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Märchenbasar

Die weinende Prinzessin

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Es war einmal ein geldgieriger Kaiser, der von seinen Untergebenen hohe Steuern verlangte. Aber nicht nur das Volk, auch die Adligen stöhnten über die hohen Abgaben. Schließlich riefen einige Fürsten zu einer großen Versammlung, um dem Kaiser die Stirn zu bieten. Als dem Kaiser dies zu ihren kam, bekam er es mit der Angst zu tun, denn er befürchtete einen Aufstand, daher ließ er Folgendes im ganzen Reich bekannt geben, um die Gemüter zu besänftigen: „Der Kaiser verspricht jenem Fürsten Steuerfreiheit, der seine älteste Tochter Sarah, die seit dem Tode ihres Verlobten ohne Unterlass weint, tröstet und wieder zum Lachen bringt.“ Da ließen sich die Adligen täuschen und ein jeder hoffte, die traurige Prinzessin wieder zum Lachen bringen zu können. Somit löste sich die Versammlung auf, und ein jeder zog nach Hause, um sich auf die Vorstellung bei der Prinzessin vorzubereiten. So kamen jeden Tag Dutzende von Adlige in den Kaiserpalast, um die weinende Prinzessin zu trösten. Vor dem Palast befand sich eine große Menschenmasse, die jeden Ankömmling mit Jubel empfing, doch wenn diese nach ihrem Scheitern wieder enttäuscht ihre Weg zogen, dann mussten sie ebenfalls an den hämisch johlenden und pfeifenden Menschen vorbei. Das einfache Volk freute sich, dass es auch den Adligen nicht leicht gemacht wurde, sich vor den Steuern zu drücken. Täglich wuchs die Zahl der Gescheiterten: Inder, Perser, Araber, Turkmenen … Von überall aus dem Reich reisten kluge junge Männer voll Hoffnung und Zuversicht an, aber keinem gelang es, die Prinzessin zu trösten. Der Kaiser freute sich insgeheim, denn das Scheitern jedes Adligen bedeutete für ihn eine Menge Geld. Einmal schien es so, als hätte ein Mongolenfürst die Prinzessin getröstet. Stundenlang hatte er auf seiner Balalaika eine Melodie gespielt, die traurig und langsam begann, doch dann immer fröhlicher wurde. Die Prinzessin hatte ihm unentwegt zugehört und auch ihre Augen wurden wieder trocken, doch dann hatte sie zur allgemeinen Enttäuschung erneut angefangen, heftig zu weinen. Ein kurdischer Stammeshäuptling hatte, bevor er zur Prinzessin gelassen wurde, das ganze Volk belustigt, doch auch ihm gelang es nicht, ihr mit seinen Witzen ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern. Das Gegenteil war der Fall, denn je mehr es sich bemühte, desto heftiger weinte sie. Sogar aus Persien waren Fürsten angereist – doch auch sie kamen vergeblich.
Einzig Omar, der in der entlegensten und kleinsten Provinz des Reichs herrschte, war noch nicht vorstellig geworden. Er war ein schöner, freundlicher und vor allem kluger junger Mann. Das hatte er beweisen müssen, als böse Verwandte nach dem Tod seines Vaters versucht hatten, ihm die Macht zu entreißen. Omars Reich war so weit entfernt von dem Kaiserpalast, dass es einige Monate dauerte, bis ihn die Bekanntmachung erreichte. Doch als er sie vernahm, machte er sich sofort auf den Weg, Tag für Tag, Woche für Woche galoppierte er auf seinem schwarzen Hengst in Richtung Kaiserstadt. Endlich erreichte er eines Abends den Palast, da hatte man schon angenommen, dass niemand mehr die schwierige Aufgabe wagen würde. Er klopfte an das Tor, und als sie öffneten, lachten die Wächter, als der müde und schmutzige Reiter seinen Wunsch vortrug. Doch sie hielten sich an des Kaisers Befehl und ließen ihn ein. Im Palast nahm man ihn freundlich auf und sagte: „Es ist schon spät, Morgen früh kannst du der Prinzessin deine Aufwartung machen!“ Sarahs Schwestern hörten, dass ein neuer Bewerber in den Palast gekommen war. „Er ist schöner, als alle anderen!“, erzählten die, die ihn zu Gesicht bekommen hatten, ihren Schwestern. Doch schlichen sie unter Marikas Führung zu einem geöffneten Fenster, um den schlafenden Jüngling heimlich anzusehen. Marika war die Jüngste und Schönste der Prinzessinnen und hatte jeden Unsinn im Kopf. Am Morgen wurde Omar zu Sarah gebracht.
Alle warteten gespannt, was er vorhatte. Doch Omar sah Sarah nur unentwegt an, im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die sie nie genau betrachtet hatten, auch Sarah blickte ihn an, verzog aber keine Miene. Nach einer langen Weile ging der Frst zu dem König und sprach: „Majestät, wenn Ihr mir Euer Zepter gebt, will ich die Aufgabe lösen.“ Der Kaiser sah ihn zweifelnd an, gab ihm aber dann das Zepter. Dann ging er mit Omar und den Prinzessinnen, die versuchten, Omars Aufmerksamkeit zu erlangen, in Sarahs Gemach. Dort verbeugte sich Omar vor Sarah und schlug ihr mit dem Zepter gegen den Kopf. Die Prinzessinnen schrien ängstlich um Hilfe, der Kaiser stampfte wütend mit dem Fuß auf und die Wächter zogen die Schwerter. Doch plötzlich war alles still, Sarahs Kopf war heruntergefallen und aus dem kaputten Hals quollen Drähte und Federn. Sarah, die weinende Prinzessin, war ein kunstvoll gemachte Puppe. Alle Adligen waren auf den Trick hereingefallen, nur Omar nicht. Keiner sagte ein Wort, nur Marika begann, laut zu lachen. Wütend schrie der Kaiser sie an: „Sei still, du …“ Durch die Täuschung mit der Puppe hatte er sich von all seinen Fürsten hohe Steuereinnahmen gesichert. Derjenige, der sein Geheimnis entdecken würde, müsste sterben … Doch da kam ihm ein besserer Gedanke: Durch einen klugen Schachzug würde er die ungehorsame Marika loswerden und gleichzeitig einen Schwiegersohn gewinnen, der ihn bei den Regierungsgeschäften gut beraten könnte.
„Für deine Frechheit müsstest du mit dem Tode bestraft werden!“, begann er. „Doch wenn du Marika zur Frau nehmen willst, will ich dir dein Leben schenken.“ Omar willigte wortlos ein und sah Marika lächelnd an.
Als der Kaiser ihn umarmte, dachte Omar bei sich: „Auch wenn du jetzt Kaiser bist, so werde ich dir in wenigen Jahren folgen.“
Und so geschah es. Und von diesem Tag an zahlten die Untertanen einen gerechten Steuersatz und jeder war zufrieden.

Quelle: Ein Märchen aus der Türkei

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