Nun geschah es zu einer Zeit daß der König des Landes überall ausrufen ließ, seine Tochter sei auf den Glasberg verwünscht, und wer den Berg hinauf reite und sie erlöse, der solle ihr Gemahl werden und das ganze Königreich bekommen. Es waren aber drei Tage in verschiedenen Monaten, an denen sie befreit werden konnte. Da sprach der Bauer zu den beiden klugen Söhnen »Es wär doch schön, wenn Einer von euch König würde und ich ein Königsvater. Wir wollen unsere Pferde nehmen und uns aufmachen: ihr seid so klug, vielleicht erlöst ihr die Prinzessin. Der dumme Wirrschopf mag indeß den Misthaufen aus dem Hofe aufs Feld schaffen.« Sie thaten ihre Sonntagskleider an und zogen zum Glasberge. Der dumme Wirrschopf aber ging zu seinem Schlosse, nahm die Schlüssel aus den Haaren und schloß auf; und das graue Männchen sprang ihm freudig entgegen und rief »Es ist gut daß du kommst: du sollst die verwünschte Prinzessin erlösen. Hier nimm dein braunes Roß, thu diese königlichen Gewänder an und reit auf den Glasberg.« Und es gab ihm prachtvolle Kleider, die von Gold und Silber stralten. Die legte der Bursch an und sagte »Du mußt aber unterdeß den Mist in meines Vaters Hofe aufs Feld bringen.« Das versprach das graue Männchen zu thun, und er ritt davon. Als er zum Glasberge kam, sah er den König und die Königin und viele hundert stattliche Ritter, die alle gar herrlich gekleidet waren; doch so schön wie er war Keiner: und sie hielten ihn für einen vornehmen Prinzen und fragten viel wer er wohl sein möchte; doch kannte ihn Niemand. Dicht am Berge traf er auch seine Brüder: die hatten Stufen in das Glas gehauen und wollten grade hinauf reiten; doch ihre Pferde überschlugen sich und warfen die Reiter ab. Und als diese wieder aufstanden, jammerten sie daß sie ihre schönen Sonntagskleider so beschmutzt hatten, und der König und die Ritter lachten sie aus. Der dumme Wirrschopf aber sprengte auf seinem braunen Rosse ohne abzusetzen gleich bis zur Mitte des Berges hinan, und Alle jubelten hinter ihm her; denn so hoch war noch Keiner gekommen: doch da glitt auch sein Roß ab, und wie ein Vogel flog es mit ihm über die Heide zu dem Schloß im Walde zurück.
Als er nach Hause kam, fand er den Mist schön gespreitet auf dem Acker, und er dachte »Vielleicht geht es das nächste Mal besser,« setzte sich in seinen alten, schlechten Kleidern auf die Ofenbank und pfiff sich Eins. Da kehrten auch seine Brüder und sein Vater heim, und sie sprachen viel von dem fremden Prinzen; und der Vater sagte »Aber ihr wart doch die klügsten von Allen: als ihr die Stufen ins Glas hiebet, dachte der König gewiß ›Wenn die meine Tochter nicht erlösen, muß sie immer verwünscht bleiben‹; doch das nächste Mal erlöst ihr sie bestimmt, und dann theilen wir das Königreich unter einander.« »Hütet euch nur« sprach der Wirrschopf dazwischen, »daß ihr die schönen Sonntagskleider nicht wieder beschmutzt und euch der König und die Ritter nicht auslachen.« Da wunderten sie sich woher er wisse daß sie der König ausgelacht hatte; doch er pfiff weiter in seinem Liede und dachte »Wundert euch nur! Was ich weiß wißt ihr doch nicht.«
Der zweite Tag kam heran, und der Vater ritt mit den beiden klugen Söhnen wieder zum Glasberge. Der dumme Wirrschopf aber sollte unterdeß den Taubenschlag rein machen. Doch kaum waren sie aus dem Hofe, so lief er in sein Schloß; und das graue Männchen brachte ihm noch schönere Kleider als das erste Mal: er schwang sich auf sein weißes Roß und sprengte durch den Wald. Und am Fuße des Berges traf er wieder viele hundert Ritter; die setzten immer an, doch die Pferde glitten aus. Er aber sauste wie ein Wind durch sie hindurch, und sein Roß trug ihn bis dicht unter den Gipfel des Berges: da glitt es auch ab, und wie das erste Mal jagte er ohne ein Wort zu sprechen in den Wald zurück, und seine eignen Brüder erkannten ihn nicht. Daheim aber fand er den Taubenschlag so rein, wie er noch nie gewesen war. – Am dritten Tage gab das graue Männchen dem Burschen die schönsten Kleider, die man je in dem Lande gesehen hatte. Es zäumte ihm sein schwarzes Roß, und als er auf dem über die Heide zum Glasberge geritten kam, staunten der König und alle Ritter; denn das Roß berührte den Boden kaum, und mit wenigen Sprüngen war es oben auf der Spitze des Berges. Da jauchzte das ganze Volk rings um den Berg, und sie riefen ihn zum Könige aus, und die Prinzessin umarmte ihn und sprach »Nun bist du mein Bräutigam!« Doch er küßte sie nur einmal und ritt dann schnell wieder den Berg hinab. Die Ritter des Königs sperrten ihm den Weg, weil der König erfahren wollte wer der fremde Prinz sei, der seine Tochter erlöst hatte; doch gab er seinem Rosse die Sporen, und mit einem Satze flog es über die Ritter hinweg und verschwand im Walde. Auf dem Hofe seines Vaters aber hatte das graue Männchen indessen den Hühnerstall ausräumen müssen. Und als der Vater und die Brüder heim kamen, trösteten sie einander und sprachen »Wenn wir auch keine Könige sind, so sind wir doch klüger als andre Leute.«
Nun war die Prinzessin erlöst, doch sie war den ganzen Tag traurig, weil sie den fremden Prinzen gern zum Gemahl genommen hätte und nicht wußte wo er war. Da ließ der König in seinem Lande und in der ganzen Umgegend verkündigen, in drei Wochen solle sich der fremde Prinz melden, der seine Tochter befreit habe; da solle die Hochzeit gehalten werden. Doch es kam Niemand, und die Prinzessin wurde immer betrübter. Des Königs Räthe aber sprachen »Vielleicht war es gar kein Prinz: darum rathen wir daß ihr in allen Dörfern und Städten ein Aufgebot ergehen laßt, alle jungen Burschen sollen sich am nächsten Pfingstsonntag versammeln; dann kann die Prinzessin suchen ob sie ihren Bräutigam unter ihnen findet.« Der Rath gefiel dem Könige, und er ließ das Aufgebot ergehen. Und zu Pfingsten fuhr er mit der Prinzessin in allen Dörfern und Städten umher, und sie sah viele hundert Burschen, doch ihr Bräutigam war nicht darunter. Da kamen sie auch in das Dorf, in welchem der Bauer mit den drei Söhnen wohnte: und als der König die Burschen erblickte, fragte er ob nicht noch mehr im Dorfe seien. »Einer ist noch zu Haus« sagte der Bauer: »doch das ist ein Dummling und nicht werth daß euer königlich Gnaden und die schöne Prinzessin ihn ansehen.« Die Prinzessin aber befahl ihn auch zu holen. Und als sie nun den dummen Wirrschopf in der Ferne kommen sah, da hatte sie ihn bald an seinen langen, goldenen Haaren erkannt, und sie flog auf ihn zu, fiel ihm um den Hals und führte ihn zur königlichen Kutsche; und der König selbst machte den Kutschenschlag auf und hob ihn hinein. Da saß der dumme Wirrschopf nun auf den seidenen Polstern, und die schöne Prinzessin saß neben ihm und war seine Braut; und er grüßte seinen Vater und seine Brüder noch freundlich zum Abschied und fuhr mit dem Fräulein und dem Könige davon. Als sie in den Wald kamen, zeigte er ihnen sein Schloß, und weil es weit schöner war als das des Königs, blieben sie dort. Am andern Tage war Hochzeit, und das Märchen ist aus.
Emil Friedrich Julius Sommer (1819–1846)
[Sagen Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen. Deutsche Märchen und Sagen]