Dort, wo die Berge am höchsten sind, und die Täler am grünsten, lebte einmal ein armer Bursche in einer verfallenen Hütte am Waldesrand.
Sein sehnlichster Wunsch war es, eines Tages soviel Geld zu haben, dass er sich ein ordentliches Haus bauen und Grete heiraten konnte. Grete war das hübscheste und warmherzigste Mädchen weit und breit. Sie war ihm aus tiefstem Herzen zugetan, aber Gretes Mutter, eine herbe und strenge Frau, hatte Grete jeden Kontakt zu Hans verboten. Solange er einer Frau nicht mehr bieten könne, als eine verfallene Hütte, brauche er gar nicht um Gretes Hand anzuhalten, hatte sie unmissverständlich klar gemacht.
So hatte Hans tagelang überlegt, wie er es denn nun anstellen sollte, zu Geld zu kommen, aber er hatte keinen Ausweg gefunden.
Heute würde er sich ein letztes mal mit Grete an ihrem geheimen Ort im Wald treffen, um mit ihr über dieses schier unüberwindbare Problem zu reden.
Als Hans bei der großen Eiche ankam, wartete Grete schon auf ihn.
„Ich kann nicht lange bleiben!“, sagte sie atemlos. „Meine Mutter bewacht mich mit Argusaugen und ich habe zu ihr gesagt, ich gehe Brennholz sammeln.“
Hans schloss sein Liebchen in die Arme. „Ich sehe keinen anderen Ausweg, als fortzugehen. Ich werde erst zurück kehren, wenn ich genug Geld verdient habe, um dir ein anständiges Leben bieten zu können! Wirst du auf mich warten?“
Grete gab ihm einen Kuss. „Ich möchte keinen Tag ohne dich sein! Ich gehe mit dir. Ja, wir laufen zusammen fort!“
Doch Hans schüttelte den Kopf. „Das geht nicht, und das weißt du. Alleine finde ich leichter Arbeit und ich muss mir keine Gedanken darum machen, ob du Hunger leidest, oder nicht. Zuhause bist du einfach am besten aufgehoben.“
Grete versprach mit Tränen in den Augen, ihren Liebsten nicht zu vergessen. Sie deutete auf einen der höchsten Berggipfel, den man auch aus großer Entfernung erkennen konnte und auf dem noch im Sommer Schnee lag und sagte: „Sieh hin! Erst wenn der Schnee auf diesem Berg geschmolzen ist, werde ich aufhören, auf dich zu warten. Ich werde dein sein, bis in alle Ewigkeit.“
Ein letztes mal küssten sie sich und dann ging Hans seines Weges.
Es vergingen viele Tage und Wochen. Grete hielt ihr Versprechen und Hans, der schwere Arbeit leisten musste, blickte jeden Tag auf den Berg, um nach dem Schnee zu sehen.
Bald war Hans bereits zwei Jahre fort und er hatte viel Geld gespart. Ein paar Wochen nur noch, dann würde er heimkehren können. Ein Haus bauen, seine Grete heiraten, sogar für die Einrichtung würde etwas übrig bleiben. Gretes Mutter würde ihnen ihren Segen geben müssen.
Da schweifte sein Blick in die Ferne, ganz von selbst wanderten seine Augen prüfend zum Schnee, so wie immer, wenn er an Grete dachte.
Nur heute schien der Berg zu brennen. Nein, nein, das durfte es nicht geben! Der Schnee, er verbrannte! Grete!
Hans packte so schnell er konnte seine Sachen zusammen, es war wenig genug, was er besaß, und machte sich auf den Heimweg.
Die Reise nahm Tage in Anspruch und krank vor Sorge trieb er sich an, blickte immer wieder auf den Berggipfel und hoffte, es wäre alles nur ein Irrtum, ein schlimmer Traum. Aber je näher er seinem Ziel kam, desto mehr erkannte er das Ausmaß der Katastrophe. Der Vulkan war ausgebrochen! Niemand hatte damit gerechnet, denn er galt als erloschen. Viele hundert Jahre war es her, als er das letzte Mal gespuckt hatte.
Er hatte den Schnee geschmolzen, ihn verbrannt, und mit dem Schnee alle Hoffnungen und Träume.
Hans´ Hütte am Waldrand stand noch, wie durch ein Wunder, unversehrt. Die Lava hatte sich einen anderen Weg gesucht. Als Hans nun voller Zorn zum Berggipfel blickte, sah er ein winziges Fleckchen weiß. Kaum zu sehen, aber zweifelsfrei hatte der Vulkan seine Zerstörung nicht vollkommen betrieben. Ein kleines bisschen Schnee war übrig geblieben, aus einer Laune der Natur heraus. Aber es reichte, um Hans erneut Hoffnung zu geben. Er würde Grete finden, egal, wie lange es dauern mochte, egal wohin ihn seine Suche führen mochte. Er wusste, so lange der Schnee noch nicht ganz geschmolzen war, würde Grete ihn erwarten, und wenn es Ewigkeiten dauern würde.
Quelle: Berta Berger