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Es war einmal ein König von Oranien, der war Wittmann und hatte einen einzigen Sohn. Eines Tages sah er das Bildnis der Tochter des Königs von Siebenstern, das gefiel ihm so gut, dass er sie zu heiraten beschloss; er übergab also seinem Sohn die Verwaltung des Reichs und machte sich auf die Brautfahrt, noch in seinen alten Tagen. Als er schon eine gute Zeit unterwegs war, kam er eines Abends spät in ein kleines Wirtshaus am Eingang eines großen, großen Waldes. Er fragte, ob der Weg noch weit sei bis zum Königreich von Siebenstern? Da schlug der Wirt die Hände über dem Kopf zusammen und sprach: „Dahin kommt ihr euer Lebtag nicht, Herr König, sieben Tage lang müsst ihr ziehen, bis ihr wieder aus dem Walde seid und dann kommt ihr erst noch durchs Reich der Menschenfresser. Das sind ungeheure Riesen und stehen am Wege her, erst einer, dann zwei, dann vier, dann acht und so immer fort, und schlagen jeden Fremden mit ihren eisernen Stangen tot.“ Da fiel dem König von Oranien das Herz in die Schuh, er ließ seinen Wagen herumdrehen und fuhr wieder heim.
Unterdes hatte der Sohn das Bildnis der Prinzessin auch gesehen und sich noch viel ärger in sie verliebt als zuvor sein Vater. Als der alte König wieder zurück war, sagte er: „Vater, ich will fortgehen und es auch einmal probieren“, und kein Zureden konnte ihn davon abhalten. Als er in das kleine Wirtshaus kam, erzählte ihm der Wirt wieder von den Gefahren seines Weges, er aber sagte, das habe er schon gewusst, ehe er fortgegangen sei, und machte sich des andern Morgens früh auf den Weg in den großen Wald. Als er lang, lang geritten war und es schon anfing, dunkel zu werden, rief eine Stimme hinter ihm: „Prinz Ferdinand, halt still!“ Er drehte sich um, da stand ein klein grau Männchen vor ihm und sprach: „Prinz Ferdinand, wenn du meinem Rate folgen willst, so wirst du mich erlösen und die Prinzessin von Siebenstern heiraten!“ Das wolle er, sagte der Prinz und das Männchen fuhr fort: „Der Wald ist eigentlich noch sieben Tagereisen lang, doch du wirst schon morgen früh herauskommen; an dem ersten Kreuzweg, den du siehst, grabe mit deinem Degen ein Loch, so wirst du drei Stücke finden, eine Kanne, ein Schwert und ein Pfeifchen. Der Wein in der Kanne gibt dir die Kraft das Schwert zu regieren, und das Pfeifchen hebe gut auf, es wird dir nützlich sein.“ Wie das Männlein gesagt, so geschah es. Der Königssohn kam mit Tagesanbruch aus dem Wald und an den Kreuzweg, er grub die drei Stücke heraus, trank den Wein, hing das Schwert um und steckte das Pfeifchen in seine Tasche. Gegen Mittag kam er an die Grenze des Riesenreiches, wo der erste Wächter stand. „Was willst du, Erdwurm?“ schrie der ihn an und hob die Stange gegen ihn, doch auf den ersten Hieb mit dem Zauberschwert lag er da und war tot. Ebenso ging es mit den Zweien und den Vieren, und als er an die Acht kam, so dachten sie, hat er sieben totgeschlagen, so schlägt er auch achte tot und liefen was sie laufen konnten und so machten es die folgenden nach, so dass der Prinz ungehindert in das Königreich von Siebenstern gelangte.
Ehe er in die Hauptstadt kam, musste er aber noch durch einen großen Wald reiten. Die Nacht überfiel ihn und er war noch mitten drin. Da sah er ein Licht, ritt drauf zu und kam in ein wunderschönes Schloss. Das Tor stand offen und oben auf dem Turme brannte das Licht, das er gesehen hatte, es war aber Niemand zu hören und zu sehen. Er ging in den Stall, da standen die herrlichsten Pferde von allen Farben und neben jedem hing ein gleichfarbiges Geschirr. Dann stieg er hinauf in den Saal, da hingen an der Wand Kleider von allen Farben und Arten, von den köstlichsten bis zu den schlechtesten. Er legte endlich sich schlafen, des andern Morgens aber ließ er sein Pferd im Stalle stehen, zog die schlechtesten Kleider an, die er finden konnte und ging zu Fuß weiter, bis er aus dem Wald und in die Stadt zu dem König von Siebenstern kam. „Herr König“, sagte er, „habt ihr keinen Diener nötig?“ Der König sagte, es fehle ihm in der Haushaltung und dem Hofstaat Niemand als ein Hinkelhirt, das könne er werden; wenn er aber seine Hinkel nicht alle wieder richtig aus dem Walde mitbringe, so werde ihm der Kopf abgehackt; das sei jetzt schon drei Hinkelhirten hintereinander geschehen.
Des andern Tags fuhr der Königssohn mit seinen Hühnern hinaus in den Wald, wo das wunderbare Schloss stand und konnte nicht widerstehen, einmal nach seinem Pferde zu sehn. Das tat er denn, als er aber wiederkam, war die ganze Herde auseinandergelaufen. Er wusste sich nicht zu raten und zu helfen, bis ihm das wunderbare Pfeifchen einfiel. Er setzte es an und tat einen Pfiff, da kamen von allen Seiten Hinkel geflogen, aber so viele, so viele, dass er sich vor lauter Hinkeln gar nicht mehr zu retten wusste. Er brachte die ganze Herde wieder mit nach Haus und noch dreimal so viel dazu. Des freute sich der König gar sehr und sprach: „Du bist mein lieber und getreuer Hinkelhirt und sollst bei mir bleiben bis an dein Ende.“
Der Königssohn hatte schon viele Wochen lang seinen Dienst versehen, da kam große Trauer in die Stadt. Denn hinter der Stadt war ein Berg und in dem Berge wohnte ein Drache, und der Drache hatte drei Köpfe und musste alle Jahr eine reine Jungfrau fressen; anders tat er’s nicht, denn es gehörte zu seiner Gesundheit. So waren aber die Jungfrauen erst sehr rar geworden und dann ganz ausgegangen, so dass diesmal des Königs eigenes Töchterlein dran sollte.
Als nun der Tag gekommen war, sagte der König am Morgen zu dem Königssohn: „Willst du nicht da bleiben, mein lieber und getreuer Hinkelhirt, und sehen, wie es mit meiner Tochter geht?“ „Nein“, sagte der Prinz von Oranien, „das will ich nicht mit ansehen, viel lieber will ich mit meinen Hinkeln ausfahren.“
Als er aber in den Wald kam, ging er in das Schloss und zog schwarze Kleider an und sattelte sich einen schwarzen Gaul und hing sein Zauberschwert um.
Unterdessen war der alte König mit der ganzen Stadt in Trauerkleidern hinaus an den Berg gezogen und hatte seine Tochter gebunden und dem Drachen zum Fraße hingelegt. Das Ungetüm kam langsam herausgekrochen und ließ seine drei roten Zungen vor Gier armslang aus dem Halse hängen und besann sich nur noch, mit welchem Maul es zuerst anbeißen wollte. Da sprengte auf einmal vom Berg herab ein schwarzer Ritter, hieb mit einem gewaltigen Schlag dem Drachen einen Kopf ab und verschwand eben so schnell wieder, wie er gekommen war. Als der Hinkelhirt nach Hause kam, sprach der König zu ihm: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, wärst du doch da geblieben, so hättest du den fremden Ritter gesehen, der unserm bösen Drachen einen Kopf abgehauen hat; aber noch zweimal müssen wir die Prinzessin hinausbringen, sonst frisst er die ganze Stadt.“
Als er des andern Morgens wieder hinaustrieb, sagte der König wieder: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, willst du nicht dableiben und sehen, wie es mit meiner Tochter geht?“ „Viel lieber will ich mit meinen Hinkeln ausfahren.“ Und diesmal zog er in dem Schlosse rote Kleider an, nahm sich ein rotes Ross und hieb dem Drachen den zweiten Kopf ab, er sprengte aber wieder so schnell fort, dass ihn Niemand erkennen oder halten konnte. Als er heimkam, sprach der König zu ihm: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, wärest du doch da geblieben, heut war ein anderer Ritter da und hat dem Drachen noch einen Kopf abgehauen, aber einen hat er immer noch und die Prinzessin muss morgen wieder hinaus.“
Den dritten Tag zog der Hinkelhirt weiße Kleider an und setzte sich auf ein weißes Ross und schlug dem Drachen den dritten und letzten Kopf ab. Nun war die Prinzessin erlöst, Niemand kannte aber den, der es getan.
Da ließ der König ein großes Turnier anstellen und verkündigen, dass der, welcher den Preis davon träge, seine Tochter zur Frau bekommen solle und das ganze Königreich dazu. Es galt aber, mit dem Speer einen Ring von einem Querbalken hinwegzunehmen und ihn in vollem Rennen wieder hinzuhängen. Die geschicktesten Reiter fanden sich ein, aber keiner konnte es fertig bringen. Auf einmal sprengte ein kohlschwarzer Ritter mit geschlossenem Visier auf einem schwarzen Gaul in die Schranken und in einem Nu hatte er den Ring hinweggestochen und wieder an seinen Platz gehängt, dann aber sprengte er in einem Rennen zu den Schranken hinaus und fort. Das verdross den König und sein Töchterlein gar sehr und als der Hinkelhirt Abends heim kam, sprach der König zu ihm: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, heute hättest du sehen können, was der schwarze Ritter, der unserm Drachen den ersten Kopf abgehauen hat, so schön turnieren und stechen kann. Er ist aber wieder durchgegangen, ich glaube, meine Tochter ist ihm zu schlecht.“
Gerade so ging es den folgenden Tag bei dem zweiten Turnier, nur dass der Hinkelhirt wieder den roten Gaul und die roten Kleider hatte.
Den dritten Tag aber befahl der König, wenn wieder ein fremder Ritter komme, so solle man das Tor schließen und ihn fangen, tot oder lebendig.
Diesmal kam der Hinkelhirt wieder in weißen Kleidern und auf dem weißen Pferde. Er stach den Ring noch zierlicher, als die andern Tage, verneigte sich sittsam vor des Königs Töchterlein und wollte wieder fortsprengen. Wie er sah, dass das Tor geschlossen war und des Königs Leute von allen Seiten heranliefen, um ihn zu fangen, setzte er mit einem Satze über das Tor und fort war er. Vorher hatte ihm ein alter Invalid mit dem Spieß ins Bein gestochen, aber die Spitze brach ab und blieb in dem Bein des Ritters stecken, der sich dadurch nicht aufhalten ließ. Des Königs Töchterlein aber fing an zu weinen, weil sie glaubte, jetzt müsse sie immer ledig bleiben.
Als der Hinkelhirt nach Hause kam, sprach der König zu ihm: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, wärst du da geblieben, so hättest du sehen können, wie der weiße Ritter durchgegangen ist, der unserm Drachen seinen letzten Kopf abgehauen hat. Aber warum blutet denn dein Bein so sehr?“ Der Hinkelhirt wollte sich immer noch verstellen, doch der König ließ seinen Leibfeldscherer rufen, der zog ihm die abgebrochene Spitze aus dem Bein und die passte genau auf die Lanze des Invaliden. Nun kam es heraus, dass die drei Ritter Niemand anders waren als der Hinkelhirt und immer wieder der Hinkelhirt. Der aber ging in den Wald und zog seine Prinzenuniform an und kam wieder und heiratete die Prinzessin und war jetzt König von Siebenstern. Das Schloss im Wald war nun auch erlöst. Die Pferde waren wieder Grafen, Ritter, Edelleute, Musikanten, Stallknechte und Hirten, und jeder zog seine Kleider an, die in dem Saale hingen und Alle gingen dem Hinkelhirten entgegen und gratulierten ihm.
Der neue König von Siebenstern machte sich nun auch das Riesenreich untertänig und ließ mitten durch Wald und Feld einen schönen breiten Weg machen; auf dem kam der alte König von Oranien gefahren, als er seinen ersten Enkel aus der Taufe hob.
Unterdes hatte der Sohn das Bildnis der Prinzessin auch gesehen und sich noch viel ärger in sie verliebt als zuvor sein Vater. Als der alte König wieder zurück war, sagte er: „Vater, ich will fortgehen und es auch einmal probieren“, und kein Zureden konnte ihn davon abhalten. Als er in das kleine Wirtshaus kam, erzählte ihm der Wirt wieder von den Gefahren seines Weges, er aber sagte, das habe er schon gewusst, ehe er fortgegangen sei, und machte sich des andern Morgens früh auf den Weg in den großen Wald. Als er lang, lang geritten war und es schon anfing, dunkel zu werden, rief eine Stimme hinter ihm: „Prinz Ferdinand, halt still!“ Er drehte sich um, da stand ein klein grau Männchen vor ihm und sprach: „Prinz Ferdinand, wenn du meinem Rate folgen willst, so wirst du mich erlösen und die Prinzessin von Siebenstern heiraten!“ Das wolle er, sagte der Prinz und das Männchen fuhr fort: „Der Wald ist eigentlich noch sieben Tagereisen lang, doch du wirst schon morgen früh herauskommen; an dem ersten Kreuzweg, den du siehst, grabe mit deinem Degen ein Loch, so wirst du drei Stücke finden, eine Kanne, ein Schwert und ein Pfeifchen. Der Wein in der Kanne gibt dir die Kraft das Schwert zu regieren, und das Pfeifchen hebe gut auf, es wird dir nützlich sein.“ Wie das Männlein gesagt, so geschah es. Der Königssohn kam mit Tagesanbruch aus dem Wald und an den Kreuzweg, er grub die drei Stücke heraus, trank den Wein, hing das Schwert um und steckte das Pfeifchen in seine Tasche. Gegen Mittag kam er an die Grenze des Riesenreiches, wo der erste Wächter stand. „Was willst du, Erdwurm?“ schrie der ihn an und hob die Stange gegen ihn, doch auf den ersten Hieb mit dem Zauberschwert lag er da und war tot. Ebenso ging es mit den Zweien und den Vieren, und als er an die Acht kam, so dachten sie, hat er sieben totgeschlagen, so schlägt er auch achte tot und liefen was sie laufen konnten und so machten es die folgenden nach, so dass der Prinz ungehindert in das Königreich von Siebenstern gelangte.
Ehe er in die Hauptstadt kam, musste er aber noch durch einen großen Wald reiten. Die Nacht überfiel ihn und er war noch mitten drin. Da sah er ein Licht, ritt drauf zu und kam in ein wunderschönes Schloss. Das Tor stand offen und oben auf dem Turme brannte das Licht, das er gesehen hatte, es war aber Niemand zu hören und zu sehen. Er ging in den Stall, da standen die herrlichsten Pferde von allen Farben und neben jedem hing ein gleichfarbiges Geschirr. Dann stieg er hinauf in den Saal, da hingen an der Wand Kleider von allen Farben und Arten, von den köstlichsten bis zu den schlechtesten. Er legte endlich sich schlafen, des andern Morgens aber ließ er sein Pferd im Stalle stehen, zog die schlechtesten Kleider an, die er finden konnte und ging zu Fuß weiter, bis er aus dem Wald und in die Stadt zu dem König von Siebenstern kam. „Herr König“, sagte er, „habt ihr keinen Diener nötig?“ Der König sagte, es fehle ihm in der Haushaltung und dem Hofstaat Niemand als ein Hinkelhirt, das könne er werden; wenn er aber seine Hinkel nicht alle wieder richtig aus dem Walde mitbringe, so werde ihm der Kopf abgehackt; das sei jetzt schon drei Hinkelhirten hintereinander geschehen.
Des andern Tags fuhr der Königssohn mit seinen Hühnern hinaus in den Wald, wo das wunderbare Schloss stand und konnte nicht widerstehen, einmal nach seinem Pferde zu sehn. Das tat er denn, als er aber wiederkam, war die ganze Herde auseinandergelaufen. Er wusste sich nicht zu raten und zu helfen, bis ihm das wunderbare Pfeifchen einfiel. Er setzte es an und tat einen Pfiff, da kamen von allen Seiten Hinkel geflogen, aber so viele, so viele, dass er sich vor lauter Hinkeln gar nicht mehr zu retten wusste. Er brachte die ganze Herde wieder mit nach Haus und noch dreimal so viel dazu. Des freute sich der König gar sehr und sprach: „Du bist mein lieber und getreuer Hinkelhirt und sollst bei mir bleiben bis an dein Ende.“
Der Königssohn hatte schon viele Wochen lang seinen Dienst versehen, da kam große Trauer in die Stadt. Denn hinter der Stadt war ein Berg und in dem Berge wohnte ein Drache, und der Drache hatte drei Köpfe und musste alle Jahr eine reine Jungfrau fressen; anders tat er’s nicht, denn es gehörte zu seiner Gesundheit. So waren aber die Jungfrauen erst sehr rar geworden und dann ganz ausgegangen, so dass diesmal des Königs eigenes Töchterlein dran sollte.
Als nun der Tag gekommen war, sagte der König am Morgen zu dem Königssohn: „Willst du nicht da bleiben, mein lieber und getreuer Hinkelhirt, und sehen, wie es mit meiner Tochter geht?“ „Nein“, sagte der Prinz von Oranien, „das will ich nicht mit ansehen, viel lieber will ich mit meinen Hinkeln ausfahren.“
Als er aber in den Wald kam, ging er in das Schloss und zog schwarze Kleider an und sattelte sich einen schwarzen Gaul und hing sein Zauberschwert um.
Unterdessen war der alte König mit der ganzen Stadt in Trauerkleidern hinaus an den Berg gezogen und hatte seine Tochter gebunden und dem Drachen zum Fraße hingelegt. Das Ungetüm kam langsam herausgekrochen und ließ seine drei roten Zungen vor Gier armslang aus dem Halse hängen und besann sich nur noch, mit welchem Maul es zuerst anbeißen wollte. Da sprengte auf einmal vom Berg herab ein schwarzer Ritter, hieb mit einem gewaltigen Schlag dem Drachen einen Kopf ab und verschwand eben so schnell wieder, wie er gekommen war. Als der Hinkelhirt nach Hause kam, sprach der König zu ihm: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, wärst du doch da geblieben, so hättest du den fremden Ritter gesehen, der unserm bösen Drachen einen Kopf abgehauen hat; aber noch zweimal müssen wir die Prinzessin hinausbringen, sonst frisst er die ganze Stadt.“
Als er des andern Morgens wieder hinaustrieb, sagte der König wieder: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, willst du nicht dableiben und sehen, wie es mit meiner Tochter geht?“ „Viel lieber will ich mit meinen Hinkeln ausfahren.“ Und diesmal zog er in dem Schlosse rote Kleider an, nahm sich ein rotes Ross und hieb dem Drachen den zweiten Kopf ab, er sprengte aber wieder so schnell fort, dass ihn Niemand erkennen oder halten konnte. Als er heimkam, sprach der König zu ihm: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, wärest du doch da geblieben, heut war ein anderer Ritter da und hat dem Drachen noch einen Kopf abgehauen, aber einen hat er immer noch und die Prinzessin muss morgen wieder hinaus.“
Den dritten Tag zog der Hinkelhirt weiße Kleider an und setzte sich auf ein weißes Ross und schlug dem Drachen den dritten und letzten Kopf ab. Nun war die Prinzessin erlöst, Niemand kannte aber den, der es getan.
Da ließ der König ein großes Turnier anstellen und verkündigen, dass der, welcher den Preis davon träge, seine Tochter zur Frau bekommen solle und das ganze Königreich dazu. Es galt aber, mit dem Speer einen Ring von einem Querbalken hinwegzunehmen und ihn in vollem Rennen wieder hinzuhängen. Die geschicktesten Reiter fanden sich ein, aber keiner konnte es fertig bringen. Auf einmal sprengte ein kohlschwarzer Ritter mit geschlossenem Visier auf einem schwarzen Gaul in die Schranken und in einem Nu hatte er den Ring hinweggestochen und wieder an seinen Platz gehängt, dann aber sprengte er in einem Rennen zu den Schranken hinaus und fort. Das verdross den König und sein Töchterlein gar sehr und als der Hinkelhirt Abends heim kam, sprach der König zu ihm: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, heute hättest du sehen können, was der schwarze Ritter, der unserm Drachen den ersten Kopf abgehauen hat, so schön turnieren und stechen kann. Er ist aber wieder durchgegangen, ich glaube, meine Tochter ist ihm zu schlecht.“
Gerade so ging es den folgenden Tag bei dem zweiten Turnier, nur dass der Hinkelhirt wieder den roten Gaul und die roten Kleider hatte.
Den dritten Tag aber befahl der König, wenn wieder ein fremder Ritter komme, so solle man das Tor schließen und ihn fangen, tot oder lebendig.
Diesmal kam der Hinkelhirt wieder in weißen Kleidern und auf dem weißen Pferde. Er stach den Ring noch zierlicher, als die andern Tage, verneigte sich sittsam vor des Königs Töchterlein und wollte wieder fortsprengen. Wie er sah, dass das Tor geschlossen war und des Königs Leute von allen Seiten heranliefen, um ihn zu fangen, setzte er mit einem Satze über das Tor und fort war er. Vorher hatte ihm ein alter Invalid mit dem Spieß ins Bein gestochen, aber die Spitze brach ab und blieb in dem Bein des Ritters stecken, der sich dadurch nicht aufhalten ließ. Des Königs Töchterlein aber fing an zu weinen, weil sie glaubte, jetzt müsse sie immer ledig bleiben.
Als der Hinkelhirt nach Hause kam, sprach der König zu ihm: „Ach du mein lieber und getreuer Hinkelhirt, wärst du da geblieben, so hättest du sehen können, wie der weiße Ritter durchgegangen ist, der unserm Drachen seinen letzten Kopf abgehauen hat. Aber warum blutet denn dein Bein so sehr?“ Der Hinkelhirt wollte sich immer noch verstellen, doch der König ließ seinen Leibfeldscherer rufen, der zog ihm die abgebrochene Spitze aus dem Bein und die passte genau auf die Lanze des Invaliden. Nun kam es heraus, dass die drei Ritter Niemand anders waren als der Hinkelhirt und immer wieder der Hinkelhirt. Der aber ging in den Wald und zog seine Prinzenuniform an und kam wieder und heiratete die Prinzessin und war jetzt König von Siebenstern. Das Schloss im Wald war nun auch erlöst. Die Pferde waren wieder Grafen, Ritter, Edelleute, Musikanten, Stallknechte und Hirten, und jeder zog seine Kleider an, die in dem Saale hingen und Alle gingen dem Hinkelhirten entgegen und gratulierten ihm.
Der neue König von Siebenstern machte sich nun auch das Riesenreich untertänig und ließ mitten durch Wald und Feld einen schönen breiten Weg machen; auf dem kam der alte König von Oranien gefahren, als er seinen ersten Enkel aus der Taufe hob.
Quelle: Johann Wilhelm Wolf