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Der verlorene Zauberstab

1.3
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Die Zauberlehrlinge in der Zauberschule des Märchenwaldes bekamen Sommerferien. Heute war der letzte Schultag. Der Obermagier gab seinen kleinen Zöglingen ihre Zeugnisse, die in diesem Jahr besonders gut ausgefallen waren. Als Belohnung erhielten alle einen kleinen Zauberstab, den sie mit nach Hause nehmen durften. So konnten sie während den Ferien zu Hause eifrig damit hexen üben. Der Vorsteher ermahnte alle Lehrlinge nochmals, gut auf den magischen Stab aufzupassen.
Simsa hörte aufmerksam zu und freute sich bereits darauf, den Großeltern und Eltern seine Hexenkünste vorführen zu können. Die letzte Unterrichtsstunde war beendet und die Schüler packten ihre Sachen zusammen. Sie durften heute auch das erste Mal mit dem Hexenbesen nach Hause fliegen.

Voller Vorfreude auf die Ferien packte der kleine Zauberer seine Sachen und legte den Stab ganz tief unten in seinen Koffer. Dann verschloss er ihn. Bevor Simsa sich auf die Reise machte, schaute er nochmals zur Sicherheit nach. Doch es war alles in Ordnung. Das schwarze Stöckchen lag an der Stelle, wo er es hingelegt hatte. Erneut verschloss er den Koffer, band zusätzlich noch einen Strick drumherum und verknotete die Enden. Dann schnallte er ihn mit einem Riemen an das Ende des Hexenbesens. Er verabschiedete sich von seinen Freunden und flog nach Hause.

Simsas Weg zu seinem Elternhaus führte über den Märchenwald. Auf seinem Flug kam er am Schneewolkenhaus von Frau Holle vorbei. Zusammen mit Goldmarie schaute diese aus dem Fenster und beide winkten dem Zauberlehrling zu. Unten auf dem Waldweg fuhr die Kutsche mit dem gestiefelten Kater. In diesem Moment knallte er mit der Peitsche und seine vier Schimmel fielen in Galopp. Der kleine Zauberer überflog auch das Haus von Rotkäppchens Großmutter. Ungefähr einen halben Tag Flugzeit brauchte Simsa bis zum Haus seiner Eltern. Seine Großeltern erwarteten ihn schon. Sie waren extra zu Besuch gekommen, um die Zauberkünste ihres Enkels zu sehen.

Simsa stellte den Hexenbesen in den alten Holzschuppen des Bauernhauses und bemerkte mit Schrecken, dass der Koffer weg war. Dem kleinen Zauberer rutschte das Herz in die Hose.
Er rief: „Großvater, ich habe meinen Koffer bei dem Ritt auf dem Besen verloren! Was soll ich jetzt machen? Dort war mein kleiner Zauberstab drin. Wenn dieser in böse Hände gerät, kann man den ganzen Märchenwald verhexen.“
„Nun mal langsam, Simsa, erzähle alles noch einmal ganz in Ruhe!“
Der Enkel begann sogleich zu berichten.
„Nun gut“, meinte der Großvater, „ich werde mich anziehen, und dann fliegen wir gemeinsam die Strecke noch einmal ab und suchen nach dem Koffer.“
Gesagt, getan!
Bevor sie starteten, rieb sich der Großvater die Hände und sagte: „Ich bin noch nie mit einem Hexenbesen geflogen, darauf freue ich mich schon!“

So zogen die beiden los. Nach einer Weile lag unter ihnen das wunderschöne Schloss von Dornröschen.
„Komm, lass uns herunterfliegen und nach dem Koffer fragen“, meinte der Alte.
Auf dem Schlosshof standen eine Marktfrau und der Koch, den Simsa an seiner großen, weißen Mütze erkannte. Sogleich fragte der Junge, ob sie einen Koffer gefunden hätten. Als beide verneinten, flog er mit seinem Großvater weiter.

Auf einem einsamen Waldweg ging der Räuber Weg-ist-es an der großen Buche vorbei. Er war gerade wieder auf einem Raubzug unterwegs. Plötzlich sah er etwas im Gras liegen. „Was ist das?“, fragte er sich und hob den Gegenstand auf.
„Ein Koffer, so mitten im Wald? Vielleicht ist da etwas Wertvolles drinnen und ich brauche heute nicht mehr zu stehlen. Am besten nehme ich das gute Stück mit in meine Räuberhöhle.“
Er hob den Koffer auf und ging damit zurück in sein Versteck. Dort machte Weg-ist-es das Behältnis auf. Schlösser knacken konnte er besonders gut. Doch was zum Vorschein kam, waren nur schmutzige Gewänder und ein kleiner, schwarzer Holzstab.
„Da muss ich also doch noch einmal los“, murmelte der Räuber. „Das ist nur nutzloses Zeug!“

Frau Holle hatte aus ihrem Schneewolkenhaus alles mit angesehen. Gerade in diesem Moment flogen Simsa und sein Großvater an ihrem Haus vorbei.
„Habt Ihr gesehen, ob mein Enkel hier irgendwo seinen Koffer verloren hat?“
„Ja, ein kleines Stückchen weiter im Westen. Dort lag er gerade noch im Gras, bis der Schurke Weg-ist-es vorbeikam. Dieser hat ihn mit in seine Räuberhöhle genommen.“
„Wo wohnt er?“, fragte der Junge.
„Nicht weit entfernt von dem Wolfsbau. Der böse Isegrim passt immer auf die Behausung des Diebes auf, damit ihm niemand etwas stehlen kann“, erzählte Frau Holle.
„Aber wie bekommen wir nun den Koffer zurück?“, überlegte der alte Mann. Dann bedankte er sich und rief: „Und lasst es im Winter viel schneien!“

Es war nicht weit. Simsa und sein Großvater landeten mit dem Hexenbesen auf einer Lichtung. Von dort aus konnten sie die Höhlen sehen. Der Wolf lag vor vor dem Eingang der Höhle und sonnte sich.
„Wir müssen den Wolf dort weglocken, um in die Höhle des Räubers zu gelangen.“
„Aber wie?“, fragte der Enkelsohn.

Wie der Zufall es wollte, graste auf der Wiese Mutter Geiß mit ihren sieben Kindern. Sie hatten den Wolf noch nicht bemerkt. Auch Simsa und der Großvater sahen, wie der Wolf bereits seine Beute beobachtete. Er erhob sich vorsichtig und schlich tief geduckt ins hohe Gras auf die Lichtung zu.
Das war die Gelegenheit. Der Zauberlehrling stellte den Hexenbesen hinter den Stamm einer großen Eiche. Dann schaute er sich um und lief zusammen mit dem Großvater blitzschnell zur Räuberhöhle. Doch leider war der Eingang mit einem großen Stein verschlossen.
„Wie kriegen wir den weg?“, fragte Simsa.
„Das weiß ich nicht“, bekam er zur Antwort.
Da hatte der Junge eine Idee. „Der Räuber hat auch nicht solche Kräfte, um den Stein alleine wegzurollen. Es muss einen Zauberspruch geben, der den Stein rollen lässt, so wie im Märchen ‚Alibaba und die vierzig Räuber’.“
Der Zauberlehrling dachte angestrengt nach. Plötzlich rief er: „Stein rolle weg!“
Doch es passierte nichts.
Großvater schlug den Spruch von Alibaba vor und sagte mit lauter Stimme: „Sesam, öffne dich!“
Wieder geschah nichts. Ratlos standen die beiden vor dem Höhleneingang.

Der Wolf war immer noch mit den Ziegen beschäftigt. Unbemerkt kam er ihnen näher. Simsa hätte der Geiß mit ihren Geißlein so gerne geholfen, aber ohne seinen Zauberstab war er machtlos. Der kleine schwarze Stab war in dem Koffer und dieser wiederum in der Höhle, die von einem riesigen Stein verschlossen war.
Dann sagte der Enkel zu seinem Großvater: „Es muss was ganz Leichtes sein. Räuber sind nicht schlau und können sich keine komplizierten Sprüche merken. Darum muss es etwas sein, das Weg-ist-es nicht vergisst.“
Als der Junge den Namen des Diebes ausgesprochen hatte, bewegte sich der Stein und gab den Höhleneingang frei. Durch Zufall hatte er das Zauberwort ausgesprochen, das der Schlüssel zum Eingang war.
Sofort liefen Simsa und sein Großvater in die Höhle. In der Schatzkammer stand der Koffer und oben drauf lag der kleine Zauberstab. Der Junge nahm beides an sich und sie verließen sogleich das Räuberversteck.

Der Wolf setzte grade zum Sprung auf ein Geißlein an, da nahm der kleine Zauberer seinen Stab und zeigte damit auf das Raubtier.
„Simsalabim, Wolf werde zu einem Geißlein!“
Und siehe da, der Zauberspruch hatte gewirkt. Der böse Isegrim verwandelte sich in ein Geißlein und graste friedlich neben den anderen Tieren auf der Wiese.
„Das hast du aber gut gemacht“, lobte ihn sein Opa. „Aber lass uns jetzt schnell nach Hause fliegen, bevor Weg-ist-es zurückkommt.“
Während des Fluges hielt der Großvater den Koffer und den kleinen hölzernen Stab fest in seinen Händen.

Als sie am Schneewolkenhaus von Frau Holle vorbeikamen, winkte diese und rief: „Gut gemacht!“
Die Geißmutter kehrte am Abend zu ihrem Haus zurück und staunte nicht schlecht; es liefen plötzlich acht Geißlein hinter ihr her. Sie dachte nicht weiter darüber nach und nahm das zugelaufene Lamm in ihre mütterliche Obhut auf.
Weg-ist-es kam abends zu seiner Räuberhöhle und bemerkte, dass der Stein verschoben war. Doch er nahm es nicht tragisch, da ihm das schon öfters passiert war, dass er den Eingang unverschlossen ließ. Auch der Verlust des Koffers wurde ihm nicht bewusst. Für ihn hatte er sowieso nichts Wertvolles enthalten.
Ein Glück für Simsa. So konnte dieser ungestört in den Ferien den Zauberstab gebrauchen und fleißig das Hexen üben.

Quelle: Friedrich Buchmann

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