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Märchenbasar

Die drei Schwestern mit den gläsernen Herzen

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Es gibt Menschen mit gläsernen Herzen. Wenn man leise daran rührt, klingen sie so fein wie silberne Glocken. Stößt man jedoch derb daran, so gehen sie entzwei.
Da war nun auch ein Königspaar, das besaß drei Töchter, und alle drei hatten gläserne Herzen. „Kinder“, sagte die Königin, „nehmt euch mit euren Herzen in acht, sie sind eine zerbrechliche Ware!“ Und sie taten es auch.
Eins Tages jedoch lehnte sich die älteste Schwester zum Fenster hinaus über die Brüstung und sah hinab in den Garten, wie die Bienen und Schmetterlinge um die Levkojen flogen. Dabei drückte sie sich ihr Herz: kling! ging es, wie wenn etwas zerspringt, und sie fiel hin und war tot.
Wieder nach einiger Zeit trank die zweite Tochter eine Tasse zu heißen Kaffee. Da gab es abermals einen Klang, wie wenn ein Glas springt, nur etwas feiner wie das erstemal, und auch sie fiel um. Da hob sie ihre Mutter auf und besah sie, merkte aber bald zu ihrer Freude, dass sie nicht tot war, sondern dass ihr Herz nur einen Sprung bekommen hatte, jedoch noch hielt.
„Was sollen wir nun mit unserer Tochter anfangen?“ ratschlagten der König und die Königin. „Sie hat einen Sprung im Herzen, und wenn er auch nur fein ist, so wird es doch leicht ganz entzweigehen. Wir müssen sie sehr in acht nehmen.“
Aber die Prinzessin sagte: „Lasst mich nur! Manchmal hält das, was einen Sprung bekommen hat, nachher gerade noch recht lange!“
Indessen war die jüngste Königstochter auch groß geworden und so schön, gut und verständig, dass von allen Seiten Königssöhne herbeiströmten und um sie freiten. Doch der alte König war durch Schaden klug geworden und sagte: „Ich habe nur noch eine ganze Tochter, und auch die hat ein gläsernes Herz. Soll ich sie jemandem geben, so muss es ein König sein, der zugleich Glaser ist und mit so zerbrechlicher Ware umzugehen versteht.“ Allein es war unter den vielen Freiern nicht einer, der sich gleichzeitig auf die Glaserei gelegt hätte, und so mussten sie alle wieder abziehen.
Da war nun unter den Edelknaben im Schloss des Königs einer, der war beinahe fertig. Wenn er noch dreimal der jüngsten Königstochter die Schleppe getragen hatte, so war er Edelmann. Dann gratulierte ihm der König und sagte ihm: „Du bist nun fertig und Edelmann. Ich danke dir. Du kannst gehen.“
Als er nun das erstemal der Prinzessin die Schleppe trug, sah er, dass sie einen ganz königlichen Gang hatte. Als er sie ihr das zweitemal trug, sagte die Prinzessin: „Las einmal einen Augenblick die Schleppe los, gib mir deine Hand und führe mich die Treppe hinauf, aber fein zierlich, wie es sich für einen Edelknaben, der eine Königstochter führt, schickt.“ Als er dies tat, sah er, dass sie auch eine ganz königliche Hand hatte. Sie aber merkte auch etwas; was es aber war, will ich erst nachher sagen. Endlich, als er ihr das drittemal die Schleppe trug, drehte sich die Königstochter um und sagte zu ihm: „Wie reizend du mir meine Schleppe trägst! So reizend hat sie mir noch keiner getragen.“ Da merkte der Edelknabe, dass sie auch eine ganz königliche Sprache führte. Damit war er nun aber fertig und Edelmann. Der König dankte und gratulierte ihm und sagte, er könne nun gehen.
Als er ging, stand die Königstochter an der Gartentüre und sprach zu ihm: „Du hast mir so reizend die Schleppe getragen wie kein anderer. Wenn du doch Glaser und König wärst!“
Darauf antwortete er, er wolle sich alle Mühe geben, es zu werden; sie möge nur auf ihn warten, er käme gewiss wieder.
Er ging also zu einem Glaser und fragte ihn, ob er nicht einen Glaserjungen gebrauchen könne. „Jawohl“, erwiderte dieser, „aber du musst vier Jahre bei mir lernen. Im ersten Jahr lernst du die Semmeln vom Bäcker holen und die Kinder waschen, kämmen und anziehen. Im zweiten lernst du die Ritzen mit Kitt verschmieren, im dritten Glas schneiden und einsetzen, und im vierten wirst du Meister.“
Darauf fragte er den Glaser, ob er nicht von hinten anfangen könne, weil es dann doch schneller ging. Indes der Glaser bedeutete ihm, dass ein ordentlicher Glaser immer von vorn anfangen müsse, sonst würde nichts Gescheites daraus.
Damit gab er sich zufrieden. Im ersten Jahre holte er also die Semmeln vom Bäcker, wusch und kämmte die Kinder und zog sie an. Im zweiten verschmierte er die Ritzen mit Kitt, im dritten lernte er Glas schneiden und einsetzen, und im vierten Jahre wurde er Meister. Darauf zog er sich wieder seine Edelmannskleider an, nahm Abschied von seinem Lehrherrn und überlegte sich, wie er es anfinge, um nun auch noch König zu werden.
Während er so auf der Straße, ganz in Gedanken versunken, einherging und aufs Pflaster sah, trat ein Mann an ihn heran und fragte, ob er etwas verloren habe, dass er immer so auf die Erde sähe. Da erwiderte er: verloren habe er zwar nichts, aber suchen täte er doch etwas, nämlich ein Königreich; und fragte ihn, ob er nicht wisse, was er zu beginnen habe, um König zu werden.
„Wenn du ein Glaser wärst“, sagte der Mann, „wüsste ich schon Rat.“
„Ich bin ja gerade ein Glaser!“ antwortete er, „und eben fertig geworden!“
Als er dies gesagt, erzählte ihm der Mann die Geschichte von den drei Schwestern mit den gläsernen Herzen, und wie der alte König durchaus seine Tochter nur einem Glaser vermählen wolle. „Anfangs“, so sprach er, „war noch die Bedingung, dass der Glaser, der sie bekäme, auch noch ein König oder ein Königssohn sein müsse; weil sich aber keiner finden will, der alles beides ist, Glaser und König zugleich, so hat er etwas nachgegeben, wie es der Klügste immer tun muss, und zwei andere Bedingungen gestellt. Glaser muss er freilich immer noch sein, dabei bleibt es!“
„Welches sind denn die beiden Bedingungen?“ fragte der junge Edelmann.
„Er muss der Prinzessin gefallen und Samtpatschen haben. Kommt nun ein Glaser, welcher der Prinzessin gefällt und auch Samtpatschen hat, so will ihm der König seine Tochter geben und ihn später, wenn er tot ist, zum König machen. Es sind nun auch schon eine Menge Glaser auf dem Schloss gewesen, aber der Prinzessin wollte keiner gefallen. Außerdem hatten sie auch alle keine Samtpatschen, sondern grobe Hände, wie das von gewöhnlichen Glasern nicht anders zu erwarten ist.“
Als dies der junge Edelmann vernommen, ging er in das Schloss, entdeckte sich dem König, erinnerte ihn daran, wie er bei ihm Edelknabe gewesen sei, und erzählte ihm, dass er seiner Tochter zuliebe Glaser geworden und sie nun gar gern heiraten und nach seinem Tode König werden wolle.
Da ließ der König die Prinzessin rufen und fragte sie, ob der junge Edelmann ihr gefiele, und als sie dies bejahte, weil sie ihn gleich erkannte, sagte er dann weiter, er solle nun auch seine Handschuhe ausziehen und zeigen, ob er auch Samtpatschen habe. Aber die Prinzessin meinte, dies sei unnötig, sie wisse es ganz genau, dass er wirklich Samtpatschen habe. Sie hätte es schon damals gemerkt, als er sie die Treppe hinaufgeführt hätte.
So waren denn beide Bedingungen erfüllt, und da die Prinzessin einen Glaser zum Mann bekam und noch dazu einen mit Samtpatschen, so nahm er ihr Herz sehr in acht, und es hielt bis an ihr seliges Ende.
Die zweite Schwester aber, welche schon den Sprung hatte, wurde die Tante, und zwar die allerbeste Tante der Welt. Dies versicherten nicht bloß die Kinder, welche der junge Edelmann und die Prinzessin zusammen bekamen, sondern auch alle anderen Leute. Die kleinen Prinzessinnen lehrte sie lesen, beten und Puppenkleider machen; den Prinzen aber besah sie die Zensuren. Wer eine gute Zensur hatte, wurde sehr gelobt und bekam etwas geschenkt; hatte aber einmal einer eine schlechte Zensur, dann gab sie ihm einen Katzenkopf und sprach: „Sage einmal, sauberer Prinz, was du dir eigentlich vorstellst? Was willst du später einmal werden? Heraus mit der Sprache! Nun, wird’s bald?“
Und wenn er dann stotterte und sagte: „Kö-Kö-Kö-König!“ lachte sie und fragte: „König! Wohl König Midas? König Midas Hochgeboren mit zwei langen Eselsohren!“ Dann schämte sich der, welcher die schlechte Zensur bekommen hatte, gewaltig.
Und auch diese zweite Prinzessin wurde steinalt, obwohl ihr Herz einen Sprung hatte. Wenn sich jemand darüber wunderte, sagte sie regelmäßig: „Was in der Jugend einen Sprung kriegt und geht nicht gleich entzwei, das hält nachher oft gerade noch recht lange.“
Und das ist auch wahr. Denn meine Mutter hat auch so ein altes Sahnetöpfchen, weiß, mit kleinen bunten Blumensträußchen besät, das hat einen Sprung, solange ich denken kann, und hält immer noch; und seit es meine Mutter hat, sind schon so viele neue Sahnetöpfchen gekauft und immer wieder zerbrochen worden, dass man sie gar nicht zählen kann.

Quelle:
(Richard von Volkmann-Leander)

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