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Der Prinz von Thihapura

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In grauen Zeiten lebte ein König, der regierte über Thihapura. Er hatte einen Sohn, der hieß E Naung. Das war ein hübscher Bursche, tapfer und stark. Nun hatte der Prinz E Naungs Vater einen jüngeren Bruder, den König von Yadanapura. Dieser besaß eine Tochter namens Putsapa, die über alle Maßen schön war. Als Prinzessin Putsapa heranwuchs, beschloß ihr Vater, sie mit dem Sohn seines Bruders zu verheiraten. Da die beiden jungen Leute einander niemals gesehen hatten, dachte der König, daß sich der Prinz E Naung über ein Bild der Prinzessin sicher freuen würde und berief den besten Maler, dem er den Auftrag gab, ein Bild von der Prinzessin zu malen. Der Maler benötigte sieben Tage, um die Schönheit der Prinzessin auf ein Gemälde zu bannen, und der König war mit dem Ergebnis hoch zufrieden. Deshalb belohnte er den Maler mit einer Börse voll Gold. Dann wurde das Bildnis sorgfältig in sieben Hüllen und feine Seide gewickelt und ein tapferer und starker Krieger beauftragt, es dem Prinzen E Naung zu überbringen. Nun war es geschehen, daß der Maler zwar ein vollendetes Bild von der Prinzessin gemalt, aber, von der Schönheit der Prinzessin verwirrt, die falschen Öle beim Mischen der Farben verwendet hatte. Als der Bote durch den Wald ritt, begannen in der Hitze die Farben durcheinanderzulaufen. Da aber das Bild mit Seidentüchern umwunden war, merkte der Bote nicht, daß die Prinzessin auf dem Bild bald wie eine häßliche alte Hexe aussah. Bei seiner Ankunft im Palast des Königs von Thihapura berichtete der Bote, weswegen er gekommen sei, und wurde sogleich zum Prinzen vorgelassen. E Naung freute sich über seines Onkels Wunsch und wickelte das Bild aus. Jedoch ein flüchtiger Blick genügte, um ihn erbleichen zu lassen. Er zerriß das Gemälde in hundert Stücke und schleuderte es ärgerlich dem Boten ins Gesicht. „Geh zu deinem König zurück und sage ihm, er könne seine Tochter behalten!“ rief er. „Lieber sterbe ich, als so ein häßliches Weib zu heiraten.“ Schnell ritt der Bote zurück und überbrachte dem König die Botschaft E Naungs. Der König tobte vor Wut, und auch die Prinzessin ärgerte sich über alle Maßen. Aber da war nichts zu machen. Schließlich handelte es sich um den Sohn des eigenen Bruders. „Betrübe dich nicht, mein Kind!“ sagte der König zur Prinzessin. Ich werde dich mit dem Sohn meines Freundes verheiraten, der in Indien ein Königreich regiert. Dieser indische Prinz hat schon oft um deine Hand angehalten und wird nur zu glücklich sein, dich zu heiraten.“ Der König hatte recht. Als der Sohn des Raja von diesem Vorschlag hörte, freute er sich sehr. Er belud hundert Elefanten mit reichen Geschenken und reiste nach Yadanapura. Als er nach mehreren Tagesreisen die Königsstadt erreichte, leuchteten ihm zu Ehren alle Straßen in hellem Glanz. Ein großes Fest fand statt, und der Tag für die Hochzeit wurde festgelegt. Man lud von fern und nah Gäste ein, und auch der König von Thihapura erhielt eine Einladung. Als Prinz E Naung vernahm, daß die Prinzessin an einen indischen Prinzen verheiratet werden sollte, lachte er. „Der arme Prinz“, sagte er zu sich selbst, „er tut mir leid, weil er solch eine häßliche Hexe heiraten muß.“

Zwei Tage vor der Hochzeit trafen der König von Thihapura, Prinz E Naung und viele Minister und Edle in Yadanapura ein. Am gleichen Abend ging Prinz E Naung im königlichen Garten spazieren. Plötzlich hielt er inne. Vor ihm stand ein Mädchen, das war so schön, wie er es sich selbst in seinen Träumen nicht vorstellen konnte. Auch das Mädchen starrte ihn an. Dann seufzten beide. Sie hatten einander Gefallen gefunden. „Ich bin Prinz E Naung“, sagte der Prinz schließlich. „Wer bist du, holde Maid?“ Kaum war der Name gefallen, veränderte sich das Gesicht der Jungfrau. Ohne ein Wort zu sagen, drehte sie sich um und entfloh ihm. Da erblickte der Prinz einen Gärtner, der gerade seine Pflanzen goß. Er eilte zu ihm hin, schüttelte ihn und fragte wer das Mädchen sei. „Das, mein Prinz, war Prinzessin Putsapa“, antwortete der Gärtner. Der Prinz erbleichte. Er hatte einen riesigen Fehler begangen. Was war da noch zu tun? Wie konnte er die Prinzessin zurückgewinnen, die er verloren hatte. In der Nacht, als alle schliefen, stieg Prinz E Naung aus seinem Bett und begab sich zu dem Gemach, in dem der indische Prinz ruhte. Er stahl einige seiner Kleidungsstücke und stürzte zurück in sein Zimmer. Dort wechselte er seine Kleidung und malte sich einen Schnurrbart und ein Backenbart an. Zufrieden mit seiner Verkleidung ging er auf die Suche nach den Gemächern der Prinzessin. Er fand sie im Schlafe liegen, und die Kammerfrauen schnarchten am Fußende ihres Bettes. Auf Zehenspitzen schlich er zum Bett, legte die Hand auf den Mund der Prinzessin und hob sie hoch. Die Prinzessin strampelte und stieß mit den Füßen, aber Prinz E Naung hielt sie fest. Er lief zu den Ställen, nahm ein Pferd und ritt mit der Prinzessin davon. Nach langem Ritt gelangte Prinz E Naung zu einer Berghöhle. Dort stieg er vom Pferd, brachte die Prinzessin hinein und ritt wieder davon, ohne auch nur ein einziges Wort zu verlieren.

Als man die Prinzessin kurze Zeit später vermißte, gab es im Palast großen Tumult. Auch Prinz E Naung beteiligte sich an der Suche nach der Prinzessin, doch keiner fand auch nur eine Spur. Da wurde der König sehr traurig, und auch der Bräutigam war traurig. Und Prinz E Naung tat so, als ob er ebenfalls betrübt wäre. Schließlich gab man die Suche auf, und der indische Prinz nahm betrübt seinen Abschied. Sobald sich der Prinz vergewissert hatte, daß ihn niemand beobachtete, legte er wieder seine Kleidung an und ritt hin zu der Höhle, in der er die Prinzessin zurückgelassen hatte. Auf dem Wege überlegte er, wie er sich wohl weiter verhalten solle. Die Prinzessin haßte ihn wegen der beleidigenden Worte, die er gesagt hatte. Sie liebte den indischen Prinzen und war bereit, ihn zu heiraten. Was würde sie tun, wenn sie herausfand, wer er wirklich war? In Gedanken verloren, kam Prinz E Naung an den Eingang der Höhle. Da hörte er die Prinzessin weinen und klagen. Er spitzte die Ohren und vernahm: „Rette mich, Prinz E Naung, rette mich!“ Da freute sich der Prinz, doch wollte er ganz sicher gehen und wissen, ob das, was er gehört hatte, auch stimmte. Er ging in die Höhle hinein und trat vor die Prinzessin. „Warum rufst du immer den Namen des Prinzen E Naung? Du solltest doch mich heiraten“, sagte er und tat, als wäre er der indische Prinz. „Ich will niemand anderen heiraten als den Prinzen E Naung“, erwiderte die Prinzessin. „Und ich will niemand anderen heiraten als dich“, sagte der Prinz, wischte sich die Schminke vom Gesicht und lächelte der Prinzessin zu. Dann hob er seine Prinzessin aufs Pferd, und beide ritten zum Palast zurück. Der König war zunächst ergrimmt, daß ihm der Prinz so einen Streich gespielt hatte, aber dann vergab er ihm schnell. So geschah es, daß der Prinz von Thihapura und die Prinzessin von Yadanapura heirateten und viele, viele Jahre glücklich miteinander lebten.

 
Märchen der Völker Burmas

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