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Märchenbasar

Prinz Löwenzagel oder: Was sein soll, schickt sich wohl

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Es war einmal ein König und eine Königin. Der König nannte sich Herosparvus und lebte schon lange mit der Königin, ohne dass er Kinder mit ihr haben konnte. Er wurde alt und machte sich traurige Gedanken über seine Unfruchtbarkeit. Nun fragte er das Orakel, und es war ein Orakel, das Erfahrung hatte und wusste, wie es in der Welt hergeht. Es riet dem Monarchen, eine Pilgrimschaft mit bloßen Füßen und im bloßen Kopfe zu unternehmen.

Der König war es zufrieden und er hätte wohl noch mehr getan als dies, um den Göttern zu gefallen und einen Sohn vom Himmel herab zu bekommen. Er entschloss sich kurz und reiste mit einem alten Sklaven ab. Weiter wollte er niemand bei sich haben.

Er wanderte durch Länder, über Meere und Berge, durch Städte und Täler und kam endlich in die Staaten eines gewissen Fürsten, der ein sehr mächtiger Potentat war. Er hieß Garigarababa und war halb Mensch halb Löwe.

Der König Herosparvus wurde ihm vorgestellt und sein Bart und seine Haare und alles stand ihm zu Berge. Dies war ihm seit langer Zeit nicht begegnet, denn ein Hase war er gerade nicht, aber der Anblick des Fürsten bewirkte dieses Wunder. Doch ließ er sich nichts merken, zwang sich, die Knie steif zu halten, und bezeigte solchergestalt dem Fürsten Garigarababa seine Ehrfurcht. Dieser redete ihn vom Thron herunter folgendergestalt an, nachdem er seiner Lieblingssklavin drei sanfte Schläge mit seinem Zagel dahin gegeben hatte, wohin man sie unruhigen Schulbuben unsanft gibt, denn jeder peitsche nach seiner Weise:

»Herosparvus, du streichst in der Welt herum und lässt es dir sehr sauer werden, um ein Kind zu bekommen. Gehe nicht weiter, dein Wunsch ist erfüllt, es ist alles richtig, reise in deine Staaten zurück, die Königin hat eins.«

»Aber Ew. Liebden«, erwiderte Herosparvus, »als ich abreiste, war es noch nichts, vielmehr war es – denn –«

»Hm, ich verstehe dich«, erwiderte Garigarababa. »Aber was ist das mehr? Die Königin ist deine Frau, gehört mithin das Kind nicht dir?«

»Immerhin«, versetzte der friedfertige Herr, »man muss nehmen, was kommt. Aber wie haben Ew. Liebden wissen können, dass meine Gemahlin in die Wo-«

»So haben wir nicht gewettet«, unterbrach ihn Garigarababa. »Das ist ein Geheimnis für mich. Noch mehr, höre: Ich habe einen Sohn, der mir so ähnlich sieht, als ob er mir gehörte. Wenn deine Frau ein Mädchen bekommt, so vergiss nicht, dass ich sie für meinen Sohn haben will, sobald sie achtzehn Jahr alt ist.«

Herosparvus konnte sich nicht enthalten, ein schiefes Maul dabei zu machen, aber zum Glück drehte er den Kopf weg, sodass es keiner von den Hofleuten bemerkten konnte.

»Vergiss nicht«, fuhr der Fürst fort, »dass du mir zu Willen sein musst und dass du Ehre von meiner Verwandtschaft hast. Aber ich sage dir ohne Wandel und Tadel muss deine Tochter sein, wenn mein Sohn sie nehmen soll, und dafür musst du sorgen. Geh nach Hause und denke über mein Begehren nach. Grüße auch deine Frau von mir.«

Herosparvus nahm seinen Stab, ließ den Kopf traurig hängen und antwortete mit schwacher Stimme:

»Ich werd es ausrichten.«

Und so ging er fort.

Die Reise dauerte lange. Als er nach Hause kam, fand er die Königin schon in Wochen, denn sie war denselben Tag darein gekommen. Unterwegs war er dem Himmel sehr mit Bitten um einen Knaben zur Last gefallen, und dass er ihm kein Mädchen bescheren möchte, denn sein Vaterherz regte sich und er zitterte, wenn er bedachte, dass seine liebe Tochter mit einem Ungeheuer, wie der Sohn des Fürsten Garigarababa, eins werden sollte. Deshalb war es ein Donnerschlag für den guten Vater, als er bei seiner Ankunft erfuhr, dass die Königin, seine Gemahlin, mit einer Prinzessin niedergekommen wäre, die nach dem Bericht aller, die sie mit keinem Auge gesehen hatten, schön wie ein kleiner Engel sein sollte.

Er hatte kaum den Fuß in den Schlosshof gesetzt, als ihm schon die Anstalten zu öffentlichen Freudenfesten in die Augen fielen. Er ließ die Königin fragen, ob sie von einem Fremden namens Herosparvus einen Besuch annehmen wollte. Dieser Spaß gab zu erkennen, dass der König wieder da sei. Der Hof freute sich sehr darüber und die Königin war besonders entzückt, dass sie ihren Gemahl so angenehm überraschen konnte, der, wie sie sagte, das gewiss nicht erwartet hätte. Man lachte recht herzlich hierüber in dem Zimmer dieser Fürstin, wo man Seine Majestät erwartete, die aber erst in die Garderobe gegangen war, um sich von den Füßen bis zum Kopfe anzuziehen; denn sein Rock und besonders seine Beinkleider hatten auf der Reise sehr gelitten.

Er kam endlich und es befremdete alle, dass er so traurig aussah, obgleich er sich große Mühe gab, lustig und guter Dinge zu scheinen. Man scheute sich aber, ihn um die Ursache zu fragen. Er umarmte die Königin und wollte seine Tochter sehen. Man fand, dass sie ihm sehr ähnlich sähe, und er widerstritt nicht, weil er wusste, was Herkommens ist. Die Königin, die ihren zärtlichen Gemahl zärtlich lieb hatte, nahm den Harm zu Herzen, der sich in seinem ganzen Wesen zeigte. Als sie allein waren, sagte sie zum ihm:

»Aber Lieber, hast du nicht etwas auf dem Herzen, das dich quält? Und unsere Tochter…«

»Still davon«, unterbrach sie der König. »Ich habe das Kind lieb, es ist mir gewiss von oben beschert. Eben meine große Liebe zu dem unschuldigen Wesen ist die Ursache meines Kummers.«

Die Königin bat ihn, sich näher zu erklären, und nun erzählte er ihr sein trauriges Abenteuer mit dem Menschlöwen, von dem er ihr eine fürchterliche Schilderung machte.

Die Königin fiel, wie man leicht denken kann, in Ohnmacht. Da man sich große Mühe mit ihr gab, kam sie wieder zu sich; aber es dauerte eine lange Weile, ehe ihre Seufzer sie zu Worte kommen ließen. Als der König seine Gemahlin in diesem Zustand sah, fing er selbst an, jämmerlich zu klagen und zu schreien. Das Kind, das mit der Amme kam, weinte auch, ohne zu wissen warum. Endlich weinte der ganze Hofstaat.

Indessen galt ein alter Minister gut bei dem König, um ihn wieder ruhig zu machen; und sodann gab er einen Rat, der die ganze königliche Familie wieder beruhigte.

»Warum heulen und schreien Eure Majestät«, sagte er. »Das hilft nicht so viel! Denken Sie lieber darauf, Ihre Prinzessin Tochter zu retten oder sie wenigstens vor der einen Hälfte des großen Unglücks zu bewahren. Sobald sie das Alter erreicht hat, wo man sehen und verstehen lernt, tun Sie sie vom Hofe weg und lassen ihr keine Mannsperson zu Gesichte kommen. Lassen Sie ferner Bilder machen, die den Prinzen vorstellen, der Ihnen so bange macht. Ihre Kammerfrauen müssen ihr das Gewächs dieses Menschen herausstreichen, und wenn sie keinen andern kennt, wird sie vor ihrem Bräutigam gar nicht erschrecken. Sie müssen wissen, großer Fürst, besonders da Sie zu Fuße gereist sind, dass alles auf Vorurteil und Gewohnheit ankommt. Es ist seit vielen Jahrhunderten bekannt, dass unter beiden Geschlechtern ein kleiner Unterschied stattfindet. Ich gestehe, dass dieser Unterschied in diesem Falle gewaltig groß ist, weil der Prinz Garigarababa einen Löwenzagel hat und die Prinzessin keinen; aber dies ist die Geschichte des poco piu und poco meno und sie wird sich an das poco piu gewöhnen.«

Der König dachte lange über das nach, was sein Minister gesagt hatte, und da er den Rat gut und tunlich fand, so gab er ihn für seinen eigenen Gedanken aus und teilte als solchen der Königin mit. Sie beruhigte sich, er beruhigte sich und der Hofstaat beruhigte sich nun auch.

Man ließ überall die größten Maler aufsuchen und sie kamen von allen Enden und kündigten sich als solche teils laut, teils stillschweigend an. Man beschäftigte sie alle mit Zeichnungen, den Prinzen Garigarababa vorstellend, wie der König seine Gestalt angegeben hatte. In kurzer Zeit hatte man eine ganze Galerie davon beisammen und die ganze Welt wollte Prinzen mit Zageln haben.

Die Prinzessin, die man Bedebdeb nannte, ward zusehends schöner und schöner. Man dachte darauf, einen einsamen Aufenthalt für sie auszusuchen, und der König machte sich, von ein paar Regimentern Leibwache begleitet, auf den Weg und besuchte alle Lustschlösser, Landhäuser und Burgen, die er besaß, und das war keine kleine Arbeit, die ihm aber nicht so sauer ward als Kabinettsorder in die Feder zu sagen, weil er zur Erholung dabei jagen konnte.

Seine Wahl fiel endlich auf ein Lustschloss, das ihm zum Zwecke dienlich schien. Es war ein prächtiges Gebäude und die Tore waren von Perlenmutter, die Fenster von Diamanten, die Treppen von Elfenbein und das Dach bildete ein einziges Blatt von einem Baum, dessen Name nicht bekannt ist. Ein unermesslicher Wald lag rund herum, aber was diesen Aufenthalt noch köstlicher machte und was eine Seltsamkeit ist, das war ein Fluss von Milch, der unter den brilliantenen Fenstern des Schlosses sich hinschlängelte.

Weiter ging der König nun nicht, denn er glaubte, dass es hier seiner Tochter gefallen würde. Er ließ die bewussten Gemälde hier aufhängen und reiste nach Hause.

Die Prinzessin ging in ihr viertes Jahr, als sie nach dem Rate des weisen Ministers vom Hofe weggenommen werden musste. Man war sehr traurig darüber, weinte und ging schwarz.

Die Prinzessin fühlte nichts davon, weil sie noch zu jung war. Sie war außer sich vor Freuden, als sie von Weitem den Fluss von Milch bemerkte. Man musste still halten und ihr einen Becher voll davon holen, woraus sie einen Trunk tat und sodann Besitz von ihrem Schlosse nahm.

Es liefen einige Jahre vorbei. In dem Walde gab es seit langer Zeit viele Kohlenbrenner. Der König wusste nichts davon, weil kein König etwas von Kohlenbrennen zu wissen nötig hat. Die Kammerfrauen der Prinzessin, denen das eintönige Leben Langeweile machte, gingen zuweilen zu diesen Leuten, obgleich sie ganz schwarz waren,und machen sich eine Lust unter ihnen.

Die Prinzessin, die auch oft Langeweile hatte, wiegte sich ganze Tage mit untergeschlagenen Beinen auf den Polstern ihres Balkons. Aber das war ein trauriger Zeitvertreib, weil sie schon fünfzehn Jahre alt war. Ihr Wuchs war trefflich gehalten, ihre Haut weiß wie Lilien. Ihre Augen, ihre Zähne, ihre Wangen und ihre Haare waren gerade so schön, als sie an einer Prinzessin, die noch dazu unglücklich und die Heldin einer Erzählung ist, notwendig sein müssen.

Als sie einmal so auf ihrem Balkon saß, hörte sie eine Stimme, die ihr nicht bekannt war. Sie war neugierig und sah mit Ungeduld nach, woher sie kommen möchte. Sie hörte sich beim Namen nennen und man begleitete ihn mit tausend Lobsprüchen auf ihre Schönheit. Sie sah endlich, als die Überraschung sie wieder klar sehen ließ, eine Mannsperson am Fuße eines Baumes sitzen, die wie ein Kohlenbrenner gekleidet war. Er fuhr fort zu singen, ohne dass er die Prinzessin bemerkte, und sie fand wider ihren Willen Vergnügen daran. Als endlich der Kohlenbrenner die Augen aufschlug, drückt er sie blinzelnd wieder zu. Denn was er sah, blendete ihn. Die Blicke der Prinzessin funkelten aber auch außerordentlich. Ein sanftes Lächeln, das sie zu ihm hinabschickte, brachte ihn vollends außer sich und er verlor Sprache und Bewegung.

Die Prinzessin erschrak über seinen Zustand und schüttete in der Bestürzung ein ganzen Glas Eau de Cologne auf ihn herunter; aber dies würde ihn nicht zu sich selbst gebracht haben, wenn nicht endlich die Prinzessin in steigender Angst mit einer bezaubernden Stimme ihm zugerufen hätte:

»Schöner Kohlenbrenner, du hast zwar keinen Zagel hinten, wie der Prinz Garigarababa, aber du gefällst mir doch besser, und ich weiß nicht warum. Tu die Augen auf, wenn du mich lieb hast.«

Auf diese wenigen Worte, die aber in einem äußerst rührenden Tone gesagt wurden, konnte sich der Kohlenbrenner nicht enthalten, wieder zu sich selbst zu kommen. Er schlug die Augen auf und nun bat ihn die Prinzessin, seinen Gesang von vorne anzufangen. Das tat er auch, nicht so künstlich als vorher, aber dafür desto rührender, und dadurch gewann er das Herz der Prinzessin gänzlich.

Sie sagte niemand etwas von diesem Abenteuer, verlor sich aber in eine große Menge Betrachtungen darüber. Sie sagte bei sich selbst: Warum mag aber wohl der junge Mensch keinen solchen Zagel haben als der Prinz Garigarababa? Man hat ihn doch wohl nicht abgeschnitten? Das wäre entsetzlich! Es müsste wohl sehr weh tun! Aber der junge Mensch ist nur ein Kohlenbrenner und vielleicht dürfen nur die Prinzen einen haben. Wie kommt es aber, dass dieser Kohlenbrenner mir besser gefällt als der Prinz, dessen Porträt ich habe? Es muss wohl daher kommen, dass er mehr so ist wie ich. Er hat so eine sanfte, zärtliche Miene! Ja – ich gehe hin und reiße alle die Bilder in Stücke. Ich will nichts mehr von dem Prinzen hören und sehen!

Sie schlief die Nacht wenig und den andern Morgen sprang sie mit Anbruch des Tages, in ein reizendes Pet en l’Air von Silbergaze gekleidet, nach ihrem Balkon. Das Herz tat ihr weh, als sie ihren Kohlenbrenner nicht sah. Sie setzte sich nieder und hielt eine lange Weile das Gesicht hinter beide Hände versteckt, weil sie weinte, wie man versichern will.

Doch ihr Kummer dauerte nicht lange. Sie sah bald, wonach sie sich so schmerzlich gesehnt hatte; aber sie erstaunte nicht wenig, als sie einen andern jungen Menschen in eben dem Anzuge und eben so schön als er, bei ihm sah. Sie war sehr artig gegen sie und bat sie zu singen, was sie mit vielem Anstande taten. Die Prinzessin fand so viel Vergnügen daran, dass sie ihnen einen Korb voll Näschereien hinab ließ. Da sie aber fürchtete, dass ihre Kammerfrauen dazukommen möchten, so entfernte sie sich.

Der zweite Köhler fühlte nicht weniger Liebe zu der bezaubernden Prinzessin als der erste; aber die Prinzessin interessierte er bei Weitem nicht so als ersterer, für den der erste Eindruck mit der ganzen Überraschung desselben neben seiner Schönheit sprach.

Den andern Morgen gab es denselben Auftritt, aber es war schon wieder ein Kohlenbrenner mehr; und mit zwölf Morgen hatten sich auch richtig zwölf Anbeter eingefunden. Die Prinzessin war stolz auf den Besitz so vieler Herzen und die Konzerte, welche diese Zwölf ihr gaben, und die schönen Sachen, die sie ihr sagten, machten ihr viel Freude. Sie wollte aber gerne wissen, wer sie wären. Deshalb schrieb sie ihnen einen Brief, worin sie ihnen ihre Geschichte erzählte und worauf sie folgende Antwort erhielt:

»Wir hätten uns, göttliche Prinzessin, nie die Freiheit genommen, uns dir zu zeigen und nach deiner Zuneigung zu streben, wenn wir unsre Geburt nicht mit der Deinigen, so sehr erhoben sie auch ist, messen zu können geglaubt hätten. Wir sind, wie du uns hier siehst, zwölf Könige, alle zwölf voll brennender Liebe für dich. Erkläre dich, reizende Prinzessin. Schönheit hast du genug für zwölf, für hundert vielleicht; aber du hast nur ein Herz. Entscheide über Leben und Tod deiner zwölf untertänigsten Knechte und Könige. Wir haben uns so verkleidet, um nicht erkannt zu werden, wenn wir uns unter die übrigen Kohlenbrenner mischen.«

Die Prinzessin beschäftigte sich die ganze Nacht mit diesem Brief. Es sind Könige, sagte sie, und sie haben nicht den Schatten von Zageln! Sind sie vielleicht nicht mehr in Mode?

Den andern Morgen ging sie durch eine heimliche Tür aus dem Palast nach dem Orte, wo sie die zwölf Könige gewöhnlich fand. Sie wartete eine Weile auf sie, und als sie endlich kamen, warfen sie sich alle vor ihr auf die Knie. Sie befahl ihnen aufzustehen und sagte sodann zu dem, welchen sie zuerst gesehen hatte:

»Wie um alles in der Welt führt denn das Schicksal zwölf Könige zusammen? Zwölf Könige findet man sonst so leicht nicht.«

»Prinzessin«, erwiderte der junge König, »ich habe von deinen Reizen sprechen hören, erfuhr den Ort deines Aufenthalts, den schrecklichen Vermählungsplan, den dein Vater gemacht hat, und bin gekommen, um dich, wenn es möglich ist, dem Ungeheuer, das dich besitzen soll, aus den Händen, oder richtiger, aus den Klauen zu reißen. Ich glaube, dass meine Geschichte die Geschichte der elf andern Majestäten ist.«

Wirklich wiederholten diese der Prinzessin eben das und drangen zugleich in sie, sich für einen zu erklären.

Da sich die Prinzessin in so erlauchter Gesellschaft sah, verbarg sie die zärtlichen Gefühle nicht, die ihr der junge König Minzamo (dies war sein Name) einzuflößen gewusst hatte. Aber auf einmal wurden alle übrige laut und schrien:

»Ist es möglich, dass solch eine reizende Prinzessin, Tochter eines großen Königs, der eine Pilgerschaft ohne Hut und Schuhe gemacht und mit dem schrecklichen Ungeheuer Garigarababa gesprochen hat – dass diese sich von dem Zaunkönige Minzamo kann besiegen lassen? Das kleinste unsrer Dörfer hat mehr Einwohner als sein Königreich!«

Kaum ausgesagt, so ergriff der Stärkste unter ihnen die Prinzessin und lief mit ihr davon. Minzamo setzte außer Atem hinter ihm her, aber bald verlor er die Prinzessin und ihren Entführer aus den Augen. Man denke sich den Schmerz des armen Königs!

Die Prinzessin kam erst lange nachher wieder zu sich selbst und wäre fast sogleich wieder von sich selbst gekommen, denn o Schrecken! sie befand sich auf einem Schiffe und in der Gewalt eines Menschen, der ihr abscheulich war und der nicht sagte, wohin er sie zu führen dächte. Aber nach einem Laufe von einigen Tagen ließ sich eine große Flotte sehen, ein schrecklicher Krieg begann und das Wasser wurde fast zu Feuer. Kurz, die Prinzessin wurde das zweite Mal entführt und das war gerade einer der übrigen Könige. Er bemächtigte sich ihrer und sie sah sich abermals in der Gewalt eines Fürsten, den sie hasste, und so ging sie aus Schiff in Schiff und aus Hand in Hand bis zum elften König; aber ihr geliebter Minzamo allein erschien nicht. Man denke sich ihren Schmerz, ihre Tränen, ihr Schluchzen und Schreien.

Das Schiff, worauf sie sich mit dem elften Könige befand, litt Schiffbruch. Als die Prinzessin den Tod herankommen sah, dankte sie im Herzen dem Himmel dafür. Das Schiff, der König und sein ganzes Gefolge ging unter. Die reizende Bedebdeb allein entkam, denn sie musste entkommen, weil sonst ihre Geschichte hier aus gewesen wäre.

Die Winde warfen sie auf eine wüste Insel, deren es dort herum sehr viele gab. Sie legte sich auf den Sand nieder und zählte, von Tränen durchgeweicht, alle ihre Unglücksfälle an den Fingern nach.

»Ich war«, sagte sie, »die Braut eines Prinzen, der ein Ungeheuer war und einen großen Zagel hatte, und das ist nicht mehr Mode. Mein Papa hat mich eingesperrt und von seinem schönen Hof entfernt. Ich bin elfmal entführt worden und alle Augenblicke sündigte man gegen den Respekt. Ich habe Schiffbruch gelitten und befinde mich nun auf einer wüsten Insel, wo kein Palast ist und wo ich kein Gefolge habe. Ich habe den jungen König, den ich liebe, auf immer verloren und werde den Mann ohne Zagel nun nicht kriegen, weil man mich dem mit dem Zagel nicht lassen wollte! Ach, ich bin wohl eine recht unglückliche Prinzessin!«

Sie schwieg stille, um ihren Tränen ungestörten Lauf zu lassen. Nach einer Weile stand sie auf und fand eine dunkle Höhle. Nachdem sie sich einige Früchte aufgelesen hatte, ging sie hinein und schlief vor Mattigkeit bald ein.

Wir wollen sie schlafen lassen, denn sie hat es nötig, weil ihre Entführer keine Zeit dazu gelassen hatten.

Was finden die Kammerfrauen an, als sie die Prinzessin vermissten? Sie wussten nicht, was sie dazu denken sollten. Sie suchten sie im ganzen Schlosse, suchten sie im Walde, aber vergebens. Sie schrieben also an den König, ihren Vater, dass sie nicht wüssten, wo die Prinzessin geblieben wäre. Sein Zorn lässt sich nicht mit Worten ausrücken. Er schickte auf der Stelle vier oder fünf Kuriere an den Fürsten Garigarababa, um ihm zu melden, dass seine Tochter verschwunden sei, und ihn zu bitten, dass er ihr einige Armeen nachschickte, was auch er zu tun im Begriff stände. Zugleich hatte er das Bildnis seiner Tochter mitgeschickt, sodass er sie gewiss erkennen musste.

Dies ging in den verschiedenen Königreichen vor, während die schöne Prinzessin, die eigentlich alle Paläste des Universums hätte bewohnen und alle Ortelanen in der Welt essen sollen, sich kümmerlich von Früchten und Wurzeln nährte und die Nacht in einer wilden Höhle zubrachte. Da sie nicht wusste, was sie anfangen sollte, so machte sie Netze von Baumbast und fing Vögel und wilde Tiere damit. Das erste Mal, als sie dieselben aufstellte, fing sie einen Bären. Seine Haut kam ihr sehr gelegen für ihr Bette, das keines der zartesten war. Bald nachher fing sie einen Tiger, von dessen Haut sie sich ein Wams machte, denn es fing schon an, kalt zu werden.

Einmal legte sie ihre Netze sehr früh aus und ging darauf spazieren, weil sie bemerkt hatte, dass ihr die Bewegung sehr wohl tat. Sie kam erst mit sinkender Naht wieder nach Hause und fand, dass ihre Netze gesprengt waren. Einen guten Fang musste sie getan haben, meinte sie, und sie ging näher hinzu. Da sah sie aber weiter nichts als eine unbehülfliche schwarze Masse, wovor sie sich fürchtete. Sie beschloss, das Ding bis an den andern Morgen liegen zu lassen und es sodann tot zu schlagen. Als sie sich in ihrer Höhle zum Abendbrot setzte, hörte sie auf einmal einen Seufzer und bald darauf folgende Worte:

»O Tod, vergebens rief ich dich! Wann werden meine Leiden ein Ende haben! Wird dies Netz, das mich verstrickt hat, mich von der Bürde des Lebens befreien? Darf ich es endlich hoffen? O schöne, göttliche Prinzessin, wo bist du, wo bist du? Denkst du wohl noch an den unglücklichen Minzamo, der die Ehre hat, bis zu seinem letzten Atemzuge zu sein, dein ergebenster Diener? Ach! O weh!«

»Ja«, rief die Prinzessin und fuhr aus der Höhle hervor. »Ja, ich denke an dich, ich liebe dich wie sonst! Wo bist du, Lieber? Komm her in diese Wüste, sie wird ein Paradies sein, wenn wir nur beisammen sind.«

Sie lief, um den lieben Gefangenen los zu machen. Er hatte noch seinen Kohlenbrennerkittel an, denn er hatte noch nicht die Zeit gehabt, sich anders anzuziehen. Sie umarmten sich, trotz dem Respekt, den sie einander schuldig waren, und sie bot ihm Früchte zu seiner Erfrischung an. Darauf fragte sie ihn, wie er hierher gekommen wäre, und er antwortete: Als er sie gar nicht hätte finden können, wäre er ins Wasser gesprungen. Die Prinzessin erschrak, aber der Prinz beruhigte sie und sagte:

»Aber ich bin nicht ertrunken. Ein ungeheuer großer Fisch schluckte mich ungekaut hinter und gab mich auf der andern Seite im Grünen wieder von sich. Ich strich lange umher, ohne zu wissen, wo ich hingeriet. Heute bin ich in deinen Netzen gefangen (setzte er mit einer süßen Miene hinzu) und ich darf sagen, nicht das erste Mal. Aber der Himmel wird uns nach so vielen Leiden nicht wieder trennen.«

Die Prinzessin zeigte dem Prinzen seufzend eine Höhle nicht weit von ihrer, wo er züchtiglich einzog. So verliefen einige Tage.

Als sie eines Abends in der Höhle der Prinzessin vertraulich schwatzten, hörten sie einen großen Lärm und Stimmen, welche schrien:

»Wir sind gefangen! Wir sind gefangen!«

Der König Minzamo, der mutig, lebhaft und stark war, sprang mit dem Säbel in der Hand aus der Höhle, fuchtelte wild um sich her und vernahm eine Stimme:

»Sieh dich doch vor, Bauernjunge! Kannst du dich unterstehen, den Prinzen Garigarababa umzubringen, der mit seinem lieben Papa hier liegt wie ein armer Wurm?«

Nun bat Minzamo die Prinzessin, Licht zu bringen. Sie kam gleich und nun sahen sie wirklich die beiden Ungeheuer in den Netzen verfitzt und beide verwundet da liegen. Diese erkannten die Prinzessin auf den ersten Blick und erhoben einen schrecklichen Lärm.

»Was, Ihr Ungetüm«, sagte Minzamo, »Ihr wollt noch groß recht haben? Seid ihr Könige mit euren Zageln da? Und so eine schöne Prinzessin sollte an euch kommen? Geduld! Ihr habt einen meiner Onkel von mütterlicher Seite den Thron gestohlen; er hat keine Kinder, also gehört das gestohlene Gut mir, und da ihr es nicht lange mehr machen werdet, so seid gescheit und schreibt ein paar Worte mit eurem Blute, die dahin lauten, dass ich Erbe eurer Staaten sei. Das unterschreibt und sterbt, so bin ich zufrieden. Entschließt euch rasch!«

»Ist es möglich«, rief Garigarababa, »dass wir über dem Suchen nach der berühmten Prinzessin wie Pinkel gefangen werden? Aber Gewalt geht vor Recht. Wir müssen unterschreiben.«

Sogleich verlangte er Papier und schrieb mit seinem Blute, dass er seinen Thron den Fürsten Minzamo als dem rechtmäßigen Erben desselben abträte. Einige von ihrem Gefolge kamen nun, da es ein wenig zu spät war, und er las ihnen vor, was er geschrieben hatte. Sie billigten es, weil sie ihn in letzten Zügen und den Säbel in Minzamos Hand blitzen sahen. Garigarababa, der Sohn, befand sich schon nicht mehr wohl und beide lebten nur noch ein paar Minuten. Darauf starben sie und man legte sie beide in die Höhle.

Der Prinz und die Prinzessin gingen vergnügt zu Schiffe. Sie segelten nach ihrem Königreiche, wo der König Herosparvus und seine Gemahlin die beiden Ungeheuer erwarteten; aber sie waren sehr angenehm überrascht, als sie statt ihrer ihre Tochter und einen artigen König vor sich sahen. Sie willigten mit Freuden in ihre Verbindung und das Beilager wurde mit möglicher und fast unmöglicher Pracht vollzogen.

Die zehn Könige erfuhren Minzamos Glück mit Zittern und Neid, aber sie hatten nicht Herz sich daran zu reiben, und daran taten sie wohl. Die Prinzessin kam recht oft in die Wochen, ohne dass ihr Gemahl nötig hatte, eine Pilgerschaft anzutreten. Der König Herosparvus ließ dies seine Gemahlin bemerken, aber sie brach kurz davon ab und sie lebten noch sehr lange glücklich und zufrieden.

 

Quelle: Christian August Vulpius (aus »Ammenmärchen«, 1791)

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