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Märchenbasar

Der Igel

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Es waren einmal drei Schwestern. Obwohl sie vermögend und annehmend hübsch waren, ließ sich kein Freier bei ihnen blicken. Als sie eines Tages in den Wald gingen, sahen sie einen Igel. Da sprach die Jüngste: „Das wird mein Bräutigam!“ In der nächsten Nacht kam der Igel unter das Fenster, klopfte und rief: „Ans Fensterchen poch, poch, Herzliebchen, öffne doch!“ Die jüngste Schwester öffnete und der Igel sprang sogleich aufs Fensterbrett, und sie gelobten einander ewige Treue. Dem Verlöbnis folgte das Aufgebot: einige Leute lachten darüber, andere wiederum dachten, der Bräutigam hieße nur „Igel“. Schließlich kam der Hochzeitstag. Die Braut stieg auf den Wagen und wickelte den Igel in ihre Schürze.
Als sie vor der Kirche eintrafen, setzte sie ihn den Glockenturm, aber er sprach zu ihr: „Erlaub mir, dich zu küssen, mein Liebchen!“ Die Braut beugte sich willig zu ihm hinab, beim Küssen aber stach er sie in die Nase. Das Blut floß in Strömen und benetzte den Igel, da verwandelte der sich plötzlich in einen stattlichen Jüngling.

Die Menschen drängten herbei, das Wunder zu sehen, die Weiber aber nahmen seinen Stachelpelz und verwahrten ihn zum Andenken in der Vorhalle der Kirche. Groß war die Freude der Braut, der Eltern und Verwandten auf dieser prächtigen Hochzeit, und die Jungvermählten lebten sehr glücklich miteinander. Weil aber die älteste und die mittlere Schwester dem jungen Paar das Glück neideten, töteten sie die verheiratete Schwester, begruben sie unter der Mauer und fügten die Dielenbretter wieder so ein, als wäre nichts geschehen. Nach einiger Zeit kam ein Schafhirt des Weges und erblickte an der Mauer eine herrlich gewachsene Lilie; er pflückte sie und schnitzte aus dem Stengel eine Flöte. Immer aber, wenn er auf ihr blies, erklang eine Stimme daraus und sang folgende Worte:
„Schafhirte mein,
spiel zart und fein,
die Schwestern haben mich erschlagen,
unterm Balken eingegraben,
Schafhirte mein!“

Der Schafhirte wunderte sich sehr, noch mehr aber der Mann der Seligen, der gerade im Garten war und diese Worte hörte; er hatte sich inzwischen mit der mittleren Tochter der Verstorbenen vermählt. Er ging also zum Schafhirten und fragte ihn, wie er zu dieser Flöte gekommen sei. Der Hirte bekannte die Wahrheit und übergab ihm die Flöte. Kaum hatte der Herr sie an die Lippen gesetzt, begann sie schon wehmütig zu summen:
„Ehegespons mein,
spiel zart und fein,
die Schwestern haben mich erschlagen,
unterm Balken eingegraben,
Ehegespons mein!“

Von Trauer erfaßt, lief der Herr eilig zum Haus, offenherzig erzählte er seiner Frau, wie er die Flöte erworben und welche Worte er vernommen hatte, worauf die frevlerische Schwester erblasste, und so zu zittern begann, daß sie um ein Harr das Kind aus ihren Armen fallen ließ. Um sich entgültig von der furchtbaren Untat zu überzeugen, befahl ihr der Mann, die Flöte zu nehmen und darauf zu blasen. Obwohl die Frau sich lange wehrte, mußte sie ihm doch zu Willen sein, und kaum hatte sie das Mundstück angehaucht, erklangen schon die schrecklichen Töne:
„Spiel, Schwester mein,
spiel zart und fein,
ihr habt, Schwerstern, mich erschlagen,
unterm Balken eingegraben!“

Die erschrockene Missetäterin wollte die furchtbaren Worte nicht weiter hören und schlug im Zorn die Flöte gegen den Tisch – da fuhr der Geist der Verstorbenen aus der Flöte.
Der Mann aber rächte sich an den verbrecherischen Schwestern, indem er sie lebendigen Leibes von Pferden zerreißen ließ.
*
Quelle: Lompa J. Klechdy ludu polskiego w Szlasku 1844

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