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Märchenbasar

Der Prinz als Meisterdieb

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Es war einmal ein Herzog in Pommern, der war gut Freund mit dem russischen Kaiser, und sie kamen oft zusammen und tranken sich zu, bis sie schwer betrunken waren. Eines Tages machten sie miteinander ab, dass des Herzogs beide Söhne des Russen zwei Töchter heiraten sollten und zwar sollte Prinz Friedrich die Finetee, Prinz Karl aber die Galethee zur Frau bekommen. Der Herzog von Pommern schrieb das alsbald im Testament nieder; weil er aber betrunken war, verschrieb er sich und setzte statt der Worte: „Prinz Karl soll die russische Galethee kriegen“, „Er soll sich den russischen Galgen verdienen“.
Als er nun starb, ward das Testament eröffnet und den Prinzen verlesen. „Was unser Vater bestimmt hat, das müssen wir tun“, sagten sie, und Prinz Friedrich zog mit großem Gepränge nach Russland, wo er mit der russischen Finetee verheiratet wurde; Prinz Karl dagegen zäumte sein Pferd und vernähte ein gut Teil Goldstücke in den Sattel, dann schwang er sich auf das Tier und ritt ebenfalls über die Grenze, um sich den russischen Galgen zu verdienen.
Er zog von einen Stadt zur anderen und von einem Dorf zum andern, er ritt über Berg und Tal, über Stock und Stein, bis er endlich in einen großen dunklen Wald gelangte, der kein Ende nehmen sollte. Auf den Abend kam er obendrein von der Straße ab, und es dauerte gar nicht lange, so hielt er vor einen großen tiefen Bruch, und Weg und Steeg hatten ein Ende. Wie er so dastand und wusste nicht aus noch ein, trat aus der Dickung ein schwarzer Mann auf ihn zu und sprach: „Was tust du hier?“ – Antwortete Prinz Karl: „Ich habe mich verirrt.“ – Sagte der Mann: „Wenn du mit die Hälfte von dem Geld gibst, das du in den Sattel genäht hast, so will ich dich wieder auf den richtigen Weg leiten.“ Die Rede gefiel dem Prinzen Karl so übel nicht, denn was nützte ihm das Geld, wenn er in dem Sumpfe ertrank; er trennte darum den Sattel auf und gab dem Mann die Hälfte von den Goldstücken. Der ergriff darauf das Pferd beim Zügel und führte es durch Gestrüpp und Buschwerk, bis sie wieder auf dem Weg waren. Dann verabschiedete er sich von dem Prinzen; doch ehe er ging, schenkte er ihm noch eine Kugel und sagte dabei: „Wenn du die in den Mund nimmst, so bist du unsichtbar.“ Prinz Karl steckte die Kugel zu sich und zog seiner Straße.
Den anderen Tag kam er wieder vom Wege ab, und nachdem er eine Zeitlang herumgeirrt war, stand er vor demselben Bruch wie gestern. „Du hälst ja noch immer hier“, rief eine Stimme, und der schwarze Mann trat aus der Dickung heraus. „Ja, es ist schlimm mit diesem Walde“, sagte Prinz Karl, „wer darin nicht Bescheid weiß, verirrt sich und ertrinkt am Ende im Sumpfe. Kannst du mich nicht noch einmal auf den rechten Weg bringen?“ – „Mit dem größten Vergnügen“, antwortete der schwarze Mann, „wenn du mir wiederum die Hälfte von dem Gelde gibst, das du noch hast.“ Dann behielt Prinz Karl zwar nur noch ein Viertel von dem ganzen Schatz; aber wozu brauchte er auch das rote Gold, um den russischen Galgen zu verdienen? Er gab darum dem schwarzen Mann den geforderten Preis, und dieser führte ihn durch das Dickicht auf die rechte Straße zurück, und schenkte ihm zum Abschied eine kleine Rute. „Was du damit schlägst, sei es Mauer oder Fels, das öffnet sich“, sagte er und verschwand. Prinz Karl aber setzte seine Reise fort, bis er vor einen Ellerei haltmachen musste. Da er mit dem Pferd nicht heil durch den Busch kommen konnte, trennte er mit dem Schwerte den Sattel auf, nahm das letzte Gold heraus und steckte es zu sich in die Rocktasche; dann ließ er das Ross laufen und ging zu Fuß weiter und sprang von einem Bülten zum anderen, bis die Sonne unterging und es finster wurde am Himmel. Da stieg er auf einen hohen Ellernbusch und hielt Ausschau, und siehe, nicht weit von ihm schimmerte ein Licht durch die Bäume. Eilends stieg er wieder herab und setzte seine Wanderung fort, bis er vor dem Hause stand. Er öffnete die Tür und ging hinein; da saß ein alter grauer Mann auf der Ofenbank, der fragte ihn, was er wolle. Prinz Karl merkte wohl, dass er in eine Räuberhöhle geraten war; darum sprach er geschwind: „Guten Abend! Kennst du mich nicht? Ich gehöre zum schwarzen Karl und habe mich allein gerettet und will jetzt bei euch wohnen und euch helfen.“ Über diese Rede verfärbte sich der Alte, denn der schwarze Karl hatte eine Brust wie Eisen und die Kugeln prallten ab von seinem Leibe und konnten ihn nicht durchbohren; seine Bande aber war als die schlimmste verschrien weit und breit. Deswegen hieß er den Gast freundlich willkommen, trug ihm Speise und Trank auf und bat ihn zu warten, bis die anderen nach Hause kämen.
Um Mitternacht traten elf starke Kerle herein; aber Prinz Karl fürchtete sich nicht, ging auf sie zu und drückte einem jeden die Hand, dass es krachte. „Wer ist das?“ fragten die Elf verwundert den Alten, der aber sagte:“Es ist einer von den Leuten des schwarzen Karl. Er ist bei der großen Schlacht davongekommen und hat das Leben geborgen. Jetzt will er bei euch bleiben und euch helfen.“ Sprachen die Elf: „Sei uns willkommen! Aber das sagen wir dir von vornherein: gemordet wird nicht, wir vollbringen alles mit List! Nur wenn es sich nicht anders tun lässt, gehen wir den Leuten ans Leben.“ – „So hab‘ ich’s beim schwarzen Karl auch gehalten“, gab er kurz zur Antwort. Dann setzten sie sich allesamt zu Tische nieder, und nachdem sie satt gegessen und getrunken hatten, legten sie sich zu Bette und schliefen, bis der Tag anbrach.
Am anderen Morgen sprach der alte graue Mann, welcher der Hauptmann der Bande war, zu Prinz Karl: „wir haben die Sitte: Wer bei uns eintreten will, muss ein Probestück machen.“ – „Die Sitte lobe ich mir“, sagte Prinz Karl und ging zum Hause hinaus. Über ein Weilchen erblickte er einen Schlächter, der zwei Ochsen vor sich her trieb. Die will ich stehlen, ohne Blut zu vergießen, dachte er bei sich. Dann lief er durch das Gebüsch dem Schlächter voraus und warf seine Säbelscheide auf die Straße. Als der Schlächter vorbeikam, sagte er: „Sieh da, eine schöne Scheide! Was nützt sie dir aber ohne Säbel?“ Damit ließ er die Scheide liegen und zog seiner Straße weiter. Das hatte Prinz Karl nur gewollt, und schnell hob er die Scheide auf und lief, was er konnte, quer durch den Wald und über den Berg herüber, um den sich die Straße zog. Dort warf er den Säbel in den Sand und wartete hinter dem Busche, bis der Schlächter kam. Als dieser den blanken Säbel erblickte, sprach er bei sich: „Hättest du doch vorhin die schöne Scheide mitgenommen, hier liegt der Säbel dazu!“ Geschwind band er die Ochsen an einen Baumstamm und lief die Straße zurück, um die Scheide zu suchen. Aber er fand sie nicht, und als er zurückkam, war auch der Säbel verschwunden und die Ochsen mit ihm, die hatte Prinz Karl über den Rasen in die Räuberhöhle geführt, sodass man die Spuren nicht sehen konnte.
„Das hast du gut gemacht“; sprach der Hauptmann, „und wenn du uns morgen noch einen Ballen Tuch aus der Stadt ohne Geld kaufen kannst, so wollen wir dich halten wie einen der unseren, und du sollst unser Spießgeselle werden.“ Das ließ sich Prinz Karl nicht zweimal sagen. Den andern Tag nahm er Pferd und Wagen, einer von den Elfen musste als Kutscher auf den Bock, während er wie ein vornehmer Herr, auf jedem Finger einen Ring, in dem Rücksitz saß. Außerdem hatte er bei sich eine Truhe, die klipperte und klapperte, sobald man daran stieß, wie wenn eitel Gold und Silber darinnen wären. Als er nun mit seinem Gefährt in der Stadt angelangt war, hieß er den Kutsche vor dem besten Laden halten. Dort stieg er aus und ließ sich das feinste Tuch und das teuerste Seidenzeug vorlegen. Der Kaufmann sah nur auf die großen Ringen mit den glänzenden Steinen und freute sich, einen so reichen Kunden bekommen zu haben, und konnte nicht genug Ballen herbeischleppen. „Ich nehme es, wie es da ist, ungesehen“, sagte Prinz Karl, „und über die Bezahlung werden wir nachher einig werden. Schafft nur das Zeug auf den Wagen herauf und nehmt derweil die Truhe an Euch.“ – Das ist sein Geldkasten, dachte der Kaufmann bei sich und stieß den Ladendiener heimlich in die Rippen, und dann rechneten sie beide im voraus zusammen, wieviel sie bei dem Handel verdienen würden. Prinz Karl aber ging aus dem Laden, als ob er ich in der Stadt erlustigen wollte. Das tat er jedoch nur so, in Wahrheit lief er vors Tor, und als der Räuber mit dem Wagen an ihm vorbeifuhr, sprang er geschwind zu ihm auf den Bock, und nun brachten sie die Ladung in den Wald hinaus in die Räuberhöhle. Da war es Zeug genug, dass sich die ganze Bande neu einkleiden konnte, und Prinz Karl wurde in allen Ehren eines Räubers von dem Hauptmanne eingesetzt. Der Kaufmann wartete inzwischen zwei kurz und drei lang, dass der vornehme Herr zurückkommen sollte. Als er immer noch nicht bei ihm vorsprach, wollte er sich an der Geldkiste schadlos halten; doch wie er den Deckel der Lade erbrach, war nichts darin als Kieselsteine und Glasscherben, das hatte geklungen wie Geld, wenn man mit dem Fuße daran stieß.
Der Kaufmann fluchte über den argen Dieb, die Räuber aber lobten ihn. Doch Prinz Karl wollte von alledem nichts wissen und noch eine dritte Probe bestehen, obwohl er sie gar nicht mehr nötig hatte. „Kinder“, sagte er, „aller guten Dinge sind drei; heute Nacht will ich mit euch des Kaisers Schatzkammer bestehlen.“ – „Au!“ riefen die Räuber, „das tun wir nicht, das bringt uns an Rad und Galgen.“ – „Ich gehe voran“, sagte Prinz Karl, „und wer ein Herz hat, der folge mit.“ Da mochten sich die Räuber nicht lumpen lassen und taten, wie er ihnen befahl.. Er hieß sie aber den Wagen voll Stroh laden, und als sie mit Einbruch der Nacht vor der Stadt angelangt waren, mussten sie die Räder und die Hufe der Pferde mit Stroh umwickeln, dass niemand das Klappen der Eisen und das Knarren der Räder gewahr würde. Als sie nun vor dem Kaiserlichen Schloss hielten, zog Prinz Karl die kleine Rute aus dem Busen hervor und schlug damit an die Mauern. Sogleich taten sie sich auseinander. Die Wächter auf dem Hof schliefen, wie es Wächter gemeiniglich zu tun pflegen, und so gelangten sie ungestört bis an die Schatzkammer. Ein Schlag mit der Rute, und die schwere Eisentür sprang auf, und jeder Räuber steckte so viel Gold und Silber zu sich, als er in seinem Sacke nur davonschleppen konnte. Endlich waren sie fertig, und nachdem sie alles auf den Wagen geladen hatten, fuhren sie ebenso lautlos wieder zur Stadt hinaus und in den Wald zurück, aus dem sie gekommen waren.
Am anderen Tage war großes Jammern und Wehklagen auf dem Schloss, denn der Kaiser ließ alle Wächter durchprügeln und jagte sie mit Schimpf und Schande aus dem Schloss, weil sie die Schatzkammer nicht besser gehütet hatten. In der Räuberhöhle jedoch wurde gesungen und gesprungen getanzt und gelacht, denn so viel Gold und Silber hatten sie noch niemals zusammengebracht, als sie auf dem letzten Zuge geraubt hatten.
Nun sollte Prinz Karl auch der Hauptmann werden und der alte Räubervater bot es ihm selbst an, aber er wollte nicht. „Ich bin noch zu jung“, sagte er, „und dem Ältesten gebührt diese Ehre.“ Da gaben sich die anderen endlich zufrieden, und sie lebten einigte Zeit lustig in Saus und Braus. Aber die vielen Schätze, welche sie gewonnen hatten, machten sie lüstern auf noch größeren Reichtum, und sie baten den neuen Bruder, dass er sie noch einmal zum Schloss führen möge. „Ich will es tun, aber es ist euer Unglück“, sagte Prinz Karl, denn er ahnte wohl, dass der Kaiser so kurz nach der Tat doppelte Wachen ausstellen würde. Doch die Räuber ließen sich nicht davon abbringen. Da befahl er, den Wagen zum zweiten Male mit Stroh zu beladen, und dann fuhren sie zur Stadt, und der Räubervater blieb allein in der Höhle zurück.
Am Tor wurden wiederum die Räder und die Eisen der Pferde mit Strohbändern umwickelt und als sie auf diese Weise lautlos bis an die Schlossmauern gelangt waren, schlug Prinz Karl mit der Rute gegen das Gemäuer, und siede da, es klaffte auseinander. Gierig schlich einer nach dem anderen durch die Öffnung hinein; aber sobald sie drinnen waren, wurden sie von den Schildwachen warm beim Wickel genommen, in Fesseln gelegt und in den Kerker geworden. Nur Prinz Karl ging frei aus, denn er hatte seine Kugel in den Mund genommen, und er hörte, wie die anderen sagten:“ Wer fehlt denn? Wir waren doch zwölf und hier sind nur elf? Richtig, der Jüngste ist nicht da, der ist doch klüger wie wir anderen zusammengenommen!“
Am anderen Morgen wurden die Räuber vor den Kaiser gebracht, und nachdem jeder fünfzig aufgezählt erhalten hatte, fragte er sie, wo sie ihre Höhle hätten und wir groß ihre Bande wäre. Erst wollte sie nicht mit der Sprache heraus; als sie aber noch fünfzig erhalten hatten, sagten sie einmütig, sie seien ein Hauptmann und zwölf Mann, und ihre Höhle hätten sie draußen im Walde bei dem großen Ellernbruch. Da schickte der Kaiser seine Soldaten hin, die nahmen den Räubervater gefangen und luden das Gold und Silber, das sie in der Höhle fanden, in große Karren und führten es in die Stadt zurück, wo es der Kaiser wieder in die Schatzkammer schütten ließ. Nun war alles da, nur der Dreizehnte fehlte. „Ihr sollt nicht leben und nicht sterben“, rief der Kaiser, „ehe ihr ihn nicht verraten habt.“ – Wir wissen ja selbst nicht, wie er heißt“; jammerte der Hauptmann, „er sagte, er sei vom Schwarzen Karl, und vierzehn Tage war er nur bei uns, da hat er all das Unglück, angerichtet.“ Der Kaiser glaubte aber den Reden nicht, und jeden Tag bekamen die Räuber Prügel, dass sie gestehen sollten, wo der Dreizehnte sei.
Indessen schlenderte Prinz Karl in den Straßen umher. Und wie er einmal stille stand und besah seine Stiefel, merkte er, dass es mit den Sohlen nicht zum besten bestellt war. Nun hatte unweit davon ein Flickschuster seinen Laden. Der soll den Schaden wieder gut machen, dachte es bei sich und trat zu ihm in die Werkstatt herein. „Meister Schuster“, sagte er, „hier ist ein Goldstück; geh hin und kauf gutes Leder ein und besohle mit die Stiefel.“ Der Altflicker nahm das Goldstück und lief, was er laufen mochte, denn solch vornehmen Herrn hatte er noch niemals zum Kunden gehabt. Während er fort war, zog Prinz Karl ein zweites Goldstück aus der Tasche und gab es der Frau, dass sie ein gutes Mittagessen besorge für drei Mann mit Braten und Wein. Da ging nun ein schönes Leben bei den Altflickersleuten an, der Meister besohlte mit neuem Leder, und die Frau briet und schmorte, bis sie nicht mehr wussten, wo sie waren, und trunken zu Bette gingen. Die Stiefel wurden auf diese Weise den ersten Tag nicht fertig, das nimmt kein Wunder, und am zweiten auch nicht, denn da trieben sie es nicht anders. Als sie aber endlich doch fertig waren, zog sie Prinz Karl auf seine Füße, lobte den Meister wegen der guten Arbeit und sprach: “ Warum geht’s ihm bei der guten Arbeit so schlecht?“ Antwortete der Altflicker: „Ach lieber Herr, ich bin ein armer Mann und kann kein gutes Leder kaufen. Wer bei mir einmal besohlen ließ, der kam das zweite Mal nicht wieder. Und mit Goldstücken bezahlt sonst niemand, da seid ihr der erste.“ – „Wenn’s ihm an Geld fehlt, so geh er doch in des Kaisers Schatzkammer“, sagte Prinz Karl, „da ist Gold und Silber wie Heu.“ – „Ja, wer das dürfte!“ sagte der Meister. “ Das ist nicht so schlimm“, sprach Prinz Karl; und als es dunkel wurde, hieß er den Altflicker einen Sack auf den Buckel nehmen und ging mit ihm zum Schloss.
Sobald Prinz Karl das Gemäuer mit der Rute berührte, wich es auseinander, und sie hatten freien Gang, denn die Wachen waren schon wieder sorglos geworden und schnarchten um die Wette. Noch ein Schlag an die Eisentür, und sie standen in der Schatzkammer, und der Schuster füllte seinen Sack mit Gold, so schwer er nur irgend tragen konnte, und dann kehrten beide durch den Mauerritze in die Werkstätte zurück. Dem Schuster erging es aber nicht anders wie den Räubern. Als er viel Geld hatte, war es ihm nicht Geld genug, und er sprach zu seinem Gast: „Wie ihr es macht, kann einer leicht zu Gelde kommen. Aber die Zeiten sind schlecht, und die Preise sind hoch, was meint ihr, wir gehen heute Abend noch einmal in die Schatzkammer.“ – „Zum zweiten Mal ist’s gefährlich“, warnte Prinz Karl. Aber da sich der Flickschuster nicht raten ließ, ging er mit ihm, und als sie an das alte Loch gekommen waren, kletterte der Schuster geschwind hinein. Doch er kam nicht weit, denn kaum hatte er die Beine auf der anderen Seite der Mauer, so griffen die Schildwachen, welche diesmal besser aufpassten, zu und zogen und zogen, damit sie ihn ganz hinein bekämen. Prinz Karl hatte das wohl bemerkt, und da er den Meister nicht zu den Soldaten lassen wollte, zog er am Kopfende. Doch drinnen waren vier und draußen nur einer. „Verloren ist er doch“, sprach Prinz Karl bei sich, und ratz! schnitt er ihm mit seinem langen Messen den Kopf ab, damit er wenigstens nicht noch sagen könnte, wo der dreizehnte Räuber geblieben sei.
Den anderen Morgen war die Freude groß im Schloss, denn sie glaubten allesamt, jetzt habe man den Dreizehnten erwischt. Als die Leiche aber dem Räubervater gezeigt wurde, schüttelte derselbe den Kopf und sagte: „Das ist der Dreizehnte nicht, dies ist ein kleiner schmächtiger Kerl, aber unser Bruder war groß und stark; er ist’s gewesen, der diesem Mann den Kopf abschnitt.“ Um sein Leben zu retten, gab er dem Kaiser den Rat, er solle die Leiche, die Füße nach vorn, auf einen Karren legen und zum Schindanger fahren lassen, aber im Umwege durch alle Straßen der Stadt. Wer dann schreie bei dem Anblick der Leiche, der sei ein Verwandter des Geköpften und könne wohl angeben, wo der Dreizehnte sei. Und so tat der Kaiser auch. Während nun Prinz Karl bei der Altflickerin in der Werkstatt saß und erzählte, wie ihrem Manne die Geldgier das Leben gekostet habe, und dabei fleißig zu seinem Zeitvertreib mit Pechdraht und Nadel hantierte, führte der Scharfrichter den Schinderkarren mit der Leiche des Meisters an dem Fenster vorbei. „Du meines Lebens!“ schrie die Frau auf und fiel von einer Ohnmacht in die andere. Prinz Karl aber nicht faul und hieb sich das Schustereisen in das Knie, dass das Blut zur Erde floss. Als nun die Henkersknechte herbeikamen und Nachfrage hielten, weshalb die Frau so geschrien habe, wies er auf das strömende Blut. Da waren die Männer zufrieden gestellt und zogen mit ihrem Karren weiter, aber den Dreizehnten fanden sie nicht.
Prinz Karl ärgerte sich jedoch, dass der Kaiser so scharf hinter ihm her war, und er beschloss, ihm einen Streich zu spielen. Das stellte er so an: Er nahm seine Kugel in den Mund und ging unsichtbar in das Schloss hinein, die Treppen hinauf, bis er in der Kaisers Zimmer gelangte. Dort lagen auf dem Tisch die Tagesbefehle, welche der Kaiser an der Feldmarschall und an der Bürgermeister zu schicken pflegte. Eins fix drei hatte Prinz Karl den ersten Brief erbrochen, und statt des Befehls, der darin stand, schrieb er hinein: „Weil die Soldaten gestern so gut exerziert und geschossen haben, sollen sie heute Mittag ein jeder zwei Pfund Fleisch zu essen bekommen“, denn bei den Russen lagen dazumal alle Soldaten in Bürgerquartieren. In den anderen Brief aber schrieb er: „Weil die Soldaten so schlechtes Gesindel sind und allesamt nichts taugen, sollen ihnen die Bürger heute Mittag nur trockene Kartoffeln vorsetzen.“ Dann versah er die falschen Briefe mit des Kaisers eigenem Siegel und ging wieder seine Wege zu der Schustersfrau.
Am Vormittag verlas der Feldmarschall den Soldaten und der Bürgermeister den Bürgern den Tagesbefehl; und die Soldaten freuten sich, dass sie so viel Fleisch bekommen sollten, und die Bürger freuten sich, dass sie heute kein Fleisch zu geben brauchten. Als nun aber die Soldaten müde vom Dienst heimkamen und es nicht fanden, wie ihnen durch Tagesbefehl verheißen war, wurden sie sehr zornig und schalten die Bürger Diebsgesindel und schlugen auf sie ein, und es war ein Heulen und Wehklagen in der Stadt, wie es noch niemals gehört worden war. Endlich ließ der Feldmarschall Generalmarsch schlagen und als die Trommeln gingen:
Kam – er – ad -kum!
Kam – er – ad -kum!
Da mussten die Soldaten freilich vom Schlagen abstehen und zur Fahne eilen. Der Kaiser war sehr böse, als er von der Sache hörte, und konnte nicht begreifen, wie die falschen Befehle aus seinem Zimmer gekommen waren. Der Räubervater aber sagte zu ihm: „Das ist niemand anders gewesen als der Dreizehnte; und wenn Ihr seiner nicht habhaft werdet, so bringe er noch Euch und das ganze Land ins Unglück!“ Das sagte er aber nur, damit er alle Schuld auf den Prinzen Karl schieben möchte und mit dem Leben davonkäme. “ Wie soll ich ihn aber fangen?“ fragte der Kaiser. Da gab ihm der Räubervater folgenden Rat: „Der Dreizehnte ist ein großen starker Mann und dabei noch jung an Jahren. Lasst alle jungen Leute zu Euch auf das Schloss kommen, dass sie mit der Prinzessin Galethee und mit den Hofdamen tanzen; und die Nacht über müssen sie in dem Saale bleiben und auf einer Streu schlafen. Wie ich den Dreizehnten kenne, wird er bei dem Feste nicht fehlen und in der Nacht Eure Tochter küssen. Dann muss ihm die Prinzessin mit schwarzer Farbe einen Strich auf die Wange malen, und am anderen Morgen könnt ihr sehen, wer Euch all das Unheil angerichtet hat.“
Das ist ein guter Rat, dachte der Kaiser und tat, wie der Räubervater gesagt hatte. Alle jungen Leute wurden zu einem großen Feste aufs Schloss geladen und durften mit der Kaiserstochter und mit den Hofdamen tanzen, und Prinz Karl war wirklich mitten unter ihnen und tanzte fleißig mit. Um Mitternacht war der Tanz zu Ende, und die Tänzern wurde auf einer Streu gebettet; die Prinzessin aber bekam vom Kaiser ein Töpfchen mit Farbe in die Hand gedrückt, damit sollte sie demjenigen, der sie bei Nacht stören würde, einen Strich auf die Backe malen. – Und der Räubervater hatte sich nicht verrechnet. Als alles schlief, konnte Prinz Karl allein keinen Schlaf in die Augen bekommen. Die Kaiserstochter hatte es ihm angetan, und er stand auf und schlich in ihre Kammer und küsste sie. Die Prinzessin gedachte des Gebotes, das ihr der Kaiser gegeben, und sie malte dem Manne einen schwarzen Strich auf die Backe. Dann drehte sie sich um und schlief ein. Prinz Karl aber war auf seiner Hut und hatte die List wohl gemerkt. Sobald die Prinzessin schlief, stahl er ihr das Töpfchen und malte mit der Farbe jedem Schläfer einen schwarzen Strich auf die Backe, vom Kaiser herab bis zum jüngsten Küchenjungen.
Am anderen Morgen stand der Kaiser früh auf und ging in seiner Tochter Kammer. „Aber Papa“, sagte die Prinzessin, als sie die Augen aufschlug; und als der Kaiser nicht wusste, warum sie das sage, wies sie ihm den schwarzen Strich auf der Backe. Da lief der Kaiser in den Saal, und siehe, alle jungen Männer waren in derselben Weise gezeichnet.
Jetzt wurde der Kaiser gar zornig und drohte, den Räubervater lebendig braten zu lassen, wenn er ihm nicht den Dreizehnten schaffe. „Ich kann es nicht und wenn ich sterben muss“; rief der Hauptmann, „nur ein Mittel gibt’s noch. Geh in den Saal und versprich dem, der Eure Tochter im Schlafe geküsst und die falschen Tagesbefehle geschrieben hat, die Prinzessin Galethee zur Frau. Dann wird er sich wohl melden.“
Anfangs wollte dieser Rat dem Kaiser gar nicht in den Kopf, endlich aber bedachte er sich, dass er dem Reich keinen Besseren hinterlassen könne als einen solch klugen Schwiegersohn. So ging er in der Saal zurück und sprach mit lauter Stimme: „Wer gestern Nacht meine Tochter geküsst und den Spaß mit den Tagesbefehlen geschrieben hat, der melde sich, er soll mein Schwiegersohn werden.“ Aber siehe da, niemand meldete sich. Der Kaiser sprach’s zum zweiten Male, es half wiederum nicht. Da setzte er die goldene Kaiserkrone auf und warf den Purpurmantel um und schwur bei Krone und Zepter, er wolle halten, was er gesagt habe. Jetzt trat Prinz Karl vor und sagte: „Ich bin der Dreizehnte, ich bin es gewesen.“ – „Wie heißt du denn?“ fragte der Kaiser verwundert. „Prinz Karl von Pommern“, gab er zur Antwort. „Du bist Prinz Karl?“ rief der alte Kaiser voll Freuden, „da solltest du ja schon längst meine Galethee zur Frau bekommen.“ – „Davon stand nichts im Testament“; antwortete Prinz Karl, „den russischen Galgen sollte ich mir verdienen.“ – „Ach, Schnack“; sagte der Kaiser, „das kam damals so, da hat sich dein Vater verschrieben! Das sollte heißen: Prinz Karl soll die russische Galethee kriegen.“ Nun war die Freude groß, und es wurde gleich Hochzeit gefeiert, und all die jungen Männer im Saale nahmen daran teil. Und wenn die Prinzessin dem Prinzen bei jedem Kuss, den er ihr an diesem Abend gab, einen schwarzen Strich ins Gesicht gemacht hätte, so wäre er zuletzt so schwarz im Gesicht gewesen wie ein Schornsteinfeger. Die elf Räuber aber und der alte Hauptmann wurden in Freiheit gesetzt, denn eigentlich war’s ja nur Prinz Karl gewesen, der sie zu den schlimmen Dingen angestiftet hatte.
Und was das beste an der ganzen Geschichte ist, es ging hübsch alles ohne Blutvergießen ab. Nur der Altflicker! Du mein Gott, ein Flickschuster, das spricht doch nicht mit, und dabei war er selbst ins Unglück gerannt. Wäre er hübsch zufrieden gewesen, so säße er noch in seinem Laden und machte den Leuten die Stiefel. So aber führte seine Frau ohne ihn das Geschäft fort und heiratete sich einen hübschen jungen Mann, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch.

Ein Märchen aus Pommern

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