Es war einmal eine arme Frau, die wohnte in einer elenden Hütte weit vom Dorfe weg. Wenig hatte sie zu beißen und gar nichts zu brennen, und deshalb schickte sie ihren kleinen Buben in den Wald, um Holz zu sammeln. Er hüpfte und sprang und sprang und hüpfte, um sich warm zu halten; denn es war ein kalter grauer Herbsttag, und jedesmal, wenn er einen Ast oder eine Wurzel in sein Holzbündel gesammelt hatte, mußte er mit den Armen gegen die Schultern schlagen, denn seine Hände waren vor lauter Kälte so rot wie die Preiselbeersträucher, über die er ging. Als er seine Holztrage voll hatte und heimwärts wanderte, kam er über ein Stoppelfeld. Da sah er einen eckigen weißen Stein liegen. »Ach, du armer alter Stein, wie weiß und bleich du bist, du frierst gewiß entsetzlich!« sagte der Bursche, zog seine Jacke aus und legte sie über den Stein. Als er nun mit dem Holz nach Hause kam, fragte seine Mutter, was denn das bedeuten solle, daß er in der Herbstkälte hemdsärmelig ginge? Er erzählte, er habe einen alten eckigen Stein gesehen, der sei ganz weiß und bleich vor Frost gewesen und dem habe er seine Jacke gegeben. »Du Narr«, sagte die Frau, »meinst du, der Stein friert? Und wenn er auch geklappert hätte vor Kälte, so ist doch jeder sich selbst der Nächste. Deine Kleider kosten schon so genug, auch wenn du sie nicht draußen im Feld den Steinen anhängst« – und damit jagte sie den Burschen davon, seine Jacke zu holen. Als er zu dem Stein kam, hatte der sich gedreht und mit der einen Seite von der Erde erhoben. – »Ja, das ist gewiß, weil du die Jacke hast, du Armer«, sagte der Bursche. Aber als er genauer hinschaute, stand da eine Geldkiste voller blanker Silbermünzen unter dem Stein. ‚Das ist gewiß gestohlenes Geld‘, dachte der Bursche, ‚kein Mensch legt ehrlich erworbenes Geld unter Steine im Wald.‘ Und er nahm die Kiste und trug sie hinunter an den Teich in der Nähe und warf den ganzen Haufen Geld hinein. Aber ein Vierschilling blieb auf dem Wasser schwimmen. »Ja, der ist ehrlich, der Ehrliche sinkt nicht«, sagte der Bursche. Er nahm den Vierschilling und ging mit ihm und seiner Jacke heim. Seiner Mutter erzählte er, wie es ihm gegangen war, daß der Stein sich gewendet hätte und daß er eine Kiste voll Silbermünzen gefunden und draußen in den Teich geworfen hätte, weil es gestohlenes Geld gewesen sei. »Aber ein Vierschilling schwamm oben, und den habe ich genommen, denn der war ehrlich«, sagte der Bursche. »Du bist ein Narr«, sagte die Frau – sie war voller Zorn -, »wenn nichts ehrlich wäre, als was auf dem Wasser schwimmt, dann gäbe es nicht viel Ehrlichkeit in der Welt. Und wenn das Geld zehnmal gestohlen gewesen wäre, so hast du es doch gefunden, und jeder ist sich selbst der Nächste. Hättest du das Geld behalten, so hätten wir unser Lebtag in Ruhe und Behagen leben können. Aber du bist ein Dummkopf und bleibst ein Dummkopf, und jetzt will ich mich nicht mehr länger mit dir plagen und schleppen. Nun mußt du hinaus und dein Brot verdienen.«
Da mußte der Bursche hinaus in die weite Welt, und er wanderte weit und breit umher und suchte einen Dienst. Aber wo er auch hinkam, da fanden ihn die Leute zu klein und zu schwach und sagten, sie könnten ihn zu nichts brauchen. Endlich kam er zu einem Kaufmann. Da behielt man ihn für die Küche, und er mußte der Köchin Holz und Wasser tragen. Als er dort lange Zeit gewesen war, wollte der Kaufmann einmal in ferne Länder reisen und fragte alle seine Dienstleute, was er für sie kaufen und mit nach Hause bringen solle. Als alle gesagt hatten, was sie sich wünschten, kam die Reihe auch an den kleinen Burschen, der in der Küche Holz und Wasser trug. Der reichte seinen Vierschilling her. »Ja, was soll ich denn dafür kaufen?« fragte der Kaufmann. »Das wird kein großer Einkauf werden.« – »Kauft, was Ihr dafür bekommen könnt, er ist ehrlich, das weiß ich«, sagte der Bursche. Der Herr versprach es und segelte fort.
Als der Kaufmann nun im fremden Lande gelöscht und wieder geladen hatte und gekauft, was sich seine Dienstleute wünschten, ging er wieder auf sein Schiff und wollte vom Ufer abstoßen. Erst da fiel es ihm ein, daß ihm der Küchenjunge einen Vierschilling mitgegeben hatte, um etwas dafür zu kaufen. ‚Soll ich nun wegen dieses Vierschillings noch einmal hinauf in die Stadt? Man hat doch nur Ungelegenheiten, wenn man solches Pack aufnimmt‘, dachte der Kaufmann. Da kam eine Frau gegangen mit einem Sack auf dem Rücken. »Was hast du denn da in dem Sack, Mütterchen?« fragte der Kaufmann. »Ach, nur eine Katze, ich kann sie nicht länger mehr füttern und will sie ins Meer werfen, damit ich sie loswerde«, sagte die Alte. »Der Bursche hat ja gesagt, ich solle kaufen, was ich für den Vierschilling bekommen könne«, sagte der Kaufmann zu sich selber und fragte die Frau, ob sie vier Schillinge für ihre Katze haben wolle. Die Frau war nicht faul und schlug ein, und der Handel war fertig.
Als nun der Kaufmann ein Stück weit gesegelt war, kam ein fürchterliches Unwetter über ihn und ein Himmelssturm ohne Maßen, und er trieb und trieb und wußte nicht, wohin. Schließlich kam er an ein Land, wo er noch nie zuvor gewesen war, und ging hinauf in die Stadt.
In dem Wirtshaus, wo er einkehrte, war der Tisch gedeckt, und an jedem Platz lag für jeden Gast ein Reis. Das kam dem Kaufmann wunderlich vor, denn er begriff nicht, was man mit all den Reisern anfangen sollte. Aber er setzte sich nieder und dachte: ‚Ich will genau sehen, was die andern damit tun, und dann kann ich es nachmachen.‘ – Ja, als die Speisen auf den Tisch kamen, da merkte er, wozu die Reiser da waren; da wimmelte es von Tausenden von Mäusen, und alle, die am Tische saßen, mußten mit ihrem Reis hantieren und fechten und um sich schlagen, und man hörte nichts als das Klatschen der Reiser, einmal ärger als das anderemal. Manchmal trafen die Leute einander ins Gesicht, da mußten sie sich Zeit nehmen und sagen: »Um Verzeihung!«
»Das Essen ist eine schwere Arbeit in diesem Land«, sagte der Kaufmann, »warum haben die Leute hier denn keine Katze?« – »Katze?« fragten die Leute: sie wußten nicht, was das war. Da ließ der Kaufmann die Katze holen, die er für den Küchenjungen gekauft hatte, und als die Katze über den Tisch kam, da mußten die Mäuse schleunigst in ihre Löcher verschwinden, und die Leute hatten seit Menschengedenken noch nie in so guter Ruhe essen können. Sie baten und beschworen nun den Kaufmann, er solle ihnen doch seine Katze verkaufen. Schließlich sagte er, er wolle sie ihnen überlassen, aber hundert Taler wolle er dafür haben; die zahlten sie und bedankten sich noch schön.
Dann segelte der Kaufmann wieder weiter, aber kaum war er auf hohe See hinausgekommen, so sah er die Katze im großen Mast sitzen. Und gleich darauf kam wieder ein Sturm und Unwetter, noch schlimmer als das erstemal, und er trieb und trieb, bis er an einen Ort kam, wo er noch nie zuvor gewesen war. Der Kaufmann ging wieder in ein Wirtshaus, und hier war der Tisch auch mit Reisern gedeckt, aber sie waren viel größer und länger als da, wo er zuerst war. Und man hatte sie wohl nötig, denn hier waren noch viel mehr Mäuse und doppelt so große als die, die er zuerst gesehen hatte.
Hier verkaufte er wieder seine Katze, und diesmal bekam er zweihundert Taler dafür, und das ohne Feilschen.
Als er fortgesegelt war und ein Stück ins Meer hinausgekommen, saß die Katze oben im Mast. Und gleich fing das Unwetter wieder an, und schließlich wurde er auch diesmal an ein Land verschlagen, wo er noch nie gewesen war. Er kehrte wieder in ein Wirtshaus ein; da war der Tisch auch mit Reisern gedeckt, aber jedes Reis war anderthalb Ellen lang und so dick wie ein kleiner Besen, und die Leute sagten, sie kennten nichts Ärgeres, als sich zum Essen niederzusetzen, denn hier waren große häßliche Ratten zu Tausenden. Mit Not und Mühe konnte man einmal zwischendurch einen Bissen in den Mund schieben, so schwer hatte man es, die Ratten abzuwehren. Da wurde wiederum die Katze vom Schiff geholt, und nun konnten die Leute in Ruhe essen. Sie bettelten und baten nun den Kaufmann, er möchte ihnen doch seine Katze verkaufen; lange sagte er nein, aber schließlich sollten sie sie für dreihundert Taler bekommen; die zahlten sie, bedankten sich und segneten ihn noch obendrein.
Als nun der Kaufmann aufs Meer hinauskam, überlegte er, wieviel der Bursche mit dem Vierschilling gewonnen hatte, den er ihm mitgegeben hatte. »Ja, etwas von dem Gelde soll er bekommen«, sagte der Kaufmann zu sich selber, »aber nicht alles. Denn mir hat er zu danken für die Katze, die ich für ihn gekauft habe, und jeder ist sich selbst der Nächste.«
Aber als der Kaufmann das dachte, kam ein Sturm und Unwetter, daß alle glaubten, das Schiff werde untergehen. Da merkte der Kaufmann, daß ihm nichts anderes übrigbleiben werde, als zu geloben, daß der Bursche alles Geld bekommen solle. Kaum hatte er das Gelübde getan, so wurde das Wetter gut, und er bekam strammen Wind nach Hause. Als er an Land kam, gab er dem Burschen die sechshundert Taler und seine Tochter dazu. Denn nun war der Küchenjunge ebenso reich wie der Kaufmann und mehr als das, und seitdem lebte er in Herrlichkeit und Freude. Seine Mutter nahm er zu sich und war freundlich gegen sie. »Denn ich glaube nicht daran, daß jeder sich selbst der Nächste ist«, sagte der Bursche.
[Norwegen: Klara Stroebe: Nordische Volksmärchen]