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Es war einmal ein alter Soldat namens La Ramée, welcher stets besoffen war und vom Morgen bis Abend Tabak kaute. Sein Oberst hatte ihm eines Tages Vorhaltungen gemacht; da zog er seinen Säbel und gab ihm einen Schlag quer durch das Gesicht, der ihn tötete. Einen Augenblick später erschienen der Hauptmann und der Korporal, um La Ramée auf die Polizei zu führen, und sie sagten ihm, daß er am nächsten Morgen vor das Kriegsgericht gestellt würde. »Korporal!« sagte La Ramée, »ich habe meinen Sack auf dem Tisch meiner Kammer vergessen, das passiert mir nicht oft: Ihr wißt, daß ich meine Sachen immer in Ordnung habe. Gestattet Ihr mir, hinzugehen und ihn zu holen?« »Geh, wenn du willst«, erwiderte der Korporal. La Ramée nahm seinen Sack, der mit Brot gefüllt war, und warf ihn auf die Straße, dann sprang er selber durch das Fenster, hob den Sack auf und entfloh. Um sich in Sicherheit zu bringen, setzte er nach England über.
Eines Abends, als er einen Wald durchschritt, sah er ein zerfallenes Gemäuer. Da er vor Hunger fast umkam, trat er ein und fand eine alte Frau, die gerade Hanf pochte. Er bat sie um einen Bissen zu essen und um ein Nachtlager. Die Alte trug ihm ein Gericht von Kartoffeln auf und zeigte ihm in einer Ecke einen Haufen Hanfstengel, auf dem er in Ermangelung eines Bettes ruhen könne. Am andern Morgen wollte La Ramée seine Wanderung wieder antreten, da sagte die Alte zu ihm: »Ich weiß etwas, das mein und dein Glück machen kann. An einer gewissen Stelle befindet sich ein Schloß. Den Weg dorthin werde ich dir zeigen. Geh zu diesem Schloß und tritt mutig ein. Im ersten Zimmer liegt Gold und Silber auf einem Tisch, im zweiten liegen Löwen, im dritten Schlangen, im vierten Drachen, im fünften Bären und im sechsten drei Leoparden. Du mußt alle Zimmer schnell und ohne zu erschrecken durchschreiten. Im siebenten Zimmer wirst du einen Mann aus Eisen erblicken, der auf einem Amboß aus Bronze sitzt, und hinter diesem Eisenmann steht eine brennende Kerze. Gehe geradeswegs auf die Kerze los, lösche sie aus und schiebe sie in die Tasche. Du mußt dann den Hof durchqueren, in welchem eine Wache steht; die Soldaten werden dich betrachten, du aber schau dich nicht um, sondern halte die Augen stets zu Boden gerichtet. Vor allem trage Sorge, so zu tun, wie ich dir sage, andernfalls geschieht dir Unheil.« La Ramée schlug den Weg ein, den ihm die Alte angab, und kam alsbald zum Schloß. In der ersten Kammer sah er auf dem Tisch einen Haufen Gold und Silber, in der zweiten lagen Löwen, in der dritten Schlangen, in der vierten Drachen, in der fünften Bären, in der sechsten drei Leoparden, in der siebenten endlich fand er einen Mann aus Eisen, der auf einem Bronzeamboß saß, und hinter diesem Eisenmann sah er eine brennende Kerze. La Ramée ging geradeswegs auf die Kerze los, löschte sie aus und schob sie in die Tasche. Dann durchquerte er, die Augen auf den Boden geheftet, einen großen Hof, in welchem sich eine Wache befand. Als er außerhalb des Schlosses war, fiel es ihm ein, die Kerze anzuzünden. Sogleich erschien der Mann aus Eisen, der der Kerze diente, vor ihm und fragte: »Meister, was wünscht Ihr?« »Gib mir Geld!« antwortete La Ramée, »ich wünsche schon lange, mein Glück zu machen.« Der Mann aus Eisen füllte ihm seinen Sack mit Geld und verschwand.
Dann machte sich La Ramée auf den Weg, um sich in die Residenz des Königs zu begeben. Auf dem Wege sah er plötzlich die alte Hexe vor sich, welche die Kerze von ihm verlangte. Er sagte ihr zuerst, er habe sie verloren, dann hielt er ihr eine gewöhnliche Kerze hin. »Die will ich nicht,« sagte sie, »gib mir geschwind die, um welche ich dich geschickt habe.« Als La Ramée sah, daß sie ihm drohte, warf er sich auf sie und tötete sie.
In der Hauptstadt angekommen, quartierte er sich in einem fürstlichen Gasthof ein, wo er fünfzig Franken pro Tag zahlen mußte. Da er sich nichts abgehen ließ, fand er nach einiger Zeit seinen Sack leer und blieb die Rechnung für zwei oder drei Tage schuldig. Die Besitzerin des Gasthofs verlangte unaufhörlich ihr Geld von ihm und plagte ihn. La Ramée war in höchster Verlegenheit. Nachdem er ein letztes Mal in seinem Sacke gewühlt hatte, ohne einen roten Heller darin zu finden, steckte er die Hand in die Tasche in der Hoffnung, dort einige Geldstücke zu finden; er zog die Kerze daraus hervor. »Ich Esel!« rief er, »wie habe ich nur meine Kerze vergessen können!« Er beeilte sich, sie anzuzünden, und sogleich erschien der Mann aus Eisen vor ihm: »Meister, was wünscht Ihr?« »Wie?« schrie La Ramée, »du Dummkopf, du Schuft, du läßt mich hier sitzen ohne einen Groschen?« »Meister, ich wußte nichts davon, ich konnte es nur vermittelst der Kerze erfahren.« »Nun gut, gib mir Geld!« Der Mann aus Eisen gab ihm noch mehr als das erstemal. Während La Ramée damit beschäftigt war, seine Taler zu zählen und sie auf dem Tisch aufzustapeln, guckte das Zimmermädchen durch das Schlüsselloch und lief hurtig zu ihrer Herrin, um ihr zu sagen, daß das ein reicher Mann sei, den man nicht wie einen Landstreicher behandeln dürfe. Als er zum Bezahlen kam, machte ihm daher die Besitzerin ein freundliches Gesicht.
Zwei bis drei Tage später zündete La Ramée wieder seine Kerze an und der Mann aus Eisen erschien: »Meister, was wünscht Ihr?« »Ich wünsche, daß die Prinzessin, die Tochter des Königs von England, heute nacht in meinem Zimmer sei.« Es geschah, wie er es gewünscht hatte: nachts fand sich die Prinzessin im Zimmer des Gasthofs ein. La Ramée sprach mit ihr vom Heiraten, aber sie wollte ihn nicht einmal anhören. Sie mußte die Nacht in einer Ecke des Zimmers verbringen, und am Morgen befahl La Ramée dem Diener der Kerze, sie ins Schloß zurückzubringen. Die Prinzessin hatte die Gewohnheit, jeden Morgen ihrem Vater einen Kuß zu geben. Der König war sehr erstaunt, als sie an diesem Tage nicht kam. Es schlug sieben, dann acht Uhr und sie erschien immer noch nicht. Endlich kam sie: »Ah!« sagte sie, »mein Vater, welch eine traurige Nacht habe ich verbracht!« Und sie erzählte dem König, was ihr zugestoßen war. Der König fürchtete, daß nochmals Ähnliches passieren könne, und suchte eine Fee auf, die er um Rat fragte. »Wir haben es mit einem Stärkeren zu tun, als ich es bin,« sagte die Fee, »ich weiß nur ein Mittel: gebt der Prinzessin einen Sack mit Kleie und tragt ihr auf, die Kleie in dem Hause, in das sie gebracht wird, auszustreuen. Man wird so das Haus wiedererkennen.«
Indessen hatte La Ramée den Gasthof gewechselt. Eines Tages zündete er die Kerze an und sagte zum Eisenmann: »Ich wünsche, daß die Prinzessin heute nacht in mein Zimmer kommt.« »Meister,« sagte der Mann aus Eisen, »wir sind verraten! Aber ich werde tun, was Ihr mir befehlt.« Nachdem er seinen Auftrag erledigt hatte, nahm er alle Kleie, die er bei den Bäckern vorfand, und streute sie in allen Häusern aus, derart, daß man am andern Morgen nicht mehr wissen konnte, wo die Prinzessin die Nacht verbracht hatte.
Die Fee riet nun dem König, seiner Tochter eine blutgefüllte Blase mitzugeben, die Prinzessin sollte diese Blase in dem Hause, in das sie gebracht würde, öffnen. La Ramée befahl wieder dem Diener der Kerze, ihm die Prinzessin zuzuführen. »Meister,« sagte der Mann aus Eisen »wir sind verraten! Aber ich werde tun, was Ihr mir befehlt.« Er drang in die Stallungen des Königs ein, tötete alle Kriegsrosse und alle Ochsen und verspritzte deren Blut überallhin. Am Morgen waren alle Straßen und alle Häuser mit Blut überschwemmt, so daß der König nichts entdecken konnte.
Er ging von neuem zur Fee, ihren Rat zu erholen. »Ihr müßt Wachen zur Prinzessin legen!« sagte sie. Als es Abend geworden war, zündete La Ramée seine Kerze an. »Meister,« sagte der Mann aus Eisen, »wir sind verraten! Es sind Wachen bei der Prinzessin, ich kann nichts gegen sie ausrichten.« La Ramée wollte selbst hingehen. Die Wachen ergriffen ihn, fesselten ihn und warfen ihn in einen finstern, feuchten Kerker.
Er weinte und klagte gerade nahe am Gitterfenster seines Gefängnisses, als er auf der Straße einen alten französischen Soldaten vorübergehen sah, einen ehemaligen Kameraden von ihm. Er rief ihn an. »Ei,« sagte der Soldat, »bist du nicht La Ramée?« »Ja, der bin ich. Du könntest mir einen großen Gefallen tun, wenn du mir im Gasthof mein Feuerzeug, meinen Tabak und meine Kerze holen würdest, welche du unter dem Kissen finden wirst.« Der alte Soldat erbat dazu die Erlaubnis vom wachhabenden Sergeanten und stellte sich im Gasthof als Bote La Ramées vor. »Dieser Dummkopf schickt Euch?« sagte der Besitzer, »nehmt seinen Plunder nur, ich will nichts mehr davon wissen!« Als La Ramée hatte, um was er gebeten hatte, schlug er sein Feuerzeug an und entzündete seine Kerze. Allsogleich erschien der Mann aus Eisen und die Fesseln La Ramées fielen ab. »Elender,« schrie La Ramée, »kannst du mich hier im Kerker sitzen lassen?« »Meister,« sagte der Eiserne, »ich wußte nichts davon. Ich konnte es nur vermittelst der Kerze erfahren.« »Nun gut, hilf mir da heraus!«
Der Eisenmann ließ La Ramée aus seinem Gefängnis heraus und gab ihm Gold und Silber, soviel er wollte; dann ließ sich La Ramée auf einen hohen Berg nahe bei der Hauptstadt bringen und befahl dem Mann aus Eisen, dort eine Batterie von zweihundert Kanonen aufzufahren; dann sandte er ihn zum König von England und erklärte diesem den Krieg. Der König ließ hundert Mann gegen ihn marschieren. La Ramées Heer bestand aus fünf Eisenmännern. Der Kampf dauerte nicht lange: alle Leute des Königs wurden getötet außer einem Tambour, der lief davon, dem König Nachricht zu bringen. Darauf forderte La Ramée den König auf, sich zu ergeben, aber dieser antwortete, daß er sich nicht fürchte, und schickte vierhundert Mann gegen ihn, welche gleichfalls getötet wurden.
Mittlerweile sah La Ramée einen Blinden mit seiner Frau vorübergehen; dieser Blinde hatte eine erbärmliche Fiedel, der er jämmerliche Töne entlockte. »Guter Mann,« sagte La Ramée zu ihm, »du hast da eine schöne Geige!« »Lacht nicht über meine Fiedel!« entgegnete der Blinde, »diese Fiedel hat Gewalt über Lebende und Tote.« »Verkaufe sie mir!« sagte La Ramée. »Das kann ich nicht,« sprach der Blinde, »ich erwerbe mein Brot damit!« »Wenn man dir zehntausend Franken gäbe, würdest du dann bereit sein, sie herzugeben?« »Recht gern!« La Ramée zahlte ihm zehntausend Franken und nahm die Fiedel. Darauf schickte er einen Unterhändler zum König, um diesen aufzufordern, seine Tochter herauszubringen und sie ihm zur Frau zu geben, andernfalls würde der Krieg weitergehen. »Als Soldaten hat er zehn Fuß hohe Männer, die acht Fuß lange Schwerter führen«, sagte der Unterhändler. Der König beauftragte diesen, er solle antworten, daß er selber kommen würde, um sich mit La Ramée zu verständigen. Tatsächlich erschien er bald darauf mit seiner Tochter. »Ich gebe Euch zwei Stunden Bedenkzeit,« sagte La Ramée, »wenn Ihr meine Forderungen nicht erfüllt, werde ich die Stadt und das Schloß bombardieren.« Der König dachte einige Zeit nach. »Ich wäre geneigt, Frieden zu schließen,« sagte er endlich, »aber es sind viele tapfere Leute getötet worden.« »Gnädiger Herr,« versetzte La Ramée, »es gibt nichts Einfacheres, als sie wieder zu erwecken.« Er nahm seine Fiedel, und beim ersten Bogenstrich begannen die Soldaten, welche auf dem Boden ausgestreckt lagen, sich zu bewegen. Die einen suchten ihre Arme, die andern ihre Beine und die dritten ihren Kopf. Bei diesem Anblick erklärte sich der König zufriedengestellt und willigte in die Heirat. Als er zu altern begann, erklärte er seinen Rücktritt, und La Ramée wurde an seiner Stelle König von England. Da hat ihm der König von Frankreich seine Desertion und seine anderen Missetaten verzeihen müssen.
Eines Abends, als er einen Wald durchschritt, sah er ein zerfallenes Gemäuer. Da er vor Hunger fast umkam, trat er ein und fand eine alte Frau, die gerade Hanf pochte. Er bat sie um einen Bissen zu essen und um ein Nachtlager. Die Alte trug ihm ein Gericht von Kartoffeln auf und zeigte ihm in einer Ecke einen Haufen Hanfstengel, auf dem er in Ermangelung eines Bettes ruhen könne. Am andern Morgen wollte La Ramée seine Wanderung wieder antreten, da sagte die Alte zu ihm: »Ich weiß etwas, das mein und dein Glück machen kann. An einer gewissen Stelle befindet sich ein Schloß. Den Weg dorthin werde ich dir zeigen. Geh zu diesem Schloß und tritt mutig ein. Im ersten Zimmer liegt Gold und Silber auf einem Tisch, im zweiten liegen Löwen, im dritten Schlangen, im vierten Drachen, im fünften Bären und im sechsten drei Leoparden. Du mußt alle Zimmer schnell und ohne zu erschrecken durchschreiten. Im siebenten Zimmer wirst du einen Mann aus Eisen erblicken, der auf einem Amboß aus Bronze sitzt, und hinter diesem Eisenmann steht eine brennende Kerze. Gehe geradeswegs auf die Kerze los, lösche sie aus und schiebe sie in die Tasche. Du mußt dann den Hof durchqueren, in welchem eine Wache steht; die Soldaten werden dich betrachten, du aber schau dich nicht um, sondern halte die Augen stets zu Boden gerichtet. Vor allem trage Sorge, so zu tun, wie ich dir sage, andernfalls geschieht dir Unheil.« La Ramée schlug den Weg ein, den ihm die Alte angab, und kam alsbald zum Schloß. In der ersten Kammer sah er auf dem Tisch einen Haufen Gold und Silber, in der zweiten lagen Löwen, in der dritten Schlangen, in der vierten Drachen, in der fünften Bären, in der sechsten drei Leoparden, in der siebenten endlich fand er einen Mann aus Eisen, der auf einem Bronzeamboß saß, und hinter diesem Eisenmann sah er eine brennende Kerze. La Ramée ging geradeswegs auf die Kerze los, löschte sie aus und schob sie in die Tasche. Dann durchquerte er, die Augen auf den Boden geheftet, einen großen Hof, in welchem sich eine Wache befand. Als er außerhalb des Schlosses war, fiel es ihm ein, die Kerze anzuzünden. Sogleich erschien der Mann aus Eisen, der der Kerze diente, vor ihm und fragte: »Meister, was wünscht Ihr?« »Gib mir Geld!« antwortete La Ramée, »ich wünsche schon lange, mein Glück zu machen.« Der Mann aus Eisen füllte ihm seinen Sack mit Geld und verschwand.
Dann machte sich La Ramée auf den Weg, um sich in die Residenz des Königs zu begeben. Auf dem Wege sah er plötzlich die alte Hexe vor sich, welche die Kerze von ihm verlangte. Er sagte ihr zuerst, er habe sie verloren, dann hielt er ihr eine gewöhnliche Kerze hin. »Die will ich nicht,« sagte sie, »gib mir geschwind die, um welche ich dich geschickt habe.« Als La Ramée sah, daß sie ihm drohte, warf er sich auf sie und tötete sie.
In der Hauptstadt angekommen, quartierte er sich in einem fürstlichen Gasthof ein, wo er fünfzig Franken pro Tag zahlen mußte. Da er sich nichts abgehen ließ, fand er nach einiger Zeit seinen Sack leer und blieb die Rechnung für zwei oder drei Tage schuldig. Die Besitzerin des Gasthofs verlangte unaufhörlich ihr Geld von ihm und plagte ihn. La Ramée war in höchster Verlegenheit. Nachdem er ein letztes Mal in seinem Sacke gewühlt hatte, ohne einen roten Heller darin zu finden, steckte er die Hand in die Tasche in der Hoffnung, dort einige Geldstücke zu finden; er zog die Kerze daraus hervor. »Ich Esel!« rief er, »wie habe ich nur meine Kerze vergessen können!« Er beeilte sich, sie anzuzünden, und sogleich erschien der Mann aus Eisen vor ihm: »Meister, was wünscht Ihr?« »Wie?« schrie La Ramée, »du Dummkopf, du Schuft, du läßt mich hier sitzen ohne einen Groschen?« »Meister, ich wußte nichts davon, ich konnte es nur vermittelst der Kerze erfahren.« »Nun gut, gib mir Geld!« Der Mann aus Eisen gab ihm noch mehr als das erstemal. Während La Ramée damit beschäftigt war, seine Taler zu zählen und sie auf dem Tisch aufzustapeln, guckte das Zimmermädchen durch das Schlüsselloch und lief hurtig zu ihrer Herrin, um ihr zu sagen, daß das ein reicher Mann sei, den man nicht wie einen Landstreicher behandeln dürfe. Als er zum Bezahlen kam, machte ihm daher die Besitzerin ein freundliches Gesicht.
Zwei bis drei Tage später zündete La Ramée wieder seine Kerze an und der Mann aus Eisen erschien: »Meister, was wünscht Ihr?« »Ich wünsche, daß die Prinzessin, die Tochter des Königs von England, heute nacht in meinem Zimmer sei.« Es geschah, wie er es gewünscht hatte: nachts fand sich die Prinzessin im Zimmer des Gasthofs ein. La Ramée sprach mit ihr vom Heiraten, aber sie wollte ihn nicht einmal anhören. Sie mußte die Nacht in einer Ecke des Zimmers verbringen, und am Morgen befahl La Ramée dem Diener der Kerze, sie ins Schloß zurückzubringen. Die Prinzessin hatte die Gewohnheit, jeden Morgen ihrem Vater einen Kuß zu geben. Der König war sehr erstaunt, als sie an diesem Tage nicht kam. Es schlug sieben, dann acht Uhr und sie erschien immer noch nicht. Endlich kam sie: »Ah!« sagte sie, »mein Vater, welch eine traurige Nacht habe ich verbracht!« Und sie erzählte dem König, was ihr zugestoßen war. Der König fürchtete, daß nochmals Ähnliches passieren könne, und suchte eine Fee auf, die er um Rat fragte. »Wir haben es mit einem Stärkeren zu tun, als ich es bin,« sagte die Fee, »ich weiß nur ein Mittel: gebt der Prinzessin einen Sack mit Kleie und tragt ihr auf, die Kleie in dem Hause, in das sie gebracht wird, auszustreuen. Man wird so das Haus wiedererkennen.«
Indessen hatte La Ramée den Gasthof gewechselt. Eines Tages zündete er die Kerze an und sagte zum Eisenmann: »Ich wünsche, daß die Prinzessin heute nacht in mein Zimmer kommt.« »Meister,« sagte der Mann aus Eisen, »wir sind verraten! Aber ich werde tun, was Ihr mir befehlt.« Nachdem er seinen Auftrag erledigt hatte, nahm er alle Kleie, die er bei den Bäckern vorfand, und streute sie in allen Häusern aus, derart, daß man am andern Morgen nicht mehr wissen konnte, wo die Prinzessin die Nacht verbracht hatte.
Die Fee riet nun dem König, seiner Tochter eine blutgefüllte Blase mitzugeben, die Prinzessin sollte diese Blase in dem Hause, in das sie gebracht würde, öffnen. La Ramée befahl wieder dem Diener der Kerze, ihm die Prinzessin zuzuführen. »Meister,« sagte der Mann aus Eisen »wir sind verraten! Aber ich werde tun, was Ihr mir befehlt.« Er drang in die Stallungen des Königs ein, tötete alle Kriegsrosse und alle Ochsen und verspritzte deren Blut überallhin. Am Morgen waren alle Straßen und alle Häuser mit Blut überschwemmt, so daß der König nichts entdecken konnte.
Er ging von neuem zur Fee, ihren Rat zu erholen. »Ihr müßt Wachen zur Prinzessin legen!« sagte sie. Als es Abend geworden war, zündete La Ramée seine Kerze an. »Meister,« sagte der Mann aus Eisen, »wir sind verraten! Es sind Wachen bei der Prinzessin, ich kann nichts gegen sie ausrichten.« La Ramée wollte selbst hingehen. Die Wachen ergriffen ihn, fesselten ihn und warfen ihn in einen finstern, feuchten Kerker.
Er weinte und klagte gerade nahe am Gitterfenster seines Gefängnisses, als er auf der Straße einen alten französischen Soldaten vorübergehen sah, einen ehemaligen Kameraden von ihm. Er rief ihn an. »Ei,« sagte der Soldat, »bist du nicht La Ramée?« »Ja, der bin ich. Du könntest mir einen großen Gefallen tun, wenn du mir im Gasthof mein Feuerzeug, meinen Tabak und meine Kerze holen würdest, welche du unter dem Kissen finden wirst.« Der alte Soldat erbat dazu die Erlaubnis vom wachhabenden Sergeanten und stellte sich im Gasthof als Bote La Ramées vor. »Dieser Dummkopf schickt Euch?« sagte der Besitzer, »nehmt seinen Plunder nur, ich will nichts mehr davon wissen!« Als La Ramée hatte, um was er gebeten hatte, schlug er sein Feuerzeug an und entzündete seine Kerze. Allsogleich erschien der Mann aus Eisen und die Fesseln La Ramées fielen ab. »Elender,« schrie La Ramée, »kannst du mich hier im Kerker sitzen lassen?« »Meister,« sagte der Eiserne, »ich wußte nichts davon. Ich konnte es nur vermittelst der Kerze erfahren.« »Nun gut, hilf mir da heraus!«
Der Eisenmann ließ La Ramée aus seinem Gefängnis heraus und gab ihm Gold und Silber, soviel er wollte; dann ließ sich La Ramée auf einen hohen Berg nahe bei der Hauptstadt bringen und befahl dem Mann aus Eisen, dort eine Batterie von zweihundert Kanonen aufzufahren; dann sandte er ihn zum König von England und erklärte diesem den Krieg. Der König ließ hundert Mann gegen ihn marschieren. La Ramées Heer bestand aus fünf Eisenmännern. Der Kampf dauerte nicht lange: alle Leute des Königs wurden getötet außer einem Tambour, der lief davon, dem König Nachricht zu bringen. Darauf forderte La Ramée den König auf, sich zu ergeben, aber dieser antwortete, daß er sich nicht fürchte, und schickte vierhundert Mann gegen ihn, welche gleichfalls getötet wurden.
Mittlerweile sah La Ramée einen Blinden mit seiner Frau vorübergehen; dieser Blinde hatte eine erbärmliche Fiedel, der er jämmerliche Töne entlockte. »Guter Mann,« sagte La Ramée zu ihm, »du hast da eine schöne Geige!« »Lacht nicht über meine Fiedel!« entgegnete der Blinde, »diese Fiedel hat Gewalt über Lebende und Tote.« »Verkaufe sie mir!« sagte La Ramée. »Das kann ich nicht,« sprach der Blinde, »ich erwerbe mein Brot damit!« »Wenn man dir zehntausend Franken gäbe, würdest du dann bereit sein, sie herzugeben?« »Recht gern!« La Ramée zahlte ihm zehntausend Franken und nahm die Fiedel. Darauf schickte er einen Unterhändler zum König, um diesen aufzufordern, seine Tochter herauszubringen und sie ihm zur Frau zu geben, andernfalls würde der Krieg weitergehen. »Als Soldaten hat er zehn Fuß hohe Männer, die acht Fuß lange Schwerter führen«, sagte der Unterhändler. Der König beauftragte diesen, er solle antworten, daß er selber kommen würde, um sich mit La Ramée zu verständigen. Tatsächlich erschien er bald darauf mit seiner Tochter. »Ich gebe Euch zwei Stunden Bedenkzeit,« sagte La Ramée, »wenn Ihr meine Forderungen nicht erfüllt, werde ich die Stadt und das Schloß bombardieren.« Der König dachte einige Zeit nach. »Ich wäre geneigt, Frieden zu schließen,« sagte er endlich, »aber es sind viele tapfere Leute getötet worden.« »Gnädiger Herr,« versetzte La Ramée, »es gibt nichts Einfacheres, als sie wieder zu erwecken.« Er nahm seine Fiedel, und beim ersten Bogenstrich begannen die Soldaten, welche auf dem Boden ausgestreckt lagen, sich zu bewegen. Die einen suchten ihre Arme, die andern ihre Beine und die dritten ihren Kopf. Bei diesem Anblick erklärte sich der König zufriedengestellt und willigte in die Heirat. Als er zu altern begann, erklärte er seinen Rücktritt, und La Ramée wurde an seiner Stelle König von England. Da hat ihm der König von Frankreich seine Desertion und seine anderen Missetaten verzeihen müssen.
[Ernst Tegethoff: Französische Volksmärchen]