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Märchenbasar

Der Jüngling und die Schöne der Erde

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Es war einmal ein Mann, der war sehr reich. Er hatte eine Frau und einen Sohn. Als seine Todesstunde nahte, gab er seinem Sohn etliche Ratschläge; der wichtigste war, niemals den Ort zu betreten, wo die Schöne der Erde wohnte. Der Junge wuchs heran und lebte glücklich und zufrieden, solange er das Dorf, wo die Schöne der Erde wohnte, nicht kannte. Aber schließlich ergriff ihn große Sehnsucht dorthin zu gehen, obgleich es ihm der Vater untersagt hatte, und auch seine Mutter verbot es ihm. Eines Tages beschloß er, sich auf den Weg zu machen; er nahm einen großen Sack voller Goldstücke mit und zog aus, den Ort zu suchen, wo die Schöne der Erde wohnte.
Auf seiner Wanderung zu jenem Ort rastete er einmal bei einer alten Frau, die ihm sogleich erzählte, daß just hier die Schöne der Erde wohne und daß viele junge Männer kämen und Geld ausgäben, um einen Augenblick lang ihren Finger oder ihre Hand zu sehen. Als der Jüngling das hörte, entbrannte auch er vor Verlangen hinzugehen, um wenigstens ihre Hand zu sehen, auch wenn es ihn noch soviel Geld kosten sollte. Und als er von der Alten den Weg erfahren hatte, ging er zu dem Palast des Mädchens und bat, man möge ihn die Schöne sehen lassen. Da er zugleich die mitgebrachten Goldstücke zeigte, erzählten es die Dienerinnen dem Mädchen, und es gab Befehl, ihn einzulassen. Sie stellten den Jüngling an einen Platz, wo er kaum etwas sah, nur ihren Finger. Dann nahmen sie ihm seine Goldstücke weg und warfen ihn hinaus, denn die Schöne der Erde zeigte sich niemals ganz ihren Anbetern, sondern das erste Mal Ließ sie nur die Finger, das zweite Mal die Hand, das dritte Mal den Arm sehen. Der Jüngling aber war durch alles, was er bei dem Mädchen hatte erleiden müssen, so aufgeregt und so entflammt, daß er es nicht erwarten konnte, wieder hinzugehen. Daher machte er sich eilig auf, um nach Hause zurückzukehren und neues Geld zu holen. Als er darüber
mit der Alten sprach, trieb sie ihn noch mehr dazu an, da auch sie Geschenke von ihm bekam. Am folgenden Tag kam der Jüngling in seine Heimat, den Kopf voller Sehnsucht nach der Schönen der Erde; sowie er ins Haus getreten war, ging er daran, Geld zusammenzusuchen, damit er so schnell wie möglich wieder zu dem Mädchen ziehen könne. Als die arme Mutter ihren Sohn sah, ohne einen Heller und von diesem Mädchen verspottet, wurde sie zuerst traurig, aber dann zornig. Sie versuchte, ihn von seinem Entschluß abzubringen, aber was sie auch tat, es war vergeblich, der Jüngling ließ sich auf keine Weise davon abhalten. Kurz, er nahm das Geld, diesmal mehr als vorher, und zog wieder von dannen.
Als er zu der Schönen der Erde zurückkam, betrog man ihn wieder, indem man ihm die Hand des Mädchens zeigte, dann nahm man ihm sein Geld ab und jagte ihn fort. Der Jüngling vergeudete so bei der Schönen der Erde nach und nach sein ganzes Vermögen, ohne etwas zu erreichen, so daß er, der vorher so reich gewesen, schließlich ganz arm war. Nun machte er sich daran, in den Kammern und Kel-lern seines Vaters zu suchen, ob er dort irgendeine Kostbarkeit fände, die er dem Mädchen bringen könnte. Zu seiner Verwunderung fand er eine Kappe, die ihn unsichtbar machte, sobald er sie aufsetzte, so daß die Mutter ihn nicht mehr sehen konnte, obwohl sie seine Stimme hörte, Die Kappe gefiel ihm sehr, denn er glaubte, daß er mit ihrer Hilfe die Schöne der Erde überwinden könnte. Daher nahm er die Kappe ohne zu zögern an sich und zog wieder fort. Als er an dem Palast der Schönen der Erde angekommen war, setzte er die Kappe auf und wurde unsichtbar, so daß er geradewegs in das Schlafzimmer des Mädchens ging, ohne von einer ihrer Dienerinnen gesehen zu werden. Nun sah er das Mädchen in seiner ganzen Schönheit und betrachtete es, bis es Tag wurde. Dann sprach er es an, es hörte die Stimme, konnte ihn aber nicht sehen. Nachdem die beiden lange miteinander geplaudert hatten, erzählte er der Schönen der Erde, wer er war. Auf ihre geheuchelte Liebe vertrauend, enthüllte er ihr das Geheimnis der Tarnkappe. Da nahm sie ihm die Kappe weg, rief ihre Leute und befahl ihnen, den Jüngling mit Schimpf und Schande davonzujagen.
Als der Jüngling sich wieder betrogen sah, wurde er sehr traurig, weil ihm nun gar keine Hoffnung mehr blieb. Und so kehrte er, verzweifelt über sein Mißgeschick, nach Hause zurück. Aber da die verzehrende Sehnsucht nach dem Mädchen sein ganzes Herz ergriffen hatte, konnte er an nichts anderes mehr denken. Er lief wieder in die Kammern seines Vaters, stöberte dort herum, ob er nicht wieder etwas für die Schöne der Erde fände. Er fand tatsächlich eine Kanne, er betrachtete sie und drehte sie dabei in den Händen und, weil sie verstaubt war, rieb er sie, um sie sauber zu machen. Wie er sie rieb, erschienen plötzlich eine Menge Krieger und sprachen zu ihm: ,,Was befiehlst du, Herr? Wir sind bereit, dir zu dienen.“ Als der Jüngling sie sah, überlegte er ein Weilchen und dachte bei sich: ,,Nun bin ich sicher, die Schöne der Erde zu erobern.“ Da begann sein Herz zu jubilieren, seine Augen wurden wieder hell und er machte sich voller Freude bereit, zu seiner Angebeteten zu gehen. Auf dem Weg dorthin übernachtete er wieder in dem Haus der Alten und schickte durch sie der Schönen der Erde die Botschaft, daß sie ihn empfangen solle. Aber die Alte hatte den Mund noch nicht geöffnet, da rief das Mädchen auch schon ihre Diener, und die warfen die Alte unter Schimpfworten hinaus. Sie kehrte betrübt nach Hause zurück und erzählte dem Jüngling den Schimpf, den sie im Palast erlitten hatte. Aber er bat sie erneut, sie möge noch ein zweites Mal zu dem Mädchen gehen und ihr sagen, wenn sie ihn nicht gutwillig einließe, würde es ihr übel ergehen. So machte sich die Alte noch einmal zu der Schönen auf, aus Gefälligkeit für den Jüngling und auch wegen der Geschenke, die er ihr immer gab, obwohl sie recht gut wußte, daß bei der Schönen der Erde nichts auszurichten war. Als das Mädchen die Alte wiederkommen sah, geriet sie in solche Wut, daß sie ihren Leuten befahl, die Alte diesmal zu schlagen und hinauszuwerfen. Und die arme Alte entkam unter Jammern und Wehklagen mit Mühe den Händen und Knüppeln der Diener.
Als die Alte zurückkam und dem Jüngling erzählte, was sie erduldet hatte, sah er ein, daß er im Guten nichts ausrichten konnte. Er nahm also seine Kanne und rieb sie. ,Sogleich erschienen die Krieger und sagten zu ihm: ,,Was befiehlst du, Herr? Wir wollen dir dienen.“ Und der Jüngling
schickte sie alle mit schönen Kleidern angetan zu dem Palast der Schönen der Erde, um sich dort zu tummeln, bis er sie wieder zurückriefe. Dann schickte er die Alte abermals zu dem Mädchen und ließ ihr sagen, wenn sie ihn nicht gutwillig aufnehmen würde, käme er mit Gewalt, und zwar mit seinen Kriegern, die sie vor ihrem Palast sehen könne. Als das Mädchen das hörte und all die Krieger sah, erschrak sie und gab schleunigst Befehl, den Jüngling mit großen Ehren zu empfangen. Als nun der Jüngling kam, empfingen ihn alle im Palast mit solchen Ehren und mit so viel Schmeichelreden, daß er befriedigt war. Nach einiger Zeit sagte der Jüngling zu dem Mädchen: ,,Da du mich so gequält hast, werde ich dich jetzt nach Tinglimaimun schicken.“ Aber die Schöne der Erde wußte ihn zu umgarnen, und er verzieh ihr. Da die beiden sich schließlich versöhnt hatten, glaubte der Jüngling an ihre Liebe und enthüllte ihr, daß seine ganze Kraft in der Kanne ruhte. Da nahm das Mädchen ihm heimlich die Kanne weg, und als es sie rieb, erschienen sogleich die Krieger und sprachen: Was befiehlst du, Herrin? Was sollen wir für dich tun?“ Der Jüngling erhob sich und sagte: ,,Ihr seid meine Krieger und nicht ihre.“ Aber die Krieger erwiderten: ,,Die Kanne ist in der Hand des Mädchens, und so dienen wir ihr.“ Sie sprach darauf: ,,Nehmt diesen Jüngling und bringt ihn nach Tinglimaimun.“ Und sie packten ihn und brauchten ihn dorthin. Nachdem der Jüngling in diesem fremden fernen Land angekommen war, irrte er allein und ohne Nahrung umher und kam immer tiefer in die Einöde hinein, ohne etwas zu essen zu finden. Endlich stieß er auf rote Trauben, und hungrig wie er war, aß er ein paar Beeren davon. Aber sobald er sie gegessen hatte, wuchsen ihm sogleich ebenso viele Hörner auf dem Gesicht. Als er die Hörner bemerkte, erschrak er und wurde traurig über soviel Unglück. Erstaunt stellte er fest, daß die Hörner durch die Beeren entstanden waren. Da er immer noch großen Hunger hatte, lief er hin und her, etwas Eßbares zu suchen. Schließlich fand er weiße Trauben und aß davon. Und bei der ersten Beere fiel ein Horn ab. So viele Beeren er aß, ebenso viele Hörner fielen ihm ab. So erkannte der Jüngling, daß ihm Hörner wuchsen, wenn er rote Beeren aß, daß sie wieder abfielen, wenn er weiße Beeren aß. Darüber freute er sich sehr, denn ihm fiel sogleich die Sache mit der Schönen der Erde ein, und er dachte daran, diesen glücklichen Zufall zu nutzen. Mit den roten Beeren wollte er dem Mädchen Hörner wachsen lassen und mit den weißen es dann heilen. Und auf diese Weise wollte er es dann endlich in seine Hand bekommen. Et füllte rasch zwei Körbe mit Trauben, einen mit roten und einen mit weißen, und machte sich auf um schnell in das Land der Schönen der Erde zurückzukehren. Nachdem er einen langen Weg zurückgelegt hatte, kam er ans Meer, wo er warten mußte, bis ein Schiff zum Übersetzen kam. Nach seiner Ankunft wollte er die roten Trauben verkaufen, und seine Füße trugen ihn sogleich in die Nähe des Palastes der Schönen der Erde. Zu dieser Zeit gab es hier keine Trauben mehr, denn deren Zeit war schon vorbei. Der Jüngling wußte es nun so einzurichten, daß sie im Palast der Schönen auf die Trauben aufmerksam wurden und herauskamen, um diese zu kaufen. Auch die Schöne der Erde sah die Trauben, und da sie danach gelüstete, gab sie einer Dienerin den Auftrag, ihr welche zu bringen. Die unglückliche Dienerin aß in ihrer Naschhaftigkeit eine Beere, und sogleich wuchs ihr ein Horn auf der Stirn. Sie wußte nicht, woher das Horn kam, und schloß sich aus Scham darüber in ihrem Zimmer ein. Als nun das Mädchen die Trauben verlangte, schickte sie sie durch eine andere Dienerin. Die Schöne der Erde nahm die Trauben in die Hand und aß sie alle mit großem Genuß auf. Sogleich war ihr Gesicht voller Hörner. Da erschrak sie so sehr, daß sie fast den Verstand verlor. Als einige Tage vergangen waren, ohne daß sie gesund wurde, ließ sie Ärzte rufen. Sie pflegte die Ärzte nur unter der Bedingung zu nehmen, daß sie ihnen den Kopf abschlagen ließ, wenn sie sie nicht heilen konnten. So schickte sie die Ärzte zuerst zu der Dienerin, damit sie diese heilten und dann sie selbst‘ da sie beide die gleiche Krankheit hatten. Der Jüngling war sicher, daß der Tag nahe war, wo man ihn als Arzt rufen würde. Er wollte die Schöne der Erde in die Enge treiben, deshalb ging er für einige Tage auf die Reise, damit sich die Krankheit in die Länge zöge und ihr Kummer sich vergrößere.
Schließlich legte er prachtvolle Gewänder an, ging in den Palast der Schönen der Erde und sagte, er sei Arzt, und versprach, die Kranke zu heilen. Man
sagte ihm, daß man ihm den Kopf abschlüge, wenn er sie nicht heilen könne. Er war mit dieser Bedingung einverstanden. Er trat in den Palast, und zuerst schickte man ihn zu der Dienerin. Er hatte jene weißen Trauben bei sich zerdrückt und wie eine Paste zubereitet, damit man nicht erkennen konnte, was es sei. Er begann nun die Dienerin auszufragen, was sie getan und nicht getan hatte, kurz jeden Umstand, der ihre Krankheit betraf ,,Gib acht“, sagte er zu ihr, denn wenn du mir nicht die Wahrheit sagst, wirst du nicht geheilt.“ Die Dienerin erzählte ihm nun von vielen Dingen und auch von der Weintraube, die sie gegessen hatte. Da gab er ihr die Arznei‘ jene weißen Beeren, und sogleich fiel ihr das Horn ab, sie war geheilt. Als die Schöne der Erde das erfuhr, rief sie eiligst den Arzt‘ sie war in großer Erwartung und Aufregung. Er trat also in ihr Zimmer und begann sie ebenso auszufragen wie die Dienerin, indem er ihr auch sagte, daß sie nicht gesund werden würde, wenn sie ihm auch nur ein einziges Wort verheimlichte. Da erzählte sie ihm alle ihre Taten, und sie kamen bis zu den Goldstücken die sie dem Jüngling viele Male abgenommen hatte. Da sprach er zu ihr: ,,Gib mir das Geld.“ Dann zeigte sie ihm die Kappe, die sie dem Jüngling weggenommen hatte und tat so, als ob sie die Kanne vergessen hätte. Aber der Arzt sagte zu ihr: ,,Du hast mir noch nicht alles erzählt.“ Und da holte sie auch die Kanne, die sie dem Jüngling ebenfalls weggenommen hatte wie die Kappe und das Geld. Darauf gab et ihr die Arznei, und sie war sofort geheilt. Da rieb der Jüngling seine Kanne, und sogleich erschienen die Krieger und fragten nach seinen Wünschen, da er ihr Gebieter war. Hierauf sprach der Jüngling zu der Schönen der Erde: ,Jetzt bist du in meiner Hand; ich bin der, dem du das alles angetan hast. Du hast mich zwar nach Tinglimaimun geschickt, aber ich werde dich heiraten und mit in meine Heimat nehmen.“ Er befahl den Kriegern, sie samt ihrem Palast und allem, was sie hatte, aufzunehmen und in sein Dorf zu tragen. Als die Mutter ihren Sohn wiedersah. samt der Schönen der Erde und dem Palast und all den Schätzen, da freute sie sich und wunderte sich ohne Ende. Und so lebten sie alle glücklich und froh zusammen bis an das Ende ihrer Tage.

Quelle
Die Schöne der Erde ( Albanische Märchen und Sagen )

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