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Die Alte-Weiber-Mühle

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Bei Apolda in Thüringen liegt die Alte-Weiber-Mühle. Sie sieht ungefähr aus wie eine große Kaffeemühle, nur dass nicht oben gedreht wird, sondern unten. Unten stehen nämlich zwei große Balken heraus, die von zwei Knechten angefasst werden, um mit ihnen die Mühle zu drehen. Oben werden die alten Weiber hineingetan; faltig und bucklig, ohne Haare und Zähne, und unten kommen sie jung wieder heraus: schmuck und rotbackig wie die Borstäpfel. Mit einem Male Umdrehen ist es gemacht; knack und krach geht es, dass es einem durch Mark und Bein fährt. Wenn man aber die, welche herauskommen und wieder jung geworden sind, fragt, ob es nicht erschrecklich weh tue, antworten sie: „Lieber gar! Wunderschön ist es! Ungefähr so, wie wenn man früh aufwacht, gut ausgeschlafen ist und die Sonne ins Zimmer scheint, und draußen singen die Vögel, und die Bäume rauschen, und man sich dann noch einmal im Bett ordentlich dehnt und reckt. Da knackt es auch zuweilen.“
Sehr weit von Apolda wohnte einmal eine alte Frau; die hatte auch davon gehört. Da sie nun sehr gern jung gewesen war, entschloss sie sich eines Tages kurz und machte sich auf den Weg. Es ging zwar langsam; sie musste oft stehen bleiben und husten, aber mit der Zeit kam sie doch vorwärts, und endlich langte sie richtig vor der Mühle an.
„Ich möchte wieder jung werden und mich ummahlen lassen“, sagte sie zu einem der Knechte, der, die Hände in den Hosentaschen, vor der Mühle auf der Bank saß und aus seiner Pfeife Ringel in die blaue Luft blies. „Du lieber Gott, was das Apolda weit ist!“
„Wie heißt Ihr denn?“ fragte der Knecht gähnend.
„Die alte Mutter Klapprothen!“
„Setzt Euch solange auf die Bank, Mutter Klapprothen“, sagte der Knecht, ging in die Mühle, schlug ein großes Buch auf und kam mit einem langen Zettel wieder heraus.
„Ist wohl die Rechnung, mein Jüngelchen?“ fragte die Alte.
„I bewahre!“ erwiderte der Knecht. „Das Ummahlen kostet nichts. Aber Ihr müsst zuvor das hier unterschreiben!“
„Unterschreiben?“ wiederholte die alte Frau. „Wohl meine arme Seele dem Teufel verschreiben? Nein! das tue ich nicht! Ich bin eine fromme Frau und hoffe, einmal in den Himmel zu kommen.“
„Ist nicht so schlimm!“ lachte der Knecht. „Auf dem Zettel stehen bloß alle Torheiten verzeichnet, die Ihr in Eurem ganzen Leben begangen habt, und zwar ganz genau der Reihe nach, mit Zeit und Stunde. Ehe Ihr Euch ummahlen lasst, müsst Ihr Euch verpflichten, wenn Ihr nun wieder jung geworden seid, alle die Torheiten noch einmal zu machen, und zwar ganz genau in derselben Reihenfolge, justement wie es auf dem Zettel steht!“
Darauf besah er den Zettel und sagte schmunzelnd: „Freilich ein bisschen viel, Mutter Klapprothen, ein bisschen viel! Vom sechzehnten bis zum sechsundzwanzigsten Lebensjahre täglich eine, sonntags zwei. Nachher wird es besser. Aber im Anfang der Vierziger, der Tausend, da kommt’s noch einmal dicke! Zuletzt ist’s wie gewöhnlich!“
Da seufzte die Alte und sagte: „Aber Kinder, dann lohnt es sich ja gar nicht, sich ummahlen zu lassen!“
„Freilich, freilich“, entgegnete der Knecht, „für die meisten lohnt sich es nicht! Darum haben wie eben gute Zeit; sieben Feiertage die Woche, und die Mühle steht immer still, zumal seit den letzten Jahren. Früher war schon das Geschäft etwas lebhafter.“
„Ist es denn nicht möglich, wenigstens etwas auf dem Zettel auszustreichen?“ fragte die Alte noch einmal und streichelte dem Knechte die Backen. „Bloß drei Sachen, mein Jüngelchen, alles andere will ich, wenn es denn einmal sein muss, noch einmal machen.“
„Nein“, antwortete der Knecht, „das ist platterdings unmöglich. Entweder – oder!“
„Nehmt nur Euren Zettel wieder“, sagte darauf die alte Frau nach einigem Besinnen, „ich habe die Lust an Euerer dummen alten Mühle verloren!“ und machte sich auf den Heimweg.
Als sie aber zu Hause ankam und die Leute sie verwundert ansahen und sagten: „Aber Mutter Klapprothen, Ihr kommt ja gerade so alt wieder, als Ihr fortgegangen seid! Es ist wohl nichts mit der Mühle?“ hustete sie und antwortete: „O ja, es ist wohl etwas daran; aber ich hatte zu große Angst, und dann – was hat man denn an dem bisschen Leben? Du lieber Gott!“

Quelle:
(Richard von Volkmann-Leander)

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