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Der Häuslerssohn und der Oberhirt des Königs

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Es waren einmal ein alter Mann und ein altes Weib in ihrer schlechten Hütte in der Nähe eines Königspalastes. Sie hatten einen Sohn, den sie sehr liebten, obschon er so unwillig und träge war, daß er sich zu gar nichts verwenden lassen wollte. Sie hatten auch eine Kuh und diese sollte er hüten; aber selbst dies war ihm eine zu beschwerliche Arbeit und so mußte sich zuletzt die Kuh selbst hüten. Da wurde es dem Alten endlich doch zu bunt und er jagte den faulen Burschen aus dem Hause.
Nun mußte er also fort, und er ging da lange, lange, bis er zu einem Hofe kam. Hier klopfte er an die Thüre. Es kam ein Mann heraus, der ihn fragte, was er wolle.
Sein Vater habe ihn davongejagt, weil er so unwillig und träge sei, erzählte der Bursche, »und nun bitte ich Dich, daß Du mir Obdach gebest.«
»Das sollst Du auch bekommen«, antwortete der Mann. »Aber morgen habe ich eine Arbeit für Dich; denn Du mußt wissen, daß ich der Oberhirt des Königs bin.«
Anfangs gab der Bursche keine Antwort; aber nach einigem Zögern ging er doch darauf ein.
Hierauf führte ihn der Mann in’s Haus, wo zwei junge Mädchen und die Frau des Hausherrn waren. Dann erhielt er zu essen, und zwar Fleisch und Brod. Viel gesprochen wurde aber Abends nicht und es wurde ihm auch keine Arbeit aufgetragen. Er legte sich bald schlafen und schlief bis zum lichten Morgen.
Als er sich angekleidet hatte, kam der Hausherr zu ihm und sagte:
»Nun habe ich eine Arbeit für Dich.«
»Was denn für eine?« fragte der Bursche.
»Ah, nichts Anderes, als daß Du hundert Schweine hüten sollst«, lautete die Antwort.
»Das bin ich nicht gewöhnt«, meinte der Bursche.
»Ja, diesmal wirst Du es doch thun müssen«, sagte der Mann.
Hierauf erhielt er die Schweine und trieb sie hinaus auf das Feld. Nachdem sie aber eine Zeit lang auf demselben herumgewühlt hatten, wurden sie so wild und unlenksam, daß er sie nicht in Ordnung halten konnte, und sie wohl alle in’s Gebirg gelaufen wären, hätte er nicht den Vortheil wahrgenommen, daß sich hier ein Engpaß befand; in diesen peitschte er sie und trieb sie von hier aus ohne Aufenthalt heim nach der Hütte seiner Eltern.
Der alte Häusler konnte natürlich nicht begreifen, was dies bedeuten wolle und fragte den Sohn, woher er denn diese Herde erhalten habe.
»Diese Schweine gehören dem Oberhirten des Königs«, antwortete der Bursche. »Er gab sie mir, damit ich sie hüten sollte; da ich sie aber nicht zügeln konnte, meinte ich, es sei am Besten sie zu Dir nach Hause zu treiben; mache Dir nun diesen fetten Fang zu Nutzen und schlachte sie gleich alle auf ein Mal!«
»Gott bewahre, das werde ich wohl bleiben lassen«, sagte der Vater, »das würde ja Dein sicherer Tod sein.«
»Ah, ich werde wohl etwas erfinden, um mich aus der Sache heraus zu wickeln«, meinte der Bursche.
So schlachtete denn der Alte alle Schweine und hernach schafften sie Alles fein säuberlich bei Seite. Der Bursche bat hierauf um ein Stück von einem starken Stricke, welches er auch erhielt.
Er band nun von allen Schweinen die Schwänzchen zusammen und befestigte sie an dem einen Ende des Strickes.
In der Nähe des Ortes, wo er die Schweine hüten sollte, befand sich ein kleiner Sumpf. Dahin ging er und versenkte den Strick mit den Schwänzen in der Weise, daß nur die Spitzen derselben, die von einander in kleinen Zwischenräumen abstanden, aus dem Sumpf hervorragten. Am Ufer desselben lag ein großer Stein; diesen wälzte er mit großer Mühe in den Sumpf hinein und zwar mitten auf den Strick zwischen die Schwänze, aber so, daß man ihn nicht sehen konnte; die Schwänzchen selbst waren so gut befestigt, daß man sie mit aller Kraft nicht abreißen konnte.
Nachdem er all‘ dies in Ordnung gebracht hatte, lief er heim zu dem Hausherrn und machte eine so betrübte Miene, daß derselbe fragen mußte, was denn mit ihm geschehen sei und wo er die Schweine gelassen habe.
»Sprecht nicht davon, Herr«, antwortete der Bursche; »es ist eine ganze Geschichte von ihnen zu erzählen. Als ich sie auf das Feld hinausgebracht hatte, wurden sie so wild und unlenksam, daß jedes nach einer anderen Seite lief. Ich rannte ihnen überallhin nach, so daß ich beinahe selbst daraufgegangen wäre. Es gelang mir auch endlich, sie alle wieder zu einem Haufen zusammen zu bringen; da geschah aber das Wunder, welches ich nie für möglich gehalten hätte; sie stürzten alle mit einander dem Sumpf zu, sprangen in denselben hinein und im selben Augenblicke waren sie auch schon verschwunden; ja fort und verschwunden waren sie; ich sah nichts anderes mehr von ihnen, als die Schwänze, welche aus dem Sumpfe hervorragten.«
»Das hast Du gut erfunden«, sagte der Hausherr.
»Nein, das ist die volle Wahrheit«, betheuerte der Bursche.
Sie eilten hierauf beide zum Sumpf und der Hausherr sah nun, daß sich Alles so verhielt, wie der Bursche gesagt hatte; er begann sodann an den Schwänzen zu ziehen, aber so stark er auch zog, so blieben sie doch fest haften. Da mußte ihm auch der Bursche dabei helfen, aber es ging deshalb doch nicht leichter.
»Das ist auch wirklich ein großes Wunder«, meinte der Hausherr. »Nun will ich Dir keine Vorwürfe machen, da ich sehe, daß Dich keine Schuld trifft; ich muß mich in meinen Verlust finden, so gut ich kann.«
Hierauf gingen sie beide heim. Der Bursche legte sich schlafen, als ob sich gar nichts ereignet hätte, und schlief fest und ruhig die ganze Nacht hindurch.
Am Morgen kam wiederum der Hausherr zu ihm und sagte:
»Nun habe ich eine neue Arbeit für Dich; ich besitze hundert Schafe, diese sollst Du mir hüten; aber gib gut Acht, daß Dir keines verloren geht.«
»Ich kann es ja einmal versuchen«, antwortete der Bursche, nahm die Schafe in Empfang und trieb sie hinaus auf die Wiese. Hier hatte er sie Anfangs zu einem dichten Haufen versammelt, den er auch beisammen zu halten suchte. Aber es dauerte nicht lange, so wurden die Schafe so unlenksam, daß er sie nicht beisammen zu halten vermochte. Da wurde er betrübt und zornig zugleich.
»Das ist die Strafe für mich«, meinte er, »weil ich gegen meinen Vater so unwillig war, als ich seine Kuh hüten sollte und nichts für ihn arbeiten wollte!«
Hierauf setzte er seine Füße in Bewegung, lief rings um alle Schafe herum und trieb sie in einem dichten Haufen geraden Weges heim nach der Hütte seines Vaters.
Als der Alte den großen Haufen Schafe erblickte, war er auf’s Höchste verwundert, und fragte, was dies zu bedeuten habe und wo er die Schafe gefunden, und wem sie gehören. Der Bursche erzählte ihm den ganzen Sachverhalt; aber da sagte der Alte:
»Begehe nun nicht mehr die Schlechtigkeit, sondern eile so schnell als möglich mit den Schafen heim zum Oberhirten.«
»Nein«, sagte der Bursche, »so dumm bin ich nicht. Wir werden sie schlachten und Du behälst Dir das Fleisch für Deine Wirtschaft.«
»Nein, nein«, entgegnete der Alte, »das würde Dir gar bald das Leben kosten.«
»Oho, das ist noch so sicher nicht«, antwortete der Sohn. »Aber was immer auch kommen mag, ich will einmal meinen Willen haben.«
Er beredete auch den Alten so lange, bis sie wirklich alle Schafe schlachteten und die Leiber und das ganze Eingeweide, sowie die Felle und Köpfe auf die Seite schafften; nur den Kopf des Schafes, welches den Haufen anzuführen pflegte und Schellen auf den Hörnern hatte, bat der Sohn behalten zu dürfen. Er lief mit demselben in den Wald und zu der Stelle, wo er die Schafe hätte hüten sollen. Dort befand sich eine Anhöhe und auf dem höchsten Punkte derselben ein Felsen; zu oberst auf dem Felsen war ein Rasenfleck und auf demselben ein mächtiges Gebüsch, welches seine Zweige nach allen Seiten ausbreitete. Er kletterte mit dem Schafskopfe den Felsen hinan und zog sich mit Hilfe der niederhängenden Zweige zum Gebüsch empor, bis er den mittelsten Ast erreichen konnte. An diesen befestigte er den Kopf, durch welchen er einen Strick gezogen hatte; die Hörner aber ließ er aus dem Gebüsche hervorsehen. Die Schellen begannen alsbald lustig zu läuten, da ein starker Wind herrschte. Hierauf kletterte er wieder den Felsen hinab. Als er unten angelangt war, konnte er den Kopf nicht sehen, denn der Fels war sehr hoch und das Gebüsch sehr dicht. Als er nun mit dieser Arbeit fertig war, lief er nach Hause zu dem Oberhirten und kam ganz in Schweiß gebadet und mit kummervoller, betrübter Mine dort an.
Da der Hausherr ihn in diesem Zustande kommen sah, fragte er ihn sogleich, was ihm denn so viel Kummer mache und wo er die Schafe gelassen habe.
»Sprecht nicht davon, Hausherr!« jammerte der Bursche; »ich weiß nicht, was das für Wunder sind, die mich da heimsuchen.«
Aber der Hausherr rief barsch:
»Heraus damit und zwar schnell! Sag‘ was mit den Schafen geschehen ist!«
Der Bursche begann zu weinen, so daß er anfangs kein rechtes Wort hervorbringen konnte, indem er antwortete:
»Ich … ich.. kann es Euch kaum erzählen; sie … sie … sie waren so.. so störrig, daß ich sie nicht … nicht … nicht zügeln konnte. Ich lief so.. so stark, daß ich beinahe ge … gestorben wäre, und ho.. holte sie ein; da.. da, ich konnte meinen Augen nicht trauen: da hör‘ ich ein.. ein starkes Sausen und.. und ich glaubte, es komme ein Sturmwind. Das.. das waren die Schafe, die.. die vor meinen Augen in den Hi.. Himmel fuhren. Ich stand wie versteinert und schaute ihnen lange Zeit nach und immer hörte ich das Geläute der Schellen von dem Schafe, welches die anderen anzuführen pflegte. Sie müssen in dem Hi.. Himmel aufgenommen worden sein.«
»Das ist nun doch eine niederträchtige Lüge, mit der Du mir da kommst, Du Schurke!« schrie der Hausherr.
»Nein, das ist so wahr, wie, daß eine Sonne am Himmel ist«, sagte der Bursche, während ihm neuerdings die Thränen über die Wangen floßen.
»Nun so liefere mir einen Beweis davon, wenn Du willst, daß ich es Dir glauben soll«, sagte der Hausherr.
»Kommt nur mit und seht selbst«, sagte der Bursche.
Hierauf machten sie sich beide auf den Weg; aber es ging bereits gegen Abend und die Schatten fielen ein. Der Bursche eilte voraus bis er zu dem Felsen kam, auf welchem sich das Gebüsch befand. Nun war aber die Nacht schon so nahe, daß man den Felsen in der Dunkelheit kaum sehen konnte. Wohl aber hörte der Hausherr das Schellengeläute hoch oben in der Luft.
»Hört Ihr nun das Geläute der Schellen, welche Euer Leitschaf auf den Hörnern hat, lieber Herr?« fragte der Bursche.
»Ja«, antwortete der Mann und blickte in die Luft empor, »nun höre ich es selbst; Du hast die Wahrheit gesprochen. Sie sind in den Himmel aufgenommen worden und ich kann Dir daher keine Schuld geben, das weiß ich. Du sollst deshalb keine bösen Worte von mir zu hören bekommen, sondern ich werde sehen, daß ich mich in den Verlust finde, den ich erlitten habe.«
Hierauf kehrten sie wieder heim und schliefen beide die Nacht hindurch.
Am nächsten Morgen kam der Hausherr abermals zu dem Burschen und sagte:
»Es würde mich nicht wundern, wenn Du einer derartigen Arbeit überdrüssig geworden wärest; gleichwohl habe ich Dir noch eine solche für heute zugedacht, die Dir sicherlich leicht fallen wird; Du sollst nämlich vierzig Ochsen hüten, welche mir, oder richtiger gesagt, dem König gehören. Aber Du mußt auf dieselben ganz besonders acht geben, damit Dir ja kein Stück verloren geht; denn einer von ihnen hat goldgeränderte Hörner und Klauen und dieser Ochse ist das größte Kleinod des Königs.«
Der Bursche war hierüber nicht sehr erfreut, übernahm aber doch die Ochsen und entfernte sich mit ihnen ziemlich unwillig. Er war aber kaum mit ihnen auf den Weideplatz gekommen, als plötzlich alle Thiere unruhig wurden und der gute Ochse brüllend und wild vorauslief. Nun wußte aber der Bursche recht gut, wo sein Vater die Kuh weiden ließ, und machte deshalb einen Lärm und einen Spektakel mit den Thieren, daß sie dahin liefen, wo des Alten Kuh graste. Da stieß der Ochse des Königs ein Gebrüll aus, die Kuh antwortete und beide liefen einander entgegen, die übrigen aber folgten alle dem Ochsen in gleichem Trabe nach. Der Bursche trieb sie alle zusammen, bis sie zuletzt einen undurchdringlichen Knäuel bildeten; hierauf lief er zur Kuh seines Vaters und führte sie heim nach dem Melkplatze.
Der Alte stand vor der Hütte. Da sah er plötzlich einen gewaltigen Rudel von Rindern auf seinen Melkplatz zu kommen, seinen Sohn aber an der Spitze gehen und seine eigene Kuh an einer Schnur führen. Obschon er bei diesem Anblick nahe daran war, erzürnt zu werden, so ging er doch hin nach dem Melkplatze und fragte den Sohn, was er denn da wolle; er erfuhr denn auch bald die ganze Wahrheit.
»Nun trachte aber, daß Du die Rinder so schnell als möglich wieder deinem Herrn zurückbringst!« sagte er darauf.
»Nein«, antwortete der Sohn, »sie sollen Dir gehören; das gibt einen guten Braten; denn es ist viel Fett an ihnen.«
Der Alte wollte sich um keinen Preis herbeilassen, die Thiere zu behalten, aber der Sohn überredete ihn endlich doch, daß er die Thiere band. Hierauf schlachteten sie dieselben eines nach dem andern. Der Alte war ein tüchtiger Mann und wo er zugriff, da hatte es seine Art; diesmal mußte er aber auch von der ganzen Kraft Gebrauch machen, die in ihm war. Sie hielten nicht früher mit ihrer Arbeit ein, bevor sie nicht alle Thiere geschlachtet und die Köpfe abgeschnitten hatten. Zum Schlusse kam die Reihe an den Ochsen des Königs. Es glang ihnen, auch diesen zu binden und zu Boden zu werfen. Der Sohn sollte den Strick halten, wie es ja üblich war; aber der Ochse riß so heftig hin und her, daß alle Bande zerrissen; er sprang auf; lief über den blutigen Platz, wurde rasend und stürzte davon; der Bursche in aller Eile hinterdrein. Sie liefen über Stock und Stein hinein in den Wald, aber der Abstand zwischen beiden blieb immer derselbe, bis der Ochse in eine Felsenschlucht kam, welche zu dem Lande des Oberhirten gehörte; in dieser Schlucht gab es noch viele andere kleinere Schluchten und Klüfte. In eine von diesen lief der Ochse, und es währte eine gute Weile, bis der Bursche ihn hinabkommen hörte; als er aber unten angelangt war, hörte er sein Gebrüll wie einen Laut, der aus großer Entfernung kam. Er hatte einige Schwefelhölzchen bei sich und da kam ihm der Gedanke, diese anzuzünden und auf den Grund der Schlucht hinabzulassen; er suchte hierauf etwas flüssiges Harz, goß dasselbe auf eine Birkenrinde und ließ diese ebenfalls auf den Grund der Schlucht nieder, wo das Feuer sogleich lustig zu brennen begann. Sowie er merkte, daß das Feuer die Haut des Ochsen ergriff und sein Haar versengte, lief er aus allen Leibeskräften heim zu seinem Herrn.
»Du bist diesmal lange ausgeblieben«, sagte dieser. »Was ist mit den Rindern geschehen?«
Der Bursche stellte sich, als ob er kaum ein Wort hervorbringen könnte aus lauter Kummer und Sorge; endlich aber sagte er:
»Es ist immer die alte Geschichte; die Rinder sind weg … weg!«
»Wa – wa – was? Weg?« schrie der Hausherr. »Du lügst, Schurke!«
»Ich spreche die reine Wahrheit,« antwortete der Bursche. »Als ich sie auf die Weide getrieben hatte, wurden sie rein verrückt, so daß ich sie unmöglich in Ordnung halten konnte; der gute Ochse lief voraus und die Rinder hinterdrein, bis sie alle in der Erde verschwanden. Sie müssen alle dort versunken sein, guter Herr, denn ich fand ein Loch in einer Felsenschlucht, und es schien mir, als ob ich sie brüllen hörte; ganz gewiß aber glaube ich das Gebrüll des goldgehörnten Ochsen erkannt zu haben; dann kam es mir auch vor, als ob unten Feuer brannte, und es ist gewiß der leibhaftige Gottseibeiuns selbst gewesen, der wohl dort zu Hause ist, denn es kam mir ein starker Schwefelgestank in die Nase.«
Da rief der Hausherr:
»Schurke! wenn Du auch früher nicht gelogen hast, so lügst Du jetzt!«
»Nein, Hausherr! Ihr könnt selbst kommen und Euch davon überzeugen,« sagte der Bursche.
»Lügst Du dieses Mal, so bist Du des Todes!« antwortete darauf der Hausherr.
Hierauf eilten sie beide fort, der Bursche voraus, bis sie zu der bewußten Schlucht kamen.
»Da könnt Ihr nun selbst sehen, Hausherr!« sagte der Bursche.
Der Hausherr schaute herum und entdeckte auch bald das Feuer, welches unten in der Schlucht brannte, und verspürte zugleich einen schrecklichen Schwefelgestank, der von unten herauf kam.
»Wunder über Wunder!« rief der Hausherr. »Ja, ich sehe es, Du hast die Wahrheit gesprochen; ich kann Dir keinen Vorwurf machen. Ich muß mich in meinen Verlust fügen, ohne einen Ersatz dafür zu haben; und das ist nichts Geringes. Komm‘, wir werden nach Hause gehen und Du sollst in Zukunft nicht mehr genöthigt werden, Thiere zu hüten, sondern eine andere Arbeit bekommen, die leichter zu verrichten ist.«
Und so gingen sie dann wieder heim alle Beide.
»Nun habe ich eine Arbeit für Dich ausgedacht, die Du morgen verrichten kannst«, sagte der Hausherr. »Du mußt mir nämlich zehn Sensen verfertigen, eine für jeden meiner Knechte; denn ich will sie das Gras auf der Wiese abmähen lassen, wenn Du mit den Sensen fertig bist.«
Dem Burschen wurde bei dieser Rede übel zu Muthe, denn er wüßte ja, daß er weder ein Schmied noch ein Tischler war; aber »Nein« wagte er doch nicht zu sagen.
Es ward nun Abend und sie gingen zu Bette; als jedoch Alles in tiefem Schlafe lag, stand der Bursche auf, kleidete sich an und suchte die Thüre; es gelang ihm auch, dieselbe zu finden und unbemerkt zu entkommen. Dann lief er, so schnell er nur konnte, nach Hause zu seinen Eltern und erzählte ihnen die ganze Geschichte. Sie nahmen ihn selbstverständlich auf und verbargen ihn gut.
Als der Oberhirt aufgestanden war, suchte er im ganzen Hause nach dem Burschen, konnte ihn aber nirgends finden.
Dieser war fortan seinen Eltern treu und gehorsam, und er verblieb lange Zeit bei ihnen in der Hütte.
Eines schönen Tages sagte er zu seinem Vater, daß er nun wohl Lust haben dürfe, sich zu verheirathen.
»Diese Lust könntest Du wohl besser unterdrücken«, meinte der Alte.
»Nein«, entgegnete der Sohn. »Als ich bei dem Oberhirten des Königs diente, sah ich seine Töchter und verliebte mich sogleich in die jüngste von ihnen; ich will nun sehen, ob ich diese nicht zum Weibe bekommen kann.«
Der Alte meinte, er sollte doch nicht so dummdreist sein; das würde ihm gewiß das Leben kosten.
Aber der Bursche entgegnete, daß er es gleichwohl wagen werde und bat den Vater, er möchte ihm einen guten Säbel mitgeben. Anfangs wollte der Alte nichts davon wissen; endlich aber erfüllte er doch seinen Willen und gab ihm den Säbel. Er machte sich schleunig auf den Weg und kam spät am Tage zu dem Hofe des Oberhirten.
Er klopfte an das Hausthor. Ein kleiner Junge öffnete ihm. – Der Sohn des Häuslers möchte gern mit dem Hausherrn selbst sprechen. –
Hierauf kam dieser und als er den Burschen erblickte, sagte er:
»Ah, bist Du es? Du hattest damals große Eile fortzukommen; heute Nacht kannst Du gleichwohl hier bleiben.«
»Ich habe zunächst ein anderes Geschäft mit Euch abzumachen«, antwortete der Bursche, und zog den Säbel. »Mit diesem Säbel durchbohre ich Dich, wenn Du mir nicht augenblicklich versprichst und es beschwörst, daß Du mir Deine jüngste Tochter zum Weibe gibst.«
Was konnte der Hausherr Anderes thun, als ihm seinen Schwur darauf geben? Und so ging er denn hinein und hielt bei dem Mädchen selbst um seine Hand an. Dasselbe gab ihm auch ihr »Ja«.
Hierauf ging er heim und holte seine Eltern, welche nicht lange zögerten, ihm ihn das Haus der Braut zu folgen. Dann wurde Hochzeit gehalten; als aber dieselbe vorüber war, erzählte der Häuslerssohn dem Hausherrn, wie sich Alles zugetragen hatte.
Die Geschichte kam auch dem König und der Königin zu Ohren. Der König ließ den Häuslerssohn zu sich rufen und dieser mußte ihm die Geschichte neuerdings erzählen. Als er dieselbe aus dessen eigenem Munde gehört hatte, machte er ihn zu seinem ersten Minister und gab ihm einen großen Beutel voll Geld. Den Häusler und sein Weib nahm er später ganz zu sich und lebte mit seiner Frau in Glück und Reichthum bis in sein hohes Alter.

[Island: Jos. Cal. Poestion: Isländische Märchen]

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