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Es lebte einst ein Mann, welcher zwei Kinder hatte: einen Knaben und ein Mädchen mit Namen Efflam und Henori. Eines Tages sagte der Vater zu Efflam: »Du bist nun erwachsen, mein Sohn, und solltest imstande sein, dir dein Brot selber zu verdienen. Wie wäre es, wenn du nach Paris gingest, dein Glück zu machen?« »Gut, Vater, ich werde nach Paris gehen, mein Glück zu machen,« erwiderte Efflam. Und wirklich machte er sich am anderen Morgen auf den Weg nach Paris. Er wanderte und wanderte und setzte immer einen Fuß vor den andern. Eines Tages überraschte ihn die Nacht, als er gerade einen Wald durchschritt. Er stieg auf einen Baum, um geschützt vor den wilden Tieren den Tag zu erwarten. Alsbald erschienen drei mit Beute beladene Räuber unter dem Baume. Sie hoben einen großen Stein auf und legten ihre Beute in eine Höhle, deren Eingang der Stein verdeckte. Dann ließen sie sich unter dem Baume nieder, aßen und tranken und redeten dabei von ihren Abenteuern. Efflam spitzte die Ohren und vernahm folgendes: »Ich«, sagte einer der Räuber, »habe einen Wundermantel, welcher mich durch die Luft trägt, wohin es mir gefällt.« »Ich«, sagte der andere, »besitze einen Hut, der mich unsichtbar macht, und wenn ich ihn auf dem Kopfe trage, kann ich überall hingehen, ohne von jemandem gesehen zu werden.« »Und ich«, sagte der dritte, »habe Gamaschen, mit denen ich so schnell wie der Wind gehen kann, wenn ich sie anlege.« »Wenn ich den Mantel, den Hut und die Gamaschen oder doch eines dieser drei Dinge haben könnte,« sagte Efflam bei sich, »so wäre ich ein gemachter Mann! Aber wie soll ich es anstellen, sie zu bekommen?« Er grübelte nach und kam auf diesen Gedanken: er wollte an den belaubten Ästen herabgleiten und sich mitten unter die Räuber fallen lassen, dabei wollte er »Diebe!« rufen, um sie glauben zu machen, der Teufel oder die Gendarmen seien ihnen auf den Hacken. So tat er, und die drei Räuber flohen, von Entsetzen ergriffen, so schnell sie konnten, indem sie an Ort und Stelle den Mantel, den Hut und die Gamaschen zurückließen. Efflam bemächtigte sich der drei Talismane und, nachdem er die Gamaschen angelegt hatte, war er im Nu in Paris.
Wie er durch die Straßen spazierte und die schönen Dinge, die er allenthalben erblickte, über die Maßen bewunderte, da bemerkte er einen Goldschmiedladen, der ihn noch schöner und reicher dünkte als alle die andern, und er geriet in Versuchung, einige wertvolle Gegenstände daraus zu entwenden. Er setzte seinen Hut auf, drang ohne bemerkt zu werden in den Laden und nahm alles, was ihm gefiel. Darauf verkaufte er die Kleinodien, mit denen er sich auf diese Weise versehen hatte, in einem andern Laden, um Geld zu bekommen. Zufällig begegnete er einem Soldaten aus seiner Heimat, mit dem er einige Tage lang ein vergnügtes Leben führte. Als das Geld ausgegangen war, geriet Efflam in keine allzugroße Verlegenheit, denn er wußte, wie er sich neues verschaffen könne.
Eines Tages entdeckte er auf einem Platz einen Händler, der irdene Geschirre verkaufte und sein Geld, wie er es einnahm, in einen neben ihm stehenden Holzkasten legte. »Ich muß ihm seinen Kasten wegnehmen«, sprach Efflam bei sich. Er setzte also seinen Zauberhut auf, entwendete den Kasten mit Leichtigkeit, brach ihn auf, nachdem er ihn beiseite geschafft hatte, und nahm das Geld, welches sich darin vorfand, heraus. Dann führte er wieder, solange das Geld anhielt, ein lustiges Leben.
An einem andern Tage, da er auf einem freien Platze der Stadt spazierenging, hörte er drei Männer miteinander vom Schatze des Königs reden. Sie sagten, der König sei schlecht beraten, daß er Wachtposten an den Turm, der den Schatz enthalte, aufstelle, denn man könne weder Türen noch Fenster in dem Turm wahrnehmen, und die Mauern seien so dick und fest, daß es unmöglich sei, nur die geringste Öffnung hineinzubringen. »Das ist sehr gut!« sagte Efflam zu sich selber, »nun weiß ich doch, wo der Schatz des Königs liegt!« Dann wandte er sich an die drei Männer: »Ihr glaubt also, daß es unmöglich sei, den Schatz des Königs zu stehlen?« »Ja«, erwiderten sie. »Gut, ich glaube es nicht.« Mit diesen Worten ging er weiter. Als es Nacht geworden war, begab er sich zu dem Turme, breitete seinen Zaubermantel auf den Boden aus, auf dem er sich niederließ, setzte sodann seinen Hut auf und sprach: »Mantel, tu deine Pflicht und trage mich unverzüglich in die Schatzkammer des Königs!« Dies geschah augenblicklich, ohne daß die Wächter noch sonst jemand irgend etwas bemerkten. Ebenso kam er wieder heraus, die Taschen gefüllt mit Gold und Silber, das er heimtrug. Das nämliche Geschäft betrieb er die nächste, die übernächste und jede folgende Nacht und stets mit dem gleichen Erfolg. Auf diese Art plötzlich zu Reichtum gelangt, kaufte er sich ein Schloß und berief seinen Vater und seine Schwester zu sich.
Am Tage, da sie ankommen sollten, fuhr er ihnen zweispännig in einem schönen Wagen entgegen. Als er ungefähr eine Meile von der Stadt entfernt war, gewahrte er, wie sein Vater und seine Schwester zu Fuß und schlecht gekleidet auf der Landstraße daherkamen. Er befahl seinem Kutscher mit einem Pferde heimzureiten und ihm eine Büchse zu holen, welche er auf dem Tische in seiner Kammer habe stehen lassen und welche er benötige; er selbst wolle in einem nahen Hause warten. Der Kutscher spannte eines der Pferde aus und ritt davon. Efflam ließ darauf seinen Vater und seine Schwester in ein an der Straße liegendes Haus treten, hieß sie ihre Kleider mit reichen Gewändern vertauschen, die er in seinem Wagen mitgebracht hatte, und gab jedem eine Börse voll Geld, damit der Kutscher, wenn er zurückkehre, sie nicht für arme Bauern halte, die sie in Wirklichkeit waren. Der Kutscher kam wieder und sprach zu seinem Herrn: »Ich habe die Büchse nicht in Eurer Kammer gefunden.« »Ach nein, ich hatte sie bei mir im Wagen und wußte es nicht.« Darauf fuhren sie in die Stadt.
Eines Tages fragte der Vater seinen Sohn, wie er es angestellt habe, daß er so reich geworden sei, und Efflam gestand ihm, daß er den Schatz des Königs zu bestehlen pflege. »Wenn es dir recht ist,« sagte der Alte zu ihm, »so werde ich mit dir gehen. Zu zweit können wir einen viel größeren Beitrag heimbringen.« »Das ist mir sehr recht«, entgegnete Efflam. Als es dunkel geworden war, legten sie sich alle beide auf den Mantel, bargen ihre Köpfe unter dem Hut und wurden in die Schatzkammer getragen; dann kehrten sie auf die nämliche Art wieder zurück, beide mit einer Ladung Geld. Indessen bemerkte der König, daß man seine Schatzkammer bestehle, und war sehr erstaunt darüber, denn er vertraute niemals einem Menschen den Schlüssel an, und überdies war nirgends eine Spur von einem Einbruch wahrzunehmen. Er ließ also rings um die Gefäße, welche das Silber und Gold enthielten, Fallen stellen, um darin den Dieb zu fangen. Und wirklich wurde der Vater in der folgenden Nacht darin gefangen. Als er sah, daß er nicht entkommen konnte, sagte er, um wenigstens seinen Sohn zu retten, zu diesem: »Haue mir den Kopf ab und trag ihn samt meinen Kleidern hinaus, damit man uns nicht erkennt!« Efflam folgte dem Rat des Vaters, er trennte ihm den Kopf ab und trug ihn heim, um ihn in seinem Garten zu begraben. Als der König am nächsten Morgen in die Schatzkammer trat, jauchzte er vor Freude auf angesichts des leblosen Körpers. »Ah! Endlich ist der Dieb gefangen! Laß sehen, wer es ist!« Aber weder er noch irgend jemand konnte die kopflose Leiche erkennen, und er geriet in größere Verlegenheit als je, denn es war klar, daß der Dieb noch Helfer haben müsse.
Er ließ nun in der ganzen Stadt ausrufen, daß der Dieb endlich gefangen sei und daß man seine Leiche auf einem Schinderkarren durch alle Straßen aller Stadtviertel schleifen würde. So geschah es in der Tat; und vier Soldaten, zwei vorn und zwei hinten, begleiteten die Leiche mit dem Befehl, genau darauf zu achten, ob jemand, wenn sie vorüberkämen, weinte oder jammerte oder sich sonstwie untröstlich gebärde.
Efflam ließ seinen Wagen frühzeitig anspannen und sagte vor der Abreise zu seinen Hausgenossen und Nachbarn, er wolle seinen Vater in seine Heimat zurückbringen, nach der ihn verlange. Dies sagte er, um das Verschwinden des Alten zu erklären. Als er ungefähr eine Meile von der Stadt entfernt war, befahl er wiederum seinem Kutscher, eines der Pferde auszuspannen und damit eilends in die Stadt zurückzukehren, um seines Vaters Börse zu holen, welche dieser bei der Abreise vergessen habe. Der Kutscher spannte das eine Pferd aus und ritt davon. Kurz darauf sah Efflam auf der Landstraße einen Kurier daherkommen, welcher Briefe trug; diesen fragte er, ob er nicht müde sei? »Noch nicht,« versetzte jener, »aber vor meinem Ziele werde ich es noch werden, denn ich habe einen weiten Weg zurückzulegen.« »Wenn du willst, werde ich dir meinen Wagen und mein Pferd geben.« »Spottet meiner nicht, Herr!« »Ich spotte nicht, und zum Beweis: hier, nimm beides!« Efflam verließ seinen Wagen, ließ den Kurier fast mit Gewalt einsteigen und schlug dann seelenruhig zu Fuß wieder den Weg nach der Stadt ein. Er begegnete seinem Kutscher, welcher zurückkam, und sagte zu ihm: »Ich habe dich wieder einen vergeblichen Gang tun lassen; mein Vater hatte seine Börse in der Tasche und wußte es nicht, bei seinem Alter wird das Gedächtnis schwach. Ich habe ihm meinen Wagen und mein Pferd gegeben, um damit in seine Heimat zurückzureisen; ich selbst muß schleunigst zurück, denn es ist mir beizeiten eingefallen, daß ich heute zu Hause sein muß.« Und er bestieg das Pferd, das der Kutscher mitbrachte, und ritt im Galopp davon.
Bei der Heimkehr eröffnete er seiner Schwester alles und empfahl ihr dringend, nicht zu weinen, zu klagen oder traurig zu erscheinen, noch auch sich zu verbergen, wenn die verstümmelte Leiche ihres Vaters auf einem Schinderkarren vorbeigeschafft werden würde, und er erklärte ihr, wenn sie das geringste Zeichen von Schmerz äußern würde, so wären er und sie selber verloren. Bald hörte man die Volksmenge schreien: »Da ist der, welcher die Schatzkammer des Königs bestahl!« Jedermann lief auf die Türschwelle der Häuser, und eine gewaltige Menge folgte der Leiche ohne Kopf, aber niemand wußte zu sagen, wer es sei. Als der Zug vor Efflams Hause vorüberkam, stand dieser gleichfalls neben seiner Schwester auf der Türschwelle. Aber Henori konnte den Anblick nicht ertragen, sie stieß einen Schrei aus und zog sich in das Haus zurück. Efflam folgte ihr und brachte ihr mit einem Dolch eine Wunde an der Hand bei. Sogleich erschienen zwei Soldaten und sprachen: »Wir haben in diesem Hause Wehrufe gehört.« »Ja,« sagte Efflam zu ihnen, »das war meine Schwester, welche schreit, weil sie sich an meinem Dolch verletzt hat. Seht, wie sie blutet!« Und in der Tat blutete das junge Mädchen und schrie dabei unaufhörlich. Daraufhin zogen sich die Soldaten zurück.
Die List hatte dem König nichts genutzt und er besann sich auf etwas anderes. Er ließ die Leiche des Diebes an einen Nagel hängen, der in die Mauer seines Schlosses eingerammt war, und in der Nachbarschaft Posten auf die Lauer legen, denn er war überzeugt, daß in der nächsten Nacht die Verwandten oder Freunde des Diebes versuchen würden, die Leiche zu holen. Als Efflam dies sah, verkleidete er sich als Weinhändler, belud einen Esel mit Schläuchen, die mit einem mit Betäubungsmitteln untermischten Weine gefüllt waren, und ging damit in Begleitung seiner Schwester an der Schloßmauer vorüber, an welcher die Leiche seines Vaters hing. Durch einen Stoß seiner Schultern ließ er die Schläuche herabfallen, von denen einer, der eigens dazu hergerichtet war, sich entkorkte. Seine Schwester und er begannen zu schreien und um Hilfe zu rufen. Die Wächter eilten herbei, halfen ihnen die Schläuche wieder auf den Esel laden und erhielten zum Dank den, der beim Herabfallen sich geöffnet hatte, aber trotzdem noch über die Hälfte voll war. Darauf setzten Efflam und seine Schwester ihren Weg fort. Aber ungefähr eine Stunde später kehrten sie zurück und fanden die Wächter auf dem Boden ausgestreckt in tiefem todesähnlichen Schlaf. »Sehr gut«, sagten sie. Darauf begaben sie sich in ein benachbartes Mönchskloster unter dem Vorwand, sie wollten ihren trefflichen Wein zu billigem Preis verkaufen. Mit Hilfe ihres Weines schläferten sie die Mönche vom Abt bis zum Pförtner ein und benutzten die Zeit, um ihren Vater auf dem Klosterfriedhof in geweihter Erde zu bestatten. Dann vertauschten sie die Kleider der Mönche mit denen der Soldaten, so daß die Mönche als Soldaten und die Soldaten als Mönche ausstaffiert waren. Am andern Morgen, als es Zeit war, die Frühmesse zu singen, schleppten sich die Mönche noch halb im Schlaf und mit noch halb geschlossenen Augen in die Kapelle. Der erste von ihnen, der die eigenartige Mummerei des Abtes gewahrte, war zunächst starr vor Staunen. Er rieb sich die Augen und glaubte, er sehe nicht recht. Aber da er trotzdem einen Soldaten statt eines Mönches vor sich sah, stieß er seinen Nachbarn mit dem Ellenbogen an und sprach zu ihm: »Schau doch unsern Abt an, wie er gemustert ist! Was soll das heißen?« Großes Erstaunen des andern seinerseits. Aber als sie ihre Blicke auf die Nachbarn rechts und links vom Abte gleiten ließen, sahen sie, daß diese nicht minder als Soldaten verkleidet waren, und ebenso die ganze Reihe der Mönche, welche ihnen auf der andern Seite des Chores gegenüberstand. Darauf betrachteten sie sich selbst und erkannten, daß sie alle wie Soldaten angezogen waren. Was soll das heißen? Das ist zweifellos ein Streich des bösen Feindes! Die Gesänge und Gebete verstummten und man versuchte, diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Als indessen der Hauptmann am Morgen kam, um die mit der Bewachung der Diebsleiche beauftragten Soldaten zu besuchen, war er gleichfalls sehr erstaunt, sie in tiefem Schlaf und als Mönche vermummt vorzufinden. Was aber das ärgste war: die Leiche des Diebes war verschwunden. Er geriet in großen Zorn, fluchte, tobte und weckte die Soldaten mit Fußtritten. Das Gerücht verbreitete sich schnell in der Stadt, daß die Leiche des Schatzräubers verschwunden sei und daß die mit ihrer Bewachung betrauten Soldaten am Morgen sinnlos berauscht und als Mönche verkleidet vorgefunden wären, während die Mönche des benachbarten Klosters, ebenso betrunken, die Waffenröcke der Soldaten trügen. Dies wäre unfehlbar ein neuer Streich des Schatzdiebes. Das machte Aufsehen in der Stadt und wurde viel belacht. »Ich bin wieder genarrt,« sagte der König, als er alles, was sich ereignet hatte, erfuhr, »ich muß gestehen, daß das ein sehr geschickter Dieb ist; aber gleichviel, ich will wissen, wieweit seine Geschicklichkeit geht, denn ich hoffe sehr, noch einen Mangel bei ihm zu finden.«
Er ließ nun in der ganzen Stadt ausrufen, daß er am nächsten Tage auf einem öffentlichen Platze vor seinem Schloß eine schöne weiße Ziege zur Schau stellen werde, die ihm gehöre und die er sehr liebe. Gelänge es dem Diebe, sie zu stehlen, so solle sie ihm gehören. »Gut,« sagte Efflam bei sich, als er den Ausrufer hörte, »die weiße Ziege des Königs wird mir gehören, ehe morgen die Sonne untergeht.« In der Tat wurde am folgenden Morgen die weiße Ziege auf dem Platz vor dem königlichen Schloß zur Schau gestellt, und es sammelte sich dort eine beträchtliche Menge, die neugierig war zu erfahren, wie der Dieb trotz der bewachenden Soldaten zum Ziele gelangen würde. Der König selbst stand mit der Königstochter auf dem Balkon, umgeben von Prinzen, Generälen und Herren des Hofes. Efflam setzte nun seinen Zauberhut auf und entwendete die Ziege so leicht wie nur irgend möglich, ohne daß jemand etwas davon sah oder begriff. »Ich bin wieder genarrt«, rief der König ärgerlich, als er bemerkte, daß die Ziege verschwunden sei. »Aber wer ist dieser Mann? Er muß ein großer Zauberer sein, denn hinter alledem muß Zauberei stecken. Gleichviel! Ich halte mich noch nicht für besiegt und will wissen, wieweit das geht.«
Efflam hatte die Ziege des Königs getötet, sobald er heimgekehrt war, und hatte seiner Schwester befohlen, sie zu ihrem Mahle herzurichten; dabei gebot er ihr, das Kochen in aller Heimlichkeit vorzunehmen und auch nicht das kleinste Stück einem Bettler oder sonst jemandem zu geben. Indessen dachte der König darauf, die Geschicklichkeit und Schlauheit seines Diebes einer neuen Probe zu unterziehen. Er ließ einen blinden Bettler kommen und befahl ihm, an den Türen aller Häuser der Stadt um Almosen zu bitten, besonders aber überall um ein wenig Fleisch, das er gleich nach Empfang verkosten müsse. Gäbe man ihm irgendwo Ziegenfleisch, so solle er mit einem Stück weißer Kreide ein Kreuz an die Tür des Hauses machen, in dem er es erhalten habe, und sogleich kommen, um ihn zu benachrichtigen. Aber Efflam hatte das weiße Kreuz auf seiner Türe bemerkt und fragte seine Schwester, ob sie ihm in irgend etwas ungehorsam gewesen sei. Henori sagte, sie habe allerdings den Rest ihrer letzten Mahlzeit einem alten Bettler gegeben, der wegen seiner Blindheit ihr Mitleid erweckt habe. Efflam sprach weiter kein Wort, sondern versah sich mit einem Stück Kreide und beeilte sich, durch die ganze Stadt zu laufen und auf jede Tür ein Kreuz zu zeichnen. Die Soldaten machten vor der ersten Tür, auf der sie ein Kreuz bemerkten, halt und sagten: »Hier ist es.« Sie traten in das Haus und fanden zwei alte Leute, Mann und Frau, die sie aufforderten, ihnen in das Schloß des Königs zu folgen. »Was will der König von uns?« fragten sie höchst erstaunt. »Ihr habt seinen Schatz und seine Ziege gestohlen!« »Wie sollten wir das angefangen haben,« riefen sie voller Schreck, »alt und hilflos wie wir sind? Seit mehr als sechs Monaten haben wir keinen Fuß mehr aus dem Hause gesetzt.« Die Soldaten sahen, daß sie alt und hilflos waren, sie schauten einander an und sprachen: »Es ist klar, daß diese es nicht sind. Laßt uns sehen, ob wir kein Kreuz an einer anderen Tür finden!« Und sie gingen weiter und bemerkten zu ihrer Überraschung, daß die Türen aller Häuser des Viertels ähnliche Kreuze aufwiesen; dies meldeten sie dem König. »Was für ein Mann ist dieser Dieb!« rief der König, und er grübelte über ein anderes Mittel nach, ihn zu überführen.
Am nächsten Morgen ließ er ausrufen, daß er seine Königskrone auf dem öffentlichen Platz vor seinem Schloß zur Schau stellen wolle, und sie solle dem gehören, der sie, ohne sich dabei erwischen zu lassen, entwenden könne. Efflam hörte dies und sprach zu sich selber: »Die Krone wird mein sein ebenso wie die Ziege.« Die Königskrone wurde also am bezeichneten Ort und zur angegebenen Stunde zur Schau gestellt. Eine ansehnliche Menge war auf dem Platz versammelt, welche begierig war zu sehen, ob es dem Diebe gelingen werde, auch noch die Krone zu stehlen. Der König und sein Hofstaat standen auf dem Balkon des Schlosses und zahlreiche Soldaten hielten mit gezogenem Degen rings um das Sammetkissen, auf welchem die Krone ruhte, Wache. Aber alle diese Vorbereitungen nutzten nicht das geringste, denn Efflam setzte seinen Zauberhut auf und entwendete die Königskrone mit derselben Leichtigkeit, mit der er die Ziege genommen hatte.
Der alte Monarch war überzeugt, daß er es mit dem schlausten aller Diebe seines Königreiches zu tun habe, und überdies mit einem großen Zauberer, und er begriff, daß es umsonst sei, sich weiterhin mit ihm zu messen. Er dachte daher, es sei das beste, was er tun könne, wenn er ihn zu gewinnen und an sich zu fesseln trachtete, anstatt ihn zu verfolgen.
Er ließ also verkünden, daß er am nächsten Tage seine einzige Tochter an demselben Orte zur Schau stellen werde, an welchem er die weiße Ziege und die Königskrone ausgestellt hätte, und wenn es dem Dieb wieder gelingen würde, sie zu entführen, so wolle er sie ihm zur Frau geben. Er war freilich überzeugt, daß der Dieb diese letzte Probe ebenso leicht bestehen werde wie alle früheren. Und in der Tat entführte Efflam die Prinzessin auf die nämliche Weise und brachte sie in sein Haus, ohne daß jemand wußte, was aus ihr geworden sei. Als der König in sein Schloß zurückgekehrt war, begab sich Efflam in Begleitung der Prinzessin dorthin und erinnerte den alten Monarchen an sein Versprechen. Dieser zögerte nicht, sein Wort zu halten, und die Hochzeit Efflams mit der Prinzessin wurde mit großem Prunk gefeiert. Mehr noch: der König, welcher Witwer war, nahm selbst Henori zur Frau, die Schwester seines Schwiegersohnes, und einen ganzen Monat lang gab es nichts als große Feierlichkeiten, Spiele und Festmähler.
Wie er durch die Straßen spazierte und die schönen Dinge, die er allenthalben erblickte, über die Maßen bewunderte, da bemerkte er einen Goldschmiedladen, der ihn noch schöner und reicher dünkte als alle die andern, und er geriet in Versuchung, einige wertvolle Gegenstände daraus zu entwenden. Er setzte seinen Hut auf, drang ohne bemerkt zu werden in den Laden und nahm alles, was ihm gefiel. Darauf verkaufte er die Kleinodien, mit denen er sich auf diese Weise versehen hatte, in einem andern Laden, um Geld zu bekommen. Zufällig begegnete er einem Soldaten aus seiner Heimat, mit dem er einige Tage lang ein vergnügtes Leben führte. Als das Geld ausgegangen war, geriet Efflam in keine allzugroße Verlegenheit, denn er wußte, wie er sich neues verschaffen könne.
Eines Tages entdeckte er auf einem Platz einen Händler, der irdene Geschirre verkaufte und sein Geld, wie er es einnahm, in einen neben ihm stehenden Holzkasten legte. »Ich muß ihm seinen Kasten wegnehmen«, sprach Efflam bei sich. Er setzte also seinen Zauberhut auf, entwendete den Kasten mit Leichtigkeit, brach ihn auf, nachdem er ihn beiseite geschafft hatte, und nahm das Geld, welches sich darin vorfand, heraus. Dann führte er wieder, solange das Geld anhielt, ein lustiges Leben.
An einem andern Tage, da er auf einem freien Platze der Stadt spazierenging, hörte er drei Männer miteinander vom Schatze des Königs reden. Sie sagten, der König sei schlecht beraten, daß er Wachtposten an den Turm, der den Schatz enthalte, aufstelle, denn man könne weder Türen noch Fenster in dem Turm wahrnehmen, und die Mauern seien so dick und fest, daß es unmöglich sei, nur die geringste Öffnung hineinzubringen. »Das ist sehr gut!« sagte Efflam zu sich selber, »nun weiß ich doch, wo der Schatz des Königs liegt!« Dann wandte er sich an die drei Männer: »Ihr glaubt also, daß es unmöglich sei, den Schatz des Königs zu stehlen?« »Ja«, erwiderten sie. »Gut, ich glaube es nicht.« Mit diesen Worten ging er weiter. Als es Nacht geworden war, begab er sich zu dem Turme, breitete seinen Zaubermantel auf den Boden aus, auf dem er sich niederließ, setzte sodann seinen Hut auf und sprach: »Mantel, tu deine Pflicht und trage mich unverzüglich in die Schatzkammer des Königs!« Dies geschah augenblicklich, ohne daß die Wächter noch sonst jemand irgend etwas bemerkten. Ebenso kam er wieder heraus, die Taschen gefüllt mit Gold und Silber, das er heimtrug. Das nämliche Geschäft betrieb er die nächste, die übernächste und jede folgende Nacht und stets mit dem gleichen Erfolg. Auf diese Art plötzlich zu Reichtum gelangt, kaufte er sich ein Schloß und berief seinen Vater und seine Schwester zu sich.
Am Tage, da sie ankommen sollten, fuhr er ihnen zweispännig in einem schönen Wagen entgegen. Als er ungefähr eine Meile von der Stadt entfernt war, gewahrte er, wie sein Vater und seine Schwester zu Fuß und schlecht gekleidet auf der Landstraße daherkamen. Er befahl seinem Kutscher mit einem Pferde heimzureiten und ihm eine Büchse zu holen, welche er auf dem Tische in seiner Kammer habe stehen lassen und welche er benötige; er selbst wolle in einem nahen Hause warten. Der Kutscher spannte eines der Pferde aus und ritt davon. Efflam ließ darauf seinen Vater und seine Schwester in ein an der Straße liegendes Haus treten, hieß sie ihre Kleider mit reichen Gewändern vertauschen, die er in seinem Wagen mitgebracht hatte, und gab jedem eine Börse voll Geld, damit der Kutscher, wenn er zurückkehre, sie nicht für arme Bauern halte, die sie in Wirklichkeit waren. Der Kutscher kam wieder und sprach zu seinem Herrn: »Ich habe die Büchse nicht in Eurer Kammer gefunden.« »Ach nein, ich hatte sie bei mir im Wagen und wußte es nicht.« Darauf fuhren sie in die Stadt.
Eines Tages fragte der Vater seinen Sohn, wie er es angestellt habe, daß er so reich geworden sei, und Efflam gestand ihm, daß er den Schatz des Königs zu bestehlen pflege. »Wenn es dir recht ist,« sagte der Alte zu ihm, »so werde ich mit dir gehen. Zu zweit können wir einen viel größeren Beitrag heimbringen.« »Das ist mir sehr recht«, entgegnete Efflam. Als es dunkel geworden war, legten sie sich alle beide auf den Mantel, bargen ihre Köpfe unter dem Hut und wurden in die Schatzkammer getragen; dann kehrten sie auf die nämliche Art wieder zurück, beide mit einer Ladung Geld. Indessen bemerkte der König, daß man seine Schatzkammer bestehle, und war sehr erstaunt darüber, denn er vertraute niemals einem Menschen den Schlüssel an, und überdies war nirgends eine Spur von einem Einbruch wahrzunehmen. Er ließ also rings um die Gefäße, welche das Silber und Gold enthielten, Fallen stellen, um darin den Dieb zu fangen. Und wirklich wurde der Vater in der folgenden Nacht darin gefangen. Als er sah, daß er nicht entkommen konnte, sagte er, um wenigstens seinen Sohn zu retten, zu diesem: »Haue mir den Kopf ab und trag ihn samt meinen Kleidern hinaus, damit man uns nicht erkennt!« Efflam folgte dem Rat des Vaters, er trennte ihm den Kopf ab und trug ihn heim, um ihn in seinem Garten zu begraben. Als der König am nächsten Morgen in die Schatzkammer trat, jauchzte er vor Freude auf angesichts des leblosen Körpers. »Ah! Endlich ist der Dieb gefangen! Laß sehen, wer es ist!« Aber weder er noch irgend jemand konnte die kopflose Leiche erkennen, und er geriet in größere Verlegenheit als je, denn es war klar, daß der Dieb noch Helfer haben müsse.
Er ließ nun in der ganzen Stadt ausrufen, daß der Dieb endlich gefangen sei und daß man seine Leiche auf einem Schinderkarren durch alle Straßen aller Stadtviertel schleifen würde. So geschah es in der Tat; und vier Soldaten, zwei vorn und zwei hinten, begleiteten die Leiche mit dem Befehl, genau darauf zu achten, ob jemand, wenn sie vorüberkämen, weinte oder jammerte oder sich sonstwie untröstlich gebärde.
Efflam ließ seinen Wagen frühzeitig anspannen und sagte vor der Abreise zu seinen Hausgenossen und Nachbarn, er wolle seinen Vater in seine Heimat zurückbringen, nach der ihn verlange. Dies sagte er, um das Verschwinden des Alten zu erklären. Als er ungefähr eine Meile von der Stadt entfernt war, befahl er wiederum seinem Kutscher, eines der Pferde auszuspannen und damit eilends in die Stadt zurückzukehren, um seines Vaters Börse zu holen, welche dieser bei der Abreise vergessen habe. Der Kutscher spannte das eine Pferd aus und ritt davon. Kurz darauf sah Efflam auf der Landstraße einen Kurier daherkommen, welcher Briefe trug; diesen fragte er, ob er nicht müde sei? »Noch nicht,« versetzte jener, »aber vor meinem Ziele werde ich es noch werden, denn ich habe einen weiten Weg zurückzulegen.« »Wenn du willst, werde ich dir meinen Wagen und mein Pferd geben.« »Spottet meiner nicht, Herr!« »Ich spotte nicht, und zum Beweis: hier, nimm beides!« Efflam verließ seinen Wagen, ließ den Kurier fast mit Gewalt einsteigen und schlug dann seelenruhig zu Fuß wieder den Weg nach der Stadt ein. Er begegnete seinem Kutscher, welcher zurückkam, und sagte zu ihm: »Ich habe dich wieder einen vergeblichen Gang tun lassen; mein Vater hatte seine Börse in der Tasche und wußte es nicht, bei seinem Alter wird das Gedächtnis schwach. Ich habe ihm meinen Wagen und mein Pferd gegeben, um damit in seine Heimat zurückzureisen; ich selbst muß schleunigst zurück, denn es ist mir beizeiten eingefallen, daß ich heute zu Hause sein muß.« Und er bestieg das Pferd, das der Kutscher mitbrachte, und ritt im Galopp davon.
Bei der Heimkehr eröffnete er seiner Schwester alles und empfahl ihr dringend, nicht zu weinen, zu klagen oder traurig zu erscheinen, noch auch sich zu verbergen, wenn die verstümmelte Leiche ihres Vaters auf einem Schinderkarren vorbeigeschafft werden würde, und er erklärte ihr, wenn sie das geringste Zeichen von Schmerz äußern würde, so wären er und sie selber verloren. Bald hörte man die Volksmenge schreien: »Da ist der, welcher die Schatzkammer des Königs bestahl!« Jedermann lief auf die Türschwelle der Häuser, und eine gewaltige Menge folgte der Leiche ohne Kopf, aber niemand wußte zu sagen, wer es sei. Als der Zug vor Efflams Hause vorüberkam, stand dieser gleichfalls neben seiner Schwester auf der Türschwelle. Aber Henori konnte den Anblick nicht ertragen, sie stieß einen Schrei aus und zog sich in das Haus zurück. Efflam folgte ihr und brachte ihr mit einem Dolch eine Wunde an der Hand bei. Sogleich erschienen zwei Soldaten und sprachen: »Wir haben in diesem Hause Wehrufe gehört.« »Ja,« sagte Efflam zu ihnen, »das war meine Schwester, welche schreit, weil sie sich an meinem Dolch verletzt hat. Seht, wie sie blutet!« Und in der Tat blutete das junge Mädchen und schrie dabei unaufhörlich. Daraufhin zogen sich die Soldaten zurück.
Die List hatte dem König nichts genutzt und er besann sich auf etwas anderes. Er ließ die Leiche des Diebes an einen Nagel hängen, der in die Mauer seines Schlosses eingerammt war, und in der Nachbarschaft Posten auf die Lauer legen, denn er war überzeugt, daß in der nächsten Nacht die Verwandten oder Freunde des Diebes versuchen würden, die Leiche zu holen. Als Efflam dies sah, verkleidete er sich als Weinhändler, belud einen Esel mit Schläuchen, die mit einem mit Betäubungsmitteln untermischten Weine gefüllt waren, und ging damit in Begleitung seiner Schwester an der Schloßmauer vorüber, an welcher die Leiche seines Vaters hing. Durch einen Stoß seiner Schultern ließ er die Schläuche herabfallen, von denen einer, der eigens dazu hergerichtet war, sich entkorkte. Seine Schwester und er begannen zu schreien und um Hilfe zu rufen. Die Wächter eilten herbei, halfen ihnen die Schläuche wieder auf den Esel laden und erhielten zum Dank den, der beim Herabfallen sich geöffnet hatte, aber trotzdem noch über die Hälfte voll war. Darauf setzten Efflam und seine Schwester ihren Weg fort. Aber ungefähr eine Stunde später kehrten sie zurück und fanden die Wächter auf dem Boden ausgestreckt in tiefem todesähnlichen Schlaf. »Sehr gut«, sagten sie. Darauf begaben sie sich in ein benachbartes Mönchskloster unter dem Vorwand, sie wollten ihren trefflichen Wein zu billigem Preis verkaufen. Mit Hilfe ihres Weines schläferten sie die Mönche vom Abt bis zum Pförtner ein und benutzten die Zeit, um ihren Vater auf dem Klosterfriedhof in geweihter Erde zu bestatten. Dann vertauschten sie die Kleider der Mönche mit denen der Soldaten, so daß die Mönche als Soldaten und die Soldaten als Mönche ausstaffiert waren. Am andern Morgen, als es Zeit war, die Frühmesse zu singen, schleppten sich die Mönche noch halb im Schlaf und mit noch halb geschlossenen Augen in die Kapelle. Der erste von ihnen, der die eigenartige Mummerei des Abtes gewahrte, war zunächst starr vor Staunen. Er rieb sich die Augen und glaubte, er sehe nicht recht. Aber da er trotzdem einen Soldaten statt eines Mönches vor sich sah, stieß er seinen Nachbarn mit dem Ellenbogen an und sprach zu ihm: »Schau doch unsern Abt an, wie er gemustert ist! Was soll das heißen?« Großes Erstaunen des andern seinerseits. Aber als sie ihre Blicke auf die Nachbarn rechts und links vom Abte gleiten ließen, sahen sie, daß diese nicht minder als Soldaten verkleidet waren, und ebenso die ganze Reihe der Mönche, welche ihnen auf der andern Seite des Chores gegenüberstand. Darauf betrachteten sie sich selbst und erkannten, daß sie alle wie Soldaten angezogen waren. Was soll das heißen? Das ist zweifellos ein Streich des bösen Feindes! Die Gesänge und Gebete verstummten und man versuchte, diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Als indessen der Hauptmann am Morgen kam, um die mit der Bewachung der Diebsleiche beauftragten Soldaten zu besuchen, war er gleichfalls sehr erstaunt, sie in tiefem Schlaf und als Mönche vermummt vorzufinden. Was aber das ärgste war: die Leiche des Diebes war verschwunden. Er geriet in großen Zorn, fluchte, tobte und weckte die Soldaten mit Fußtritten. Das Gerücht verbreitete sich schnell in der Stadt, daß die Leiche des Schatzräubers verschwunden sei und daß die mit ihrer Bewachung betrauten Soldaten am Morgen sinnlos berauscht und als Mönche verkleidet vorgefunden wären, während die Mönche des benachbarten Klosters, ebenso betrunken, die Waffenröcke der Soldaten trügen. Dies wäre unfehlbar ein neuer Streich des Schatzdiebes. Das machte Aufsehen in der Stadt und wurde viel belacht. »Ich bin wieder genarrt,« sagte der König, als er alles, was sich ereignet hatte, erfuhr, »ich muß gestehen, daß das ein sehr geschickter Dieb ist; aber gleichviel, ich will wissen, wieweit seine Geschicklichkeit geht, denn ich hoffe sehr, noch einen Mangel bei ihm zu finden.«
Er ließ nun in der ganzen Stadt ausrufen, daß er am nächsten Tage auf einem öffentlichen Platze vor seinem Schloß eine schöne weiße Ziege zur Schau stellen werde, die ihm gehöre und die er sehr liebe. Gelänge es dem Diebe, sie zu stehlen, so solle sie ihm gehören. »Gut,« sagte Efflam bei sich, als er den Ausrufer hörte, »die weiße Ziege des Königs wird mir gehören, ehe morgen die Sonne untergeht.« In der Tat wurde am folgenden Morgen die weiße Ziege auf dem Platz vor dem königlichen Schloß zur Schau gestellt, und es sammelte sich dort eine beträchtliche Menge, die neugierig war zu erfahren, wie der Dieb trotz der bewachenden Soldaten zum Ziele gelangen würde. Der König selbst stand mit der Königstochter auf dem Balkon, umgeben von Prinzen, Generälen und Herren des Hofes. Efflam setzte nun seinen Zauberhut auf und entwendete die Ziege so leicht wie nur irgend möglich, ohne daß jemand etwas davon sah oder begriff. »Ich bin wieder genarrt«, rief der König ärgerlich, als er bemerkte, daß die Ziege verschwunden sei. »Aber wer ist dieser Mann? Er muß ein großer Zauberer sein, denn hinter alledem muß Zauberei stecken. Gleichviel! Ich halte mich noch nicht für besiegt und will wissen, wieweit das geht.«
Efflam hatte die Ziege des Königs getötet, sobald er heimgekehrt war, und hatte seiner Schwester befohlen, sie zu ihrem Mahle herzurichten; dabei gebot er ihr, das Kochen in aller Heimlichkeit vorzunehmen und auch nicht das kleinste Stück einem Bettler oder sonst jemandem zu geben. Indessen dachte der König darauf, die Geschicklichkeit und Schlauheit seines Diebes einer neuen Probe zu unterziehen. Er ließ einen blinden Bettler kommen und befahl ihm, an den Türen aller Häuser der Stadt um Almosen zu bitten, besonders aber überall um ein wenig Fleisch, das er gleich nach Empfang verkosten müsse. Gäbe man ihm irgendwo Ziegenfleisch, so solle er mit einem Stück weißer Kreide ein Kreuz an die Tür des Hauses machen, in dem er es erhalten habe, und sogleich kommen, um ihn zu benachrichtigen. Aber Efflam hatte das weiße Kreuz auf seiner Türe bemerkt und fragte seine Schwester, ob sie ihm in irgend etwas ungehorsam gewesen sei. Henori sagte, sie habe allerdings den Rest ihrer letzten Mahlzeit einem alten Bettler gegeben, der wegen seiner Blindheit ihr Mitleid erweckt habe. Efflam sprach weiter kein Wort, sondern versah sich mit einem Stück Kreide und beeilte sich, durch die ganze Stadt zu laufen und auf jede Tür ein Kreuz zu zeichnen. Die Soldaten machten vor der ersten Tür, auf der sie ein Kreuz bemerkten, halt und sagten: »Hier ist es.« Sie traten in das Haus und fanden zwei alte Leute, Mann und Frau, die sie aufforderten, ihnen in das Schloß des Königs zu folgen. »Was will der König von uns?« fragten sie höchst erstaunt. »Ihr habt seinen Schatz und seine Ziege gestohlen!« »Wie sollten wir das angefangen haben,« riefen sie voller Schreck, »alt und hilflos wie wir sind? Seit mehr als sechs Monaten haben wir keinen Fuß mehr aus dem Hause gesetzt.« Die Soldaten sahen, daß sie alt und hilflos waren, sie schauten einander an und sprachen: »Es ist klar, daß diese es nicht sind. Laßt uns sehen, ob wir kein Kreuz an einer anderen Tür finden!« Und sie gingen weiter und bemerkten zu ihrer Überraschung, daß die Türen aller Häuser des Viertels ähnliche Kreuze aufwiesen; dies meldeten sie dem König. »Was für ein Mann ist dieser Dieb!« rief der König, und er grübelte über ein anderes Mittel nach, ihn zu überführen.
Am nächsten Morgen ließ er ausrufen, daß er seine Königskrone auf dem öffentlichen Platz vor seinem Schloß zur Schau stellen wolle, und sie solle dem gehören, der sie, ohne sich dabei erwischen zu lassen, entwenden könne. Efflam hörte dies und sprach zu sich selber: »Die Krone wird mein sein ebenso wie die Ziege.« Die Königskrone wurde also am bezeichneten Ort und zur angegebenen Stunde zur Schau gestellt. Eine ansehnliche Menge war auf dem Platz versammelt, welche begierig war zu sehen, ob es dem Diebe gelingen werde, auch noch die Krone zu stehlen. Der König und sein Hofstaat standen auf dem Balkon des Schlosses und zahlreiche Soldaten hielten mit gezogenem Degen rings um das Sammetkissen, auf welchem die Krone ruhte, Wache. Aber alle diese Vorbereitungen nutzten nicht das geringste, denn Efflam setzte seinen Zauberhut auf und entwendete die Königskrone mit derselben Leichtigkeit, mit der er die Ziege genommen hatte.
Der alte Monarch war überzeugt, daß er es mit dem schlausten aller Diebe seines Königreiches zu tun habe, und überdies mit einem großen Zauberer, und er begriff, daß es umsonst sei, sich weiterhin mit ihm zu messen. Er dachte daher, es sei das beste, was er tun könne, wenn er ihn zu gewinnen und an sich zu fesseln trachtete, anstatt ihn zu verfolgen.
Er ließ also verkünden, daß er am nächsten Tage seine einzige Tochter an demselben Orte zur Schau stellen werde, an welchem er die weiße Ziege und die Königskrone ausgestellt hätte, und wenn es dem Dieb wieder gelingen würde, sie zu entführen, so wolle er sie ihm zur Frau geben. Er war freilich überzeugt, daß der Dieb diese letzte Probe ebenso leicht bestehen werde wie alle früheren. Und in der Tat entführte Efflam die Prinzessin auf die nämliche Weise und brachte sie in sein Haus, ohne daß jemand wußte, was aus ihr geworden sei. Als der König in sein Schloß zurückgekehrt war, begab sich Efflam in Begleitung der Prinzessin dorthin und erinnerte den alten Monarchen an sein Versprechen. Dieser zögerte nicht, sein Wort zu halten, und die Hochzeit Efflams mit der Prinzessin wurde mit großem Prunk gefeiert. Mehr noch: der König, welcher Witwer war, nahm selbst Henori zur Frau, die Schwester seines Schwiegersohnes, und einen ganzen Monat lang gab es nichts als große Feierlichkeiten, Spiele und Festmähler.
[Ernst Tegethoff: Französische Volksmärchen]