Wie an jedem Wochenende ging Laila mit ihrer Mutter zum Basar. Die Kleine liebte das lebhafte Markttreiben sehr. Händler boten laut schreiend die unterschiedlichsten Waren feil und über allem lag der feine Duft von Gewürzen, Obst und Zuckerwerk. Immer wieder staunte Laila über Fakire auf ihren Nagelbrettern. Mit ihrem Flötenspiel brachten die Turbanmänner Schlangen zum Tanzen. Während Mama einkaufte durfte sie selbst bei dem steinalten Geschichtenerzähler auf dicken bunten Kissen sitzen und seinen Märchen lauschen. der weißbärtige alte Mann, mit dem großen roten Turban, verstand es vortrefflich die Kinder in seinen Bann zu ziehen. Heute wollte der Greis nun eine Geschichte von Hass und Eifersucht erzählen und so begann er:
„Es war einmal ein Sultan, der hatte zwei Söhne, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Ali war ein ruhiger und besonnener junger Mann, der stets gut zu den Mitmenschen war. Für die Sorgen der Bevölkerung hatte er immer ein offenes Ohr, allen sollte es gut gehen. Achmed, egoistisch und hartherzig, dachte nur an die eigenen Vorteile. Bekam er seinen Willen nicht, tobte er so laut im Palast, dass es weithin wie Donner hallte.
Eines Tages verliebten sich die Brüder in Suleika, der lieblichen Tochter des Großwesirs. Als die Schöne aber Ali den Vorzug gab und ihm als Braut in den Palast folgte, nahm das Unglück seinen Lauf.
Die Hochzeitsvorbereitungen waren in vollem Gange. Die ganze Stadt wurde aufs Feinste herausgeputzt, überall hingen bunte Fahnen. Große Tische mit erlesenen Speisen und Getränken ließ der Herrscher aufstellen, denn das Volk sollte an dem Glück des jungen Brautpaares teilhaben.
Achmeds Herz verhärtete sich immer mehr, er raste vor Eifersucht. Böse Gedanken kreisten in seinem Kopf, sie ließen ihm keine Ruhe mehr, weder bei Tag, noch in der Nacht. Er fasste einen gemeinen Plan. Kurz darauf ritt Achmed heimlich zur Wüstenoase Hatifa, um dort die berüchtigste Räuberbande des Reiches aufzusuchen. Er bot dem einäugigen Anführer Hakim einen hinterhältigen Handel an:
„Hör gut zu, ich könnte euch verraten, wie ihr in die Schatzkammer des Palastes gelangt. Sie ist übervoll mit Juwelen.“ Der Räuberhauptmann aber erkannte ihn: „Sag, bist du nicht Achmed, einer der Söhne des Sultans? Wieso dieser Verrat? Du solltest dich schämen, noch nicht einmal einer meiner verwegenen Männer würde so etwas tun. Aber gut, sage uns, wie wir in den Palast kommen.“ Sein verbliebenes Auge funkelte gierig: „Unsere letzten Beutezüge waren leider nicht sehr erfolgreich, das Geld wird knapp. Was verlangst du als Gegenleistung?“
„Ich möchte nur die Braut meines Bruders“, sagte der Verräter, „nehmt sie gefangen und übergebt sie mir nach dem Überfall. Morgen Nacht erwarte ich euch am rückwärtigen Stadttor.“
Den Bettler, der unter einer der Palmen lag und alles mit anhörte, bemerkte keiner von ihnen. Nachdem im Räubernest alle schliefen, machte er sich auf den Weg, um den Sultan und sein Volk zu warnen. Der Herrscher war stets mildtätig zu ihm, so wollte er nun seine Dankbarkeit beweisen.
Die Nacht war tiefschwarz, als die Räuberbande am Stadttor eintraf, Stille herrschte ringsum. Unter Achmeds Führung schlichen die Schurken vorsichtig zum Palast. Die Wache war nirgendwo zu sehen, gut so. Als der Sohn des Sultans den Schlüssel ins Schloss steckte und ihn umdrehte, knirschte es laut. Die Bande hielt den Atem an. Vor Schreck standen ihnen die Haare zu Berge.
„Pass doch gefälligst auf, sei leise“, zischte der Einäugige ihm zu. Ein Dieb nach dem anderen verschwand nun in dem dunklen Gebäude. Sie freuten sich schon auf die fette Beute, als das Unheil über sie hereinbrach.
Mit einem Mal war der ganze Palast auf den Beinen. Plötzlich erhellten überall Fackeln das Gebäude, und ein mörderischer Tumult brach los. Von allen Seiten stürmte die Palastwache mit ihren Krummsäbeln heran. Sie stürzte sich auf die überraschten Eindringlinge, die vor Entsetzen erstarrten. Nicht nur die kampferprobte Wache, sondern auch viele Bewohner der Stadt, schlugen mit Knüppeln auf sie ein. Damit hatte niemand von ihnen gerechnet. Nach einem fürchterlichen Handgemenge, ergriffen die Räuber panisch die Flucht. Wie von Sinnen rannten die Halunken davon. Man hörte nie wieder etwas von ihnen.
Achmed verfolgte das Spektakel bestürzt aus einem sicheren Versteck heraus. In dem wirren Durcheinander flüchtete er und lief um sein Leben. Viel später berichteten Händler, die mit einer Karawane durch das Land zogen, von einem verwirrten Korbmacher, der in einer weit entfernten Oase sein Leben fristet und behauptet, ein Sohn des Sultans zu sein. Doch niemand glaubte es ihm. Vielleicht wollte er sich ja nur wichtig machen, weil er mit einer zänkischen Frau verheiratet war, die ihm und seinen acht Kindern täglich das Leben zur Hölle machte.
Ali und Suleika aber lebten glücklich und in Frieden, geliebt von ihren Untertanen wegen ihrer Herzenswärme und Güte.“
Mit hochroten Wangen saßen die Kleinen auf ihren Kissen. So eine spannende Geschichte hatten sie schon lange nicht mehr gehört.
Der alte Mann erhob sich. „So, Kinder, die Märchenstunde ist vorbei. Beim nächsten Mal erzähle ich euch die Geschichte von dem Flaschengeist und…“
„Und was?“, riefen die Kinder aufgeregt.
„Nein, nein, das wird nicht verraten“, lachte er.
Als Laila an der Hand ihrer Mutter wieder nach Hause ging, dachte sie noch eine ganze Weile über die Erzählung nach. Sie wollte nie so werden wie Achmed und ihr Herz vergiften lassen durch Hass und Eifersucht, das hatte sie sich fest vorgenommen.
Quelle: Dagmar Buschhauer