männchen indessen den Hühnerstall ausräumen müssen. Und als der Vater und die Brüder heim kamen, trösteten sie einander und sprachen »Wenn wir auch keine Könige sind, so sind wir doch klüger als andre Leute.«

Nun war die Prinzessin erlöst, doch sie war den ganzen Tag traurig, weil sie den fremden Prinzen gern zum Gemahl genommen hätte und nicht wußte wo er war. Da ließ der König in seinem Lande und in der ganzen Umgegend verkündigen, in drei Wochen solle sich der fremde Prinz melden, der seine Tochter befreit habe; da solle die Hochzeit gehalten werden. Doch es kam Niemand, und die Prinzessin wurde immer betrübter. Des Königs Räthe aber sprachen »Vielleicht war es gar kein Prinz: darum rathen wir daß ihr in allen Dörfern und Städten ein Aufgebot ergehen laßt, alle jungen Burschen sollen sich am nächsten Pfingstsonntag versammeln; dann kann die Prinzessin suchen ob sie ihren Bräutigam unter ihnen findet.« Der Rath gefiel dem Könige, und er ließ das Aufgebot ergehen. Und zu Pfingsten fuhr er mit der Prinzessin in allen Dörfern und Städten umher, und sie sah viele hundert Burschen, doch ihr Bräutigam war nicht darunter. Da kamen sie auch in das Dorf, in welchem der Bauer mit den drei Söhnen wohnte: und als der König die Burschen erblickte, fragte er ob nicht noch mehr im Dorfe seien. »Einer ist noch zu Haus« sagte der Bauer: »doch das ist ein Dummling und nicht werth daß euer königlich Gnaden und die schöne Prinzessin ihn ansehen.« Die Prinzessin aber befahl ihn auch zu holen. Und als sie nun den dummen Wirrschopf in der Ferne kommen sah, da hatte sie ihn bald an seinen langen, goldenen Haaren erkannt, und sie flog auf ihn zu, fiel ihm um den Hals und führte ihn zur königlichen Kutsche; und der König selbst machte den Kutschenschlag auf und hob ihn hinein. Da saß der dumme Wirrschopf nun auf den seidenen Polstern, und die schöne Prinzessin saß neben ihm und war seine Braut; und er grüßte seinen Vater und seine Brüder noch freundlich zum Abschied und fuhr mit dem Fräulein und dem Könige davon. Als sie in den Wald kamen, zeigte er ihnen sein Schloß, und weil es weit schöner war als das des Königs, blieben sie dort. Am andern Tage war Hochzeit, und das Märchen ist aus.

Emil Friedrich Julius Sommer (1819–1846)
[Sagen Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen. Deutsche Märchen und Sagen]

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