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Nicht weit von einer Königsstadt wohnte einmal ein wohlhabender Bauer. Er hatte drei Töchter, von denen die Aelteste zwanzig Jahre alt war; aber auch die beiden Jüngeren konnten schon heirathen, wenn es sein sollte.
Als die drei Schwestern einmal zusammen spazieren gingen, ahen sie den König in Begleitung zweier Männer herankommen. Der eine dieser beiden Männer war der Schreiber, der andere der Schuster des Königs, und dieselben waren beide, wie auch ihr Herr, unverheirathet.
Da sagte die Aelteste der Schwestern:
»Ich wäre jetzt ganz zufrieden, wenn ich den Schuster des Königs zum Mann bekäme.«
»Und ich, wenn ich seinen Schreiber bekäme«, sagte die Nächstälteste.
»Und ich wollte, daß ich den König selbst bekäme!« rief die Jüngste.
Der König hörte, daß die Schwestern zusammen plauderten, und sagte zu seinen Begleitern:
»Ich will zu den Mädchen hingehen, um zu erfahren, worüber sie gesprochen haben; es schien mir, als ob eine von dem König selbst gesprochen hätte.«
Die beiden Männer meinten, daß das Geschwätz dieser Mädchen wohl nicht viel zu bedeuten habe, aber der König hörte nicht auf ihre Einwendungen, sondern sagte, daß sie alle drei zu den Mädchen gehen und mit denselben plaudern wollten. Dies thaten sie denn auch.
Der König fragte die Mädchen, worüber sie gesprochen hätten, als sie seiner ansichtig wurden.
Nun wollten sie freilich nur ungern mit der Sprache heraus, da aber der König darauf bestand, blieb ihnen nichts übrig, als die Wahrheit zu sagen.
Dem König gefielen die Mädchen recht gut; er fand, daß sie nicht nur sehr schön waren, sondern auch angenehm sprechen konnten, besonders die Jüngste; er sagte ihnen deshalb, daß ihre Wünsche erfüllt werden sollten.
Da waren die Schwestern freilich ganz sprachlos vor Ueberraschung und Verwunderung, aber es mußte so geschehen, da der König es wollte. Sie heiratheten alle drei und jede bekam den Mann, den sie sich gewünscht hatte.
Da nun aber die Jüngste Königin geworden war, erwachte der Neid der beiden Anderen; sie warfen einen Groll auf sie und wollten sie um jeden Preis aus ihrer Würde verdrängen. Sie zerbrachen sich daher lange den Kopf darüber, wie sie es am Besten anstellen könnten.
Als die Königin zum ersten Male ihre Niederkunft erwartete, erhielten die beiden Schwestern die Erlaubniß, ihr in der schweren Stunde beistehen zu dürfen. Das Kind war jedoch kaum zur Welt gekommen, als sie dasselbe aus dem Wege schafften und Anstalten trafen, daß es in einen tiefen Graben außerhalb der Stadt geworfen werden konnte, wo man allerlei Schmutz und Unrath abzulagern pflegte.
Der Mann, der mit diesem Auftrage betraut war, konnte es nicht über das Herz bringen, eine solche Unthat auszuführen, und legte deshalb das Kind an den Rand des Grabens in der Hoffnung, daß irgend Jemand dasselbe finden und ihm das Leben retten werde. Und es traf sich auch wirklich, daß ein armer Mann an der Stelle vorüberkam, wo das Kind lag.
Das sei ein seltsamer Fund, dachte sich dieser, und nahm das Kind mit sich heim und erzog es so gut als er im Stande war. Die Schwestern der Königin aber verschafften sich ein junges Hündchen und erzählten, daß die Königin dasselbe geboren habe.
Der König grämte sich sehr, als ihm dies mitgetheilt wurde; aber er liebte die Königin wie seinen Augapfel und bezwang deshalb seinen Kummer und ließ es sie nicht entgelten.
Die Königin bekam ein zweites und drittes Kind und jedes Mal erhielten die Schwestern die Erlaubniß, ihr bei der Geburt beizustehen. Beide Male verübten sie denselben verbrecherischen Betrug und ließen die neugeborenen Kinder fortschaffen in dem Glauben, daß sie in dem Graben bald um’s Leben kommen müßten. Aber der Mann, dem dies aufgetragen worden, legte die Kinder jedesmal an den Rand des Grabens und es traf sich so glücklich, daß stets derselbe arme Mann die Kinder fand, sie mit sich in seine Hütte nahm, taufen ließ und nach seinem besten Vermögen auferzog.
Das älteste Kind war ein Knabe; ihm gab er den Namen Wilhelm; das zweite war ebenfalls ein Knabe und diesen nannte er Sigurd; das jüngste war ein Mädchen; wie es aber hieß, das weiß ich euch nicht zu sagen.
Als die Königin das zweite Kind geboren, sagten die Schwestern, dasselbe sei eine Katze gewesen, und beim dritten erzählten sie sogar, daß die Königin ein Stück Holz geboren habe. Nun kannte der Zorn des Königs keine Grenzen mehr; er ließ die Königin in ein Haus werfen, in welchem ein Löwe eingesperrt war; denn er wollte nicht, daß dieses Unglücksgeschöpf sein ganzes Reich mit Ungethümen anfüllen sollte. Die Schwestern aber glaubten, daß sie nun ihre Absicht vollkommen erreicht hätten, und sie sprachen von ihrer That nicht wenig stolz, wenn sie allein zusammen plauderten.
Von der Königin aber ist zu erzählen, daß es nicht so geschah, wie man erwartet hatte. Der Löwe fraß sie nicht auf, im Gegentheil, er theilte seine Speise mit ihr, so oft er selbst etwas bekam.
So lebte sie denn bei dem Löwen, ohne daß Jemand wußte, daß sie noch am Leben sei. Aber es war ein gar trauriges Leben, welches sie da führte, die Aermste.
Nun wendet sich die Erzählung wieder zurück zu dem armen Manne, der die Kinder auferzog. Derselbe fragte alle Menschen, die er traf oder die zu ihm kamen, ob sie nicht etwas von diesen Kindern wüßten, welche er am Rande des Grabens gefunden habe. Aber Niemand wußte das Geringste davon, weder über ihre Herkunft noch über ihr Geschlecht.
Die Kinder wuchsen auf und zeigten die besten Anlagen. Den armen Mann aber begann das Alter zu bedrücken; er gab den Kindern den Rath, daß sie nach seinem Tode fortfahren möchten, in gleicher Weise, wie er es gethan, ihrem Geschlechte nachzuforschen, und er theilte ihnen Alles mit, was er in dieser Angelegenheit wußte. Hierauf starb der gute Mann und die Kinder thaten genau so, wie derselbe ihnen gerathen hatte.
Da geschah es eines Tages, daß ein alter Mann zu ihnen kam; sie fragten ihn um dasselbe aus wie alle Anderen. Der Mann aber sagte, er selbst wisse ihnen darüber nichts zu sagen, doch könne er sie vielleicht an Jemanden weisen, der von diesen Dingen Kenntniß habe.
Und nun erzählte er, daß sich nicht weit von ihrer Hütte ein großer Stein befinde, auf welchem ein großer Vogel sitze, der die menschliche Sprache verstehe und selbst spreche. Es sei das Beste, zu diesem Vogel zu gehen, obschon große Gefahr damit verbunden sei; denn gar Viele wären schon dahingegangen, Niemand aber wieder zurückgekommen. Er erzählte weiters, daß viele Königskinder den Vogel aufgesucht hätten, um ihr Schicksal zu erfahren; aber keines von ihnen habe sich so benommen, wie es nothwendig war. Denn es verhalte sich dabei so, daß Derjenige, welcher auf den Stein hinauf wolle, so standhaft sein müsse, sich nicht umzusehen, was er auch hören und was auch um ihn herum vorgehen möge; denn wer dies thue, werde mit Allem, was er bei sich habe, augenblicklich in einen Stein verwandelt. Noch Niemand habe diese Standhaftigkeit besessen fuhr der Alte fort; und doch sei es eine leichte Sache hinaufzukommen, wenn man dieselbe bewahren könne. Derjenige aber, welcher auf den Stein gelange, erhalte die Macht, daß er Alle wieder zum Leben erwecken könne, welche früher in Stein verwandelt worden seien; denn auf der Höhe des Steines befinde sich ein Wassergefäß mit einem Deckel und auf diesem sitze der Vogel. Es sei Jedem, welcher hinauf komme, erlaubt, von dem Wasser zu nehmen und damit Diejenigen zu begießen, welche zu Stein geworden seien; diese würden dann zu neuem Leben erwachen und wieder ganz so beschaffen sein, wie sie früher gewesen.
Die Königskinder meinten, dies sei so schwer nicht, und besonders die Brüder zeigten sich gleich dazu bereit, und sie dankten dem Alten herzlich für seine Mittheilung.
Kurze Zeit darauf machte sich auch der ältere Bruder, Wilhelm, auf, um den Stein aufzusuchen. Bevor er aber fortging, sagte er zu dem Bruder:
»Wenn drei Blutstropfen auf Dein Messer kommen, während Du einmal bei Tische sitzest und speisest, dann mußt Du nachkommen, denn es ist mir dann ergangen wie den Anderen.«
So zog er denn fort, wie der alte Mann ihnen gesagt hatte, und es verlautet nichts Weiteres von ihm. Aber es mochten etwa drei Tage vergangen sein, oder so viel Zeit als man brauchte, um zum Steine zu kommen, da erschienen drei Blutstropfen auf Sigurd’s Messer, als er bei Tische saß und speiste. Da wurde ihm ganz seltsam zu Muthe und er erzählte der Schwester, daß er nun fort müsse, um nach dem Bruder zu sehen. Er traf mit ihr dieselbe Verabredung, welche Wilhelm mit ihm getroffen hatte, zog fort, und – wir brauchen nicht viel Worte zu verlieren – es traf wieder Alles genau so ein, wie früher. Zu der Zeit, als Sigurd zu dem Steine gekommen sein konnte, erschienen die Blutstropfen auf dem Messer der Schwester, diese wurde darüber sehr beklommen und machte sich alsbald selbst auf, um ihr Glück zu versuchen.
Sie kam ohne Unfall bis in die Nähe des Steines. Hier aber sah sie rings herum eine unzählige Menge kleinerer Steine in allen möglichen Formen; die einen glichen kleinen Kisten, die anderen hatten allerlei Thiergestalten, und wieder andere ein anderes Aussehen. Sie aber kümmerte sich um nichts, sondern ging weiter bis zu dem großen Steine und schickte sich an, auf denselben hinauf zu klettern. Da hörte sie hinter sich ein Gesumm von menschlichen Stimmen und ein Geschrei und Rufen, und erkannte auch die Stimmen ihrer Brüder. Sie achtete aber nicht darauf, hielt ihren Vorsatz, sich nicht umzusehen, so sehr es auch schreien und lärmen mochte, und kam dann endlich auf der Höhe des Steines an. Da lobte sie der Vogel gar sehr wegen ihrer Besonnenheit und Standhaftigkeit und er versprach ihr nun Alles zu erzählen, was sie zu wissen wünsche, und für sie zu thun, was in seiner Macht stünde.
Zuerst wollte sie alle Steine wieder zum Leben erwecken und ihnen dieselbe Gestalt geben, die sie früher gehabt hätten. Dieses Verlangen bewilligte ihr der Vogel sogleich, machte sie aber gleichzeitig besonders auf einen Stein aufmerksam; denn sie würde sicherlich Denjenigen befreien, der darin verborgen sei, sagte er, wenn sie wüßte, wer es sei.
Man kann sich leicht denken, daß die Königstochter nicht lange zauderte, alle Steine mit Wasser zu besprengen, und dieselben verloren nun alle ihr steinernes Kleid, in welches sie gebannt waren, und sie dankten ihr mit vielen und schönen Worten für das wiedergeschenkte Leben.
Hierauf fragte sie den Vogel, von woher sie und ihre Brüder stammten, und wie ihre Eltern heißen.
Der Vogel sagte ihr, sie seien die Kinder des Königs, der in diesem Lande herrsche, und erzählte ihr hierauf, was die beiden Schwestern gethan hatten, als sie und ihre zwei Brüder auf die Welt gekommen. Er erklärte Alles auf das Genaueste und theilte den Geschwistern zugleich mit, daß ihre Mutter noch bei dem Löwen wohne, jedoch dem Tode näher sei als dem Leben, da sie die größten Sorgen und Qualen leide und ihr alle Güter des Lebens fehlen.
In dem Stein aber, auf welchen der Vogel das junge Mädchen aufmerksam gemacht hatte, war ein sehr vornehmer und schöner Prinz, welcher sogleich Liebe zu Derjenigen faßte, die ihm das Leben wieder gegeben hatte; und gar bald hatten sie alle Beide einander lieb. Er war es, der alle diese kistenförmigen Steine mit sich gebracht hatte, denn dieselben waren nichts Anderes als Kisten, die mit allen Arten von Kostbarkeiten, Gold und Edelsteinen angefüllt waren.
Nachdem nun der Vogel Jedem gesagt, was er zu wissen verlangte, zogen die Geschwister wieder von dannen, gefolgt von dem reichen Prinzen.
Sowie sie wieder heim kamen, war ihr Erstes, daß sie nach dem Hause gingen, in welchem sich der Löwe befand, und dasselbe erbrachen. Sie fanden darin ihre Mutter in Ohnmacht liegend, von welcher dieselbe befallen ward, sowie sie hörte, wie in das Haus eingebrochen wurde. Sie nahmen sie mit sich, und bald kam sie auch wieder zur Besinnung. Man gab ihr ordentliche Kleider und dann gings in größter Eile dem königlichen Schlosse zu.
Sie baten um Zutritt bei dem Könige, da sie dringend mit ihm zu sprechen hätten. Derselbe wurde ihnen auch gewährt, und nun erzählten die drei Geschwister, wer sie seien, und daß sie, seine eigenen Kinder, eben ihre Mutter aus dem Löwenkäfig befreit und hieher gebracht hätten.
Hierauf theilten sie ihm auch Alles genau mit, was sie von dem Vogel erfahren hatten. Der König gerieth ganz außer sich über alle diese Geschichten und Ereignisse.
Es wurde augenblicklich nach den Schwestern geschickt und ihr damaliges Verhalten untersucht; sie geriethen gar bald in Widerspruch mit sich selbst, gestanden ihre ganze Unthat ein und erzählten den wahren Sachverhalt vom Anfang bis zum Ende. Sie wurden nun sogleich in dasselbe Löwenhaus geworfen, in welchem die Königin früher war, und es dauerte nicht lange, so waren sie in Stücke gerissen und von dem Löwen mit Haut und Haaren aufgefressen.
Die Königin wurde wieder in ihre Ehren und Würden eingesetzt und es wurde ein Freudenfest veranstaltet, um die Wiederkehr der Königin und ihrer Kinder zu feiern. Dieses Fest dauerte viele Tage hindurch in des König Palast; als dasselbe zu Ende ging, hielt der fremde Prinz um die Tochter des Königs an und man kann es wohl leicht errathen, daß er dieselbe auch sogleich erhielt. Nun wurde das Fest auf’s Neue begonnen und bei dieser Hochzeit floß der Wein in Strömen, so daß man nie wieder von einer ähnlichen Lustbarkeit in einem anderen Königreiche sprechen hörte. Als die Hochzeitsfestlichkeiten vorüber waren, zog der fremde Prinz in seine Heimat und dort wurde er König nach seinem Vater.
Wilhelm nahm sich ebenfalls eine Gemalin und als der alte König starb, erbte er das Reich von seinem Vater.
Sigurd bekam eine Prinzessin aus einem anderen Reiche, und dasselbe fiel ihm nach dem Tode des Schwiegervaters als Erbtheil zu. So lebten sie alle in Glück und Wohlergehen, und nun ist die Geschichte zu Ende.
Als die drei Schwestern einmal zusammen spazieren gingen, ahen sie den König in Begleitung zweier Männer herankommen. Der eine dieser beiden Männer war der Schreiber, der andere der Schuster des Königs, und dieselben waren beide, wie auch ihr Herr, unverheirathet.
Da sagte die Aelteste der Schwestern:
»Ich wäre jetzt ganz zufrieden, wenn ich den Schuster des Königs zum Mann bekäme.«
»Und ich, wenn ich seinen Schreiber bekäme«, sagte die Nächstälteste.
»Und ich wollte, daß ich den König selbst bekäme!« rief die Jüngste.
Der König hörte, daß die Schwestern zusammen plauderten, und sagte zu seinen Begleitern:
»Ich will zu den Mädchen hingehen, um zu erfahren, worüber sie gesprochen haben; es schien mir, als ob eine von dem König selbst gesprochen hätte.«
Die beiden Männer meinten, daß das Geschwätz dieser Mädchen wohl nicht viel zu bedeuten habe, aber der König hörte nicht auf ihre Einwendungen, sondern sagte, daß sie alle drei zu den Mädchen gehen und mit denselben plaudern wollten. Dies thaten sie denn auch.
Der König fragte die Mädchen, worüber sie gesprochen hätten, als sie seiner ansichtig wurden.
Nun wollten sie freilich nur ungern mit der Sprache heraus, da aber der König darauf bestand, blieb ihnen nichts übrig, als die Wahrheit zu sagen.
Dem König gefielen die Mädchen recht gut; er fand, daß sie nicht nur sehr schön waren, sondern auch angenehm sprechen konnten, besonders die Jüngste; er sagte ihnen deshalb, daß ihre Wünsche erfüllt werden sollten.
Da waren die Schwestern freilich ganz sprachlos vor Ueberraschung und Verwunderung, aber es mußte so geschehen, da der König es wollte. Sie heiratheten alle drei und jede bekam den Mann, den sie sich gewünscht hatte.
Da nun aber die Jüngste Königin geworden war, erwachte der Neid der beiden Anderen; sie warfen einen Groll auf sie und wollten sie um jeden Preis aus ihrer Würde verdrängen. Sie zerbrachen sich daher lange den Kopf darüber, wie sie es am Besten anstellen könnten.
Als die Königin zum ersten Male ihre Niederkunft erwartete, erhielten die beiden Schwestern die Erlaubniß, ihr in der schweren Stunde beistehen zu dürfen. Das Kind war jedoch kaum zur Welt gekommen, als sie dasselbe aus dem Wege schafften und Anstalten trafen, daß es in einen tiefen Graben außerhalb der Stadt geworfen werden konnte, wo man allerlei Schmutz und Unrath abzulagern pflegte.
Der Mann, der mit diesem Auftrage betraut war, konnte es nicht über das Herz bringen, eine solche Unthat auszuführen, und legte deshalb das Kind an den Rand des Grabens in der Hoffnung, daß irgend Jemand dasselbe finden und ihm das Leben retten werde. Und es traf sich auch wirklich, daß ein armer Mann an der Stelle vorüberkam, wo das Kind lag.
Das sei ein seltsamer Fund, dachte sich dieser, und nahm das Kind mit sich heim und erzog es so gut als er im Stande war. Die Schwestern der Königin aber verschafften sich ein junges Hündchen und erzählten, daß die Königin dasselbe geboren habe.
Der König grämte sich sehr, als ihm dies mitgetheilt wurde; aber er liebte die Königin wie seinen Augapfel und bezwang deshalb seinen Kummer und ließ es sie nicht entgelten.
Die Königin bekam ein zweites und drittes Kind und jedes Mal erhielten die Schwestern die Erlaubniß, ihr bei der Geburt beizustehen. Beide Male verübten sie denselben verbrecherischen Betrug und ließen die neugeborenen Kinder fortschaffen in dem Glauben, daß sie in dem Graben bald um’s Leben kommen müßten. Aber der Mann, dem dies aufgetragen worden, legte die Kinder jedesmal an den Rand des Grabens und es traf sich so glücklich, daß stets derselbe arme Mann die Kinder fand, sie mit sich in seine Hütte nahm, taufen ließ und nach seinem besten Vermögen auferzog.
Das älteste Kind war ein Knabe; ihm gab er den Namen Wilhelm; das zweite war ebenfalls ein Knabe und diesen nannte er Sigurd; das jüngste war ein Mädchen; wie es aber hieß, das weiß ich euch nicht zu sagen.
Als die Königin das zweite Kind geboren, sagten die Schwestern, dasselbe sei eine Katze gewesen, und beim dritten erzählten sie sogar, daß die Königin ein Stück Holz geboren habe. Nun kannte der Zorn des Königs keine Grenzen mehr; er ließ die Königin in ein Haus werfen, in welchem ein Löwe eingesperrt war; denn er wollte nicht, daß dieses Unglücksgeschöpf sein ganzes Reich mit Ungethümen anfüllen sollte. Die Schwestern aber glaubten, daß sie nun ihre Absicht vollkommen erreicht hätten, und sie sprachen von ihrer That nicht wenig stolz, wenn sie allein zusammen plauderten.
Von der Königin aber ist zu erzählen, daß es nicht so geschah, wie man erwartet hatte. Der Löwe fraß sie nicht auf, im Gegentheil, er theilte seine Speise mit ihr, so oft er selbst etwas bekam.
So lebte sie denn bei dem Löwen, ohne daß Jemand wußte, daß sie noch am Leben sei. Aber es war ein gar trauriges Leben, welches sie da führte, die Aermste.
Nun wendet sich die Erzählung wieder zurück zu dem armen Manne, der die Kinder auferzog. Derselbe fragte alle Menschen, die er traf oder die zu ihm kamen, ob sie nicht etwas von diesen Kindern wüßten, welche er am Rande des Grabens gefunden habe. Aber Niemand wußte das Geringste davon, weder über ihre Herkunft noch über ihr Geschlecht.
Die Kinder wuchsen auf und zeigten die besten Anlagen. Den armen Mann aber begann das Alter zu bedrücken; er gab den Kindern den Rath, daß sie nach seinem Tode fortfahren möchten, in gleicher Weise, wie er es gethan, ihrem Geschlechte nachzuforschen, und er theilte ihnen Alles mit, was er in dieser Angelegenheit wußte. Hierauf starb der gute Mann und die Kinder thaten genau so, wie derselbe ihnen gerathen hatte.
Da geschah es eines Tages, daß ein alter Mann zu ihnen kam; sie fragten ihn um dasselbe aus wie alle Anderen. Der Mann aber sagte, er selbst wisse ihnen darüber nichts zu sagen, doch könne er sie vielleicht an Jemanden weisen, der von diesen Dingen Kenntniß habe.
Und nun erzählte er, daß sich nicht weit von ihrer Hütte ein großer Stein befinde, auf welchem ein großer Vogel sitze, der die menschliche Sprache verstehe und selbst spreche. Es sei das Beste, zu diesem Vogel zu gehen, obschon große Gefahr damit verbunden sei; denn gar Viele wären schon dahingegangen, Niemand aber wieder zurückgekommen. Er erzählte weiters, daß viele Königskinder den Vogel aufgesucht hätten, um ihr Schicksal zu erfahren; aber keines von ihnen habe sich so benommen, wie es nothwendig war. Denn es verhalte sich dabei so, daß Derjenige, welcher auf den Stein hinauf wolle, so standhaft sein müsse, sich nicht umzusehen, was er auch hören und was auch um ihn herum vorgehen möge; denn wer dies thue, werde mit Allem, was er bei sich habe, augenblicklich in einen Stein verwandelt. Noch Niemand habe diese Standhaftigkeit besessen fuhr der Alte fort; und doch sei es eine leichte Sache hinaufzukommen, wenn man dieselbe bewahren könne. Derjenige aber, welcher auf den Stein gelange, erhalte die Macht, daß er Alle wieder zum Leben erwecken könne, welche früher in Stein verwandelt worden seien; denn auf der Höhe des Steines befinde sich ein Wassergefäß mit einem Deckel und auf diesem sitze der Vogel. Es sei Jedem, welcher hinauf komme, erlaubt, von dem Wasser zu nehmen und damit Diejenigen zu begießen, welche zu Stein geworden seien; diese würden dann zu neuem Leben erwachen und wieder ganz so beschaffen sein, wie sie früher gewesen.
Die Königskinder meinten, dies sei so schwer nicht, und besonders die Brüder zeigten sich gleich dazu bereit, und sie dankten dem Alten herzlich für seine Mittheilung.
Kurze Zeit darauf machte sich auch der ältere Bruder, Wilhelm, auf, um den Stein aufzusuchen. Bevor er aber fortging, sagte er zu dem Bruder:
»Wenn drei Blutstropfen auf Dein Messer kommen, während Du einmal bei Tische sitzest und speisest, dann mußt Du nachkommen, denn es ist mir dann ergangen wie den Anderen.«
So zog er denn fort, wie der alte Mann ihnen gesagt hatte, und es verlautet nichts Weiteres von ihm. Aber es mochten etwa drei Tage vergangen sein, oder so viel Zeit als man brauchte, um zum Steine zu kommen, da erschienen drei Blutstropfen auf Sigurd’s Messer, als er bei Tische saß und speiste. Da wurde ihm ganz seltsam zu Muthe und er erzählte der Schwester, daß er nun fort müsse, um nach dem Bruder zu sehen. Er traf mit ihr dieselbe Verabredung, welche Wilhelm mit ihm getroffen hatte, zog fort, und – wir brauchen nicht viel Worte zu verlieren – es traf wieder Alles genau so ein, wie früher. Zu der Zeit, als Sigurd zu dem Steine gekommen sein konnte, erschienen die Blutstropfen auf dem Messer der Schwester, diese wurde darüber sehr beklommen und machte sich alsbald selbst auf, um ihr Glück zu versuchen.
Sie kam ohne Unfall bis in die Nähe des Steines. Hier aber sah sie rings herum eine unzählige Menge kleinerer Steine in allen möglichen Formen; die einen glichen kleinen Kisten, die anderen hatten allerlei Thiergestalten, und wieder andere ein anderes Aussehen. Sie aber kümmerte sich um nichts, sondern ging weiter bis zu dem großen Steine und schickte sich an, auf denselben hinauf zu klettern. Da hörte sie hinter sich ein Gesumm von menschlichen Stimmen und ein Geschrei und Rufen, und erkannte auch die Stimmen ihrer Brüder. Sie achtete aber nicht darauf, hielt ihren Vorsatz, sich nicht umzusehen, so sehr es auch schreien und lärmen mochte, und kam dann endlich auf der Höhe des Steines an. Da lobte sie der Vogel gar sehr wegen ihrer Besonnenheit und Standhaftigkeit und er versprach ihr nun Alles zu erzählen, was sie zu wissen wünsche, und für sie zu thun, was in seiner Macht stünde.
Zuerst wollte sie alle Steine wieder zum Leben erwecken und ihnen dieselbe Gestalt geben, die sie früher gehabt hätten. Dieses Verlangen bewilligte ihr der Vogel sogleich, machte sie aber gleichzeitig besonders auf einen Stein aufmerksam; denn sie würde sicherlich Denjenigen befreien, der darin verborgen sei, sagte er, wenn sie wüßte, wer es sei.
Man kann sich leicht denken, daß die Königstochter nicht lange zauderte, alle Steine mit Wasser zu besprengen, und dieselben verloren nun alle ihr steinernes Kleid, in welches sie gebannt waren, und sie dankten ihr mit vielen und schönen Worten für das wiedergeschenkte Leben.
Hierauf fragte sie den Vogel, von woher sie und ihre Brüder stammten, und wie ihre Eltern heißen.
Der Vogel sagte ihr, sie seien die Kinder des Königs, der in diesem Lande herrsche, und erzählte ihr hierauf, was die beiden Schwestern gethan hatten, als sie und ihre zwei Brüder auf die Welt gekommen. Er erklärte Alles auf das Genaueste und theilte den Geschwistern zugleich mit, daß ihre Mutter noch bei dem Löwen wohne, jedoch dem Tode näher sei als dem Leben, da sie die größten Sorgen und Qualen leide und ihr alle Güter des Lebens fehlen.
In dem Stein aber, auf welchen der Vogel das junge Mädchen aufmerksam gemacht hatte, war ein sehr vornehmer und schöner Prinz, welcher sogleich Liebe zu Derjenigen faßte, die ihm das Leben wieder gegeben hatte; und gar bald hatten sie alle Beide einander lieb. Er war es, der alle diese kistenförmigen Steine mit sich gebracht hatte, denn dieselben waren nichts Anderes als Kisten, die mit allen Arten von Kostbarkeiten, Gold und Edelsteinen angefüllt waren.
Nachdem nun der Vogel Jedem gesagt, was er zu wissen verlangte, zogen die Geschwister wieder von dannen, gefolgt von dem reichen Prinzen.
Sowie sie wieder heim kamen, war ihr Erstes, daß sie nach dem Hause gingen, in welchem sich der Löwe befand, und dasselbe erbrachen. Sie fanden darin ihre Mutter in Ohnmacht liegend, von welcher dieselbe befallen ward, sowie sie hörte, wie in das Haus eingebrochen wurde. Sie nahmen sie mit sich, und bald kam sie auch wieder zur Besinnung. Man gab ihr ordentliche Kleider und dann gings in größter Eile dem königlichen Schlosse zu.
Sie baten um Zutritt bei dem Könige, da sie dringend mit ihm zu sprechen hätten. Derselbe wurde ihnen auch gewährt, und nun erzählten die drei Geschwister, wer sie seien, und daß sie, seine eigenen Kinder, eben ihre Mutter aus dem Löwenkäfig befreit und hieher gebracht hätten.
Hierauf theilten sie ihm auch Alles genau mit, was sie von dem Vogel erfahren hatten. Der König gerieth ganz außer sich über alle diese Geschichten und Ereignisse.
Es wurde augenblicklich nach den Schwestern geschickt und ihr damaliges Verhalten untersucht; sie geriethen gar bald in Widerspruch mit sich selbst, gestanden ihre ganze Unthat ein und erzählten den wahren Sachverhalt vom Anfang bis zum Ende. Sie wurden nun sogleich in dasselbe Löwenhaus geworfen, in welchem die Königin früher war, und es dauerte nicht lange, so waren sie in Stücke gerissen und von dem Löwen mit Haut und Haaren aufgefressen.
Die Königin wurde wieder in ihre Ehren und Würden eingesetzt und es wurde ein Freudenfest veranstaltet, um die Wiederkehr der Königin und ihrer Kinder zu feiern. Dieses Fest dauerte viele Tage hindurch in des König Palast; als dasselbe zu Ende ging, hielt der fremde Prinz um die Tochter des Königs an und man kann es wohl leicht errathen, daß er dieselbe auch sogleich erhielt. Nun wurde das Fest auf’s Neue begonnen und bei dieser Hochzeit floß der Wein in Strömen, so daß man nie wieder von einer ähnlichen Lustbarkeit in einem anderen Königreiche sprechen hörte. Als die Hochzeitsfestlichkeiten vorüber waren, zog der fremde Prinz in seine Heimat und dort wurde er König nach seinem Vater.
Wilhelm nahm sich ebenfalls eine Gemalin und als der alte König starb, erbte er das Reich von seinem Vater.
Sigurd bekam eine Prinzessin aus einem anderen Reiche, und dasselbe fiel ihm nach dem Tode des Schwiegervaters als Erbtheil zu. So lebten sie alle in Glück und Wohlergehen, und nun ist die Geschichte zu Ende.
[Island: Jos. Cal. Poestion: Isländische Märchen]