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Märchenbasar

Der Magier vom Huronsee

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Zur Zeit, als die Ottowas noch die größeren Inseln des Huronsees bewohnten, lebte ein einflußreicher Magier dort, der Mäßwäweinini oder die lebende Statue hieß. Jene Inseln waren von jeher der Lieblingsaufenthalt aller Indianer von medizinenen Eigenschaften, weshalb auch später, als die Irokesen die Ottowas von dort verdrängt und hinauf an die Ufer des Oberen Sees gejagt hatten, Mäßwäweinini heimlich zurückblieb und die Bewegungen der Feinde ständig beobachtete.
Er hatte noch zwei Knaben bei sich, die ihm bei seinem Spionieren treffliche Dienste leisteten. Nun stand er eines Tages etwas früher als gewöhnlich auf, ließ seine Knaben ruhig liegen und ging fort auf die Jagd. Nachdem er sich eine Zeitlang seinen Weg durch dorniges Gebüsch gebahnt hatte, sah er sich plötzlich an der Grenze einer weiten Ebene, die noch nie von menschlichen Füßen betreten worden war.
Getrosten Mutes ging Mäßwäweinini auf die andere Seite der Ebene, von woher ihm ein Mann von auffallend kleiner Gestalt entgegenkam. Dieser trug eine rote Feder auf dem Kopf, tat recht freundlich und nannte auch Mäßwäweinini bei seinem Namen und lud ihn ein, eine Pfeife mit ihm zu rauchen, was letzterer denn auch bereitwillig annahm.
»Bitte«, sagte Rotfeder nach einer Weile, »worin liegt eigentlich deine Stärke?«
»Meine Stärke«, erwiderte Mäßwäweinini, »ist keine außergewöhnliche; sie ist nur die eines jeden Menschen.«
»Oh, dann müssen wir unsere Kräfte versuchen!« rief der Kleine hastig. »Und wenn du mich niederwirfst, so kannst du sagen, du habest Wädschemenä besiegt!« Als sie mit ihrem Rauchen fertig waren, begann der Ringkampf, der lange Zeit unentschieden blieb, denn Rotfeder zeigte sich als äußerst gewandter Ringer; aber zuletzt unterlag er doch. Auf der Stelle, wo er verschied, fand Mäßwäweinini eine zerknickte Maisähre, und eine Stimme rief aus der Erde: »Entferne die Hülle von mir und zerteile meinen Körper, damit du die ganze Ebene damit besäen kannst. Dann geh fort und komm nach einem Monat wieder!«
Mäßwäweinini tat, wie ihm gesagt wurde, und als er damit fertig war, machte er sich auf den Heimweg, auf dem er auch einen recht fetten Hirsch erlegte. Da er seine Knaben noch schlafend fand, weckte er sie auf, gab ihnen zu essen und erzählte ihnen sein merkwürdiges Abenteuer.
Nach einem Monat ging er wieder hinauf zu jener Ebene und fand dort zu seinem größten Erstaunen alles grünend und blühend. Dann besuchte er sie nicht mehr bis zum Ende des Sommers, wo er sie vollständig mit dem schönsten Mais bewachsen sah. An der Stelle, wo er Rotfeder getötet hatte, erblickte er die schönsten Kürbisse, und als er einen davon abschnitt, rief jemand aus der Tiefe: »Mäßwäweinini, hättest du mich nicht besiegt, so lägen jetzt deine abgenagten Knochen hier herum. Doch mein Körper soll dir und deiner Rasse zum Segen werden und euch in Gestalt des Maises stets ein willkommenes Nahrungsmittel bieten!«
Darauf rief Mäßwäweinini seine beiden Knaben herbei und zeigte ihnen das kostbare Gewächs, das seit jener Zeit von allen Indianern in großer Ehre gehalten wird.
Nach jener Zeit passierten wundervolle Dinge auf der Insel des Magiers. Als er sich einst zum Schlafen niedergelegt hatte, kam es ihm vor, als höre er jemand sagen: »Sieh, das ist der Mäßwäweinini, dessen Herz wir haben müssen!«
Dann fragte ein anderer: »Aber wie können wir es bekommen?«
Mäßwäweinini verhielt sich ganz still und atmete so ruhig, als läge er im tiefsten Schlaf.
»Du mußt ihm mit dem Arm durch Mund und Hals fahren, es dann fest packen und herausreißen!« sagte der erste wieder.
Das tat denn auch der andere, doch als er seine Hand weit genug darin hatte, biß Mäßwäweinini plötzlich kräftig zu und zermalmte ihm alle Finger. So entrann er also glücklich der Todesgefahr und blieb bis zum Morgen unbelästigt. Als er dann die abgebissenen Finger recht betrachtete, sah er, daß sie aus den feinsten Wampumperlen bestanden – der untrüglichste Beweis, daß sie von mächtigen Geistern stammten.
Kurz danach, als er eben gefrühstückt hatte, sah er ein Kanu von außergewöhnlicher Schönheit dem Ufer zusteuern, und als es etwas näher kam, sah er zwei Männer darin sitzen, wovon einer eine fingerlose Hand hatte. Mäßwäweinini merkte nun gleich, welche Gesellen das waren, und ging ihnen, als sie landeten, keck entgegen, um sie wegen ihres nächtlichen Mordanschlags zur Rede zu stellen und dann exemplarisch zu züchtigen; doch als er eben kräftig mit dem Tomahawk ausholen wollte, um ihnen die Schädel einzuschlagen, verwandelten sie sich plötzlich in steinerne Statuen, mit denen er nun nichts anderes machen konnte, als sie in das nahe Dorngebüsch zu postieren. Dann holte er auch das Kanu und verbarg es ebenfalls im Gehölz. Es war das schönste, das er je gesehen hatte, und zu seiner größten Freude mit den kostbarsten Schätzen gefüllt.
»Mit solchen Schätzen«, rief darauf einer der steinernen Manitus, »werden die Kähne der Ottowas beladen sein, wenn sie diese Küste, von der die Irokesen sie verdrängt haben, wieder passieren werden!«
Danach ging Mäßwäweinini nach Hause, weckte seine Knaben und bereitete ihnen ein vortreffliches Fischmahl.
Unser Magier führte im allgemeinen ein recht gemütliches Leben; seine Feinde ahnten seine Nähe nicht, und Wild und Fische gab’s ihm Überfluß. Aber, dachte er eines Tages bei sich selbst, werden denn auch meine armen Eltern wissen, wo sie Fleisch hernehmen, wenn sie Hunger haben, und wo sie einen warmen Pelz hernehmen, wenn der rauhe Nordwind durch die Bäume pfeift? Und während diese Gedanken sein Gehirn durchkreuzten, zog er seine schnelllaufenden Mokassins an und machte sich auf den Weg zu ihnen.
Ein anderer Mann hätte wenigstens dreißig Tage zu jener Reise gebraucht, denn das alte Ehepaar lebte weit weg auf einer Insel im Oberen See; doch Mäßwäweinini war schon am Abend des ersten Tages in ihrem Wigwam, wo er beide geräuschlos und sanft – sie schliefen nämlich schon – aufhob und mit derselben Geschwindigkeit zurück in seiner eigene Hütte trug. Als jene nun am anderen Tag erwachten, waren sie beinahe vor Freude außer sich, daß sie sich so auf einmal wieder bei ihrem geliebten Sohn sahen, der ihnen nun zur Unterhaltung seine vielen merkwürdigen Abenteuer erzählte und danach für sie ein regendichtes Häuschen neben sein fruchtbares Maisfeld baute.
Inzwischen wurde es Winter und das Wetter so unfreundlich, daß sich niemand vor die Tür getraute. Als nun der alte Vater so den ganzen Tag lang an den glimmenden Baumstamm gebannt war, ging ihm mit der Zeit das Kraut aus, mit dem er seine Pfeife stopfte, und die Zeit fing an ihm langweilig zu werden. »Warte nur noch zwei Tage«, tröstete ihn darauf sein Sohn, »und du sollst einen haushohen Haufen Tabak bekommen; und zwar müssen ihn dir meine Feinde liefern!«
Darauf ging Mäßwäweinini zu den Nadowas vom Bärentotem. Diese erkannten ihn gleich an seinem Schnellauf und luden ihn freundlich in ihre Hütten ein. Als sie ihn darauf nach dem Grund seiner Reise fragten, antwortete er, daß er für seinen alten Vater Tabak holen wolle, und augenblicklich wurden die dicksten Bündel bereitwilligst herbeigebracht.
Doch in der Nacht schmiedeten einige von ihnen ein Komplott, ihn heimlich zu überfallen und sich seiner dann für immer zu entledigen, und zwei alte Kerle drangen auch wirklich in sein Zelt und schrien: »Mäßwäweinini, du bist ein Kind des Todes!«
»Nein, ihr seid es!« schrie er ihnen entgegen, griff zu seinem scharfen Tomahawk und schlug sie alle zu Fetzen. Dann packte er sich soviel Tabak zusammen, als er nur tragen konnte – das wollte etwas heißen! –, und brachte ihn seinem Vater, der nun im Kreise seiner Familie seine letzten Tage heiter und sorgenfrei verlebte.

Quelle: Karl Knortz, Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas

 

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