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Der unverbesserliche Kikri

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Seit vielen Jahren leben die Familien des Hahnes Grigori und des Enterichs Schnatternat in friedlicher Nachbarschaft im Märchenwald.
Der Schnee beginnt zu schmelzen und die dicken Eiszapfen an den Dächern der Häuser tauen immer schneller.

Frau Grigori putzt gerade Fenster, als Frau Schnatternat mit einem kleinen Strauß Schneeglöckchen vorbeiwatschelt.
„Einen schönen guten Morgen, Frau Schnatternat!“
„Auch Ihnen einen schönen guten Morgen, Frau Grigori! Schon fleißig beim Frühjahrsputz?“
Beide reichen sich freundlich ihre Flügel.
„Tja! Bald ist es wieder soweit und wenn erst mal die Kleinen da sind, kommt man doch kaum noch zu etwas anderem.“ Die Henne legt für einen Moment den Putzlappen beiseite.
„Wem sagen sie das? Ich habe mir noch schnell ein paar Schneeglöckchen vom kleinen See unten geholt. Die stelle ich auf den Tisch und erfreue mich an ihnen, während ich auf meinen Eiern sitze. Den Frühjahrsputz erledigt dieses Jahr mein Mann. Ist das nicht nett von ihm?“
„Sie sind wirklich zu beneiden, Frau Schnatternat. Mein Mann ist schon seit früh unterwegs. Da hat er für so was keine Zeit. Schließlich ist er immer der erste auf den Beinen, um die anderen zu wecken.“
Die beiden verabschieden sich. Die Henne seufzt tief, schaut der Ente nach und rubbelt eifrig weiter an ihren Fensterscheiben.

Der Frühling hat nun vollends Einzug gehalten. Das frische Grün leuchtet satt und erfreut jedes Auge.
In beiden Häuschen ist neues Leben geschlüpft. Jede Familie zählt sechs Kinder, eines süßer als das andere. Die Kleinen spielen gemeinsam und die Mütter schauen ihnen dabei zu.

Schnell vergeht die Zeit und die Kinder wachsen heran. Ein Hähnchen der Familie Grigori namens Kikri ist ein rechter Prahlhans. Hochnäsig spaziert es allein im Wald umher und das mit purer Absicht, denn das Entenmädchen Natti gefällt ihm ausnehmend gut und Kikri will ihr unbedingt imponieren.

Eines Tages kommt Familie Schnatternat von einem Ausflug am See zurück und begegnet Kirki. Natti bleibt stehen und mahnt: „Ich würde lieber nicht so allein hier umherlaufen. Stell dir vor, es kommt ein Fuchs. Was machst du dann?“
Kikri schwillt der Kamm. Er schielt mit einem Auge zu Natti. „Ein Fuchs? Pah! Der sollte mir mal in die Quere kommen. Dem würde ich aber mit meinem starken Schnabel einheizen.“
„Nimm bloß den Schnabel nicht so voll. Du gibst ja nur an.“ Sie dreht sich um und watschelt schnell ihren Eltern und Geschwistern nach.
Versteckt hinter einem Busch hat ein Fuchs alles mit angehört und lacht leise in seine Pfoten hinein. „Na warte, du Maulheld!“ Mit einem Satz springt er plötzlich auf Kikri los. Dieser schreit aus Leibeskräften und versucht sich so gut wie möglich zu verteidigen. Aber da kommt auch schon Papa Grigori angeflattert und Herr Schnatternat watschelt, so schnell er kann, hinterher. Jetzt setzt es mächtige Schnabelhiebe. Von allen Seiten wird der Fuchs bearbeitet, bis er schließlich aufgibt und mit eingezogenem Schwanz davonrennt.
„Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass du so allein hier im Wald nichts zu suchen hast.“ Papa Grigori ist wütend über die Waghalsigkeit seines Sohnes.
Kikri steht mit hängenden Flügeln da. „Ich wollte doch nur…“
„Papperlapapp! Marsch nach Hause!“, schimpft Herr Grigori, wendet sich dann freundlich um und bedankt sich bei seinem Nachbar für die tatkräftige Hilfe. Ohne Widerrede trottet Kikri mit hängendem Kopf und Flügeln hinter seinem Vater und Herrn Schnatternat her.

Ein paar Tage später begleitet Kikri seine Freundin an den See. Die Entenfamilie tollt ausgelassen im Wasser. Kikri sitzt im Schatten eines Baumes, sieht ihnen zu und kaut an einem Grashalm. „Warum können Hühner eigentlich nicht schwimmen? Bestimmt, weil es noch keins versucht hat.“ Viele Gedanken wandern ihm im Kopf herum und er phantasiert vor sich hin. „Man müsste es einfach einmal ausprobieren. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, sagt Papa immer. Dann wäre ich der erste Hahn in der Geschichte, der keine Angst vor dem Wasser hat.“ Diese Idee fesselt Kikri, ja, er ist wie besessen von ihr.
Familie Schnatternat schwimmt ans Ufer und putzt eifrig das Gefieder.
„So meine Lieben, genug geplanscht. Jetzt geht es nach Hause!“ Der Enterich zählt kurz durch – keiner fehlt.
Plötzlich, wie vom wilden Affen gebissen, saust Kikri auf den See zu und stürzt sich todesmutig hinein. Den Enten bleiben vor Entsetzen die Schnäbel offenstehen.
„Was war denn das?“, staunt Herr Schnatternat.
„Hilfe, Hilfe!“, schreit es plötzlich kläglich. Irgendetwas zappelt im Wasser wild umher.
„Aber das ist ja Kikri!“, ruft Natti. Sie ist schrecklich aufgeregt. „Er wird ertrinken! Schnell Papa, du musst ihn retten!“
Ohne zu zögern, flattert der Enterich in den See und zerrt den halbtoten Hahn mit seinem starken Schnabel ans Ufer. Kikri liegt – alle Viere weit von sich gestreckt – auf dem Rücken und bewegt sich nicht mehr.
„Was hat er sich dabei gedacht?“ Der Enterich setzt einen Watschelfuß auf den Bauch des Hähnchens und pumpt so das Wasser, welches fontänengleich aus Kirkis Schnabel schießt, heraus.
„Was ist los? Wo bin ich?“ Kikri öffnet zaghaft die Augen und schaut erschrocken in das finstere Gesicht von Herrn Schnatternat.
„Eine Tracht Prügel hättest du verdient! Wie kann man sein Leben nur so sinnlos riskieren, was?“
„Ich wollte doch nur schwimmen lernen“, kommt es kläglich.
„Ich fasse es nicht! Schwimmen lernen wollte der Herr! Angeben wolltest du wieder einmal! Hab ich Recht?“
„Nein! Ja! Vielleicht… ein bisschen!“
Die Enten kichern. Natti schaut Kikri tadelnd an. Nun gehen alle gemeinsam nach Hause.
„Wo warst du denn den ganzen Tag, mein Junge? Wir haben uns schon solche Sorgen gemacht.“ Frau Grigori ist ganz aufgelöst, aber sichtlich froh, ihren Kikri wohlbehalten wiederzuhaben.
„Der junge Herr da hat schwimmen lernen wollen“, grinst Herr Schnatternat. „Doch so wenig wie ein Hund fliegen lernt, wird wohl je ein Hahn schwimmen können.“
Herr Grigori schüttelt den Kopf über seinen Tunichtgut. Völlig am Boden zerstört wendet sich Kirki seinem Lebensretter zu und sagt: „Wissen Sie, Herr Schnatternat, Papa sagt immer, wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ich wollte doch nur etwas ganz Außergewöhnliches vollbringen, aber es hat nicht geklappt. In Zukunft werde ich lernen, was einen wirklichen Hahn ausmacht und nicht mehr rumprahlen. Vielen Dank für alles.“
Herr Schnatternat ist verblüfft über soviel Einsicht und denkt: „Aus diesem Hähnchen kann doch noch ein ganz brauchbarer Hahn werden.“

Quelle: Doris Liese

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