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Märchenbasar

Bei der Sonnenmutter

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Es waren einmal ein Mann und eine Frau. Sie waren arm wie niemand auf dieser Erde. Der Mann arbeitete fleißig; aber keine Arbeit gedieh ihm, und es ging
ihm immer nur schlechter. Da fragte ihn eines Tages seine Frau: »Wie kommt das, lieber Mann: andere arbeiten und freuen sich, und wir arbeiten und müssen immer trübselig sein?«
Ihr Gatte antwortete ihr: »Vielleicht wird es noch einmal besser. Wir wollen nicht verdrießlich werden.«
Es vergingen einige Jahre und sie führten immer noch ein schlechtes Leben. Eines Tages ging der Arme aus sammelte Reisig und zündete es Da rief ihm aus dem Reisig eine Schlange „Rette mich, ich verbrenne!« Der Alte rettete Schlange, worauf diese sagte: »Jetzt will ich dir auch einen Gefallen erweisen. Nimm mich und wirf mich vor deinem Hause zu Boden und ich werde drei wunderschöne Farnkräuter emporsprießen lassen;und du wirst sehen, du wirst Glück davon haben.« Der Arme tat so, und es geschah, wie die Schlange es vorhergesagt hatte.
Da wohnte in jenem Dorfe ein sehr reicher Mann. Der ging an dem Hause des Armen vorbei, blieb dort stehen und betrachtete die eigentümlichen
Pflanzen.
Da fragte ihn der Arme: »Warum schaust du so? Du kannst ja doch nicht erraten, was das für Pflanzen sind.«
Der Reiche erwiderte: »Schließen wir ein Ab-kommen: errate ich bis morgen. was das für Pflanzen sind, dann nehme ich dir auch das kleine Grundstück weg, das du jetzt hast: errate ich es nicht, so schenke ich dir dreißig von meinen sechzig Handelsgeschäften.«
Sie bekräftigten dieses Abkommen mit Hand-schlag, aber der Reiche erriet es nicht. Daher mußte er dem Armen dreißig Geschäfte überlassen. Der Arme konnte sich emporarbeiten, und er fing an gut zu leben.
Aber dem Reichen ließ diese Sache keine Ruhe. Wiederum ging er zu dem Armen und sie be-schlossen, falls der Reiche die Herkunft der Pflanze erraten sollte, hätte der Arme ihm die dreißig Geschäfte wiederzugeben, andernfalls sollte der Arme noch weitere dreißig Geschäfte bekommen. Aber wiederum verlor der Reiche. Da aber machte sich die Frau des Reichen auf, nahm Kaffee und Zucker und andere Waren mit sich, ging zu der Frau des Armen und sagte zu ihr: »Da hast du diese guten Sachen! Richte für heute abend ein gutes Mahl her, denn dein Gatte hat beschlossen, heute abend eine andere Frau zu nehmen, und es werden die Freunde und Ge-vattern kommen, um ihn zu beglückwünschen.«
Die Frau des Armen war sehr betrübt, ließ das ganze Haus in Unordnung und weinte.
Als ihr Gatte heimkehrte, fragte er sie: »Was hast du, Frau. daß du weinst? Tut dir etwas weh?“
Darauf antwortete ihm die Frau: »Daß du es nur weißt! Ich bleibe keinen Augenblick länger hier; denn du willst eine andere Frau nehmen.«
»Was redest du da für einen Unsinn?« fragte sie der Gatte, »bist du vielleicht verrückt gewor-den?« Und der. Gatte redete auf die Frau ein, bis er sie mit Mühe und Not beruhigte.
Aber es vergingen nur wenige Tage, und wieder kam die Frau des Reichen, der die sechzig Ge-schäfte verloren hatte, mit Kaffee, Zucker und anderen guten Sachen, reichte sie der Frau des Armen und sagte ihr dasselbe wie das erste Mal.
Die Frau des Armen erklärte ihr, daß sie ihr nicht mehr glaube. Aber die Frau des Reichen legte ihr einen Eid ab und sagte: »Dein Gatte hat dich betrogen, er nimmt jetzt sicher noch eine Frau, und schenke du ihm keinen Glauben, außer er leistet dir einen Eid bei der Pflanze, die du vor dem Hause hast.«
Darauf tobte die Frau des Armen, bis ihr Mann nach Hause kam.
Dieser fragte sie: »Was hast du, daß du so tobst?«
Darauf entgegnete ihm die Frau: »Du willst ja heute abend doch eine andere Frau nehmen, und ich glaube dir kein Wort, wenn du mir nicht bei dem Namen der Pflanze schwörst, die wir vor dem Hause haben.«
»Das ist leicht«, sagte der Mann. »Bei der Schlan-genpflanze! Ich habe nicht im Sinn, eine andere Frau zu nehmen!«
Darauf glaubte ihm seine Frau, lief sofort zur Frau des Reichen und erzählte ihr, daß ihr Mann bei der Schlangenpflanze geschworen habe. Diese aber lief sofort zu ihrem Mann und erzählte ihm das ganze.
Die Schlange aber sprach zu dem Armen: »Deine Frau hat dir den Namen meiner Pflanze entlockt und hat ihn der Frau des Reichen verraten. Dar-um tue jetzt etwas anderes: schließe mit dem Reichen einen Vertrag, daß du imstande bist. die Sonne im Westen aufgehen zu lassen, und so wirst du ihn wieder um seinen Anteil bringen. Ich selbst sage dir dann schon, wie du das ma-chen sollst. Du brauchst dich nicht zu fürchten.« Der Reiche aber kam am nächsten Tage zu dem Armen und sagte: »Ich weiß den Namen der Pflanze.«
»Natürlich weißt du ihn«, entgegnete ihm der Arme. »Du hast ihn von deiner Frau, und deine Frau hat ihn von meiner Frau. Darum schließen wir eine andere Wette! Was gibst du mir, wenn ich morgen die Sonne im Westen aufgehen lasse?« Der Reiche war davon überzeugt, daß das un-möglich sei und sagte: »Wenn du das zustande bringst, so verlasse ich das Dorf; bringst du es aber nicht zustande, so gibst du mir alle sechzigGeschäfte zurück.« Dies bekräftigten sie mit Handschlag.
Der Arme beriet sich darauf mit der Schlange und diese riet ihm, er solle zur Mutter der Sonne sehen und sie bitten, daß sie ihm den Gefallen täte. Da machte sich der Arme auf den Weg und an einem Birnbaum vorbei. Der fragte ihn, wohin er gehe. »Zur Mutter der Sonne«, war die Antwort.
„Wenn du zur Mutter der Sonne gehst, so frage sie auch meinetwegen um etwas. Ich bin gesund und stehe auf gutem Boden, aber warum kann ich nicht jedes Jahr Früchte tragen?«
Sei unbesorgt«, sagte der Arme, »ich werde sie fragen. und bei meiner Rückkehr werde ich dir Antwort bringen.«
Auf seinem weiteren Wege traf er auf eine große Sch1ange. die sich nicht vom Platze rühren konnte. Auch diese fragte ihn, wohin er gehe und trug ihm auf, die Mutter der Sonne zu fragen, warum sie sich nicht rühren könne. Auch ihr versprach der Arme, die Antwort zu bringen. Dann stieß der Wanderer auf einen Tümpel, und das Wasser fragte ihn nach dem Ziel seiner Wanderung und bat ihn, die Mutter der Sonne zu fragen, warum es nicht fließen könne, sondern immer auf einem Orte bleibe. Auch ihr versprach der Wanderer, die Antwort zu bringen. Auf dem weiteren Wege begegnete er der Königstochter. Diese bat ihn, nie Mutter der Sonne zu fragen, warum sie kei-nen Mann finde, obwohl sie doch reich und er-wachsen sei. Auch ihr gab der Wanderer das gleiche Versprechen wie den anderen.
Endlich langte er bei der Mutter der Sonne an. »Ich habe dich wegen einer Gefälligkeit aufge-sucht.«
»Sprich«, erwiderte ihm die Mutter der Sonne, »wenn ich imstande bin, so erweise ich dir gewiß den Gefallen.«
»Ich bitte dich«, sagte ihr der Wanderer, »laß dein Kind morgen früh im Westen aufgehen!«
»Deine Bitte ist erfüllt!« erwiderte ihm die Mutter der Sonne. »Hast du noch einen anderen Wunsch?«
»Ja«, erwiderte ihr der Wanderer, und nun legte er ihr die Wünsche der Königstochter, des Tüm-pelwassers, der Schlange und des Birnbaumes vor.
Die Mutter der Sonne gab ihm den Bescheid: »Dem Mädchen sollst du sagen: Steh auf und fege deinen Hof vor Sonnenaufgang, und du wirst deinen Gatten finden. Dem Tümpel sage, er muß einen Mann verschlucken und dann wird er im-mer fließen. Der Schlange antworte zuerst nicht; erst wenn du weit von ihr entfernt bist, sage ihr, sie möge das erste lebende Wesen fangen. Dem Birnbaum tue den Gefallen und grabe zwischen seinen Wurzeln und befreie ihn von einem Gewichte.«
Der Wanderer dankte ihr und trat den Rückweg an. Unterwegs traf er auf die Königstochter und richtete ihr die Antwort der Mutter der Sonne aus. Ebenso tat er es mit dem Tümpel, aber er sagte es dem Tümpel erst, als er schon weit von ihm entfernt war, so daß der Tümpel ihn selbst nicht mehr verschlingen konnte. Ebenso machte er es mit der Schlange. Beim Birnbaum aber grub er zwischen dessen Wurzeln und fand einen Topf mit Geld, nahm ihn mit sich und kehrte nach Hause zurück.
Am nächsten Morgen trafen sich der Arme und der Reiche wie verabredet vor Sonnenaufgang und der Arme sprach zum Reichen: »Bevor die Sonne aufgeht, wollen wir zusammen einen Weg machen nach einer Stelle. wo wir die Sonne bes-ser aufgehen sehen.« Und er führte den Rei-chen zu der Schlange, ließ ihn vorausgehen, die Schlange packte den Reichen und trug ihn leben-dig zu dem Tümpel. Der Tümpel aber verschlang den Reichen und konnte nun fließen. Der Arme aber kam noch vor Sonnenaufgang an dem Königspalast vorbei und traf dort die Kö-nigstochter, die den Hof fegte. Und so wurde er ihr Gatte.
Seine Gattin aber, die ihn verraten hatte, und die Frau des Reichen schickte er in den Wald, wo sie beide in den fließenden Tümpel fielen. Er selbst aber lebte mit der Königstochter und er lebt noch heute, wenn er nicht gestorben ist.

Quelle
Die geflügelte Schwester und die Dunklen der Erde (albanische Volksmärchen)

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