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Die barmherzige Schnur und die unbarmherzige Schwiegermutter

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Es war einmal eine Schnur und eine Schwiegermutter. Die Schwiegermutter war schlau und unbarmherzig gegen die Waisen, die Schnur hingegen milde wie ein milder Tag im Jahre. Kam irgend ein Waislein vor das Haus, so jagte die Schwiegermutter es mit der Eimerstange weg, die Schnur hingegen theilte den letzten Bissen mit ihm, und wenn sie Schafmilch nach Hause trug und irgendwo am Wege ein Löchlein sah, da sprach sie gleich: »Da muß auch ein Thierchen darin sein,« und goß ein wenig Milch hinein. Weil sie aber so barmherzigen Sinnes war, wurde sie von der Schwiegermutter gehaßt und mußte oft Hunger leiden, indem diese ihr das Brod versperrte, so daß die Arme oft zwei bis drei Tage nichts zu essen bekam.
Mit einem Male erkrankte die Schwiegermutter gefährlich, und wie sie so darniederlag, bat sie Gott, er möge ihr, wenn sie sterben sollte, erlauben, auf diese Welt zurück zu kommen, damit sie die Schnur verhindern könne den Faullenzern (wie sie die Bettler nannte) Almosen zu reichen.
Nachdem sie gestorben und begraben worden war, aßen und tranken die Leute beim Todtenmahle, und als sie sich entfernt hatten, wusch die Schnur das Geschirr ab, trug nachher das Spülicht hinaus und goß es in den Schweintrog, worauf sie die Schweine heraus ließ. Die Schweine rannten zum Trog, grunzten, aber gingen um ihn herum und wollten das Spülicht nicht trinken. Darob verwundert und nicht wissend was ihnen fehle, ging sie näher, und sah nun daß vom Tranke auch kein Tropfen mehr da, doch um den Trog herum die Erde trocken war, das Spülicht also nicht ausgeronnen sein konnte. Den nächsten Tag am Abend geschah es eben so, und so sieben Abende nach einander. Am achten Abend aber bat sie ihren Mann er möge den Schweinen den Trank vorschütten. Und wie ihn der Mann in den Trog goß, und die Schweine heraus ließ, und sah wie sie mager geworden waren, da fing er die Frau auszuschelten an, warum sie die Thiere nicht besser füttere, sondern sie so abzehren lasse. Nun erzählte sie ihm wie dies zugehe, da eilte er schnell zum Trog, zu sehen, ob noch etwas darinnen sei, wie er aber hinkam, fand er ihn leer. Da bekreuzte er sich und war ganz verwundert, wie denn das sein könne. In dem Augenblicke fing seine Mutter vom Troge hervor zu sprechen an: »Mein Sohn! Ich bin in der andern Welt in großer Pein. Jeder Seufzer, den eine Waise ausstieß, die ich von meiner Schwelle jagte, hat sich dort in einen Dorn verwandelt, und auf diesen Dornen muß ich liegen, und jede Thräne die eine Waise meinetwegen geweint hat, quoll in einen Kessel in welchem ich nun sieden muß. Und weil ich Gott gebeten habe, mich von jener Welt zu schicken, daß ich mein Haus und die Schnur überwache, damit diese den Armen kein Almosen theile, so ist über mich verhängt worden, daß ich auf diese Welt zurück wandern und mit den Schweinen essen müsse. Deiner Frau jedoch sind drei goldne Tische bereitet und auf diesen lauter Rosen und Basilikum. Frage sie doch, ob sie mir einen dieser Tische geben wollte, damit ich zur Ruhe gehen kann.« Da ging der Mann zu seiner Frau ins Haus, und erzählte ihr Alles umständlich, und wie die Frau dies hörte, lief sie hinaus und zum Troge hin, die Schwiegermutter zu sehen, als sie aber sah wie diese abgehärmt war, brach sie in Weinen aus. Da fing die Schwiegermutter sie zu beschwören an, ihr einen jener Tische zu geben, denn es sei über sie verhängt daß erst, wenn die Schnur ihr einen der Tische abtreten wolle, ihr die Hälfte ihrer Sünden vergeben würden, und sie nicht mehr auf diese Welt kommen dürfe mit den Schweinen zu essen. Da sprach die Schnur: »Ich will dir alle drei Tische schenken, und was ich bis jetzt gethan habe, das sei für dich gethan, von jetzt an aber gebe Gott, daß ich etwas für mich selbst erwerbe.« Da verschwand die Schwiegermutter und ist nie mehr wieder gekommen.

[Serbien: Vuk Stephanovic Karadzic: Volksmärchen der Serben]

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