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Der Jüngling und der Drachen

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Es war einmal ein Bauer, der sollte Matrose werden. Da die Dienstzeit lange dauerte, sprach der Bauer beim Abschied zu seiner Frau: „Ich gehe zur See und bleibe viele Jahre weg. Darum, liebe Frau, musst du das; Vieh versorgen und die Felder bebauen, damit du immer etwas zu essen hast. Hier ist auch etwas Geld. Wenn uns eine Tochter geboren werden sollte, kannst du ihr die sie Iwan, den anderen Peter. Obwohl sie Namen hatten, nannten die Leute im Dorf sie nur die „Matrosenzwillinge“.

Die Knaben wuchsen zu großen kräftigen Burschen heran. Einmal sagte der eine zu seiner Mutter: „Mutter, hat denn unser Vater kein Geld zurückgelassen? Wir möchten in die Stadt auf den Markt und uns schöne Pferde kaufen, doch wir haben kein Geld.“

Die Mutter gab ihnen das Geld, das der Mann ihr gegeben hatte und sagte beim Abschied: „Hört mal, Kinder! Wenn ihr in der Stadt seid, so grüßt jeden, der euch begegnet. Geht an keinem, wer auch immer es sei, ohne Gruß und Verbeugung vorbei!“ „Das wollen wir tun, Mutter“, sagten die Söhne und zogen davon.

Als sie zum Markt kamen, sahen sie viele Pferde, doch gefiel ihnen keines. Da sprach Iwan zu Peter: „Sieh mal die vielen Menschen dort am anderen Ende des Marktes! Lass uns sehen, was da los ist.“ Sie gingen hin, und was sahen sie? Da standen zwei herrliche Hengste mit Eisenketten an Eichpflöcke gefesselt, damit niemand sie losbinden konnte. Die Pferde schnaubten, rissen an den Ketten, fletschten die Zähne und wühlten mit den Hufen die Erde auf, doch sie konnten sich nicht befreien. „Was kosten diese Hengste?“ fragte Iwan den Besitzer.

„Du brauchst nicht erst zu fragen“, erwiderte dieser. „Die Pferde sind nichts für einen Schwächling wie du.“ „Bist du sicher, dass diese Pferde nichts für mich und meinen Bruder sind? Vielleicht zahlen wir dir einen guten Preis. Aber zuerst müssen wir ihre Zähne sehen.“ „Wer’s wagt, kann ihnen auch in die Ohren sehen, wenn er Lust hat“, lachte der Besitzer. Iwan und Peter näherten sich den Pferden, doch die Tiere stellten sich sofort auf die Hinterbeine. Die Brüder stießen sie mit den Knien in die Brust. Da rissen die Ketten, und die Hengste taumelten zurück und fielen auf den Rücken. Im Nu sprangen die Brüder auf und sprengten davon.

„Das sind deine feurigen Pferde?“ riefen die Zwillinge. „Das sind doch keine Pferde! Die würden wir nicht einmal geschenkt nehmen!“ Alle staunten über die Kräfte der beiden Burschen, doch der Besitzer jammerte über seinen Verlust. Die Zwillinge hatten Mitleid mit dem Mann. Sie gingen aufs Feld und riefen nach den Pferden. Die kamen bald von selbst heran und blieben gehorsam stehen. Iwan und Peter fesselten sie wieder und brachten sie ihrem Besitzer zurück. Dann machten sie sich auf den Heimweg.

Als sie ein Weilchen gegangen waren, begegneten sie einem weißbärtigen Greis, vergaßen aber, was die Mutter sie geheißen hatte und schritten grußlos an ihm vorbei. Gleich darauf aber kam es Iwan in den Sinn, und er sprach hastig zu seinem Bruder: „Wir haben vergessen, den alten Mann zu grüßen und uns vor ihm zu verneigen!“ Schnell kehrten sie um, holten den Alten ein, zogen die Mützen und verbeugten sich vor ihm. „Verzeih, Väterchen“, sagten sie, „dass wir ohne Gruß vorbeigegangen sind.“ „Es sei euch verziehen!“ erwiderte der Alte. „Wohin wollt ihr? Zogt ihr aus, um Arbeit zu suchen oder um Heldentaten zu verrichten?“

„Wir waren auf dem Markt“, antworteten die Zwillinge. „Wir wollten uns Pferde kaufen, aber es gab keine, die für uns getaugt hätten.“ „Kommt mit!“ sagte der Alte. „Ich werde jedem von euch ein solches Pferd schenken, das ihr euer Leben lang an mich denken werdet!“ Und er führte sie zu einem Berg. Dort öffnete er eine eiserne Pforte, und hervor kamen zwei große und starke Pferde.

„Das sind Pferde für euch!“ sprach der Alte und war auch schon verschwunden. Die Zwillinge schwangen sich auf die Pferde, gaben ihnen die Sporen und erreichten bald ihr Heim. Sie erzählten alles ihrer Mutter und sagten auch, dass ein alter Mann ihnen wunderbare Pferde geschenkt habe, und zum Schluss meinten sie: „Von dem Geld kaufen wir uns morgen Schwerter!“ „Ja, das könnt ihr tun“, sagte die Mutter.

Am nächsten Tag begaben sie sich zu einem kunstfertigen Schmied und sagten zu ihm: „Du sollst. jedem von uns ein schönes und schweres Schwert machen!“ „Ich kann euch fertige verkaufen“, entgegnete der Schmied verwundert. „Die sind uns zu leicht! Sie sollen über hundert Kilo wiegen!“ „Solche kann ich euch nicht schmieden.“ Es betrübte die Brüder, dass der Schmied ihnen keine schweren Schwerter anfertigen konnte, und sie machten sich gesenkten Hauptes auf den Heimweg.

Als sie gerade die Stadt verließen, begegneten sie wieder dem Greis. Sie hatten ihn kaum erblickt, so grüßten sie ihn, verneigten sich vor ihm und erzählten ihm die Sache mit den Schwertern.

„Kommt mit!“ versetzte der Alte. „Ich werde jedem ein Schwert schenken, wie es Helden gebührt!“ und er führte sie abermals zu dem Berg. Er öffnete dieselbe eiserne Pforte und brachte zwei schwere und scharfe Schwerter zum Vorschein, schenkte sie ihnen und verschwand. Als die Mutter sie auf den herrlichen Pferden, die neuen Schwerter gegürtet, heransprengen sah, seufzte sie tief und brach in Tränen aus: „Ach, Kinder, meine Kinder, ich sehe wohl, ihr werdet eure Mutter nicht ernähren.“

Und wirklich, nach einigen Tagen gürteten sie die Schwerter, schwangen sich auf die Pferde und zogen davon, um in der weiten Welt ihr Glück zu suchen. Ohne zu ermatten, ritten sie drei Tage und drei Nächte. Am vierten Tag gelangten sie an einen Kreuzweg, an dem zwei Schilder den Weg wiesen. Auf dem einen, das nach rechts wies, stand geschrieben, wer dahin zöge, werde sicher König werden. Das andere wies nach links und verkündete dem, der dorthin zöge, den sicheren Tod. Zusammen nach rechts zu gehen, kam nun aber solchen Helden, wie sie es waren, nicht zu, außerdem konnten sie ja auch nicht beide König werden, darum schlug Iwan vor: „Hör mal, Bruder, ich bin stärker als du, ich werde den linken Weg einschlagen, du aber wende dich nach rechts. Hoffentlich gelingt es dir, König zu werden.“

Sie nahmen brüderlich voneinander Abschied, und jeder zog seines Weges. Peter, der den rechten Weg eingeschlagen hatte, gelangte zu einem Königreich. Als der König sah, was für ein prächtiger Held Peter war, fand er Gefallen an ihm, gab ihm seine Tochter zur Frau und ließ ihn regieren. Iwan aber, der links abgeschwenkt war, ritt einen ganzen Monat lang ohne Unterbrechung, bis er in ein großes Königreich kam. In diesem Reich waren alle Häuser schwarz verhüllt. Von den Dächern wehten schwarze Fahnen. Alle Menschen waren schwarz gekleidet und sahen traurig aus. Iwan wunderte sich und fragte ein altes Mütterchen nach dem Grund.

„Ach, Söhnchen“, erwiderte dieses, „stell dir nur vor, jeden Tag steigt ein riesiger Drache mit sieben Köpfen aus dem Meer und verschlingt jedes Mal eine Jungfrau. Wir müssen sie ihm geben, denn sonst, so droht er, würde er die ganze Hauptstadt vernichten. Jetzt ist die Reihe an die älteste Königstochter gekommen. Man hat sie bereits ans Meeresufer geführt. Darum sind die Leute traurig.“

Iwan wendete sein Pferd und sprengte geradewegs zum Meeresufer. Dort erblickte er die Königstochter, die in Fesseln gelegt war und schritt auf sie zu. „Kehr schleunigst um, junger Held, denn jeden Augenblick kann der Drache auftauchen und mich fressen!“ rief sie ihm zu. „Fürchte dich nicht, schöne Prinzessin!“ erwiderte Iwan ruhig. „An mir wird der Drache einen harten Bissen haben.

Dann trat er näher an sie heran, packte die Fesseln und zerriss sie, als wären es dünne Fäden, schleppte riesenhafte Bäume herbei, entzündete ein starkes Feuer und legte sich hin. Er legte den Kopf auf die Knie der Königstochter und sagte: „Ich will ein wenig schlummern, du aber achte auf das Meer. Sobald du eine schwarze Wolke heraufziehen siehst und das Meer stürmischer zu wogen beginnt, dann wecke mich!“

Iwan schlief ein, und die Jungfrau wandte kein Auge vom Meer. Auf einmal zog eine schwarze Wolke auf, das Meer wogte stärker, und über dem Wasser zeigte sich der Drache. Die Königstochter weckte den Helden. Er sprang sofort auf, schwang sich behend aufs Pferd und zog hurtig das Schwert. Der Drache flog geradewegs auf ihn zu. Aus seinen Augen schossen Blitze, aus seinem Rachen loderten Flammen. Er brüllte, dass die Erde zitterte: „Ergib dich, Bürschlein! Wie stark du auch bist, gegen mich kannst du nicht gewinnen! Komm lieber freiwillig in meinen Rachen!“ Und er sperrte das Maul auf.

„Warte ein wenig!“ lachte Iwan. Er stürzte mit gezücktem Schwert auf den Drachen los. Da entbrannte ein wütender Kampf, wie er noch nie gesehen und gehört worden war. Iwan schwang das Schwert und hieb ohne Unterlass zu. Sechs Köpfe hatte er dem Drachen schon abgehauen, doch als es an den siebenten kam, war das Schwert so heiß geworden, dass er es nicht mehr in der Hand halten konnte. Und er bat die Königstochter: „Rette mich, schöne Prinzessin! Tauche dein Kopftuch ins Meer und gib es mir, damit ich den Griff des Schwertes damit umwickle, sonst kann ich es nicht länger halten. Dann gehen wir beide zugrunde!“

Die Schöne eilte sogleich davon, tauchte das Tuch ins Meer und reichte es ihm. Iwan umwickelte den Schwertgriff, fasste ihn noch fester und schlug dem Drachen mit kühnem Schwung auch den siebenten Kopf ab. Sofort besänftigte sich das Meer. Der junge Held warf den Körper des Drachen ins Wasser, nahm Abschied von der Königstochter und ritt nach Hause. Dort warf er sich aufs Bett und schlief sofort ein. Er war so müde von dem Kampf, dass er drei Tage und drei Nächte lang schlief.

Indessen hatte der König bei Sonnenaufgang den Hauptmann seiner Wache ans Meer geschickt, um festzustellen, was aus seiner Tochter geworden war. Wie überrascht war der Hauptmann, als er sie am Leben fand. Kaum aber erfuhr er von ihr, dass der Meeresdrache getötet sei, da zog er seinen Säbel und hielt ihn der Jungfrau an die Kehle.

„Wie ein Huhn werde ich dich schlachten, wenn du deinem Vater nicht sagst, ich hätte den Drachen getötet und dich gerettet!“ drohte der Schurke. „Ich werde es sagen!“ versprach die Königstochter eingeschüchtert. Als der König das vernahm, wollte er dem Hauptmann aus Dankbarkeit sofort seine Tochter zur Frau geben. In drei Tagen sollte die Hochzeit sein. Zu der Feier erschien auch Iwan. Als die Prinzessin ihn unter den Menschen erblickte, zeigte sie ihn ihrem Vater und flüsterte ihm ins Ohr: „Dieser Bursche hat den Drachen getötet. Der Hauptmann hat mir befohlen, dich zu belügen.“

Da ergrimmte der König und ließ den Hauptmann unverzüglich bestrafen. Da die Hochzeitsfeier schon vorbereitet war, gab er seine Tochter Iwan zur Frau. So blieb Iwan in der Stadt am Meer und wurde später König.

Quelle: Märchen aus Russland

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