Wenn ich auch nicht sagen kann, wann und wo, so ist es doch wahr, daß einmal ein mächtiger Kaiser und Herrscher über ein großes Reich eine einzige Tochter hatte. Diese zerriß jede Nacht zwölf Paar Stiefel, welche, wie sich wohl denken läßt, nicht die schlechtesten waren, da sie einer Prinzessin gehörten. Weder ihr Vater noch irgendeiner seiner geheimen Räte, die um die Sache wußten, konnten erraten, wie dies wohl zugehen möge, und doch wäre es für sie von höchster Wichtigkeit gewesen, es zu wissen, um es zu verhindern, denn es kostete jährlich keine kleine Summe, für die Prinzessin alle diese Stiefel anzuschaffen. Deshalb ließ der Kaiser auf das Zureden seiner geheimen Räte in der Hauptstadt sowie im ganzen Lande bekanntmachen, daß derjenige, welcher erraten würde, wie und auf welche Weise die Prinzessin jede Nacht so viele Stiefel zerreiße, nicht nur dieselbe zur Frau bekommen, sondern auch nach dem Ableben ihres kaiserlichen Vaters Erbe von Krone und Zepter werden solle. Diese Bekanntmachung reizte natürlich viele Prinzen und Herren, an den Hof zu kommen und zu raten, aber umsonst, es wollte keinem gelingen, das Geheimnis zu offenbaren.
Als nun keine Prinzen und Herren mehr waren, so kamen auch andere Leute, höhere und niedere, um ihr Glück zu versuchen, aber ebenso umsonst.
Um diese Zeit nun war es, daß ein Bauer in selbigem Kaiserreiche einen Knecht um den Jahreslohn von sechzig Gulden gedungen hatte. Letzterer hatte indessen bereits ein halbes Jahr gedient, war aber dann gestorben, doch nicht ohne vorher die Hälfte seines Lohnes vom Herrn genommen zu haben. Dieser war nun genötigt, einen andern Knecht zu nehmen, und aus Ärger darüber begrub er den Verstorbenen nicht, sondern legte ihn in eine Truhe und stellte diese auf den Boden unter das Dach. »Dort«, dachte er, »soll er mir wenigstens noch als tot dienen, bis ich einen andern habe.« Als er aber später wirklich wieder einen Knecht bekam, so vergaß er den Toten und ließ ihn ganz liegen, und so fand der neue Knecht die Leiche seines Vorgängers. Da ihn dies erbarmte, so sang er ihm die nötigen Totengesänge, gab ihm auch einen Kreuzer in die Hand und hielt ihm, noch tot wie er war, eine brennende Kerze ein. Er hätte ihn auch beerdigt, allein das wollte sein hartherziger Gebieter nicht dulden.
Als die Dienstzeit dieses zweiten Knechtes nun ebenfalls um war und er, nachdem er seinen Lohn empfangen, gehen wollte, kam der Verstorbene vom Boden herab und begegnete ihm. Anfangs war der Lebende erschrocken, als jener ihn aber freundlich anredete, schenkte er ihm Gehör. Der Verstorbene dankte ihm hierauf freundlich dafür, daß er ihm nach seinem Tode Pomana gehalten habe, weshalb er ihm jetzt den Antrag machte, sich aufs Kreuz mit ihm zu verbrüdern. Die Furcht ließ es natürlich nicht zu, daß der Erschrockene viel Einreden machte, und er und der Vampir wurden deshalb beide Kreuzbrüder.
Sie gingen nun miteinander fort und weit, weit, bis sie in einen eisernen Wald kamen; dort riß der Vampir einen Zweig ab und warf ihn zur Erde. Hier war aber die Stelle, wo des Kaisers Tochter in jeder Nacht vorüberkam, um in diesem Walde mit den Söhnen der Drachen zusammenzukommen, mit denen sie es hielt. Als sie nun sah, daß jemand in der Nähe sein müsse, der den Zweig abgebrochen habe, so fürchtete sie, belauscht zu werden, und eilte, ohne sich aufzuhalten, zu dem Kupferwalde. Kaum hatte sie aber diesen betreten, so fand sie auch da schon wieder einen abgebrochenen Zweig am Boden liegen, ebenfalls das Werk des Vampirs, der hier mit seinem Kreuzbruder vorübergegangen war. Die Prinzessin fürchtete sich deshalb auch da wieder vor Entdeckung und ging weiter an den Ort, wo die Söhne des Drachens wohnten.
Um aber mit ihren zwölf Paar Stiefeln für diese Nacht, da sie so weit zu gehen hatte, auszukommen, trug sie dieselben alle in der Hand. Deshalb war es kein Wunder, daß ihr auf dem Wege zu den Drachensöhnen sehr heiß wurde. Als sie bei diesen angekommen, war bereits der Tisch gedeckt, um Tafel zu halten. Ehe sie sich nun mit ihrer sauberen Gesellschaft zum Essen setzte, wollte sie sich mit ihrem Tuche den Schweiß vom Gesicht wischen, da entfiel ihr aber dasselbe. Kaum wurde der Vampir, welcher ihr aus dem Kupferwalde nachgeschlichen war, dies gewahr, so verwandelte er sich in eine Katze, erhaschte des Tuch der Prinzessin und lief auch damit davon.
Diese setzte sich nun mit den Drachensöhnen zu Tische, als sie aber den Löffel ergreifen wollte, entfiel er ihr. Jetzt sprang die Vampirkatze wieder herzu und trug auch den Löffel davon. Ebenso machte es die Katze mit dem Ringe, welcher der Prinzessin vom Finger fiel, als sie eben die Hand hob, um das Glas zum Trinken zu ergreifen.
Jetzt hatte der Vampir, was er wollte, und eilte zum Kupferwald zurück, wo sein Kreuzbruder auf ihn wartete, mit dem er dann durch den Eisenwald zurück desselben Weges ging, den sie beide gekommen waren.
Während sie so wanderten, erzählte der Vampir seinem Freunde alles, was er bei den Söhnen der Drachen gesehen und von der Prinzessin genommen hatte. Indem er ihm nun das Tuch, den Löffel und den Ring übergab, belehrte er ihn weiter, wie er jetzt an den Hof des Kaisers gehen und dem Vater der Prinzessin erklären solle, daß es kein Wunder sei, daß die Prinzessin jede Nacht zwölf Paar Stiefel zerreiße, wenn sie alle Nacht dorthin gehe, wo er sie diesmal getroffen habe. Zur Bekräftigung seiner Aussage aber solle er, so unterwies der Vampir seinen Freund, die drei Dinge, welche er von der Prinzessin genommen habe, dem Kaiser vorzeigen. Darauf verließ der Vampir seinen Freund, indem er Abschied von ihm nahm und nochmals dafür dankte, daß er ihm einst Pomana gehalten habe.
Der Bauernknecht hatte sich indessen alles, was sein Kreuzbruder ihm gesagt und geraten hatte, wohl gemerkt und ging zum Kaiser, dem er alles haarklein erzählte, wie ers gesehen zu haben vorgab. Dieser war über diese Offenbarungen aufs höchste erstaunt, wollte es aber doch nicht recht glauben und ließ deshalb sogleich seine Tochter vor sich rufen, um sie selbst zur Rede zu stellen. Anfangs versuchte sich die Prinzessin zwar auszureden, als ihr aber der Kaiser das Tuch, den Löffel und den Ring vorzeigte, da konnte sie nicht mehr anders. Sie wurde betroffen und gestand die Wahrheit, und nun war es kein Geheimnis mehr, wie die Kaiserstochter jede Nacht zwölf Paar Stiefel zerriß.
Jetzt war es am Kaiser, sein öffentlich gegebenes Wort zu halten, und er verlobte seine leibliche Tochter mit dem fremden Bauernknecht, den sie heute das erste Mal sahen. Der machte natürlich keine Einwendung gegen ein solches Glück und ließ es geschehen, daß er der Mann der Prinzessin und des Kaisers Schwiegersohn wurde, nach dessen Tode er auch dessen Krone und Zepter erbte.
Somit schließt diese merkwürdige Geschichte, welche ich, wie ich sie gehört, wieder erzählte.
[Rumänien: Arthur und Albert Schott: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat]