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Der verstoßene Sohn

1.5
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Es lebten einst ein Paar Eheleute in bester Eintracht zusammen und erzogen einen Sohn, der sich durch große Schönheit auszeichnete. Die Mutter starb jedoch bald, und der Vater heiratete nach einiger Zeit eine zweite Frau. Diese warf auf den armen Knaben einen unversöhnlichen Haß, weil er das Ebenbild seiner verstorbenen, schönen Mutter war. Sie machte viele Versuche, ihn aus dem Haus zu bringen, und da dieselben immer fehlschlugen, so sagte sie endlich zu ihrem Manne, wenn er den Knaben nicht fortschaffe, so lebe sie nicht mehr mit ihm. Der Mann erschrak wohl anfangs heftig über diese Zumutung, da aber das böse Weib durchaus nicht nachließ, so gab er endlich nach und führte eines Tages seinen arglosen Sohn bei der Hand weit fort in einen großen Wald voll reißender Tiere.
Als sie dort angekommen waren, sprach der Vater zum Sohn: »Warte hier einen Augenblick auf mich, mein Kind, wir haben den Weg verfehlt, ich will mich hier zur Seite ein wenig umschauen, ob ich ihn nicht wieder finden kann.« So ging er, und der Knabe wartete.
Stunden, lange Stunden vergingen aber, und der Vater kehrte nicht wieder. Da merkte der Arme, daß er betrogen war. Weinend kniete er nieder und fing an zu beten, daß ihm der liebe Gott aus seiner Not helfen solle. Als es Abend wurde, stieg er auf einen hohen Baum, um vor bösen Tieren sicher zu sein. Hier übersah er die ganze Gegend, und siehe, in der Mitte des Waldes flackerte es wie der Schein eines Feuers. Eilig verließ er nun seinen Baum, ging nach der Stelle hin, wo er die Helle wahrgenommen hatte, und fand wirklich ein großes Feuer, bei dem ein riesiger, alter Mann saß. Er schauderte vor dem Anblick desselben, aber die Not, in der er sich befand, gab ihm Mut, und er rief mit lauter Stimme: »Mein Vater! Mein Vater!« Der Alte wandte sich ruhig um und sagte in tiefem Ton: »Ich habe keinen Sohn!« Der Knabe aber rief wieder: »Mein Vater! Mein Vater!«, worauf der Alte sagte: »Es soll so sein, wie du sagst!«, und dem Knaben winkte, näherzukommen.
Der arme Verstoßene hatte so wieder einen Vater erhalten, den er sehr liebte und der ihn in allem möglichen unterrichtete, besonders aber im Weidwerk. Der Zögling erstarkte schnell, und bald war ein tüchtiger Jäger aus ihm geworden. Als er eines Morgens wieder hinausziehen wollte, sprach der Alte zu ihm: »Hör, mein Sohn! alles darfst du schießen, nur keinen Raben!« Der Jüngling ging und sann über die Worte des guten Alten nach. Er hatte wohl bereits manches Wild erlegt; kein Tier im Wald, kein Vogel in der Luft, von dessen Art nicht eines vor seinen Pfeilen gefallen wäre. Nur noch kein Rabe war seine Beute geworden. Dies machte die Begierde nach einem solchen in ihm so rege, daß er, die Worte des Alten vergessend, einmal zur Winterszeit doch einen schoß. Als er hintrat, um die Beute aufzunehmen, sah er auf dem Schnee drei Blutstropfen und eine Rabenfeder liegen, da rief er aus: »O hätt‘ ich ein Weib mit einem Leib so weiß wie Schnee, mit Wangen so rot wie Blut und mit Haaren so schwarz wie Rabenfedern!«
Als er heimgekommen war, so reute ihn doch der Schuß auf den Raben, und er bekannte ihn seinem Vater, indem er sagte: »Vergib mir, Vater, ich habe trotz deines Verbots einen Raben geschossen!« Der Alte schalt ihn; weil er es aber so offen gestanden hatte, wurde er bald wieder gut. Da wiederholte der Jüngling die Worte, die er draußen bei dem geschossenen Raben gesagt hatte, indem er wieder rief: »O hätt‘ ich ein Weib mit einem Leib so weiß wie Schnee, mit Wangen so rot wie Blut und mit Haaren so schwarz wie Rabenfedern!« Der Alte lächelte ob diesem Wunsche und sprach: »Ein solches Weib kannst du bekommen, mein Sohn, aber du mußt meinen Rat besser befolgen, als du bis jetzt getan hast.« Der Jüngling gelobte dies, da zeigte ihm der Alte einen Teich und sprach: »Dort erwarte die zwölfte Stunde. Es werden dann drei Waldjungfrauen kommen, um sich zu baden. Sie werden alle drei Kronen auf dem Kopfe tragen, die sie, wenn sie ins Wasser steigen, ablegen. Wenn sie dann im Wasser sind, so schleiche dich hin und stiehl der ersten die Krone, dann laufe heim, ohne dich umzusehen.«
Der Jüngling tat, wie ihm der Alte gesagt hatte. Als er aber mit der geraubten Krone davonlief, verfolgte ihn die Waldjungfrau, der sie gehörte, und rief: »O sieh dich um, Jüngling, nach mir, sieh meinen Leib weiß wie Schnee, meine Wangen rot wie Blut und meine Haare schwarz wie Rabenfedern!« Da vergaß er der Worte seines Vaters und stand still, um nach der Waldjungfrau zu sehen, dadurch verlor er Zeit, die Jungfrau ereilte ihn, gab ihm einen derben Schlag und entriß ihm die geraubte Krone wieder.
So kam er leer zurück und erzählte voll Betrübnis dem Alten, wie es ihm gegangen war. Der warf ihm wieder seine Schwäche vor und sagte: »Hab ich dir nicht gesagt, schau dich nicht um? Warum befolgst du meinen Rat nicht?« Da aber der Jüngling sich sehr darüber grämte, daß er nun kein Weib hatte, so tröstete ihn der Alte und sagte zu ihm: »Sei getrost und versuche dein Glück mit der zweiten Waldjungfrau.« So ging er wieder zum Teich, als er aber der zweiten die Krone genommen hatte und damit heimlaufen wollte, konnte er wieder nicht widerstehen, sich umzusehen, und es ging ihm wie das erstemal.
Endlich versuchte ers auf den Rat des Alten auch mit der dritten. Obwohl sie ihn mit denselben Reden verfolgte wie ihre beiden Schwestern, sah er sich doch durchaus nicht um und lief mit seiner Beute nach Hause, wo er sie seinem Vater übergab. Die Waldjungfrau aber wurde nun seine Frau.
Sie lebten mehrere Jahre ruhig miteinander, und das schöne Weib gebar ihm zwei herrliche Knaben. Einmal wurden sie auch zu einer Hochzeit eingeladen, wo man tanzte. Vor allen schön aber tanzte die Waldfrau, über deren leichte Bewegungen die ganze Hochzeitsgesellschaft in großes Entzücken geriet. Als sie dies bemerkte, ging sie zu ihrem Mann und sprach: »Lieber Mann, gib mir doch einmal meine Krone, daß ich sie aufsetze; mein Tanz wird noch bei weitem schöner sein, wenn ich die Krone dazu auf dem Kopf habe.« Der Mann ging und holte die Krone, denn der Beifall, den seine Frau vor der Gesellschaft erworben hatte, war ihm sehr schmeichelhaft gewesen. Kaum aber hatte die Waldfrau ihre Krone wieder auf dem Kopf, so flog sie pfeilschnell davon, indem sie ihm noch zurief: »Wenn du mich und deine Kinder wiedersehen willst, jenseits des feurigen Baches sollst du mich finden.« Da der Mann seine Frau zärtlich liebte, so war er über ihren Verlust untröstlich. Nur die Worte, die sie beim Scheiden gesprochen hatte, ließen ihm einen Schimmer von Hoffnung; er nahm daher Abschied von seinem Vater, ergriff den Wanderstab und zog in die Welt hinaus, um den feurigen Bach zu suchen und seine verlorene Frau mit ihren schönen Kindern wiederzufinden.
Als er schon eine geraume Zeit umhergezogen war, kam er an einen großen, dunklen Wald und erblickte da drei Teufel, die sich heftig zankten. Beherzt ging er auf sie zu und fragte sie nach der Ursache ihres Streits, worauf ihm einer von ihnen sagte: »Schau, unser Vater ist gestorben und hat uns nichts hinterlassen als die Keule, den Hut und den Mantel, welche hier liegen; diese drei Dinge sind wir nicht imstande unter uns zu teilen, denn jeder möchte alles haben.« Der Jüngling fragte weiter: »Sind denn diese Dinge so viel wert, daß ihr euch so darüber verzankt?« – »Ei freilich«, riefen die Teufel, »denn wer diese Keule in der Hand hält, kann jeden andern damit in eine Steinsäule verwandeln; und wer diesen Hut aufsetzt, ist unsichtbar und kann mit dem Kaiser an der Tafel sitzen, ohne daß er gesehen wird; und wer abends diesen Mantel umnimmt und sich da oder dorthin, wär’s auch ans Ende der Welt, wünscht, der ist am andern Morgen dort.« – »Gut«, erwiderte hierauf der Jüngling, »das alles ist schon wert, daß man sich darum streite, und wenn es euch dreien recht ist, so laßt mich Schiedsrichter unter euch sein.«
Die Teufel nahmen den Vorschlag an, er aber sprach weiter: »Geht alle auf jenen Berg drüben, und wenn ich das Zeichen gebe, so lauft ihr mir zu. Wer von euch dann zuerst bei mir ankommt, soll alle drei Dinge erhalten, Keule, Hut und Mantel bleiben indessen bei mir.« Die Teufel gingen nun, wie es ihr Kampfrichter wollte, auf den Berg, als sie aber auf ihn zugelaufen kamen, verwandelte er sie schnell in Steinsäulen.
Darauf zog er mit seiner unschätzbaren Beute weiter und gelangte zu einer Bauernhütte. Darin saß eben ein Bauer mit seinem Weib beim Essen. Der Jünling nahm sogleich seinen Hut auf den Kopf, setzte sich zu den Leuten und langte tüchtig mit in die Schüssel. Als alles aufgegessen war, sagte der Bauer erstaunt zu seinem Weibe: »Gott soll uns helfen, wir haben heute viel gegessen und sind doch nicht satt.« Die Bäuerin ging, füllte die Schüssel noch einmal, und sie aßen weiter, wobei es der Unsichtbare an seiner Hilfe abermals nicht fehlen ließ. Der Bauer rief endlich zornig: »Der Teufel selbst muß um uns sein, daß wir uns heute nicht sättigen können.« Jetzt machte sich der Gast sichtbar und sagte, daß er mitgegessen habe; aber ehe sich die Bauersleute von ihrem Staunen erholen konnten, war er schon wieder verschwunden.
Als es Nacht geworden, wickelte er sich in seinen Mantel und legte sich auf dem Feld nieder. Beim Einschlafen sagte er bei sich: »Wenn ich doch morgen früh vor der Haustür meines geliebten Weibes erwachte.« Was er wünschte, geschah, er wachte am andern Morgen vor der Tür eines Hauses auf, das er nicht kannte. Ein schöner Knabe trat heraus, der, als er den fremden Mann sah, eilig wieder zurücklief und rief: »Der Vater! Der Vater!« Als darauf eine schöne Frau mit einem zweiten, ebenso schönen Knaben hervortrat, um zu sehen, was es gebe, erkannten sie sich beide, und es wurde große Freude im Hause. Als die Frau des Abends für ihren Mann eine Schlafstelle bereiten wollte, breitete dieser seinen Mantel aus und legte sich samt ihr und seinen beiden Söhnen darauf, dann sprach er: »Morgen früh will ich mit den Meinen in meines Vaters Haus erwachen.« Es geschah wieder so, wie er gewünscht hatte, und noch lange Zeit lebten sie bei ihrem alten Vater glücklich und vergnügt.

[Rumänien: Arthur und Albert Schott: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat]

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