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Märchenbasar

Der Satinschuh

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Es war einmal ein Witwer, der hatte eine Tochter. Er ließ sie bei einer Lehrerin unterrichten, die sie sehr gut behandelte und ihr Honigsuppe gab. Als das kleine Mädchen nach Hause kam, bat es den Vater, er möge die Lehrerin heiraten, denn sie habe sie sehr gern. Der Vater antwortete: »Du willst also, daß ich deine Lehrerin heirate? Aber bedenke, heute gibt sie dir Honigsuppe, und eines Tages wird sie dir Gallensuppe geben.« Das Mädchen ließ nicht nach, so daß der Vater schließlich die Lehrerin heiratete. Nach einem Jahr hatte sie eine Tochter, und von da an hatte sie einen großen Haß auf die Stieftochter, denn diese war hübscher als ihr eigenes Kind. Als der Vater starb, überschritten die Quälereien der Stiefmutter alle Grenzen. Das arme Kind hatte ein Kälbchen, dem all seine Liebe galt. Wenn es dieses in den Bergen weiden ging, gab ihm die Stiefmutter einen Krug Wasser und ein Brot mit, wobei sie ihm mit Schlägen drohte, wenn es nicht alles wieder so zurückbrächte, wie es es mitgenommen hatte. Mit seinen kleinen Hörnern höhlte das Kälbchen das Brot aus, damit das Mädchen essen konnte, und wenn es Wasser trank, füllte das Kälbchen den Krug wieder mit seinem Speichel. Auf diese Weise täuschten sie die Niedertracht der Stiefmutter.
Eines Tages wurde die böse Frau krank und sie verlangte, daß man das Kälbchen tötete, um für sie Brühe zu kochen. Das Mädchen weinte bittere Tränen bevor es sein geliebtes Kälbchen tötete, und ging dann, um die Därme im Fluß zu waschen. Da entglitt ein kleiner Darm ihrer Hand, und sie lief hinterdrein, um ihn zu erhaschen. Sie ging so weit, daß sie schließlich auf ein Feenhaus stieß, das sich in großer Unordnung befand, und darin war ein Hündchen, das bellte unaufhörlich.
Das Mädchen räumte das Haus säuberlich auf, setzte den Topf aufs Feuer und gab dem Hündchen ein Stück Brot. Als die Feen heimkamen, verbarg sie sich hinter der Tür, und das Hündchen begann zu bellen:

Wau, wau, wau,
hinter der Tür steht die,
die mir Brot gab.

Die Feen fanden das Mädchen und bestimmten ihm, daß es das schönste Gesicht der Welt hätte, und jedesmal, wenn es sprach, sollten Perlen aus seinem Munde fallen, und sie gaben ihm auch einen Zauberstab. Als die Stiefmutter das Mädchen mit so vielen Gaben ausgestattet sah, fragte sie es nach dem Grund für all dies, um zu sehen, ob sie diese Gaben nicht auch ihrer Tochter beschaffen könnte. Das Mädchen erzählte, was sich ereignet hatte, aber sie vertauschte alles: sie hätte das Haus in Unordnung gebracht, das Geschirr zerschlagen und das Hündchen verprügelt. Sogleich schickte die Stiefmutter ihre Tochter aus, welche alles haarklein so verrichtete, wie ihre Mutter es ihr gesagt hatte. Als die Feen heimkamen, fragten sie das Hündchen, was geschehen sei. Dieses antwortete:

Wau, wau, wau,
hinter der Tür steht die,
die mich verprügelt hat.

Die Feen fanden das Mädchen und bestimmten ihm sogleich, daß es das häßlichste Gesicht der Welt hätte, und wenn sie sprach, sollte sie stottern, und sie sollte einen Buckel haben. Als sie dies sah, war die Mutter verzweifelt, und künftighin behandelte sie ihre Stieftochter noch schlechter.
Zu der Zeit wurde ein großes Fest veranstaltet, um den Geburtstag des Prinzen zu feiern. Am ersten Tage ging die Stiefmutter mit ihrer Tochter zum Festplatz, und sie wollte ihre Stieftochter nicht mitnehmen, die daheim blieb, um das Abendessen zuzubereiten. Das Mädchen bat den Zauberstab, er möge ihr ein himmelsfarbenes Kleid geben, ganz mit goldenen Sternen besetzt, und sie ging zu dem Fest. Alle waren erstaunt, und der Prinz wandte nicht die Augen von ihr. Als das Fest zu Ende war, fand die Stiefmutter sie schon zu Hause beim Vorbereiten des Abendessens, und sie wurde nicht müde, das Kleid, das sie gesehen hatte, zu rühmen. Am zweiten Tag ging das Mädchen mit Hilfe des Zauberstabs in einem grasgrünen, mit Blumen übersätem Kleid zum Fest. Am dritten Tag brach das Mädchen, als es sah, daß die Stiefmutter schon nach Hause gegangen war, in aller Eile auf, und dabei fiel ihr ein kleiner Satinschuh vom Fuß. Als der Prinz das sah, lief er, den Schuh aufzuheben, und er staunte, wie klein er war. Da ließ er ausrufen, daß die Frau, der der Schuh gehörte, seine Frau würde. Man ging von Haus zu Haus, aber keiner paßte der Schuh. Schließlich gelangte er zum Haus der bösen Frau, die dem Prinzen ihre Tochter vorführte. Aber diese hatte einen Klumfuß, der in den kleinen Satinschuh nicht hineinpaßte. Er fragte, ob sonst niemand mehr im Haus wäre; als die Stiefmutter schon nein sagen wollte, ging die Küchentür auf, und die Stieftochter erschien in dem Kleid, das sie am ersten Festtag getragen hatte, und einer ihrer Füße war unbedeckt, und er paßte in den Satinschuh. Der Prinz nahm sie sogleich mit sich, und die Stiefmutter wurde von einer solchen Wut gepackt, daß sie sich aus dem Fenster stürzte und zerschmettert starb.

[Portugal: T. Braga: Contos tradicionaes do povo portuguez]

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