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Märchenbasar

Der Fischer und seine Seele

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»Nein, es gibt nichts Besseres als Weisheit«, sagte die Seele. »Liebe ist besser«, antwortete der junge Fischer, und er sprang in die Tiefe, und die Seele ging weinend über die Marschen davon.
Und als das zweite Jahr vorüber war, kam die Seele zum Meeresstrand herab und rief den jungen Fischer, und er stieg aus der Tiefe empor und fragte: »Warum rufst du mich?«
Und die Seele antwortete: »Komm näher, damit ich mit dir sprechen kann, denn ich habe wundersame Dinge erlebt.« Also kam er näher und streckte sich in das seichte Wasser und stützte den Kopf in die Hand und lauschte.
Und die Seele sprach zu ihm: »Als ich dich verließ, wandte ich mein Gesicht gen Süden und wanderte. Vom Süden kommt alles, was kostbar ist. Sechs Tage wanderte ich die Heerstraßen entlang, die zu der Stadt Astrabad führen, die staubigen, rotgefärbten Heerstraßen entlang wanderte ich, die von den Pilgern benutzt werden, und am Morgen des siebenten Tages hob ich meine Augen, und siehe! da lag die Stadt zu meinen Füßen, denn sie liegt in einem Tal.
Neun Tore hat diese Stadt, und vor jedem Tor steht ein Bronzepferd, das wiehert, wenn die Beduinen von den Bergen herabkommen. Die Mauern sind mit Kupfer beschlagen und die Wachtürme auf den Mauern mit Messing gedeckt. In jedem Turm steht ein Bogenschütze mit dem Bogen in der Hand. Bei Sonnenaufgang schlägt er mit einem Pfeil an einen Gong, und bei Sonnenuntergang bläst er auf einem Horn aus Horn.
Als ich einzudringen versuchte, hielten mich die Wachen zurück und fragten mich, wer ich sei. Ich gab zur Antwort, ich sei ein Derwisch und auf meinem Wege nach der Stadt Mekka, wo es einen grünen Schleier gäbe, auf den von den Händen der Engel in silbernen Lettern der Koran gestickt sei. Sie waren von Staunen erfüllt und baten mich inständig, hineinzukommen.
Drinnen ist es geradeso wie auf einem Basar. Wahrlich, du hättest mit mir sein sollen. Quer über die engen Straßen flattern die bunten Papierlaternen gleich großen Schmetterlingen. Wenn der Wind über die Dächer bläst, steigen und fallen sie wie bunte Seifenblasen. Vor ihren Buden sitzen die Kaufleute auf seidenen Teppichen. Sie haben straffe schwarze Bärte, und ihre Turbane sind mit Goldzechinen bedeckt, und lange Ketten von Bernstein und geschnitzten Pfirsichkernen gleiten durch ihre kühlen Finger. Manche von ihnen verkaufen Galbanum und Narde und seltsame Wohlgerüche von den Inseln des Indischen Meeres und das dicke Öl roter Rosen und Myrrhen und kleine, nagelförmige Gewürznelken. Wenn man stehen bleibt, um mit ihnen zu sprechen, werfen sie Prisen Weihrauch auf ein Holzkohlebecken und machen die Luft würzig. Ich sah einen Syrer, der in den Händen eine dünne, rohrgleiche Gerte hielt. Graue Rauchfäden stiegen davon auf und ihr Duft, als sie verbrannte, glich dem Duft des rosigen Mandelbaums im Frühling, andere verkaufen silberne Armbänder, die über und über mit erlesenen blauen Türkisen besetzt sind, und Knöchelspangen aus Messingdraht, mit kleinen Perlen umsäumt, und Tigerkrallen, in Gold gefasst, und ebenfalls in Gold gefasst die Krallen der goldfarbenen Katze, des Leoparden, und Ohrgehänge aus durchbohrten Smaragden und Fingerringe von ausgehöhlter Jade. Aus den Teehäusern kommt der Klang der Gitarre, und die Opiumraucher mit ihren weißen, lächelnden Gesichtern schauen zu den Vorübergehenden hinaus.
Wahrlich, du hättest bei mir sein sollen. Die Weinverkäufer mit großen schwarzen Schläuchen über den Schultern bahnen sich mit den Ellbogen ihren Weg durch das Gedränge. Die meisten von ihnen verkaufen den Wein aus Schiras, der süß ist wie Honig. Sie reichen ihn in kleinen Metallgefäßen und streuen Rosenblätter darüber. Auf dem Marktplatz stehen die Obstverkäufer, die alle Sorten Früchte verkaufen: reife Feigen mit ihrem zerquetschten purpurnen Fleisch, Melonen, die nach Moschus riechen und gelb sind wie Topase, Limonen und Jambusen und Trauben weißen Weins, runde, rotgoldene Orangen und ovale Zitronen von grünem Gold. Einmal sah ich einen Elefanten vorbeikommen. Sein Rüssel war mit Zinnober und indischem Safran bemalt, und über den Ohren hatte er ein Netz aus karmesinroter Seidenkordel. Vor einer der Buden blieb er stehen und begann Orangen zu fressen, und der Mann lachte nur. Du kannst dir nicht vorstellen, ein wie ungewöhnliches Volk das ist. Wenn sie froh sind, gehen sie zu den Vogelverkäufern und kaufen einen Vogel im Käfig und lassen ihn frei, auf dass ihre Freude noch größer sei, und wenn sie traurig sind, geißeln sie sich mit Stacheln, auf dass ihr Schmerz nicht geringer werde.
Eines Abends begegnete ich einigen Negern, die einen schweren Palankin durch den Basar trugen. Er war aus vergoldetem Bambus gefügt, und die Stangen aus hochrotem Lack waren mit messingnen Pfauen verziert. Vor den Fenstern hingen dünne Musselinvorhänge, mit Käferflügeln und winzigen Staubperlen bestickt, und als er vorbeigetragen wurde, blickte eine bleiche Tscherkessin hinaus und lächelte mir zu. Ich ging hinterher, und die Neger beschleunigten ihren Schritt und schimpften. Aber ich kümmerte mich nicht darum. Ich fühlte mich von einer großen Neugier gepackt.
Schließlich machten sie halt vor einem viereckigen weißen Haus. Es hatte keine Fenster, nur eine kleine Tür wie die Pforte zu einer Gruft. Sie setzten den Palankin nieder und klopften dreimal mit einem kupfernen Hammer. Ein Armenier in einem Kaftan aus grünem Leder spähte durch das Klappfenster, und als er sie erblickte, öffnete er und breitete einen Teppich auf den Boden, und die Frau stieg aus. Als sie hineinging, drehte sie sich um und lächelte mir abermals zu. Nie hatte ich jemanden so bleich gesehen.
Als der Mond aufstieg, kehrte ich zu der Stelle zurück und suchte das Haus, aber es war nicht mehr da. Als ich dessen gewahr wurde, wusste ich, wer die Frau war und weshalb sie mir zugelächelt hatte.
Wahrlich, du hättest mit mir sein sollen. Am Neumondfest kam der junge Kaiser aus seinem Palast und ging in die Moschee, um zu beten. Sein Haar und sein Bart waren mit Rosenblättern gefärbt und seine Wangen mit feinem Goldstaub gepudert. Die Innenflächen seiner Füße und Hände waren gelb von Safran.
Bei Sonnenaufgang kam er aus seinem Palast in einem silbernen Gewand, und bei Sonnenuntergang kehrte er dorthin zurück in einem Gewand aus Gold. Die Leute warfen sich zu Boden und verbargen ihre Gesichter, ich aber tat nicht dergleichen. Ich stand an der Bude eines Dattelverkäufers und wartete. Als mich der Kaiser erblickte, hob er die gemalten Brauen und hielt inne. Ich stand ganz still und verneigte mich nicht vor ihm. Die Leute verwundenen sich über meine Kühnheit und rieten mir, aus der Stadt zu fliehen. Ich achtete ihrer nicht, sondern ging und setzte mich zu den Verkäufern fremder Götter, die um ihres Gewerbes willen verabscheut werden. Als ich ihnen erzählte, was ich getan hatte, schenkte mir jeder von ihnen einen Gott und bat mich inständig, sie zu verlassen.
Des Nachts, als ich in dem Teehaus, das sich in der Straße der Granatäpfel befindet, auf einem Polster lag, drangen die Wachen des Kaisers ein und führten mich zum Palast. Als ich eintrat, schlossen sie jede Tür hinter mir und legten eine Kette davor. Drinnen war ein großer Hof, um den ein Bogengang lies Die Mauern waren aus weißem Alabaster, hier und da mit blauen und grünen Ziegeln verziert. Die Säulen waren aus grünem Marmor, und der Boden bestand aus einem Marmor, der fast die Farbe von Pfirsichblüten hatte. Nie zuvor hatte ich Ähnliches gesehen.
Als ich den Hof durchquerte, blickten zwei verschleierte Frauen von einem Balkon herab und verwünschten mich. Die Wachen hasteten weiter, und die dicken Enden ihrer Lanzen schlugen laut auf den Boden. Sie öffneten ein Tor aus kunstvoll bearbeitetem Elfenbein, und ich sah mich in einem sprühfeuchten Garten mit sieben Terrassen. Er war mit Tulpenkelchen, weißen Wucherblumen und silbrigen Aloen bepflanzt. Wie ein schlankes Schilfrohr aus Kristall schwankte eine Fontäne in der dämmrigen Luft. Die Zypressen glichen niedergebrannten Fackeln. Aus einer sang eine Nachtigall.
Am Ende des Gartens stand ein kleines Zelt. Als wir uns ihm näherten, kamen uns daraus zwei Eunuchen entgegen. Ihre fetten Leiber schwabbelten beim Gehen, und sie blickten mich aus ihren Augen unter den gelben Lidern neugierig an. Einer von ihnen zog den Hauptmann der Wache beiseite und flüsterte leise mit ihm. Der andere kaute unentwegt parfümierte Pastillen, die er mit affektierter Gebärde einer ovalen Dose aus fliederfarbener Emaille entnahm.
Wenige Augenblicke später entließ der Hauptmann der Wache die Soldaten. Sie eilten zurück in den Palast, und die Eunuchen folgten ihnen langsam und pflückten im Vorbeigehen die süßen Maulbeeren von den Bäumen. Einmal drehte sich der ältere von beiden um und lächelte mir mit einem bösen Lächeln zu.
Darauf wies mich der Hauptmann der Wache mit einer Handbewegung zum Eingang des Zeltes. Ich ging ohne zu zittern dorthin, und nachdem ich den schweren Vorhang beiseite gezogen hatte, trat ich ein.
Der junge Kaiser ruhte auf einem Lager von gefärbten Löwenfellen, und ein Geierfalke saß auf seinem Handgelenk. Hinter ihm stand ein Nubier mit bronzenem Turban, nackt bis zum Gürtel und mit schweren Ringen in den geschlitzten Ohren. Auf einem Tisch neben dem Ruhebett lag ein gewaltiger stählerner Krummsäbel.
Als mich der Kaiser erblickte, runzelte er die Stirn und sagte: >Wie heißt du? Weiß du nicht, dass ich der Kaiser dieser Stadt bin?< Doch ich gab ihm keine Antwort.
Er deutete mit dem Finger auf den Krummsäbel, und der Nubier ergriff ihn, stürzte auf mich los und traf mich mit voller Wucht. Die Klinge fuhr zischend durch mich hindurch und verletzte mich nicht. Der Mann fiel platt zu Boden, und als er aufstand, klapperten ihm die Zähne vor Entsetzen, und er verbarg sich hinter dem Lager.
Der Kaiser sprang auf die Füße, nahm einen Wurfspieß aus einem Waffenständer und schleuderte ihn nach mir. Ich fing ihn im Fluge auf und brach ihn entzwei. Er schoss einen Pfeil auf mich ab, doch ich hielt meine Hände empor, und er blieb mitten in der Luft stehen. Da zog er einen Dolch aus seinem weißen Ledergürtel und durchbohrte dem Nubier die Kehle, damit der Sklave nicht von seiner Schmach erzähle. Der Mann wand sich wie eine zertretene Schlange, und roter Schaum sprudelte von seinen Lippen.
Sobald er tot war, wandte sich der Kaiser zu mir, und nachdem er sich mit einem gestickten kleinen Taschentuch aus purpurner Seide den blanken Schweiß von der Stirn gewischt hatte, sagte er zu mir: >Bist du ein Prophet, dass ich dir nichts anhaben kann, oder der Sohn eines Propheten, dass ich dich nicht zu verletzen vermag? Ich bitte dich, verlasse noch heute nacht meine Stadt, denn solange du darin weilst, bin ich nicht mehr ihr Gebieter.<
Und ich antwortete ihm: >Um die Hälfte deiner Schätze will ich gehen. Gib mir die Hälfte deiner Schätze, und ich werde fortgehen.< Er nahm mich bei der Hand und führte mich hinaus in den Garten. Als mich der Hauptmann der Wache erblickte, verwundene er sich. Als mich die Eunuchen erblickten, zitterten ihnen die Knie, und sie fielen vor Angst zu Boden.
Es gibt ein Gemach in dem Palast, das hat acht Wände aus rotem Porphyr und eine mit Messingschuppen belegte Decke, von der Lampen herabhängen. Der Kaiser berührte eine Wand, und sie tat sich auf, und wir traten in einen Gang, der durch viele Fackeln erhellt war. Zu beiden Seiten standen in Nischen große Weinkrüge, die bis zum Rand mit Silbermünzen gefüllt waren. Als wir die Mitte des Ganges erreicht hatten, sprach der Kaiser das Wort, das nicht ausgesprochen werden darf, und eine Tür aus Granit schwang durch eine geheime Feder zurück, und er legte die Hände vors Gesicht, damit seine Augen nicht geblendet würden.
Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein wundervoller Raum das war. Da standen riesige Schildkrötenschalen voller Perlen und ausgehöhlte Mondsteine von großem Umfang, in denen rote Rubine aufgehäuft waren. Das Gold wurde in Truhen aus Elefantenhaut gehortet und der Goldstaub in Lederflaschen. Da waren Opale und Saphire, die einen in Kristallschalen, die anderen in Schalen aus Jade. Runde grüne Smaragde lagen säuberlich aneinandergereiht auf dünnen Elfenbeinplatten, und in einer Ecke standen Säcke aus Seide, manche mit Türkisen, andere mit Beryllen gefüllt. In den Elfenbeinhörnern türmten sich purpurne Amethyste und in den Trinkhörnern aus Messing Chalzedone und dunkelrote Karneole. An den Pfeilern aus Zedernholz hingen Ketten gelber Cordieriten. In den flachen, ovalen Schilden lagen Karfunkel, weinfarbene und solche von der Farbe des Grases. Und doch habe ich dir nur ein Zehntel von dem erzählt, was es dort gab.
Und als der Kaiser die Hände vom Gesicht genommen hatte, sagte er zu mir: >Dies ist meine Schatzkammer, und die Hälfte von dem, was sie enthält, ist dein, so wie ich es dir versprochen habe. Und ich werde dir Kamele und Kameltreiber geben, und sie werden tun, was du sie heißt, und deinen Anteil an den Schätzen zu jedem Teil der Welt bringen, nach dem es dich zu reisen verlangt. Und es soll heute nacht geschehen, denn ich möchte die Sonne, die mein Vater ist, nicht sehen lassen, dass in meiner Stadt ein Mann weilt, den ich nicht zu töten vermag.< Ich aber antwortete ihm: >Das Gold hier drinnen sei dein, und das Silber sei gleichfalls dein, und dein seien die kostbaren Juwelen und die Dinge von Wert. Ich bedarf ihrer nicht. Nichts will ich von dir nehmen außer diesem kleinen Ring, den du am Finger trägst.<
Und der Kaiser blickte finster. >Es ist nur ein Ring von Blei<, rief er, >und er hat keinen Wert. Deshalb nimm deine Hälfte von den Schätzen und verlasse meine Stadt.<
>Nein<, antwortete ich, >nichts will ich nehmen als diesen bleiernen Ring, denn ich weiß, was darin geschrieben steht und zu welchem Zweck.<
Und der Kaiser zitterte und flehte mich an und sagte: >Nimm alle Schätze und verlasse meine Stadt. Die Hälfte, die mein ist, soll gleichfalls dein sein.<
Und ich tat etwas Ungewöhnliches, aber was ich tat, ist einerlei; denn in einer Höhle, nur eine Tagesreise von diesem Ort entfernt, habe ich den Ring des Reichtums versteckt. Es ist nur eine Tagesreise von diesem Ort entfernt, und er wartet dein. Wer diesen Ring besitzt, ist reicher als alle Könige der Welt. Komm also und nimm ihn, und aller Reichtum der Welt wird dein sein.«
Aber der junge Fischer lachte. »Liebe ist besser als Reichtum«, rief er, »und die kleine Seejungfrau liebt mich.«
»Nein, es gibt nichts Besseres als Reichtum«, sagte die Seele. »Liebe ist besser«, antwortete der junge Fischer, und er sprang in die Tiefe, und die Seele ging weinend über die Marschen davon.
Und als das dritte Jahr vorüber war, kam die Seele herab zum Meeresstrand und rief den jungen Fischer, und er stieg aus der Tiefe empor und fragte: »Warum rufst du mich?«
Und die Seele antwortete: »Komm näher, damit ich mit dir sprechen kann, denn ich habe wundersame Dinge erlebt.« Also kam er näher und streckte sich in das seichte Wasser und stützte den Kopf in die Hand und lauschte.
Und die Seele sprach zu ihm. »In einer Stadt, die ich kenne, gibt es ein Wirtshaus, das an einem Fluss steht. Ich saß dort mit Seeleuten, die zwei verschiedenfarbige Weine tranken und Gerstenbrot und kleine Salzfische aßen, die auf Lorbeerblättern mit Essig gereicht wurden. Und als wir so saßen und uns gütlich taten, trat ein alter Mann zu uns herein, mit einem ledernen Teppich und einer Laute, die zwei Hörner aus Bernstein hatte. Und nachdem er den Teppich auf dem Boden ausgebreitet hatte, griff er mit einer Schlagfeder in die Drahtsaiten seiner Laute, und ein Mädchen mit verschleiertem Gesicht kam hereingelaufen und begann vor uns zu tanzen. Ihr Gesicht war verschleiert mit einem Schleier aus Gaze, aber ihre Füße waren nackt. Nackt waren ihre Füße, und sie bewegten sich über den Teppich wie kleine weiße Tauben. Nie habe ich etwas so Wundersames gesehen, und die Stadt, in der sie tanzt, ist nur eine Tagesreise von diesem Ort entfernt.«
Als nun der junge Fischer die Worte seiner Seele hörte, dachte er daran, dass die kleine Seejungfrau keine Füße besaß und nicht tanzen konnte. Und ein großes Verlangen überkam ihn, und er sagte sich: > Es ist nur eine Tagesreise weit, und ich kann zu meiner Liebsten zurückkehren<, und er lachte und stand aus dem seichten Wasser auf und ging mit langen Schritten dem Strand zu.
Und als er den trockenen Strand erreicht hatte, lachte er abermals und streckte seiner Seele die Arme entgegen. Und seine Seele stieß einen lauten Schrei der Freude aus und lief auf ihn zu und kehrte in ihn ein, und der junge Fischer sah vor sich auf dem Sand hingestreckt jenen Schatten des Leibes, der der Leib der Seele ist.
Und seine Seele sprach zu ihm: »Lass uns nicht säumen, sondern sogleich von hier fortgehen, denn die Meergötter sind eifersüchtig und haben Ungeheuer, die ihrem Befehl gehorchen.«
Also beeilten sie sich und wanderten die ganze Nacht unter dem Mond, und den ganzen Tag darauf wanderten sie unter der Sonne. und am Abend dieses Tages gelangten sie in eine Stadt.
Und der junge Fischer fragte seine Seele. »Ist dies die Stadt, in der jene tanzt, von der du mir gesprochen hast?«
Und seine Seele antwortete ihm: »Diese Stadt ist es nicht, sondern eine andere. Lass uns gleichwohl hineingehen.«
So gingen sie hinein und wanderten durch die Straßen, und als sie durch die Straße der Juweliere kamen, sah der junge Fischer einen schönen silbernen Becher, der in einer Bude ausgestellt war. Und seine Seele sagte zu ihm: »Nimm den silbernen Becher und verbirg ihn.«
Also nahm er den Becher und verbarg ihn in den Falten seines Untergewandes, und sie verließen eilends die Stadt.
Und nachdem sie sich eine Meile von der Stadt entfernt hatten, runzelte der junge Fischer die Brauen und warf den Becher von sich und sagte zu seiner Seele: »Warum hast du mich diesen Becher nehmen und verbergen heißen? Denn das war übel getan.«
Aber seine Seele antwortete ihm: »Sei ruhig, sei ruhig.«
Und am Abend des zweiten Tages kamen sie in eine Stadt, und der junge Fischer fragte seine Seele: »Ist dies die Stadt, in der sie tanzt, von der du mir gesprochen hast?«
Und seine Seele antwortete ihm: »Diese Stadt ist es nicht, sondern eine andere. Lass uns gleichwohl hineingehen.«
So gingen sie hinein und wanderten durch die Straßen, und als sie durch die Straße der Sandalenverkäufer kamen, sah der junge Fischer ein Kind neben einem Krug mit Wasser stehen. Und seine Seele sagte zu ihm: »Schlage das Kind.« Also schlug er das Kind, bis es weinte, und als er es getan hatte, verließen sie eilends die Stadt.
Und nachdem sie sich eine Meile von der Stadt entfernt hat ten, wurde der junge Fischer zornig und sagte zu seiner Seele: »Warum hast du mich das Kind schlagen heißen? Denn das war übel getan.«
Aber seine Seele antwortete ihm: »Sei ruhig, sei ruhig.«
Und am Abend des dritten Tages kamen sie in eine Stadt, und der junge Fischer fragte die Seele: »Ist dies die Stadt, in der sie tanzt, von der du mir gesprochen hast?«
Und seine Seele antwortete ihm: »Mag sein, dass es in dieser Stadt ist, deshalb lass uns hineingehen.«
So gingen sie hinein und wanderten durch die Straßen, aber nirgendwo konnte der junge Fischer den Fluss finden oder das Wirtshaus, das an ihm stand. Und die Leute in der Stadt schauten ihn neugierig an, und er bekam Angst und sagte zu seiner Seele: »Lass uns von hier fortgehen; denn sie, die mit weißen Füßen tanzt, ist nicht hier.«
Aber seine Seele antwortete: »Nein, lass uns verweilen; denn die Nacht ist dunkel, und auf dem Weg werden Räuber sein.« So setzte er sich auf den Marktplatz und ruhte aus, und nach einer Weile kam ein Kaufmann vorbei, der mit einer Kapuze und einem Mantel aus kostbarem tatarischem Tuch angetan war und an einem knotigen Rohr eine Laterne aus durchbrochenem Horn trug. Und der Kaufmann sprach zu ihm: »Warum sitzt du auf dem Marktplatz, da doch die Buden geschlossen und die Ballen verschnürt sind?«
Und der junge Fischer antwortete ihm: »Ich kann in dieser Stadt keine Herberge finden und habe auch keinen Verwandten, der mir Obdach geben könnte.«
»Sind wir nicht alle Brüder?« sagte der Kaufmann. »Und hat nicht ein Gott uns erschaffen? Deshalb komm mit mir, denn ich habe ein Gastzimmer.«
Also stand der junge Fischer auf und folgte dem Kaufmann zu dessen Haus. Und als er durch einen Garten mit Granatapfelbäumen gegangen und in das Haus getreten war, brachte ihm der Kaufmann in einer kupfernen Schüssel Rosenwasser, damit er seine Hände waschen könne, und reife Melonen, seinen Durst zu stillen, und setzte ihm eine Schale Reis vor und ein Stück gebratenen Zickleins.
Und als er fertig war, führte ihn der Kaufmann in das Gastzimmer und hieß ihn schlafen und wohl ruhen. Und der junge Fischer dankte ihm und küsste den Ring, den jener trug, und warf sich nieder auf die Teppiche aus gefärbtem Ziegenhaar. Und nachdem er eine Decke aus schwarzer Lammwolle über sich gezogen hatte, schlief er ein.
Und drei Stunden vor dem Morgengrauen, als es noch Nacht war, weckte ihn seine Seele und sagte zu ihm: »Steh auf und geh in das Zimmer des Kaufmanns, geh in das Zimmer, in dem er schläft, und erschlage ihn und nimm all sein Gold, denn wir brauchen es.«
Und der junge Fischer stand auf und schlich in das Zimmer des Kaufmanns, und über den Füßen des Kaufmanns lag ein Krummsäbel, und der Kasten zur Seite des Kaufmanns enthielt neun Beutel mit Gold. Und er streckte die Hand aus und griff nach dem Säbel, und als er danach griff, regte sich der Kaufmann und erwachte, und aufspringend packte er selber den Säbel und schrie den jungen Fischer an: »Dankst du Gutes mit Bösem und bezahlst mit Blutvergießen die Freundlichkeit, die ich dir erwiesen habe?«
Und seine Seele sagte zu dem jungen Fischer: »Schlag zu«, und er schlug so heftig zu, dass der Kaufmann bewusstlos niederfiel, und dann nahm er die neun Beutel Gold und floh eilends durch den Granatapfelgarten und wandte sein Gesicht dem Stern zu, der der Morgenstern ist.
Und als sie sich eine Meile von der Stadt entfernt hatten, schlug der junge Fischer an seine Brust und sagte zu seiner Seele: »Warum hast du mich den Kaufmann erschlagen und sein Gold nehmen heißen? Wahrlich, du bist böse.«
Aber seine Seele antwortete ihm: »Sei ruhig, sei ruhig.« »Nein«, rief der junge Fischer, »ich kann nicht ruhig sein, denn alles, was du mich hast tun lassen, hasse ich. Auch dich hasse ich, und ich befehle dir, mir zu sagen, warum du in dieser Weise auf mich eingewirkt hast.«
Und seine Seele antwortete ihm: »Als du mich in die Weit hinausschicktest, gabst du mir kein Herz mit, so kam es, dass ich diese Dinge tun und lieben lernte.«
»Was sagst du da?« fragte der junge Fischer leise.
»Du weißt es«, antwortete seine Seele, »du weißt es wohl. Hast du vergessen, dass du mir kein Herz mitgabst ? Doch wohl nicht. Und so quäle weder dich noch mich, sondern sei ruhig, denn da ist kein Schmerz, den du nicht austeilen sollst, und keine Lust, die du nicht empfangen sollst.«
Und als der junge Fischer diese Worte hörte, erbebte er und sprach zu seiner Seele: »Nein, du bist böse und hast mich meine Liebe vergessen lassen und hast mich mit Versuchungen versucht und hast meinen Fuß auf die Wege der Sünde geführt.«
Und seine Seele antwortete ihm: »Du weißt, dass du mir kein Herz mitgabst, als du mich in die Welt hinausschicktest. Komm, lass uns in eine andere Stadt gehen und uns vergnügen, denn wir haben neun Beutel Gold.«
Doch der junge Fischer nahm die neun Beutel Gold und warf sie zu Boden und trat sie mit Füßen.
»Nein«, rief er, »ich will nichts mit dir zu tun haben und will auch nirgendwohin mit dir gehen, sondern so, wie ich dich zuvor fortgeschickt habe, will ich dich jetzt fortschicken, denn du hast mir nichts Gutes gebracht.« Und er kehrte den Rücken zum Mond, und mit dem kleinen Messer, das einen Griff aus grüner Schlangenhaut hatte, versuchte er, von seinen Füßen den Schatten des Leibes abzuschneiden, der der Leib der Seele ist.
Aber seine Seele wich nicht von ihm, noch achtete sie seines Gebots, sondern sprach zu ihm: »Der Zauber, den dir die Hexe verriet, nützt dir nichts mehr, denn ich kann dich nicht verlassen, und eben sowenig kannst du mich fortjagen. Einmal im Leben kann ein Mensch seine Seele fortschicken, aber wer seine Seele wieder aufnimmt, muss sie für immer bei sich behalten, und dies ist seine Strafe und sein Lohn.«
Und der junge Fischer erbleichte und ballte die Hände und schrie: »Sie war eine falsche Hexe, dass sie mir dies nicht gesagt hat.«
»Nein«, antwortete seine Seele, »sondern sie war Ihm getreu, den sie anbetet und dem sie stets dienen wird.«
Und als der junge Fischer erkannte, dass er seine Seele nicht mehr loswerden konnte und dass sie eine böse Seele war und immer bei ihm bleiben würde, fiel er auf die Erde nieder und weinte bitterlich.
Und als es Tag war, stand der junge Fischer auf und sagte zu seiner Seele: »Ich will meine Hände binden, damit ich nicht tun kann, was du mich heißt, und meine Lippen verschließen, damit ich nicht deine Worte sprechen kann, und ich will zurückkehren an den Ort, wo sie, die ich liebe, ihre Wohnstatt hat. Ja, zum Meer will ich zurückkehren und zu der kleinen Bucht, wo sie zu singen pflegt, und ich will sie rufen und ihr erzählen, was ich Böses getan habe und zu welch Bösem du mich bewogen hast.«
Und seine Seele versuchte ihn und sprach: »Wer ist deine Liebste, dass du zu ihr zurückkehren solltest? Die Welt hat viele, die schöner sind als sie. Da sind die Tänzerinnen von Samaris, die wie jederlei Vögel und anderes Getier tanzen. Ihre Füße sind mit Henna bemalt, und in den Händen halten sie kupferne Glöckchen. Sie lachen, wenn sie tanzen, und ihr Lachen ist hell wie das Lachen des Wassers. Komm mit mir, und ich will sie dir zeigen. Denn was quälst du dich um sündige Dinge? Ist nicht für den Essenden gemacht, was angenehm zu essen ist? Enthält denn Gift, was wohlig zu trinken ist? Quäle dich nicht, sondern komm mit mir in eine andere Stadt. Unweit von hier liegt eine kleine Stadt und darin ein Garten mit Tulpenbäumen. Und in diesem hübschen Garten leben weiße Pfauen und Pfauen mit blauer Brust. Ihre gegen die Sonne entfalteten Schweife gleichen Scheiben aus Elfenbein und Scheiben aus Gold. Und die sie füttert, tanzt zu ihrem Vergnügen, und manchmal tanzt sie auf den Händen, und ein andermal tanzt sie auf den Füßen. Ihre Augen sind mit Antimon gefärbt, und ihre Nüstern sind wie die Flügel einer Schwalbe geformt. An einem Häkchen in einem ihrer Nasenflügel hängt eine Blüte, die aus einer Perle geschnitten ist. Sie lacht, wenn sie tanzt, und die silbernen Ringe um ihre Fesseln klingen wie Silberglöckchen. Deshalb quäle dich nicht mehr, sondern komm mit mir in diese Stadt.«
Doch der junge Fischer gab seiner Seele keine Antwort, sondern verschloss seine Lippen mit dem Siegel des Schweigens, und mit einem festen Strick band er seine Hände und wanderte zurück zu dem Ort, von dem er gekommen, zu der kleinen Bucht, wo seine Liebste zu singen pflegte. Und unterwegs versuchte ihn seine Seele immer wieder, aber er gab ihr keine Antwort und beging auch keine der Ruchlosigkeiten, zu denen sie ihn zu bewegen versuchte, so groß war die Macht der Liebe, die in ihm wohnte.
Und als er den Meeresstrand erreicht hatte, löste er den Strick von seinen Händen und nahm das Siegel des Schweigens von den Lippen und rief die kleine Seejungfrau. Aber sie folgte seinem Ruf nicht, obgleich er den ganzen Tag nach ihr rief und sie inständig bat.
Und seine Seele verlachte ihn und sprach: »Wahrlich, deine Liebe gewährt dir nur wenig Freude. Du gleichst einem, der in Notzeiten Wasser in ein zerbrochenes Gefäß gießt. Du gibst fort, was du hast, und erhältst nichts zum Lohne. Es wäre besser für dich, du kämest mit mir, denn ich weiß, wo das Tal der Lust liegt und welche Dinge sich dort tun.«
Doch der junge Fischer gab seiner Seele keine Antwort, sondern baute sich in einer Felsspalte eine Hütte aus Flechtwerk und hauste dort ein volles Jahr. Und jeden Morgen rief er die Seejungfrau, und jeden Mittag rief er sie abermals, und des Nachts nannte er ihren Namen. Aber niemals hob sie sich ihm aus dem Meer entgegen, noch vermochte er sie irgendwo im Meer zu finden, ob er sie gleich in den Höhlen und in dem grünen Wasser suchte, in den tiefen Flutkesseln und in den Strudeln am Grunde der Tiefe.
Und immer wieder versuchte ihn seine Seele mit Bösem und rannte ihm schreckliche Dinge zu. Aber sie erlangte keine Herrschaft über ihn, so groß war die Macht seiner Liebe.
Und als das Jahr verstrichen war, dachte die Seele bei sich: >Ich habe meinen Herrn mit Bösem versucht, und seine Liebe ist stärker als ich. So will ich ihn nun mit Gutem versuchen, und vielleicht wird er mit mir kommen.<
Also redete sie den jungen Fischer an und sprach: »Ich habe dir von den Freuden der Welt erzählt, und du hattest ein taubes Ohr für mich. Lass mich dir jetzt vom Leid der Welt erzählen, und vielleicht wirst du mich anhören. Denn in Wahrheit ist das Leid der Herr dieser Welt, und da ist keiner, der seinem Netz entrinnt. Manchen fehlt es an Kleidung, und manche leiden Mangel an Brot. Es gibt Witwen in Purpur und Witwen in Lumpen. Die Aussätzigen kommen und gehen über die Sümpfe und sind grausam gegeneinander. Die Bettler ziehen die Landstraßen auf und ab, und ihre Ränzel sind leer. In den Straßen der Städte geht die Hungersnot um, und an ihren Toren hockt die Pest. Komm, lass uns hingehen und diesen Dingen abhelfen und bewirken, dass sie nicht geschehen. Weshalb solltest du hier verweilen und nach deiner Liebsten rufen, da du doch siehst, dass sie deinem Ruf nicht folgt? Und was ist die Liebe, dass du ihr einen so hohen Wert beimessen solltest?«
Doch der junge Fischer antwortete mit keinem Wort, so groß war die Macht seiner Liebe. Und jeden Morgen rief er die See Jungfrau, und jeden Mittag rief er sie abermals, und des Nachts nannte er ihren Namen. Aber niemals hob sie sich ihm aus dem Meer entgegen, noch vermochte er sie irgendwo im Meer zu finden, ob er sie gleich in den Strömen des Meeres und in den Wellentälern suchte, in der bei Nacht purpurnen See und in der See, die in der Dämmerung graut.
Und als das zweite Jahr verstrichen war, sagte die Seele des Nachts zu dem jungen Fischer, als er einsam in seiner Hütte aus Flechtwerk saß: »Siehe! Nun habe ich dich mit Bösem versucht und habe dich mit Gutem versucht, und deine Liebe ist stärker als ich. Deshalb will ich dich nicht mehr versuchen, sondern ich bitte dich, lass mich in dein Herz einkehren, damit ich eins mit dir sein kann wie zuvor.«
»Freilich darfst du einkehren«, sagte der junge Fischer, »denn in den Tagen, da du ohne Herz durch die Welt zogst, musst du viel gelitten haben.«
»Ach!« rief seine Seele. »Ich kann keinen Eingang finden, so fest umschlossen ist dein Herz von Liebe.«
»Dennoch wollte ich, ich könnte dir helfen«, sagte der junge Fischer.
Und als er sprach, ertönte ein lauter Klageschrei vom Meer, der Schrei, den die Menschen hören, wenn einer vom Meervolk gestorben ist. Und der junge Fischer sprang auf und verließ seine Hütte aus Flechtwerk und lief hinab zum Strand. Und die schwarzen Wogen eilten dem Ufer zu und führten eine Bürde mit, die weißer war als Silber. Weiß wie die Brandung war sie, und wie eine Blüte schwankte sie auf den Wogen. Und die Brandung entriss sie den Wellen, und der Schaum entriss sie der Brandung, und der Strand nahm sie auf, und als sie zu seinen Füßen lag, erblickte der junge Fischer den toten Leib der kleinen Seejungfrau. Tot lag sie zu seinen Füßen.
Weinend wie einer, den der Schmerz überwältigt, warf er sich an ihre Seite, und er küsste das kalte Rot ihres Mundes und spielte mit dem nassen Bernstein ihres Haares. Er warf sich an ihre Seite in den Sand und weinte wie einer, der vor Glück erbebt, und mit seinen braunen Armen drückte er sie an die Brust. Kalt waren die Lippen, dennoch küsste er sie. Salz war der Honig ihres Haares, dennoch kostete er es in schmerzhaftem Entzücken. Er küsste die geschlossenen Lider, und der flüchtige Gischt, der auf ihren Augäpfeln lag, war nicht so salzig wie seine Tränen.
Und dem toten Geschöpf beichtete er. In die Muscheln ihrer Ohren ergoss er den herben Wein seines Berichtes. Er legte die kleinen Hände, um seinen Nacken, und mit seinen Fingern berührte er das zarte Rohr ihres Halses. Schmerzhaft, schmerzhaft war seine Freude, und voll seltsamer Freude war sein Schmerz.
Das schwarze Meer kam näher, und der weiße Schaum stöhnte wie ein Aussätziger. Mit weißen Schaumpranken griff das Meer nach dem Strand. Aus dem Palast des Meerkönigs ertönte abermals der Schrei der Trauerklage, und weit draußen auf dem Meer bliesen die großen Tritonen misstönend auf ihren Hörnern.
»Fliehe«, sagte seine Seele, »denn das Meer kommt näher und näher, und wenn du zögerst, wird es dich erschlagen. Fliehe, denn ich fürchte mich, da ich sehe, dass dein Herz um deiner großen Liebe willen gegen mich verschlossen ist. Flieh an einen sicheren Ort. Du willst mich doch gewiss nicht ohne Herz in eine andere Welt schicken?«
Doch der junge Fischer hörte nicht auf seine Seele, sondern rief die kleine Seejungfrau an und sprach: »Liebe ist besser als Weisheit und kostbarer als Reichtum und schöner als die Füße der Menschentöchter. Die Feuer können sie nicht zerstören, noch können die Wasser sie löschen. Ich habe dich in der Dämmerung gerufen, und du bist meinem Ruf nicht gefolgt. Der Mond hat deinen Namen vernommen, aber du achtetest meiner nicht. Denn böse habe ich dich verlassen, und zu meinem eigenen Schaden wanderte ich fort. Aber deine Liebe blieb immer bei mir, und immer war sie stark, und nichts gewann Herrschaft über sie, wie ich auch meinen Blick auf Böses und auf Gutes richten mochte. Und nun, da du tot bist, will ich fürwahr mit dir sterben.«
Und seine Seele flehte ihn an davonzugehen, aber er wollte es nicht, so groß war seine Liebe. Und das Meer kam näher und suchte ihn mit seinen Wogen zuzudecken, und als er er kannte, dass es dem Ende zuging, küsste er mit wilden Lippen die Lippen der Seejungfrau, und das Herz in seiner Brust zersprang. Und als ihm in der Fülle seiner Liebe das Herz zersprang, fand die Seele einen Eingang und kehrte in sein Herz ein und ward eines mit ihm wie zuvor. Und das Meer deckte den jungen Fischer mit seinen Wogen zu.
Und am Morgen zog der Priester aus, das Meer zu segnen, denn es war unruhig gewesen. Und mit ihm gingen die Mönche und die Musikanten und die Kerzenträger und die Knaben, die Weih Rauchfässer schwenkten, und eine große Schar. Und als der Priester an den Strand kam, sah er den jungen Fischer ertrunken in der Brandung liegen, und seine Arme hielten den toten Leib der kleinen Seejungfrau umfangen. Und er wich finsteren Blickes zurück, und nachdem er sich bekreuzigt hatte, rief er laut und sprach: »Weder das Meer noch irgend etwas darinnen will ich segnen. Verflucht sei das Meervolk, und verflucht seien alle, die mit ihm Umgang haben. Und was diesen betrifft, der um der Liebe willen Gott vergaß und deshalb von Gottes Strafe getroffen hier mit seiner Buhle liegt, so nehmt seinen Leichnam und den Leichnam seiner Buhle auf und begrabt sie in der Ecke des Schindangers und setzt ihnen kein Mal oder irgendein Zeichen, auf dass niemand ihre Ruhestatt erkenne. Denn verflucht waren sie im Leben, und verflucht sollen sie auch im Tode sein.«
Und das Volk tat, wie er ihm befahl, und in der Ecke des Schindangers, wo keine duftenden Kräuter wuchsen, gruben sie ein tiefes Grab und legten die Toten hinein.
Und als das dritte Jahr verstrichen war und an einem Tag, der ein heiliger Tag war, ging der Priester in die Kapelle hinauf, dass er dem Volk die Wunden des Herrn weise und zu ihm rede über den Zorn Gottes.
Und als er das Gewand seines Amtes angelegt hatte und ein trat und sich vor dem Altar verneigte, sah er, dass der Altar mit fremdartigen Blumen bedeckt war, wie man sie nie zuvor gesehen hatte. Seltsam waren sie anzusehen und von ungewöhnlicher Schönheit, und ihre Schönheit verwirrte ihn, und ihr Duft stieg ihm süß in die Nase. Und er fühlte sich froh und konnte nicht sagen, warum er froh war.
Und nachdem er das Tabernakel geöffnet und die Monstranz darinnen mit Weihrauch beräuchert hatte und nachdem er dem Volk die makellose Hostie gezeigt und sie wieder verborgen hatte hinter dem Schleier der Schleier, begann er zu dem Volk zu sprechen und wollte von Gottes Zorn zu ihm sprechen. Doch die Schönheit der weißen Blumen verwirrte ihn, und ihr Duft stieg ihm süß in die Nase, und ein anderes Wort kam ihm auf die Lippen, und er sprach nicht vom Zorn Gottes, sondern von dem Gott, der Liebe heißt. Und warum er so sprach, wusste er nicht.
Und als er seine Rede beendet hatte, weinte das Volk, und der Priester ging zurück in die Sakristei, und seine Augen waren voller Tränen. Und die Diakone traten ein und begannen ihn auszukleiden und nahmen ihm Albe und Zingulum ab, Manipel und Stola. Und er stand wie einer im Traum.
Und als sie ihn ausgekleidet hatten, blickte er sie an und sprach: »Was sind das für Blumen auf dem Altar, und woher stammen sie?«
Und sie antworteten ihm: »Was für Blumen es sind, können wir nicht sagen, aber sie stammen aus der Ecke des Schindangers.« Und der Priester zitterte und ging heim und betete.
Und am Morgen, als es noch dämmerte, zog er aus mit den Mönchen und den Musikanten und den Kerzenträgern und den Knaben, die Weihrauchfässer schwenkten, und einer großen Schar, und er kam zum Meeresstrand und segnete das Meer und all die wilden Geschöpfe darin. Auch die Faune segnete er und die kleinen Wesen, die im Wald tanzen, und die helläugigen Wesen, die durch die Blätter spähen. Alle Geschöpfe in Gottes Welt segnete er, und das Volk war von Freude und Staunen erfüllt. Doch nie wieder wuchsen irgendwelche Blumen in der Ecke des Schindangers, das Feld blieb unfruchtbar wie zuvor. Auch kam das Meervolk nicht mehr in die Bucht, wie es zuvor getan, denn es zog in einen anderen Teil des Meeres.

Quelle: (Oscar Wilde)

 

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