Suche

Märchenbasar

Der Sterndeuter oder: Der unglückliche Irrtum

1
(1)

Es war mal ein Fürst in Persien. Dieser hatte einen Sohn, der nach seinem Tode der Beherrscher seines Fürstentums werden sollte, und deshalb hatte er für ihn um die Tochter eines benachbarten Fürsten gefreit und auch das Jawort von diesem schon erhalten.

Der junge Badanazir (dies war der Name des Prinzen) hatte aber schon eine andere Liebe im Herzen, von welcher sein Vater nichts wusste. Der Kaiser von Pegu war neulich auf einer Reise, die er mit seiner Prinzessin Tochter gemacht hatte, durch die Länder des Fürsten von Persien gekommen und hatte bei dieser Gelegenheit den Vater Badanazirs besucht. Badanazir und Almira (so hieß die Prinzessin des Kaisers von Pegu) liebten einander, sobald sie sich sahen, denn die Prinzessin war sehr schön und der Prinz nicht hässlich. Da sie aber wussten, dass der Kaiser von Pegu ein sehr stolzer Herr war, der gewiss seine Tochter dem Sohne eines bloßen Fürsten nicht gegeben haben würde, wenn er um sie angesprochen worden wäre, so mussten sie ihre Liebe vor ihm sehr geheimhalten.

Es hatte aber die Prinzessin von ihrem Vater zwei sehr große Raritäten zum Geschenk erhalten. Die eine war ein Diamant, so groß wie mein Daumen, in welchem das Bild der Prinzessin vermittelst einer Kunst eingegraben war, die nachher verloren gegangen ist. Die andere war ein Wurfspieß, der von sich selbst hinflog, wohin man ihn wünschte. Diese zwei seltenen Stücke hatte die Prinzessin, wie schon gesagt, von ihrem Vater zum Geschenk bekommen, und Badanazir erhielt bei ihrer Abreise als ein Pfand ihrer Liebe den Diamant. Den Wurfspieß aber behielt sie und verbarg ihn sorgfältig in einem Kasten. Der Prinz dankte ihr auf das Verbindlichste für dieses Geschenk und versprach, sie heimlich zu besuchen.

Nach der Abreise des Kaisers drang der Fürst von Persien in seinen Sohn, sich mit der Tochter des benachbarten Fürsten zu verbinden. Badanazir hatte aber keine Ohren hierzu, und da es sein Vater mit ihm zu bunt trieb und mit aller Gewalt auf diese Verbindung bestand, so beschloss er, sich heimlich von seinem Vater wegzumachen und sich zu seiner Geliebten Almira zu begeben.

Er hatte zwei Günstlinge, die bei ihm die vier Stellen eines Sekretärs, eines Stallmeisters, eines Haushofmeisters und eines Kammerdieners vertraten. Der eine hieß Jerub und der andere Rur. Diesen entdeckte er die Absicht seiner Reise. Jerub suchte sie ihn mit allem Eifer eines treuen Dieners, der ihm nicht missfallen wollte, auszureden und stellte ihm vor, wie viel er wagte und wie sehr er seinen Papa durch diese Flucht betrüben würde. Aber Rur hob alle Zweifel auf und bestärkte ihn in seinem Vorhaben.

Der Prinz hatte nicht Geld genug zu einer so langen Reise. Jerub würde ihm keines verschafft haben. Aber Rur versah ihn damit. Er entwendete auf eine geschickte Art den Diamant seines Herrn, ließ einen falschen danach machen, den er an dessen Stelle legte, und verkaufte den echten gegen einige tausend Goldstücke, die er dem Prinzen gab.

Als Badanazir dieses Geld hatte, so wurde auch alles zu seiner Abreise bereitet. Man belud einen Elefanten mit seinem Gepäck und sie schwenkten sich auf die Pferde. Jerub sagte zu seinem Herrn:

»Ich habe mir die Freiheit genommen, Ihnen wegen Ihres Vorhabens Vorstellungen zu tun. Da Sie diese aber nicht befolgen wollen, so muss ich gehorchen. Ich liebe Sie und will Ihnen bis ans Ende der Welt folgen. Aber lassen Sie uns zuvor den klugen Mann zu Rate ziehen, der zwei Meilen von hier wohnt.«

Badanazir ließ sich diesen Vorschlag gefallen und sie begaben sich dahin.

Dieser kluge Mann war ein berühmter Sterndeuter, der seine Wohnung in einem Walde aufgeschlagen hatte. Er gab seine Prophezeiungen in einem Saal, der von Lauben und bedeckten Gängen formiert war und um welchen rund herum eine doppelte Rasenbank ging. Er hatte auf der Erde einen großen Kreis gemacht, in welchem verschiedene Figuren vorgestellt waren, die er zu seinen geheimnisvollen Arbeiten brauchte. An seiner linken Seite hingen eine gewaltige Menge Täfelchen und an der rechten trug er eine goldene Kiste nebst vielen Ringen von verschiedener Größe. Er steckte jeder Person, die ihn um Rat fragte, einen an den kleinen Finger. Derjenige, den er an die rechte Hand steckte, hatte die Kraft, dass man das Gute erkannte, und der andere, das Böse vorherzusagen. Er grub auf zubereitete Baumblätter einen jeden der Buchstaben des Namens, den man führte, sodass er zu jedem Buchstaben ein anderes Blatt nahm, und nachdem er sie mit seinen Täfelchen untereinander geworfen hatte, auf welchen alle verschiedene Konstellationen nach den Figuren abgemalt waren, mit welchen die Buchstaben des Namens zusammentrafen, so weissagte er alles, was man wissen wollte. Der Bau seines Körpers machte ihn nicht weniger zu einem außerordentlichen Menschen als seine Wissenschaft. Er war sehr klein, aber ganz entsetzlich dick; er hatte eine hohe Stirn, schielende Augen, eine krumme Nase, breite Ohren und einen kurzen und gekräuselten Bart. Der Ton seiner Stimme war gellend, weil er durch die Fistel redete.

Badanazir empfand bei seinem Anblick einen Schauer, den er nicht verbergen konnte. Er sprach ihm aber Mut zu, und nachdem er ihn mitten in den Kreis, den er auf die Erde machte, hatte niedersetzen lassen, fing er seine gewöhnlichen Beschwörungen an. Als er damit fertig war und die Buchstaben Badanazirs mit seinen Täfelchen vermengt hatte, gab er folgende Antwort:

»Wenn Du gegen Morgen gehst, wirst Du gegen Abend sein. Wenn Du besitzest, wirst Du nichts besitzen. Wenn Du ein Überwinder bist, wirst Du nichts überwinden. Wenn Du Badanazir bist, wirst Du nichts sein.«

»Daraus werd ein anderer klug«, sagte Badanazir zu seinen Günstlingen, nachdem sie sich wieder aus der Wohnung des Sterndeuters entfernt hatten. »Ich versteh kein Wort von dieser dunklen Antwort.«

Jerub behauptete, dass sie nichts Gutes bedeute. Aber Rur überredete ihn, dass sie für ihn sehr günstig wäre.

»Nehmen Sie sich in Acht!«, sagte Jerub.

»Fürchten Sie nichts!, sagte Rur, und dieser Diener hatte allezeit, wie man leicht denken kann, bei seinem Herrn recht, weil er seiner Leidenschaft und seinen Hoffnungen schmeichelte.

Nachdem sie eine geraume Zeit gereist waren, kamen sie endlich durch einen großen Wald. Hier lagerte man sich und wollte eben den Elefanten abladen, der das Mittagsbrot und das Tischzeug trug, als man gewahr wurde, dass Jerub und Rur nicht mehr bei der Gesellschaft waren. Die Bedienten suchten sie auf allen Seiten und erfüllten den Wald mit ihrem Geschrei. Aber sie kamen zurück, ohne etwas von ihnen ersehen oder gehört zu haben.

»Wir haben bloß gesehen«, sagten sie zu dem Prinzen, »dass ein Geier mit einem Adler stritt und dass er ihm alle seine Federn ausriss.«

Badanazirs Neugierde wurde durch die Erzählung von diesem Streite aufgeregt. Er ging an den Ort hin und sah weder Geier noch Adler. aber dafür sah er, wie sein Elefant, der noch ganz mit seinem Gerät beladen war, von einem großen Rhinozeros angefallen wurde. Das eine kämpfte mit seinem Horn und der andere mit seinem Rüssel. Das Rhinozeros lief davon, sobald es den Prinzen sah. Man führte den Elefanten zurück, aber man fand die Pferde nicht mehr. Die Bedienten waren bestürzt und der Herr in Verzweiflung, dass er auf einmal seinen lieben Rur, den klugen Jerub, den er sehr liebte, ob er gleich niemals seinem Rate folgte, und seine Pferde verloren hatte.

Nur die Hoffnung, sich bald zu den Füßen seiner geliebten Prinzessin zu werfen, richtete ihn wieder auf und machte, dass er sich wieder auf den Weg begab. Es begegnete ihm hier ein hässlicher Bauer mit einem Esel, dem er Stockschläge gab. Dieser antwortete auf die Schläge des Bauern durch ein häufiges Ausschlagen. Der Prinz nahm, wie man sich leicht vorstellen kann, die Partei des Esels. Hierauf nahm der Bauer die Flucht und sagte zu dem Esel:

»Du sollst mir es schon büßen!«

Der Esel dankte seinem Erretter mit: »Pah«, ging zu ihm hin, ließ sich liebkosen und liebkoste wieder nach seiner Art. Badanazir setzte sich auf ihn und nahm mit seinen Bedienten, wovon einige zu Fuß gingen und die andern auf dem Elefanten ritten, den Weg weiter nach Pegu.

Aber kaum saß der Prinz auf dem Esel, als sich dieses Tier umwandte, statt dass es hätte auf der Straße nach Pegu fortgehen sollen. Sein Herr lenkte vergebens die Zügel, schlug mit den Knien, gab ihm die Sporen, ließ den Zügel schließen, zog ihn wieder an, peitschte zur Rechten und zur Linken; aber alles war vergeblich, das hartnäckige Tier ließ sich nicht irre machen.

Da der Prinz mit seinem Esel sich noch so abäscherte, dass er über und über schwitzte, begegnete ihn ein Kamelhändler, der ihn nicht kannte und der zu ihm sagte:

»Landsmann, Ihr habt einen sehr boshaften Esel, der Euch hinbringt, wo Ihr nicht hin wollt. Habt Ihr Lust, mit mir zu tauschen, so könnt Ihr Euch für ihn zwei von meinen Kamelen aussuchen.«

Badanazir war dies recht, weil zufrieden, und dankte dem Himmel, dass er ihm einen so guten Tausch verschafft hätte.

»Jerub hatte sehr unrecht«, sagte er, »dass er behauptete, meine Reise würde unglücklich sein.«

Er setzte sich auf ein Kamen und das andere folgte ihm. So kam er zu seinem Gefolge zurück und befand sich wieder auf dem Wege zu seinem Glücke.

Aber kaum war er wieder einige Meilen gereist, als er von einem tiefen und breiten und starken Strome aufgehalten wurde, der über Klippen floss, die von Schaum ganz weiß waren. Die beiden Ufer waren so entsetzlich steil, dass man ganz schwindlig wurde und allen Mut verlor, wenn man hinunter sah. Es war kein Mittel, hinüber zu kommen, und man konnte weder zur Rechten noch zur Linken gehen.

»Ich fürchte doch«, sagte Badanazir, »dass Jerub recht hatte, meine Reise zu missbilligen, und ich großes Unrecht, sie zu unternehmen. Wenn er nur noch hier wäre, er könnte mir doch einen guten Rat geben. Oder wenn ich nur den Rur noch hätte, dieser würde mich trösten und gewiss ein Mittel finden, wie über den Strom zu kommen sei.«

Seine Verwirrung wurde noch durch die Bestürzung seines Gefolges vermehrt. Die Nacht war sehr finster und man brachte sie mit Wehklagen zu. Endlich schlief der Prinz vor Müdigkeit und Kummer ein.

Aber das Gott! Was war da nicht für Freude, als man bei Anbruch des Tages eine schöne marmorne Brücke sah, die von einem Ufer des Stroms zu dem andern ging. Alles schrie:

»Ist es möglich? Was für ein Wunder! Wagen wir es, darüber zu gehen?«

Der ganze Haufe war in Entzückung und Badanazir sagte:

»Gewiss, der Himmel ist mir günstig! Jerub wusste nicht, was er sagte, und Rur hatte Recht.«

Der Prinz begab sich nun mit seinem Gefolge über den Strom. Aber kaum waren sie hinüber, als auf einmal die Brücke mit einem entsetzlichen Krachen einstürzte.

»Desto besser!«, sagte Badanazir. »Der Himmel will nicht, dass ich in mein Vaterland zurückkehre, wo ich nur ein bloßer Fürst geblieben wäre. Ich werde Kaiser von Pegu werden. Wenn ich also dieses Kaisertum erhalte, werde ich mein kleines Fürstentum nicht besitzen. Ich werde Badanazir sein und werde es nicht sein.«

So erklärte sich der Prinz die Worte des Sterndeuters und setzte seine Reise wieder einige Meilen mit dem größten Vergnügen fort. Aber zu Ende des Tages wurde er mit seinem Gefolge auf einmal von einer unübersehbaren Reihe hoher Berge eingeschlossen. Alles geriet wieder in Verzweiflung und schrie:

»Der Himmel will, dass wir hier umkommen sollen. Er hat die Brücke zerbrochen und dies Gebirge hierher gesetzt, um uns alle Hoffnung zur Rückkehr zu nehmen. O Badanazir! O unglücklicher Prinz! Wir werden nie wieder in unser Vaterland zurückkommen!«

In der Seele des Prinzen wechselten jetzt der bitterste Schmerz und die tiefste auf die unmäßige Freude, die er vorher empfunden und auf die Hoffnung ihn trunken gemacht hatte. Jetzt legte er die Prophezeiung nicht mehr zu seinem Vorteil aus und sein Schmerz ergoss sich in Tränen mitten unter seinem verzweiflungsvollen Gefolge.

Aber auf einmal öffnete sich der Grund des Berges und ein langer, gewölbter und mit vielen Fackeln erleuchteter Gang zeigte sich den bestürzten Augen. Alles schrie jetzt Wunder! Wunder!

Badanazir war vor Freuden ganz außer sich. Er ging mit seinen Leuten, Elefanten und Kamelen unter dem Gewölbe des Berges fort und kam endlich auf eine schöne Wiese, die mit tausend Blumen geziert und von klaren Bächen durchschnitten war. Am Ende derselben fand er mit Bäumen besetzte Gänge und hinter diesen Gängen einen Fluss, an welchem Lusthäuser mit angenehmen Gärten lagen, und überall hörte er Konzerte von Stimmen und Instrumenten.

Er eilte über eine Brücke des Flusses und fragte den ersten Menschen, der ihm begegnete, was das für ein schönes Land wäre und wo er sich befände.

»Sie sind in dem Lande des Kaisers von Pegu«, sagte der Mann, »und Sie sehen die Einwohner voll Freude und Vergnügen, weil wir die Hochzeit unsrer schönen Prinzessin feiern, die sich mit dem Herrn Mummul, dem sie ihr Herr Vater versprochen hat, vermählen wird.«

Bei Endigung dieser Worte fiel der Prinz in Ohnmacht, und da der peguanische Herr glaubte, dass er der fallenden Sucht unterworfen wäre, so ließ er ihn in sein Haus tragen und schickte nach den geschicktesten Ärzten. Sie befühlten den Puls des Kranken, welcher, da er sich wieder ein wenig erholt hatte, in Tränen ausbrach, die Augen verdrehte und von Zeit zu Zeit rief:

»O, Jerub, Jerub! Du hattest wohl recht.«

»Ich höre an der Aussprache«, sagte einer der Ärzte zu dem peguanischen Herrn, »dass dieser junge Mann ein Fremder ist, der die Luft in dieser Gegend nicht vertragen kann, und sehe an seinen Augen, dass er nicht recht bei Verstande ist. Überlassen Sie ihn mir, ich will ihn wieder gesund machen und dann in sein Vaterland zurückschicken.«

Der andere Arzt aber riet, dass man den jungen Mann, der nur vor Kummer krank wäre, auf die Hochzeit der Prinzessin führen und tanzen lassen sollte, welches ihn gewiss von seiner Krankheit heilen würde.

Während die beiden Ärzte sich beratschlagten und Mittel zur Heilung des Kranken angaben, erholte sich dieser wieder und gab zu verstehen, dass die beiden Ärzte sich entfernen möchten. Nachdem man diese also abgefertigt hatte, blieb der Prinz mit seinem Wirt allein.

»Ich bitte Sie um Vergebung«, sagte er zu ihm, »dass ich in Ihrer Gegenwart ohnmächtig geworden bin. Ich weiß, dass das nicht höflich ist, aber ich kann nichts dafür. Ich bitte Sie daher, für Ihre Gütigkeit, meinen Elefanten zum Geschenk anzunehmen.«

Der peguanische Herr wollte sich zwar anfangs nicht zur Annahme dieses Geschenks verstehen, weil er, wie er sagte, sich ein Vergnügen daraus machen, jedermann, soviel in seinen Kräften stände, zu dienen und das um Gottes Willen. Da aber der Prinz mit Bitten noch ferner in ihn drang, so nahm er endlich das Geschenk an. Hierauf erzählte ihm der Prinz alle seine Begebenheiten, nahm sich aber wohl in Acht, ihm die Ursache seiner Reise zu entdecken.

»Aber ich beschwöre Sie«, schloss er endlich, »sagen Sie mir, wer der glückliche Mummul ist, der die liebenswürdige Prinzessin von Pegu heiratet, warum ihn ihr Vater zum Schwiegersohn gewählt und warum ihn die Prinzessin zum Gemahl angenommen hat?«

»O mein Herr«, sagte der Peguaner, »die Prinzessin will von dem Herrn Mummul ganz und gar nichts wissen. Sie zerfließt in Tränen,während das ganze Land mit Freuden ihre Hochzeit feiert. Sie hat sich in den Turm ihres Palastes eingeschlossen und will keine von den Ergötzlichkeiten mit ansehen, die man ihr zu Gefallen anstellt.«

Da der Prinz dieses hörte, ward er wie neugeboren und die Röte, die der Schmerz verlöscht hatte, erschien wieder auf seinem Gesichte.

»O, sagen Sie mir«, fiel er dem Peguaner ins Wort, »sagen Sie mir, warum der Kaiser von Pegu, der doch ein sehr stolzer Herr sein soll, seine Tochter mit Gewalt dem Herrn Mummul geben will, von dem sie doch, wie Sie sagen, nichts wissen will?«

»Die Sache verhält sich so«, erwiderte der Peguaner. »Seine Majestät unser allergnädigster Kaiser hatte einen Diamant und einen Wurfspieß. Beide schenkten sie ihrer Prinzessin Tochter. Nun begab sich’s aber nach einiger Zeit, dass Seine Majestät wieder nach diesen beide Stücken fragte und sie zu sehen verlangte, erfuhr aber mit Schrecken von der Prinzessin Tochter, dass ihr dieselben entwendet worden wären. Da nun aber diese beiden Kleinodien Seiner Majestät sehr am Herzen lagen, so gerieten sie in Verzweiflung, dass sie nicht erfahren konnten, wohin sie gekommen wären. Sie versprachen also demjenigen, der eins davon wiederbringen würde, Ihre Prinzessin Tochter zur Gemahlin. Da fand sich denn ein gewisser Herr Mummul, der den Diamant hatte, und den nun morgen unsre gnädigste Prinzessin heiraten soll.«

Der Prinz war voller Freuden über diese Nachricht, weil er sich noch in dem Besitz des Diamants glaubte, den er von seiner geliebten Prinzessin zum Geschenk erhalten, dem aber Rur heimlich entwendet und verkauft, dafür aber einen andern, unechten hingelegt hatte. Er nahm kurzen Abschied von seinem Wirt und eilte auf seinem Kamel in die Hauptstadt. Sobald er vor den Palast des Kaisers kam, bat er, dass man ihn vorlassen möchte, weil er dem Kaiser etwas sehr Wichtiges zu entdecken hatte. Aber man antwortete ihm, dass es jetzt nicht sein könnte, weil der Kaiser mit den Zubereitungen zur Hochzeit seiner Prinzessin Tochter beschäftigt wäre. Da er es aber gar zu notwendig machte, führte man ihn endlich doch vor den Kaiser, der ihn aber nicht kannte.

»Allergnädigster Herr«, sagte er zu ihm, »der Himmel bekröne die Tage Ew. Majestät mit Ruhm und Herrlichkeit. Ihr Herr Schwiegersohn ist ein Betrüger.«

»Wie? Was? Ein Betrüger!«, fiel ihm der Kaiser mit funkelnden Augen ins Wort, indem er sich den Bart strich. »Redet man so mit seinem Kaiser von Pegu von dem Schwiegersohn, den er selbst gewählt hat?«

»Ja, ein Betrüger!«, antwortete der Prinz entschlossen. »Und um es Ew. Majestät zu beweisen, so sehen Sie hier Ihren Diamant.«

Der Kaiser, der ganz erstaunt war, hielt die beiden Diamanten gegeneinander. Da er sich aber nicht darauf verstand, so konnte er auch nicht sagen, welches der rechte sei.

»Da sind zwei Diamanten«, sagte er, indem er bedenklich den Kopf schüttelte, »und ich habe nur eine Tochter. Hm! Hm! Das ist doch eine wunderliche Sache!«

Er schickte nach seinem künftigen Schwiegersohn und fragte ihn bei seiner Ankunft, ob er ihn etwa betrogen hätte? Herr Mummul schwor, dass er seinen Diamant von einem Armenier gekauft habe, der Prinz aber sagte nicht, wo er den seinigen her hätte, sondern schlug ein Mittel vor, wie die Sache entschieden werden könnte. Seine Majestät möchte ihm nämlich erlauben, auf der Stelle mit seinem Mitbuhler zu fechten.

»Es ist nicht genug«, sagte er, »dass Ihnen Ihr Schwiegersohn einen Diamant gibt. Er muss Ihnen auch Beweise von seiner Herzhaftigkeit geben. Erlauben Ew. Majestät, dass derjenige, der den andern erlegt, die Prinzessin heiratet?«

»Sehr gern«, antwortete der Kaiser. »Das wird ein sehr schönes Schauspiel für meinen Hof sein. Schlag euch geschwind miteinander. Der Überwinder soll, nach der hiesigen Gewohnheit, die Waffen des Überwundenen anlegen und meine Tochter zur Gemahlin haben.«

Auf diese Erklärung des Kaisers begaben sich die beiden Mitbuhler sogleich in den Hof hinab. Auf der Treppe saßen ein Rabe und eine Elster. Der Rabe schrie:

»Schlagt euch, schlagt euch«

Die Elster:

»Schlagt euch nicht!«

Der Kaiser musste darüber lachen, aber die beiden Mitbuhler ließen sich nicht irre machen. Sobald sie in den Hof kamen, schlossen die Hofleute einen Kreis um sie und sie machten sich zum Kampf bereit. Die Prinzessin, die sich beständig in ihrem Turm verschlossen hielt, wollte dieses Schauspiel nicht mit ansehen; sie ließ sich’s nicht einfallen, dass ihr geliebter Prinz in Pegu wäre, und hatte einen solchen Abscheu vor dem Herrn Mummul, dass sie ihn nicht sehen wollte, so sehr man sie auch bat, das Schauspiel mit anzusehen.

Unterdessen war der Kampf für den Prinzen sehr glücklich abgelaufen. Herr Mummul, der sich nicht aufs Fechten verstand, bekam gar bald seinen Rest und das Volk erhob über seinen Tod ein Freudengeschrei, weil er hässlich war, Badanazir aber sehr hübsch aussah.

Der Prinz zog nun das Panzerhemde des Überwundenen an, tat seine Leibbinde um, setzte seinen Helm auf und kam in Begleitung des ganzen Hofs und unter dem Schalle der Trommeln und Pfeifen unter die Fenster seiner geliebten Almira. Zum Unglück sah die Prinzessin eben durch das Fenster und da sie die Waffenrüstung eines Menschen erblickte, den sie verabscheute, lief sie voller Verzweiflung zu ihrer chinesischen Kiste, nahm den unglücklichen Wurfspieß heraus, wünschte ihn in den Leib des Überwinders und im Augenblick durchbohrte er den Prinzen ungeachtet des Panzers.

Badanazir tat einen lauten Schrei und stürzte zu Boden. An diesem Schrei glaubte die Prinzessin die Stimme ihres Liebhabers zu erkennen und stürzte mit zerstreuten Haaren und blassem Gesicht die Treppe herunter. Ich vermag nicht, den Schmerz und den Schrecken zu beschreiben, die sie befielen, als sie ihren geliebten Prinzen erkannte und in seinem Blute liegen sah. Sie fiel über ihn her und umarmte ihn.

»Nimm«, sagte sie zu ihm, »die ersten und die letzten Küsse deiner Liebhaberin, deiner Mörderin!«

Hierauf zog sie den Wurfspieß aus seiner Wunde, wünschte sich ihn ins Herz und stürzte tot über ihren Geliebten hin. Der Kaiser, der vor Schrecken halbtot war, suchte seine Tochter wieder ins Leben zurück zu rufen, aber umsonst! Sie war und blieb tot. Er verfluchte den unglaublichen Wurfspieß, brach ihn in Stücken und warf die beiden Diamanten weit von sich weg. Hierauf ließ er den blutigen Badanazir, der noch Zeichen des Lebens von sich gab, in seinen Palast tragen.

Das erste, was dem Prinzen, als er wieder zu sich kam, in die Augen fiel, war – Jerub und Rur, die an beiden Seiten seines Bettes standen.

»O Grausame!«, sagte er mit matter Stimme. »Warum habt ihr mich verlassen?«

»Ich habe Sie keinen Augenblick verlassen«, sagte Jerub.

»Ich bin immer bei Ihnen gewesen«, antwortete Rur.

»Wollt ihr in meinen letzten Augenblicken meiner noch spotten?«, sagte Badanazir.

»Sie können mir aufs Wort glauben«, antwortete Jerub. »Sie wissen, dass ich diese unglückliche Reise nach Pegu niemals gebilligt habe, weil ich die schrecklichen Folgen derselben voraussah. Ich war der Adler, der mit dem Geier kämpfte und ihm die Federn ausriss. Ich bin der Elefant gewesen, der Ihr Gerät forttrug, um Sie zu nötigen, in Ihr Vaterland zurückzukehren. Ich war der Esel, der Sie wider Ihren Willen nach Hause tragen wollte. Ich habe Ihre Pferde versteckt, ich habe den Strom geschaffen, der Sie verhinderte, weiter zu gehen. Ich habe die Berge hingesetzt, die Ihnen den Weg versperrten, ich war der Arzt, der Ihnen die Luft Ihres Landes anriet, und ich war auch die Elster, die Ihnen zurief, dass Sie sich nicht schlagen möchten.«

»Und ich«, sagte Rur, »ich war der Geier, der dem Adler die Federn ausriss, das Rhinozeros, das dem Elefanten Stöße mit dem Horn gab, der hässliche Bauer, der den Esel schlug, der Kamelhändler, der Ihnen für den Esel Kamele gab, um Ihrem Verderben entgegen zu eilen. Ich habe die Brücke über den Fluss geschlagen, über welchen Sie gesetzt. Ich habe die Höhle gegraben, durch die Sie gegangen sind. Ich war der Arzt, der Ihnen das Tanzen riet, und der Rabe, der Ihnen zurief, dass Sie sich schlagen sollten.«

Bei Endigung dieser Worte bedeckten vier schwarze Flügel Rurs und vier weiße Jerubs Leib.

»I, das Gott, was seh ich!«, sagte der Prinz erstaunt, als er die Veränderung gewahr wurde.

»Du siehst deine beiden Geniusse«, antworteten Jerub und Rur zugleich.

»Ei der tausend, meine Herrn«, sagte der unglückliche Badanazir zu ihnen. »In was haben Sie sich gemischt? Und wozu zwei Geniusse für einen armen Menschen?«

»Es ist einmal die Mode so«, sagte Jerub. »Ein jeder Mensch hat zwei Geniusse. Ich bin dein guter Genius und mein Amt war, über dich bis auf den letzten Augenblick deines Lebens zu wachen. Ich habe es treulich verwaltet.«

»Und ich war dein böser Genius«, sagte Rur. »Mein Amt war, dich in dein Verderben zu stürzen. Und du musst gestehen, dass mir keine Mühe habe verdrießen lassen, dies zu bewirken.«

»Erinnerst du dich noch an den Ausspruch des Sterndeuters?«, fragte Jerub. »Wenn du gegen Morgen gehst, wirst du gegen Abend sein?«

»Leider!«, erwiderte der Prinz mit einem tiefen Seufzer. »Aber ich habe ihn nicht verstanden.«

»Deine Schuld«, sagte Rur. »Man begräbt hier die Toten mit dem Gesicht gegen Abend gekehrt. Der Ausspruch war deutlich genug, warum hast du ihn nicht begriffen? Du bist der Besitzer von etwas gewesen und du besitzest nichts; denn du hattest zwar den Diamant, aber er war falsch, weil ich den echten weggenommen und an einen Armenier verkauft hatte, damit du Reisegeld bekämst. Du bist Badanazir und ein Überwinder; aber du hörst auf, es zu sein, denn – du musst sterben.«

Mit diesen Worten drückte er seine zwei Daumen so fest auf die Schläfe des Prinzen, dass dieser tot auf sein Bette zurück sank.

Sein Leichnam wurde mit dem Leichnam seiner geliebten Almira nach dem Gebrauch dieser Völker zu gleicher Zeit verbrannt und ihre Asche in Krügen aufbewahrt.

 

Quelle: Christian August Vulpius (aus »Ammenmärchen« )

 

Wie hat dir das Märchen gefallen?

Zeige anderen dieses Märchen.

Gefällt dir das Projekt Märchenbasar?

Dann hinterlasse doch bitte einen Eintrag in meinem Gästebuch.
Du kannst das Projekt auch mit einer kleinen Spende unterstützen.

Vielen Dank und weiterhin viel Spaß

Skip to content