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Der Geburtstag der Infantin

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Von allen Räumen war dies der prächtigste und schönste. Die Wände waren mit in sich geblümtem blassrotem Lucceser Damast bespannt, der ein Muster von Vögeln und zierlichen silbernen Blüten trug; die Möbel aus massivem Silber schmückten Blumengirlanden und schaukelnde Liebesgötter; vor den beiden gewaltigen Kaminen standen große, mit Papageien und Pfauen bestickte Paravents, und der Fußboden aus meergrünem Onyx schien sich weit in die Ferne zu dehnen. Er befand sich auch nicht allein. Unter dem Schatten des Türbogens am äußersten Ende des Raumes sah er eine kleine Gestalt stehen, die ihn beobachtete. Sein Herz bebte, ein Freudenschrei löste sich von seinen Lippen, und er trat hinaus in das Sonnenlicht. Als er es tat, trat auch die Gestalt hervor, und er nahm sie deutlich wahr.
Die Infantin? Eine Missgeburt war es, die lächerlichste Missgeburt, die er je gesehen hatte. Nicht ansehnlich von Gestalt wie alle anderen Leute, sondern bucklig und krummbeinig, mit einem mächtigen Hängekopf und einer Zottelmähne schwarzen Haares. Der kleine Zwerg runzelte die Stirn, und die Missgeburt runzelte ebenfalls die Stirn. Er lachte, und sie lachte mit und hielt sich die Seiten, geradeso wie er selbst. Er machte ihr eine spöttische Verbeugung, und sie erwiderte sie mit einer tiefen Reverenz. Er ging auf sie zu, und sie kam ihm entgegen, jeden Schritt nachahmend, den er tat, und blieb stehen, wenn er selbst stehen blieb. Er jauchzte vor Vergnügen und lief vorwärts und streckte die Hand aus, und die Hand der Missgeburt berührte die seine, und sie war kalt wie Eis. Er bekam Angst und führte seine Hand über die Brust, und die Hand der Missgeburt machte es ihr hurtig nach. Er versuchte, vorwärts zu drängen, aber etwas Glattes und Hartes gebot ihm Einhalt. Das Gesicht der Missgeburt war jetzt dicht vor dem seinen und schien voller Entsetzen. Er strich sich das Haar aus den Augen. Sie äffte ihm nach. Er schlug nach ihr, und sie gab ihm Schlag für Schlag zurück Er zeigte seinen Abscheu vor ihr, und sie schnitt ihm abscheuliche Gesichter. Er zog sich zurück, und sie entfernte sich von ihm.
Was war das? Er überlegte einen Augenblick und sah sich nach dem anderen Teil des Raumes um. Es war sonderbar, aber alles schien in dieser unsichtbaren Wand aus klarem Wasser sein Ebenbild zu haben. Ja, Bild für Bild wiederholte sich und ein Ruhebett um das andere. Der schlafende Faun, der in dem Alkoven neben dem Türbogen lag, hatte seinen schlummernden Zwillingsbruder, und die silberne Venus, die im Sonnenlicht stand, hielt ihre Arme einer ebenso lieblichen Venus entgegen.
War es das Echo? Er hatte es einmal im Tal angerufen, und es hatte ihm Wort für Wort geantwortet. Konnte es das Auge narren, wie es die Stimme nachäffte? Konnte es eine Scheinwelt schaffen, geradeso wie die richtige Welt? Konnten die Schatten der Dinge Farbe, Leben und Bewegung haben? Konnte es sein, dass … ?
Er erschrak, und während er von seiner Brust die schöne weiße Rose nahm, drehte er sich um und küsste sie. Die Missgeburt hatte auch eine Rose, Blatt für Blatt die gleiche! Sie küsste sie mit gleichen Küssen und drückte sie mit grässlichen Gebärden an die Brust.
Als ihm die Wahrheit dämmerte, stieß er einen wilden Schrei der Verzweiflung aus und fiel schluchzend zu Boden. Also war er es, der missgestalt und bucklig, widerwärtig anzusehen und lächerlich war. Er selbst war die Missgeburt, und über ihn hatten alle Kinder gelacht, und die kleine Prinzessin, von der er geglaubt hatte, sie liebe ihn – auch sie hatte sich nur über seine Hässlichkeit lustig gemacht und ihren Spaß gehabt an seinen verdrehten Beinen. Warum hatten sie ihn nicht im Wald gelassen, wo es keinen Spiegel gab, der ihm erzählte, wie abscheulich er war? Warum hatte ihn sein Vater nicht lieber getötet, als ihn zu seiner Schmach zu verkaufen? Heiße Tränen rannen über seine Wangen hernieder, und er zerpflückte die weiße Rose. Die auf dem Boden liegende Missgeburt tat das gleiche und warf die welken Blütenblätter in die Luft. Sie lag bäuchlings am Boden, und wenn er sie ansah, beobachtete sie ihn mit schmerzverzerrtem Gesicht. Er kroch fort, damit er sie nicht sähe, und bedeckte die Augen mit den Händen. Er kroch wie ein verwundetes Geschöpf in den Schatten und blieb dort stöhnend liegen.
Und in diesem Augenblick kam die Infantin mit ihren Gefährten durch die offene Fenstertür herein, und als sie den hässlichen kleinen Zwerg sahen, wie er da an der Erde lag und auf die wunderlichste und überspannteste Weise mit seinen geballten Fäusten auf den Boden schlug, da brachen sie in einen Jubel glücklichen Gelächters aus und stellten sich um ihn und beobachteten ihn.
»Sein Tanzen war drolliger, sagte die Infantin, »aber seine Schauspielkunst ist noch drolliger. Er ist wahrhaftig beinahe so gut wie die Marionetten, nur selbstredend nicht ganz so natürlich.« Und sie bewegte ihren großen Fächer und applaudierte.
Aber der kleine Zwerg blickte nicht hoch, und sein Schluchzen wurde schwächer und schwächer, und plötzlich japste er auf sonderbare Weise nach Luft und griff sich in die Seite. Und dann fiel er wieder zurück und lag ganz still.
»Famos«, sagte die Infantin nach einer Pause, »aber jetzt musst du für mich tanzen.«
»Ja«, riefen alle Kinder, »du musst aufstehen und tanzen, denn du bist so geschickt wie die Berberaffen und viel komischer.«
Doch der kleine Zwerg gab keine Antwort.
Und die Infantin stampfte mit dem Fuß auf und rief ihren Onkel an, der draußen auf der Terrasse mit dem Kämmerer spazierte und einige Depeschen las, die soeben aus Mexico angelangt waren, wo man vor kurzem die Inquisition eingesetzt hatte. »Mein drolliger kleiner Zwerg schmollte, rief sie, »du musst ihn aufrütteln und ihm befehlen, dass er für mich tanzt.« Sie lächelten einander zu und schlenderten hinein, und Don Pedro beugte sich nieder und schlug dem Zwerg mit seinem gestickten Handschuh auf die Wange. »Du musst tanzen, petit monstre«, sagte er. »Du musst tanzen. Die Infantin von Spanien und den beiden Indien wünscht, unterhalten zu werden.«
Doch der kleine Zwerg rührte sich nicht.
»Man sollte einen Auspeitscher kommen lassen«, sagte Don Pedro müde und ging wieder auf die Terrasse. Der Kämmerer machte jedoch ein ernstes Gesicht und kniete sich neben den kleinen Zwerg und legte die Hand auf sein Herz. Und wenige Augenblicke später zuckte er die Achseln und stand auf, und nach einer tiefen Verneigung vor der Infantin sagte er: »Mi bella princesa, Euer drolliger kleiner Zwerg wird nie wieder tanzen. Schade drum, denn er ist so hässlich, dass er vielleicht den König zum Lächeln gebracht hätte.«
»Aber warum wird er nicht tanzen?« fragte die Infantin lachend.
»Weil ihm das Herz gebrochen ist«, antwortete der Kämmerer.
Und die Infantin runzelte die Stirn und warf in reizender Verachtung die hübschen rosenblättrigen Lippen auf. »In Zukunft lasst die, die zu mir spielen kommen, keine Herzen haben«, rief sie und lief hinaus in den Garten.

Quelle: (Oscar Wilde)

 
 

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