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Märchenbasar

Der Talisname des Ifrit

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Armut, Verlassenheit und Elend sind die ganz großen Begnadigungen, einem Geschenk gleich, dessen Wert nur der versteht, dessen Herz Augen und Ohren besitzt. Für andere gleicht die Gabe einer Münze, die man nicht kennt, deren Wert in anderen Landen gilt und dessen Besitz dennoch zum Hungern verurteilt. Die aber, deren Gabe solche Güter sind, schauen auf die von ihnen Beschenkten. Wo sie entdecken., daß das Mitfühlen mit den Geschöpfen, die stumm leiden, jenen, die man nicht Brüder, nein, Tiere nennt, aus dem eigenen Leiden hervorwuchs, da nahen sie sich und zeigen den Verstehenden des Lebens lachende Seite. Oftmals nun trifft es sich, daß auch ein Ifrit, der freundliche Geist der Lüfte und Wasser, von denen bekämpft wird, die dem Dunkel und der Hortung des Goldes verhaftet sind, den Djinnen und den Dews. Dann will es das Gesetz aller Dinge, daß nur der, der zwischen den Geistern schwebt und ist, der Mensch, ein Helfer sein kann. Und so sucht der Ifrit, dem Unrecht geschah, den helfenden Menschen zu erkennen dadurch, daß er sich in der Gestalt eines leidenden Tieres naht. Arm, verlassen und elend war Achmed immer gewesen. Er konnte sich an keine Stunde seines jungen Lebens erinnern, da er nicht gehungert hätte, und an sehr wenige, da er nicht mit Fußtritten fortgejagt worden wäre, und an sehr wenige, wenn er vom Duft des frischen Brotes unwiderstehlich angelockt, sich mit stummer Bitte dem Verkaufsstand nahte. An diesem Tage nun war ihm das Kismet gut gesinnt gewesen; denn unmittelbar vor seine Füße, wo er nahe dem Tore eines Karawan-Serail am Boden hockte, war ein Stück Brot niedergefallen. Achmed sah die herrliche Gabe liegen, aber er bückte sich nicht sogleich danach, denn er fürchtete sich vor dem Fußtritt, der ihn lohnen würde, so der Besitzer des köstlichen Stückes zurückkehrte, es sich zu nehmen. So wartete er, bangen Blickes sich nach allen Seiten umschauend, und erst als geraume Zeit vergangen war und niemand sich näherte, wagte Achmed es, sich zu bücken und das Stück Brot aufzunehmen. Sorgfältig säuberte er es vom Staube, hielt es ich vor die Augen, sah es dankbar und verehrend an, murmelte den Namen Allahs, der es ihm schickte, und wollte hineinbeißen. Da fühlte er eine leichte Berührung am Knie, hörte ein feines, müdes Winseln; er sah herab und erblickte einen kleinen Hund, der in Wahrheit ein Bild des Jammers war. Er schien sich kaum mehr auf den Beinen halten zu können, und alle Knochen waren unter dem struppigen Fell sichtbar. Auch hatte er Angst, denn als Achmed zu ihm herabsah, wich er sogleich zurück und blieb mit eingezogenem Schwanz abseits wartend stehen. „Genau wie ich ist er, hat Angst vor Fußtritten und Hunger, der Arme. Mein Bruder ist er. Komm her, komm zu mir, wir essen das Brot zusammen komm!“ Diese letzten Worte sprach Achmed vernehmlich, aber doch so leise, daß das elende Tier nicht erschrecke. Der Hund kam vorsichtig näher, blieb stehen, schaute aus trüben Augen zu dem Knaben auf, kam dann ganz nahe. Achmed beugte sich vor, griff nach dem Hund, der erschrak, es sich aber doch gefallen ließ, hochgehoben zu werden. Der Knabe nahm ihn in die Arme, hielt ihn an sich gedrückt, sagte leise: „So, jetzt essen wir zusammen das gesegnete Brot, kleiner Bruder. Da nimm!“ Und er brach ein Stück ab, gab zuerst dem Hunde, nahm dann eines für sich und so fort, bis das Mahl beendet war. Der kleine Hund hatte sich warm und vertrauend an den Knaben geschmiegt, und den durchströmte ein seltsames Wohlbehagen bei der Berührung diesen kleinen Bruders. Er hielt ihn an sich gepreßt, sagte: „Es wäre schön, wenn du bei mir bliebest, kleiner Bruder. Wir würden nicht so frieren, des Nachts schliefen wir zusammen, und sicher fände ich für dich und für mich auch immer ein weniges, den Hunger zu stillen. Bleibst du bei mir? Sage !“ Nun sagte der Hund zwar nichts, aber beugte sich näher und leckte des Knaben Hand. Und dies war in Achmeds Leben die erste Liebkosung, die ihm zuteil ward. Ihm stürzten die Tränen aus den Augen, er legte seinen Kopf auf den des Hundes, und ganz plötzlich war er eingeschlafen.

Und träumte, sah und hörte dieses: Er befand sich in einem großen und hellen Raume, und vor ihm stand ein Jüngling von großer Schönheit, der ihn so gut und so warm ansah, wie es noch niemals ein Mensch getan hatte. Der Jüngling sagte: „Komm mit mir, Achmed, ich will dir etwas zeigen, das mein ist und mir geraubt ward. Komm!“ Er nahm Achmed bei der Hand und führte ihn durch weite Gänge hin zu einem Tor, das aus goldenen Gittern bestand. „Blicke hindurch! Was siehst du?“, fragte der Jüngling. Achmed schaute und berichtete: „Ich sehe einen Saal, in dessen Mitte ein Ruhebett steht. Ein Mädchen liegt darauf und schläft.“ Der Jüngling fragte wieder! Und was ist noch zu sehen? Was erblickst du in ihrer Nähe? Sage es mir.“ Achmed war verwundert, daß der Jüngling ihn so fragte, der doch neben ihm stand und alles ihm gleich sehen mußte: aber als er sich zu dem schönen Jüngling umwandte, bemerkte er, daß dessen Augen geschlossen waren. Wohl seltsam, aber doch im Traume nicht so erstaunlich. So zählte denn Achmed auf, was er nahe dem schlafenden Mädchen erblickte. „Neben ihrem Lager befindet sich ein niedriger Tisch, darauf glänzt es von seltsamen Dingen, die ich nicht kenne, aber sie sind wie die Lampen in den Moscheen. Ich glaube, es sind Vögel, o ja, es sind Möwen, wie sie über den Wellen fliegen, aber sie sind aus etwas, das glänzt und scheint, ja, wie Licht. Und es blendet, und ich sehe nichts mehr“, sagte Achmed und wachte davon auf, daß der kleine Hund ihm wieder die Hand leckte. „Mein kleiner Bruder“, sagte der Knabe, „wie schön, dich zu finden beim Erwachen! Gehen wir von hier und schauen, ob uns das Kismet noch etwas zu essen beschert! Auch weiß ich einen Brunnen nicht weit entfernt, wo wir unseren Durst löschen können. Nein. Halt still, ich trage dich, kleiner Bruder, noch bist du zum Gehen zu schwach.“

Als sie so gingen, geschah es, daß der kleine Hund immer wieder seltsame Bewegungen machte, wenn sie an Stellen kamen, wo sich Wege kreuzten oder die Richtung sich änderte. Dann hob er sich in Achmeds Armen hoch, stieß mit dem Kopf an des Knaben Schulter und schien auf diese Art deutlich anzuzeigen, daß er auf einen bestimmten Weg weisen wollte. Zuerst verstand Achmed nicht, was das zu bedeuten habe, aber dann lachte er, sagte fröhlich: „Mein kleiner Bruder will, daß wir dort entlang gehen? Nun, mir ist alles recht, so gehen wir denn.“ Ein leises zufriedenes Bellen folgte, und das Ganze wiederholte sich oftmals, bis Achmed, auf diese Weise geführt, zu seinem Erstaunen auf einem weiten Platz stand, auf dem gerade eine Karawane zusammengestellt wurde.
Hinlänglich bekannt ist, daß sich zahlreiche Reisende mit ihren Tieren der Karawane anschließen, die von Bewaffneten begleitet werden; denn auf diese Art können solche, die nur mit drei oder vier Tieren reisen, auch eines Schutzes gewiß sein. Achmed und sein kleiner Bruder standen dort und sahen zu, wie sich unter viel Geschrei und Unruhe die verschiedenen Zusammengehörigkeiten zu einem Ganzen bildeten. Einige Kamele ruhten noch auf dem Boden, wurden beladen, trugen auch schon die Tragsessel, in denen, hinter Vorhängen verborgen und wohl behütet, die Frauen zu reisen pflegen. Ohne dessen gewahr zu werden ganz beschäftigt mit dem Betrachten des bewegten Bildes, stand Achmed in nächster Nähe einer solchen Haudah, da er vor bereits aufgestandenen Kamelen hatte zurückweichen müssen. Er erschrak heftig, als sich aus den Vorhangsfalten dieser Haudah eine Hand vorstreckte und den Hund in seinen Armen streichelte. Zugleich rief eine eigenwillige junge Frauenstimme; „Sieh nur das seidenweiche entzückende Tier, o meine Mutter! Laß es mich haben, ich bitte dich, kaufe es dem Bettlerknaben ab, ich bitte dich!“ Achmed hörte die Worte, schickte sich an zu lachen, daß sein kleiner Bruder im Elend seidenweich und entzückend genannt wurde, blickte auf seinen Hund in den Armen herab und hätte ihn beinahe fallen lassen vor Straunen, Schreck, Nichtbegreifen. Denn das arme, magere, elende Tier, das er seinen kleinen Bruder genannt hatte, war verwandelt in ein kleines weißes Hündchen, dessen Fell glänzte und weich war, dessen Augen klar und hell klar schauten, das warm und schwiegsam auf seinen Armen saß und eben wieder, wie um Vergebung bittend für den zugefügten Schreck, die haltende Hand leckte. Wieder kam die Mädchenhand aus dem Vorhangspalt hervor, strich lieb kosend über das weiche Fell, und die helle junge Stimme begann von neuem mit dem Fordern und Betteln. Verärgert antwortete eine ältere Frauenstimme, und als sich das Fordern zu immer lauterem Rufe erhob, kam ein würdiger Mann daher, der bisher nahe einem anderen, noch liegenden Kamele gestanden hatte. „Was geht hier vor? Was schreist du so, Melek? Es ist eine Schande. Daß deine Stimme weithin zu vernehmen ist. Sei still nun, meine Tochter, ich befehle es dir!“ Aber diese Melek, fälschlich mit dem Namen der Engel belegt, gab sich auch dem Befehl des Vaters gegenüber nicht zufrieden. „Ein Hund, Herr Vater, ein entzückender, seidenweicher kleiner Hund! Sieh ihn nur an, ich bitte dich! Kaufe ihn mir, o tu es! Der Bettlerjunge verkauft ihn dir gewiß.“ Der Vater, offenbar an die Launen der verwöhnten Tochter peinlichst gewöhnt, wandte sich an Achmed, fragte: „ Wieviel verlangst für das Tier?“ Der kleine Hund verkroch sich tief in die haltenden Arme, und Achmeds Arme, und Achmed sagte: „Ich verkaufe ihn nicht.“ Hell kreischte das Mädchen Melek auf, und der Vater hielt sich die gepeinigten Ohren zu. „Djanoum, Knabe, nenne deinen Preis, damit es Ruhe gibt.“ Achmed wiederholte ruhig: „Ich verkaufe ihn nicht.“

In diesem Augenblicke wurde der Ruf hörbar, der immer die Kamele zum Aufstehen veranlaßt. Schon erhob sich das Tier mit der Haudah der Frauen, und wieder schrie das Mädchen auf. Da packte der gequälte Vater Achmed am Arm, zog ihn mit sich fort, ging nahezu laufend zu einem noch liegenden Tiere, rief zudem droben hockenden Diener hinauf: „ Selim, nimm diesen Knaben und seinen Hund mit dir, bewahre ihn bis zu unserem ersten Halt. Hinauf du, sonst steht das Tier, ehe du oben bist.“Achmed tat, wie ihm befohlen wurde, drückte seinen kleinen, so seltsam verwandelten Bruder fest an sich und hockte sich hinter den Diener Selim. Ihm war es ganz gleich, wo er sich befand, ob dort, ob hier, Hunger gab es allerorten. Und dann erhob sich das Kamel fast sogleich, tat langsam und wiegend den ersten Schritt und war eine von vielen, die der Sonne entgegenzogen. Kismet. Während nach einigen Stunden, davon Achmed nicht wußte, ob es viele, ob es wenig gewesen waren, die Karawane sich ihrem nächtlichen Lagerplatz näherte, genoß der Knabe das ihm zum ersten Male bescherte
Fühlen und Erblicken der unbegrenzten Ferne. Dieses Erleben bestimmte sein zukünftiges Leben, was nicht verwunderlich ist, wenn sich ein Menschenkind ganz in der so nebelhaft scheinenden Führung befindet, die doch klar und sicher ist und die wir Kismet nennen. Was aber ist ein Wort? Atem, dem Mund entlassen, Vorhang, das Fühlen verbergend. Und solcherart wäre es auch ehrfurchtsvoll erlaubt zu sagen: hier führt Allah eines seiner bescheidensten Kinder. El hamd. Am Lagerplatz angelangt, entstand die übliche Unruhe und Verwirrung, und niemand achtete auf Achmed. Was macht ein bettelhafter Knabe mehr oder weniger aus? Wen traf sein Vorhandensein? Mochte der, der seine Dienste bezahlte, auf ihn achten. Doch eben diesen, der seine Dienste bezahlte, gab es nicht, wohl aber jene, die durch ihre schrille junge Stimme den Bezahlenden zur Unterwerfung zwang. Maschallah, wie viele Frauen gibt es, die an der Unachtsamkeit ihres Eheherrn gerächt werden durch ihre Töchter, in deren Hände er nichts ist, als eine weichgekochte Maisschote! Und so schrie auch diese junge, fälschlich Melek Genannte gleich, nachdem sich die Kamele niedergelegt hatten, nach dem Hund, dem Tier mit dem weichen Silberfell, „den ich haben muß! Achmed vernahm erschreckt die ihm schon verhaßte, die fordernde Stimme, drückte die Wärme des kleinen Bruders enger an sich und sah auf den kleinen Hund herab, den er während seines Reitens nur gefühlt, nicht gesehen hatte. Da durchzuckte ihn ein heißer, froher Schreck, denn der kleine Hund sah ebenso verhungert, ebenso verkommen aus, als er ihn zum ersten Male erblickt hatte, und….dajoum…war es so oder war es nicht so: vermochte er wirklich zu lachen? Er hatte die Oberlippe über die Zähne zurückgezogen, und jetzt erst sah Achmed, welch schöne, weiße, ebenmäßige Zähne sein kleiner Bruder hatte. War es denkbar oder sah es nur sein heiter liebender Sinn: der kleine Bruder kniff ein helles Auge zusammen und gab mit seinem Kopf der Armbeuge, in der er ruhte, einen sanften Stoß in Richtung auf die fordernd rufende Engelstimme hin. Achmed, ein Knabe, der vom Hungern gelebt hatte, der verstand, worum es ging auf dieser runden Erde, preßte den spitzen Kopf des Hundes noch etwas weicher an sich und sagte leise: „So spielst du, kleiner Bruder? Gut denn, ich spiele mit!“ und ging stolzen Schrittes, ein Sieger und ein Held, dorthin, woher die schrille Engelstimme erklang. Er verneigte sich geziemend vor der noch nicht entladenen Haudah, sagte ehrerbietig: „Du hast mich und meinem Hund befohlen, Herrin?“ und hielt den armen, den verhungerten, den struppigen kleinen Bruder zur Besichtigung an die Vorhänge des Haudah hoch. Schnell aber entfernte sich achmed wieder, den aus der Haudah flog ein Schuh, es ist wahr, ein schön in Gold gestickter Schuh aus blauem Samt, aber dennoch flog er so, wie ein beliebiger Schuh eben fliegt, der nicht als Bekleidungsgegenstand dient, sondern als Waffe der Waffenlosen.

Zugleich erging sich die Engelsstimme in Äußerungen über die Verworfenheit der Welt im ganzen, die ihres Vaters im besonderen und die noch hinzukommende Verhöhnung durch einen Bettlerjungen, der die Frechheit besitze, ihr einen von Läusen zerfressenden Stinkköter als den seidenweichen, lieblichen Hund ihres Verlangens anzubieten. Mit Gedankenschnelle entfernte sich Achmed aus der Engelsnähe und war alsogleich im Gewimmel der immer zahlreichen Gefolgschaft einer Karawane verschwunden. Er setzte sich in der Oase unter einen entfernten Palme nieder, den kleinen Bruder immer sorgsam haltend. Dann sagte er leise, so wie man gewohnt, ist fast lautlos die Worte des Herzens mit eines Atems leichtem Hauch aus der zu engen Brust entlassen: „Höre mir zu, du mein Gefährte und Freund, denn ich beginne nun zu verstehen.“ Der kleine Hund schmiegte schmiegte sich fester die haltenden Arme der Liebe und schaute wie wartend auf den redenden Mund. „Du hast, um uns zu führen, mir den Weg gewiesen; du machst dich weich und lieblich für die Gier dieses Mädchens, und so kamen wir bis hierher; du wurdest dann wieder ärmlich und zur Unbegehr, auf daß du für immer bei mir bliebtest …ist es nicht so?“ Der kleine Hund reckte sich hoch und leckte zart die Wange des Knaben. „Nun siehst du, mein kleiner Bruder, wir verstehen uns. Da es bisher so geschah, wird auch weiterhin vieles sich ereignen, und du und ich, wir werden nun der Ruhe pflegen, bis daß die Hand uns weckt, die uns hierher leitetet und uns den Weg weist, den wir zu gehen bestimmt sind. Allah akbar.“

Mit diesen Worten des Dankes und des Erkennens rollte sich Achmed zusammen, wie er es zu tun gewohnt war gegen Kälte und Hunger, obgleich er die zwei grimmigen Feinde eben jetzt nicht verspürte. Er nahm den kleinen Bruder noch näher in seine Umschlingung und war sogleich eingeschlafen. Nichts wußte Achmed von dem Hin und Her des Lagers, nichts auch davon, daß über der Stelle, wo er ruhte, unversehens und ohne wissendlich erkennbare Ursache ein Zweig der Dattelpalme, unter der er lag, abbrach und sich über ihn und den Hund legte, dabei sanft und zart verfahrend, daß sie beide verdeckt und verborgen waren. Achmed schlief tief und vertrauend in der Hand Allahs geborgen, und der kleine Hund gab ihm Wärme und Zweisamkeit. Und wieder träumte Achmed. Er stand vor der goldenen Gitterpforte wie ehemals, aber sie war geöffnet. Neben ihm war wieder der schöne Jüngling, der ihn so warm und liebeströmend angesehen hatte, und sagte mit ruhiger, fast bittender Stimme: „Geh nun hinein, du mein kleiner Menschenfreund, und hole mir meine Talismane, die lichten Möwen. Du musst wissen, ich kann den Raum nicht betreten, denn ein Dew hat mich an eine Grenze gebannt, über die ich nicht gelange. Doch war ich einstmals ein freier Geist über den Meeren, und die Schwingen jener Möwen sind die meinen. Nun bannte er mich in Menschengestalt, dieser Dew, und schenkte meinen Geist, meine Schwingen jenem von ihm begehrten Mädchen, das dort ruht. Er lachte, als er es tat, und sagte: „Ehe du nicht bei den Menschen ein Lebendes findest, das Elend und Hunger mehr liebt als Glanz und Pracht, ehe wirst du deine Schwingen nicht wieder erhalten. Nun fand ich dich Achmed, und ich weiß, wie sehr du gehungert hast. Du wirst Genügen und Reichtum grüßen, ist es nicht so? Niemals mehr wirst du hungern noch dürsten. Geh und hole mir meine Schwingen. Gib mir den Hund, denn ich bin er, wenn er auch nur ein kleiner Teil von mir ist, der Erdgebundene. Gib ihn mir.“ Achmed hatte sich diese vielen Worte angehört und von ihnen allen nur dieses wirklich aufgenommen: gib mir den Hund…Er reckte sich jetzt in seinem Träume auf, fragte eindringlich: „Warum muß ich dir meinen kleinen Bruder geben. Ist es nicht erlaubt, ihn mitzunehmen und dir dennoch deine Schwingen zu bringen, o Ifrit?“

Aber der Ifrit schüttelte seine sonnenhellen Locken, sagte, den Kopf hocherhoben, mit geschlossenen Augen wie weltweit suchend: „Es ist unmöglich. Dein Lieben hat dem kleinen Hunde Blut von dir, Kraft von dir gegeben, und er wäre ein Gewicht, das dich beschweren und dich meine Schwingen nicht ergreifen lassen würde. Gib mir den Hund, ich werde ihn vernichten diesen meinen schweren Menschenteil, um der Tragkraft meiner Schwingen willen. Gib ihn, sage ich dir!“ Aber Achmed, in seinem Träume, vernahm wieder nur wenige Worte, und diese waren: ich werde ihn vernichten…Das einzige, das ihm jemals Gefährte war, das Wesen, das ihm seines Lebens erste Liebkosungen gegeben hatte, das wollte dieser schöne, dieser grausame Jüngling vernichten? Immer noch hielt er in seinem Träume den kleinen Bruder fest umschlossen, drückte ihn an sich, sagte so ruhig, wie man spricht, wenn man vermeint, nicht mehr viele Worte des Lebens aussprechen zu können: „O Ifrit, dem ich Dank schulde, vergib diesem Armen, der vor dir steht, aber begreife mich: Ich bin willens, dir deine Schwingen zu holen, wenn es nicht anders ist, mit meinem Blut und Leben. Aber Reichtum will ich nicht, und den Hund gebe ich dir nicht. Vergib und zürne nicht.“ Der Ifrit öffnete seine Augen voll Schreck, rief: „Nun ich dich fand, der Mitleid fühlte, nun der du bist, mir zu helfen, verweigerst du dich mir und meiner Not, Undankbarer?“

Achmed war traurig, im Traume, da erfühlte, er gebe dem -Ifrit nicht, was der zum Dank verlangen konnte, sagte leise und bedrückt: „Reichtum, den du mir schenken wollst, begehre ich nicht; ein wenig Brot und Wasser an jedem Tage genügt uns, dem kleinen Bruder und mir. Willst du mich aber vernichten mit deinem Zorne, o Ifrit, so tu es. Den Hund aber gebe ich dir nicht!“ Das nun schrie er heraus, und von seinem eigenem Traumschrei erwachte Achmed. Er wollte sich aufsetzen, spürte aber den behindernden Zweig der Palme und schob ihn beiseite, um durch die Blätter zu spähen.
Da aber erschrak er, denn er sah nichts von der Karawane, nichts vom Lager, und es war schon heller Tag. „Kleiner Bruder, wir sind vergessen und allein!“ rief Achmed, lachte aber dazu, denn neben sich sah er einige Datteln liegen, und das Wasser der Oase war nicht weit. Zögernd und zweifelnd entfernte er den Kern einer Frucht, hielt das Fleisch dem kleinen Hunde hin und war erstaunt zu sehen, daß er es eifrig verzehrte. So stillten sie gemeinsam Hunger und Durst, doch blickte sich Achmed nun ratlos um., suchte in der Weite der Wüste etwas zu erspähen, was seiner sich nähernden Karawane gliche, konnte jedoch nichts entdecken, vermißte auch plötzlich den kleinen Hund. Sehr beunruhigt begann er ihn zu suchen; da sprang das kleine Tier plötzlich herbei, packte ein Zipfel von Achmeds ärmlicher Kleidung, riß daran, sprang fort, kam wieder, tat das gleiche. „Kleiner Bruder, siehst du nicht, daß es schon Fetzen sind, die ich an mir habe, mußt du es noch schlimmer machen? Nun ja, ich habe verstanden, ich komme, führe du mich.“

Aufgeregt hin und her springend, brachte der Hund Achmed ein kleines Stück von der Oase entfernt zu einer zahlreichen, sich oft während weniger Stunden bildenden Dünen, und dort, niedergesunken in ihrem spärlichen Schatten, lag ein Esel. Achmed erschrak,, kniete nieder bei dem Tier und sah, daß es an einem seiner zierlichen Füße eine häßliche Wunde hatte. Fast sah es aus, als sei sie durch den Biß eines Kamels verursacht, und es war vermutlich erst vor einiger Zeit geschehen, kurz vor dem Aufbruch. Vielfach kam es vor, daß ein unbrauchbar gewordenes Tier zurückgelassen wurde und langsam verendete. Nun ist es nichts Ungewöhnliches, daß die einsamen Kinder der Straße verstehen, ihre durch Steinwürfe oder Hundebisse verursachten Verwundungen selbst zu pflegen, da sich doch niemand ihrer annimmt – und auch Achmed wußte mit dergleichen nicht umzugehen. Kräuter galt es zu finden; aber was gab es hier solcherart mitten in der Wüste? Doch er ging suchen und fand auch nahe dem Wasser, was er brauchte, feuchtete die Kräuter an und ging zum Esel zurück. Von seiner schmalen Leibbinde riß er ein Stück ab und band die nassen Kräuter um das wunde Bein. Dann holte er sich in seinem Fez Wasser und ließ den Esel trinken. Der kleine Hund begleitete alle Wege, und bald hatte der Esel die Angst vor dem Menschen überwunden und ließ sich alles gefallen. So verging der Tag, dessen Hitze in der Oase erträglich war, und gegen Abend schon erhob sich das Grautier und hinkte selbst zum Rande des Wassers. Nachdem auch während der Nacht in ihrer erfrischenden Kühle die Wunde sorgfältig behandelt worden war, stand der Esel am Morgen schon wieder fest auf den Beinen. Ermüdet von allem Hin und Her verfiel in der Frühe Achmed in einen unruhigen Schlaf, sah wieder das goldene Gittertor seiner Träume und hörte Stimme sagen: Wenn die Sonne sinkt, zieh ihrem Lichte nach und komm zu mir mit deinen Tieren. Sei ohne Bangen, der Weg ist gebahnt.“

Was kann der Mensch mehr verlangen als Datteln und Wasser? Achmed war zufrieden, dachte nur darüber nach, wie er ein Behältnis für Wasser finden könne, wenn er nun in die Wüste zog, denn wer wußte, wie lang die Reise währen würde? So begann er alles zu durchsuchen, was die Karawane zurückgelassen hatte an Unbrauchbarem, und entdeckte eine Blechdose, die Zucker enthalten haben mochte. Auf diese Art ausgerüstet, mit dem sattellosen und dem kleinen Hund, begann Achmed die Wanderung in die Weite Wüste, wie ihm träumend befohlen worden war, der sinkenden Sonne nach. Immer schwang er sich auf des Esels Rücken, wollte den kaum Geheilten jedoch nicht zu lange belasten und ging dann ein Stück weit nebenher, den kleinen Hund im Arm. Er wußte auf diesem Wege nie, ob er wache, ob er träume, denn es war, als bildeten Die strahlen der sinkenden Sonne einen Pfad, und Achmed wollte scheinen, er könne den Weg nicht verfehlen; wenn er auch nicht ahnte, wohin er führte. Als es zu dunkeln begann, übernahm der Mond die Führung, und noch ehe er versank, sah Achmed vor sich ein hohes Serail aufragen. War es Wirklichkeit, war es Spiegelung? Näher kamen sie und näher, und dann standen die gewaltigen Mauern aus dem Dämmern vor dem Knaben auf, und es Wirklichkeit, wenn auch eine traumgleiche. Denn kein Mensch war zu sehen, kein Anruf erscholl, kein Tor war verschlossen. Achmed, der Esel und der Hund kamen durch die weiten Höfe, sahen in hohe Gemächer, erblickten nichts Lebendiges. Plötzlich aber blieb der Knabe stehen, griff sich erschreckt ans Herz, das klopfte, als habe er einen großen Lauf getan, denn vor ihm zeigte sich die goldene Gitterpforte seiner Träume. Wie suchend blickte sich Achmed um, und als er es tat, fühlte er seine Hand ergriffen, und neben ihm stand der schöne Jüngling. Seine Augen waren offen und sahen den Knaben so warm und gütig an wie beim ersten Treffen, und er sagte: „Bist du nun gekommen, Achmed, mein kleiner Menschenfreund, und hast wieder ein Wesen mitgeführt, dem du Hilfe gewährtest? Sieh nur, welch schönes, edles Tier es ist!“ Achmed wollte erwidern, daß es sich um einen armen, müden Esel handle, sah sich aber doch um und stieß ein Ruf des Erstaunens aus, denn dort stand nicht der Esel, dort stand ein junges weißes Kamel, wohl das seltenste und kostbarste aller unserer Tiere. „Wie denn aber…wo ist der Esel?“ fragte Achmed ratlos. „Und sage mir, ist es an dem, daß ich dir deine Schwingen holen soll und du mir meinen kleinen Bruder nehmen willst, o grausamer Ifrit?“ Der Ifrit sah auf Achmed herab, lächelte und sagte: „Daß du mich grausam nennst, ist erheiternd. Ich gab dir vieles, und du willst mir nicht den Dienst erweisen, den nur eine Menschenhand, die deine, mir tun kann? Um eines Hundes willen nicht?“ Der kleine Hund in Achmeds Arm drückte sich fest an den Knaben. „Habe keine Sorge, ich gebe dich nicht her, mein kleiner Bruder, nur mit dir gemeinsam gehe ich diese Schwingen holen, komm!“

Er stieß mit dem Fuß gegen das goldenen Gitter, das sich öffnete mit einem Geräusch wie ein Seufzer, tat drei Schritte und war an dem niederen Tisch bei dem schlafenden Mädchen. Ein Griff, und er hielt zwei aus Edelgestein gebildeten Möwen in Händen, warf sie hoch und dem Ifrit zu, der am Gitter stand und sie auffing. Im gleichen Augenblick sank alles fort. Kein Mädchen, kein Gitter, kein Serail, kein weißes Kamel, nichts. Wüste, nur Wüste. Hoch oben in der Luft aber, wo wohl noch niemals Möwen gesegelt waren, da schwebten sie, kreisten über Achmed, stießen ihre schrillen Schreie aus, blieben über ihm. Er hielt den kleinen Bruder im Arm und begann seine Wanderung, folgte dem Flug der Möwen und fand sich bald, er wußte nicht wann oder wie, am Meeresufer. Die Möwen kreisten und ließen sich nieder auf der Mastspitze eines Bootes, das näher kam, dann mit stoßendem Kiel nahe vor dem Abgrund landete. Ein Mann stand am Bootsrand, der glich dem Ifrit und rief winkend: „Steig ein, Achmed, ich kam dich holen. Reiche mir die Hand, ich zieh dich zu mir.“ Achmed tat einen schritt auf das Boot zu, fühlte den Griff einer starken Hand, stand neben dem Manne. Das Boot stieß in See, Segel geschwellt, ob auch niemand zu sehen war, der es bediente. Hoch oben im Blau kreisten die Möwen, und ihr heiseres Rufen erfüllte die Ferne. Achmed stand und hielt seinen kleinen Bruder warm an sich gepreßt, sagte leise, herabgeneigt zu dem schmalen Kopf des Hundes: „Nun siehst du, wir bleiben beisammen und es geht in die Weite, mein kleiner Bruder.“ Der Hund leckte die Wange des Knaben, dem wurde es sehr leicht und froh. Er legte sich nieder auf das Deck, sah in den Himmel hinauf, folgte mit dem Blick den Flug der Möwen, weit, weit, so weit…flog er nicht selbst? War er noch dieser Knabe, war der kleine Bruder noch sein Hund? Flogen sie nicht alle zusammen im Blau dah8in, weit und weiter hinauf? Und ging der Weg ihres Fluges nicht nahe dorthin, wo alle Flüge enden, zu Füßen Allahs? O Freiheit, o Schönheit, o Weite!

In einer Oase, die von Karawanen selten besucht wird, lag ein toter, wunder Esel. Auf ihm ruhte ein Knabe, ein müder, bleicher, der einen kleinen mageren Hund im Arme hielt. Auch sie lebten nicht mehr. Eine Palme, zur Nacht von einem Shimum umgerissen, lag über den dreien, deckte sie. Über alles hatte der Sturm Shimum seinen Strand ausgestreut, und es ward solcherart eine Düne gebildet, so daß die drei unberührt blieben. Wer aber sagt, sie seien tot, der irrt. Denn wo immer ein Tier zu leiden hat, hebt sich stets irgendwo eine Stimme, die leise sagt: „Warte ein wenig, Bruder auch du, Achmed kommt, dir zu helfen.“ Und verstohlen streicht eine Hand heilend über des Tieres stummes Weh.

Märchen der Bergnomaden Türkei

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